Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.09.2018, Az. 3 StR 344/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 4171

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Verminderte Schuldfähigkeit bei Alkoholsucht; verlängerte Höchstfrist der Unterbringung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. April 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Strafausspruch zu [X.] 1. der Urteilsgründe,

b) im [X.],

c) soweit von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls und wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat das Gericht - sachverständig beraten - abgelehnt. Die gegen dieses Urteil gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Der Rechtsfolgenausspruch - mit Ausnahme der zu [X.] verhängten [X.] - begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

3

a) Nach den Urteilsfeststellungen verstaute der alkoholabhängige und alkoholisierte Angeklagte am 17. Oktober 2016 in einem Supermarkt zwei Bierdosen in seinem Rucksack, um sie für sich zu behalten. Dabei trug er - wie stets zum "Selbstschutz" - ein zusammengeklapptes Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 5,5 cm bei sich, und zwar in seiner Hosentasche. Gegenüber der Kassiererin gab der Angeklagte vor, alle Waren auf das Band gelegt zu haben. Von der [X.], die das Einstecken beobachtet hatte, zur Rede gestellt, behauptete der Angeklagte, die Dosen in den Supermarkt mitgebracht zu haben. Er ließ dennoch das Öffnen des Rucksacks durch die Angestellte zu, die die Bierdosen sicherstellte und dem Angeklagten ein Hausverbot erteilte ([X.] 1. der Urteilsgründe).

4

[X.] kehrte der Angeklagte jedoch kurz darauf in den Verkaufsraum zurück, ergriff eine Flasche Weißwein und eilte aus dem Supermarkt. Von einem eingreifenden Kunden in den Vorraum zurückgezerrt, schlug der Angeklagte bei dem Gerangel mit den Worten "lass [X.] los, ich brauche die Flasche" mit diesem Gegenstand um sich. Als ihn der Zeuge zu Boden rang, holte der Angeklagte sein Taschenmesser hervor ([X.] der Urteilsgründe).

5

b) Die Beurteilung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) bezüglich des [X.] hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Während das [X.] im [X.] der Urteilsgründe mit der Sachverständigen die erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht auszuschließen vermocht hat, hat es solches für die erste Tat abgelehnt. Das "geordnete" und "[X.]" Leistungsverhalten des Angeklagten vor allem gegenüber der [X.] zeige "deutliche Reste von Steuerungsfähigkeit". Diese Begründung trägt gerade in der Gesamtschau zum nachfolgenden [X.] die Ablehnung einer verminderten Schuldfähigkeit nicht.

6

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] kann die Abhängigkeit von [X.] ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit etwa dann begründen, wenn langjähriger [X.] zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat ([X.], Urteile vom 17. April 2012 - 1 StR 15/12, [X.], 53, 54; vom 13. Dezember 1995 - 3 [X.], [X.]R StGB § 21 BtM-Auswirkungen 12; Beschluss vom 14. Juni 2002 - 3 [X.], [X.], 263).

7

Eine solche Depravation des Angeklagten hätte das [X.] bei der Beurteilung seiner Schuldfähigkeit - naheliegend unter dem Gesichtspunkt einer krankhaften seelischen Störung ([X.], Urteil vom 17. April 2012 - 1 StR 15/12, [X.], 53, 54; Beschluss vom 12. März 2013 - 4 StR 42/13, [X.], 519, 520) - erörtern und dem Leistungsverhalten gegenüberstellen müssen. Spätestens seit seinem 23. Lebensjahr ist der Angeklagte alkoholabhängig; deswegen verlor er seine Arbeitsstelle und beging zahlreiche Beschaffungstaten. Der Angeklagte verbüßte mehrfach Freiheitsstrafen. Seit 1996 ist eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vermögenssorge eingerichtet. Mehrere Entgiftungsversuche scheiterten. Auch erschließt sich nicht, warum der Angeklagte nicht bereits bei der ersten kurz vor dem schweren räuberischen Diebstahl begangenen Tat Entzugserscheinungen befürchtete. Demgegenüber lässt die Ausrede gegenüber der [X.] kein übermäßig geordnetes Leistungsverhalten erkennen. Dieser [X.] bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs zu [X.] 1. der Urteilsgründe; dies zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.

8

c) Das [X.] hat den Hang des Angeklagten, Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen, und den symptomatischen Zusammenhang rechtsfehlerfrei bejaht; indes hat es eine Erfolgsaussicht der Behandlung (§ 64 Satz 2 StGB), "den Angeklagten innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB zu heilen oder auch nur für eine erhebliche Zeit vor einem Rückfall in den Hang zu wahren", verneint. Es hat dies - auch insoweit der Sachverständigen folgend - mit der intellektuellen Minderbegabung und einer fehlenden "nachhaltigen" Therapiebereitschaft des Angeklagten begründet. Die vorgenannte Formulierung lässt besorgen, dass das [X.] von einer [X.] von zwei Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB) ausgegangen und die Verweisung in § 64 Satz 2 StGB nF auf § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB übersehen hat. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist nach § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB, wenn - wie hier - daneben eine Freiheitsstrafe verhängt wird, nicht mehr von vornherein auf zwei Jahre beschränkt; die [X.] der Unterbringung verlängert sich vielmehr in diesen Fällen um die Dauer des nach § 67 Abs. 4 StGB anrechenbaren Teils der Freiheitsstrafe. Durch den Verweis auf § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB sollte ausdrücklich klargestellt werden, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch dann angeordnet werden kann, wenn ausnahmsweise eine notwendige Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren zu prognostizieren ist. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass die aktuelle Therapieunwilligkeit des Angeklagten seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch dann noch entgegensteht, wenn auf die gemäß § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB verlängerte [X.] abgestellt wird, die hier aufgrund der verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten drei Jahre beträgt (zwei Jahre gemäß § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB zuzüglich zwei Drittel der verhängten Strafe gemäß § 67d Abs. 1 Satz 3, § 67 Abs. 4 StGB, mithin zuzüglich eines Jahres, abzüglich der wenigen Tage erlittener Haft [§ 230 Abs. 2 StPO, § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB]; s. [X.], Beschlüsse vom 6. Februar 2018 - 3 [X.], juris Rn. 9; vom 7. September 2017 - 3 StR 307/17, juris Rn. 7 f. mwN).

9

2. Neben dem Strafausspruch muss über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 264a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; [X.], Beschlüsse vom 6. Februar 2018 - 3 [X.], juris Rn. 10; vom 7. September 2017 - 3 StR 307/17, juris Rn. 10 mwN). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.

Spaniol     

        

Berg     

        

Hoch   

        

Hohoff     

        

Leplow     

        

Meta

3 StR 344/18

04.09.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Lüneburg, 27. April 2018, Az: 111 KLs 3/18

§ 21 StGB, § 64 S 2 StGB, § 67 Abs 4 StGB, § 67d Abs 1 S 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 04.09.2018, Az. 3 StR 344/18 (REWIS RS 2018, 4171)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4171

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 382/18 (Bundesgerichtshof)

Schuldfähigkeit: Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei einer Blutalkoholkonzentration von 3 Promille


2 StR 172/19 (Bundesgerichtshof)

Strafurteil: Anforderungen an die Feststellungen zur Schuldfähigkeit eines zur Tatzeit alkoholisierten Angeklagten und zur Erfolgsaussicht …


2 StR 104/21 (Bundesgerichtshof)

Verminderte Schuldfähigkeit bei hoher Blutalkoholkonzentration: Feststellung der erheblichen Herabsetzung des Hemmungsvermögens und der erheblich verminderten …


3 StR 113/17 (Bundesgerichtshof)

Gefährliche Körperverletzung: Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen Körperverletzung


3 StR 97/17 (Bundesgerichtshof)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Anforderungen an die Erfolgsaussichtsprüfung


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.