Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.
Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Ungleichartige Wahlfeststellung: Verfassungsmäßigkeit der gesetzesalternativen Wahlfeststellung
Die gesetzesalternative (ungleichartige) Wahlfeststellung verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG; eine Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei auf [X.] ist zulässig.
[X.]er 2. Strafsenat des [X.] beabsichtigt zu entscheiden:
„1. [X.] entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 GG.
2. Eine wahldeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) [X.]iebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei ist daher unzulässig."
[X.]ie ständige Rechtsprechung des 1. Strafsenats steht der beabsichtigten Entscheidung des 2. Strafsenats entgegen (vgl. bereits Senat, Urteile vom 2. Oktober 1951 - 1 [X.], [X.]St 1, 327, 328, und vom 12. Januar 1954 - 1 StR 631/53, [X.]St 5, 280; zuletzt Beschluss vom 5. März 2013 - 1 [X.], [X.], 42). [X.]er Senat hält an dieser Rechtsprechung fest: Bei der gesetzesalternativen (ungleichartigen) Wahlfeststellung handelt es sich um eine prozessuale [X.], auf die Art. 103 Abs. 2 GG keine Anwendung findet ([X.]). Selbst wenn dieser Regel ein materiell-rechtlicher Gehalt zukommt, liegt kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG vor (I[X.]). [X.]ies entspricht im Ergebnis der Ansicht des Gesetzgebers (II[X.]). [X.]as einschränkende Merkmal der „rechtsethischen und psychologischen" Gleichwertigkeit der verschiedenen Straftaten stellt sicher, dass die Rechtsfolgenentscheidung trotz [X.] an einen ausreichend einheitlichen Schuldvorwurf anknüpfen kann (IV.).
[X.]
Bei den Regeln zur gesetzesalternativen (ungleichartigen) Wahlfeststellung handelt es sich um Verfahrensregeln, die nicht Art. 103 Abs. 2 GG unterfallen.
1. Eine Verurteilung wegen alternativ verwirklichter Straftatbestände auf [X.] ist nach der Rechtsprechung des [X.] dann vorzunehmen, wenn im Rahmen des angeklagten Geschehens nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten der Sachverhalt nicht in einer solchen Weise aufgeklärt werden kann, dass die Feststellung eines bestimmten Straftatbestandes möglich ist, aber sicher feststeht, dass der Angeklagte einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Tatbeständen verwirklicht hat, und andere Möglichkeiten sicher ausgeschlossen sind (vgl. Senat, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 [X.], [X.], 42). Weitere einschränkende Voraussetzung ist, dass die verschiedenen möglichen Straftaten rechtsethisch und psychologisch gleichwertig sind. [X.] gleichwertig sind die möglichen Taten dann, wenn ihnen im allgemeinen Rechtsempfinden eine gleiche oder doch ähnliche sittliche Bewertung zuteil wird; psychologische Gleichwertigkeit erfordert eine einigermaßen gleichgeartete seelische Beziehung des [X.] zu den mehreren in Frage stehenden Verhaltensweisen (vgl. grundlegend [X.], Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 15. Oktober 1956 - [X.], [X.]St 9, 390, 394; [X.], Urteil vom 11. November 1966 - 4 StR 387/66, [X.]St 21, 152, 153). In allen anderen Fällen, in denen ein Sachverhalt nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten nicht eindeutig festgestellt werden kann, ist der Angeklagte nach dem Grundsatz „in dubio pro reo" entweder freizusprechen oder - sofern nicht trotz [X.] der Schuldspruch unzweifelhaft ist - zu seinen Gunsten nach dem milderen Gesetz mit eindeutigem Schuldspruch zu verurteilen (hierzu im Einzelnen umfassend [X.], in: Löwe/[X.], [X.], 26. Aufl. 2012, § 261 Rn. 125 ff. [X.]). Hierdurch wird insgesamt ausgeschlossen, dass zum Nachteil des Angeklagten ein Schuldumfang zugrunde liegt, durch den der Angeklagte beschwert wird.
2. Strukturell handelt es sich bei der gesetzesalternativen Wahlfeststellung damit um eine besondere [X.] bei Nichtaufklärbarkeit des Sachverhalts. [X.]iese [X.] bestimmt nicht darüber, was strafbar ist, sondern legt lediglich fest, in welcher Weise das Gericht in einer bestimmten prozessualen Situation prozessual zu reagieren hat. [X.]as einschränkende Merkmal der „rechtsethischen und psychologischen Gleichwertigkeit" ist hierfür nicht konstitutiv, sondern legt dieser [X.] Schranken auf, damit für die Rechtsfolgenentscheidung an einen einheitlichen Unrechts- und Schuldkern angeknüpft werden kann. [X.]ie gesetzesalternative Wahlfeststellung gehört deshalb dem Verfahrensrecht an (so bereits ausdrücklich die Grundsatzentscheidung der [X.] Strafsenate des [X.], Beschluss vom 2. Mai 1934 - 1 [X.] 1096/33, [X.], 257, 262).
3. Weil es sich um eine prozessuale [X.] handelt, die sich auf gesetzlich festgelegte Straftatbestände stützt, wird die gesetzesalternative Wahlfeststellung nicht vom Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG erfasst (vgl. [X.], aaO, § 261 Rn. 145 m. [X.]. 1024; [X.], in: KMR-[X.], Loseblatt, 68. EL, § 261 Rn. 106; [X.], [X.] 2013, 271, 274 ff.).
I[X.]
Im Übrigen liegt ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG auch deshalb nicht vor, weil die Strafbarkeit in Fällen [X.] durch den Gesetzgeber bestimmt und für den [X.] vorhersehbar ist.
1. Art. 103 Abs. 2 GG dient dem rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten. Jeder soll vorhersehen können, welches Verhalten mit einer Sanktion bedroht ist. Zudem soll der Gesetzgeber über die Erfüllung des Tatbestandes entscheiden und diese Entscheidung über die Sanktionierung eines Verhaltens nicht der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt überlassen werden (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Januar 2014 - 2 BvR 299/13, NJW 2014, 1431, 1432). [X.]er Gesetzgeber und nicht der [X.] ist zur Entscheidung über die Strafbarkeit berufen. [X.]er Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich und notwendig erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will. [X.]en Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren. Aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit folgt anerkanntermaßen ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. [X.]abei ist „Analogie" nicht im engeren technischen Sinn zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechtsanwendung, die - tatbestandsausweitend - über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der mögliche Wortlaut als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation aus der Sicht des Normadressaten zu bestimmen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08, 105/09 und 491/09, [X.]E 126, 170, 194 f. [X.]).
2. [X.]iesen verfassungsrechtlichen Vorgaben wird die gesetzesalternative Wahlfeststellung gerecht.
a) [X.]ie Strafbarkeit des abgeurteilten Verhaltens ist durch die Strafnormen des Strafgesetzbuchs vorgegeben. [X.]er Angeklagte wird bei der gesetzesalternativen Wahlfeststellung nicht etwa nach einer nicht existierenden, von der Rechtsprechung „erfundenen" Strafnorm verurteilt, sondern aus einem vom Gesetzgeber ausdrücklich bestimmten Straftatbestand. [X.]ie Strafbarkeit des Verhaltens legt dabei allein der Gesetzgeber fest, nicht der [X.]. Nur wenn dem Angeklagten ein vom Gesetzgeber ausdrücklich als strafbar angesehenes Verhalten nachgewiesen werden kann, darf er verurteilt werden. [X.]ie gesetzesalternative Wahlfeststellung besagt lediglich, dass in Fällen sicherer Strafbarkeit, aber unsicheren Tatsachenverlaufs eine bestimmte Form der Entscheidung zu wählen ist, und zwar einschränkend nur dann, wenn die sicher anzunehmende Strafbarkeit im [X.] einen vergleichbaren Schuldvorwurf begründet.
b) Für den Normadressaten ist in den Fällen der gesetzesalternativen Wahlfeststellung jederzeit vorhersehbar, welches Verhalten strafbar ist und welches nicht. Eine Ausdehnung der strafbewehrten Verhaltensanforderungen geht mit der gesetzesalternativen Wahlfeststellung nicht einher. In dem vom 2. Strafsenat zu entscheidenden Fall konnten die Angeklagten etwa unschwer erkennen, dass sowohl der [X.]iebstahl als auch die Hehlerei strafbar sind, und ihr Verhalten entsprechend einrichten.
II[X.]
[X.]iese Auffassung entspricht im Ergebnis der Einschätzung des Gesetzgebers. [X.]er Gesetzgeber hat sich im Rahmen der Überlegungen zum [X.] ausdrücklich die Frage gestellt, ob er die gesetzesalternative Wahlfeststellung gesetzlich regeln soll oder nicht. In den Gesetzesmaterialien, die der Beschlussfassung des [X.]eutschen Bundestages zugrunde lagen (vgl. [X.] vom 30. Oktober 1952, [X.], vom 12. Mai 1953, [X.] ff., vom 11. Juni 1953, [X.] und vom 3. Juli 1953, [X.]), heißt es dazu (BT-[X.]rucks. I/3713 S. 19):
„Mit der Bereinigung des Strafgesetzbuches soll gleichzeitig zum Ausdruck kommen, daß, soweit der Entwurf nicht eingreift, Änderungen des Strafgesetzbuchs durch die Gesetzgebung der [X.] und der Besatzungsmächte, die von den bisherigen Strafrechtsänderungsgesetzen nicht angetastet wurden, vorbehaltlich einer eigentlichen Reform vom Gesetzgeber anerkannt werden. [X.]as bedeutet nicht immer, daß Vorschriften, die durch die Besatzungsmächte aufgehoben wurden, [X.] Charakter trugen. Insbesondere enthielt der aufgehobene § 2 b (Wahlweise Verurteilung) kein [X.] Gedankengut. Wenn der Entwurf davon absieht, die Vorschrift zu erneuern, so geschieht das aus folgenden Erwägungen: In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist erneut anerkannt worden, daß wahlweise Schuldfeststellungen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind. [X.]ie obersten Gerichte haben sich daher im wesentlichen der Rechtsprechung des [X.] angeschlossen, wie sie vor der Einfügung des § 2 b in der [X.] vom 2. Mai 1934 ([X.], 257) ihren Niederschlag gefunden hatte. Zum Teil ist der [X.] bereits darüber hinausgegangen. Unter diesen Umständen wird die Frage, wie die Grenzen für die Zulässigkeit von [X.] zu ziehen sind, auch in Zukunft der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen werden können.
[X.]amit hat der Gesetzgeber zu erkennen zu erkennen gegeben, dass er die Rechtsprechung des [X.] zur Wahlfeststellung billigt und keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht, also auch keinen möglichen Verstoß gegen das Gesetzlichkeitsprinzip. [X.]ass sich an dieser Einschätzung des Gesetzgebers etwas geändert hätte, ist nicht ersichtlich.
IV.
[X.]as von der Rechtsprechung entwickelte einschränkende Merkmal der „rechtsethischen und psychologischen" Gleichwertigkeit der verschiedenen Straftaten stellt sicher, dass die Rechtsfolgenentscheidung trotz [X.] an einen ausreichend einheitlichen Schuldvorwurf anknüpfen kann.
Schon in der Grundsatzentscheidung der [X.] Strafsenate des [X.] (Beschluss vom 2. Mai 1934 - 1 [X.] 1096/33, [X.], 257, 260) zur gesetzesalternativen Wahlfeststellung bei [X.]iebstahl und Hehlerei wurde hervorgehoben, dass die „Sicherheit der Urteilsfindung" und die „Gerechtigkeit der Urteilswirkung" eine Einschränkung der Wahlfeststellung erforderlich machen. [X.]er [X.] hat in späteren Entscheidungen darauf abgestellt, dass der Täter jeweils entweder dasselbe Rechtsgut oder doch, wie im Verhältnis von [X.]iebstahl oder Unterschlagung zur Hehlerei, in ihrem Wesen ähnliche Rechtsgüter verletzt haben muss und die in Frage stehenden mehreren Verhaltensweisen die gleiche sittliche Missbilligung verdienen müssen, weil die innere Beziehung des [X.] zu ihnen im Wesentlichen gleichartig ist (vgl. [X.], Urteil vom 11. November 1966 - 4 StR 387/66, [X.]St 21, 152, 154).
[X.]iese Einschränkungen stellen sicher, dass der [X.] für seine Rechtsfolgenentscheidung an einen gleichartigen Unrechts- und Schuldkern anknüpfen kann. [X.] Umstände, die nur bei einer der alternativ in Betracht kommenden Verhaltensweisen in Frage kämen, dürfen dem Angeklagten nach dem [X.] ohnehin nicht zugerechnet werden; es ist jeweils von der dem Angeklagten günstigsten Möglichkeit auszugehen (vgl. [X.], aaO, § 261 Rn. 160 ff.). Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 2 GG ist deshalb insoweit nicht zu besorgen.
Sofern der 2. Strafsenat im vorliegenden Fall die konkreten Tatbilder als derart verschieden ansieht, dass eine rechtsfehlerfreie Strafzumessung mangels Gleichartigkeit der alternativen Sachverhalte und mangels derselben seelischen Beziehung zur Tat ausscheiden soll (Rn. 36), wird nicht klar, ob insoweit den Grundsätzen des [X.]es hinreichend Rechnung getragen wurde oder der 2. Strafsenat sogar weitergehend den von der Rechtsprechung definierten Anwendungsbereich der Wahlfeststellung als nicht eröffnet ansieht.
Raum [X.] Graf
[X.] [X.]
Meta
24.06.2014
Bundesgerichtshof 1. Strafsenat
Beschluss
Sachgebiet: ARs
vorgehend BGH, 28. Januar 2014, Az: 2 StR 495/12, Beschluss
Art 103 Abs 2 GG, § 242 StGB, § 259 StGB
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.06.2014, Az. 1 ARs 14/14 (REWIS RS 2014, 4667)
Papierfundstellen: REWIS RS 2014, 4667
Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.
Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 167/18, 05.07.2019.
Bundesgerichtshof, 2 StR 495/12, 25.10.2017.
Bundesgerichtshof, 2 StR 495/12, 02.11.2016.
Bundesgerichtshof, 2 StR 495/12, 11.03.2015.
Bundesgerichtshof, 2 StR 495/12, 28.01.2014.
Bundesgerichtshof, 5 ARs 39/14, 16.07.2014.
Bundesgerichtshof, 1 ARs 14/14, 24.06.2014.
Auf Mobilgerät öffnen.
Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
1 ARs 14/14 (Bundesgerichtshof)
2 BvR 167/18 (Bundesverfassungsgericht)
Nichtannahmebeschluss: Gesetzesalternative Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage (echte bzw ungleichartige Wahlfeststellung) verletzt nicht das Bestimmtheitsgebot (Art …
Wahlfeststellung zwischen gewerbsmäßigen Diebstahls und gewerbsmäßiger Hehlerei; Auswirkungen auf gleichzeitige Verwirklichung der Geldwäsche
2 StR 495/12 (Bundesgerichtshof)
(Anfragebeschluss nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG: Zulässigkeit der Rechtsfigur der ungleichartigen Wahlfeststellung)
2 StR 495/12 (Bundesgerichtshof)
Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen: Verfassungsmäßigkeit der gesetzesalternativen Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Diebstahls oder …