Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.04.2017, Az. 5 C 12/16

5. Senat | REWIS RS 2017, 11858

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Gegenstand

Jugendhilferechtliche Zuständigkeit bei Übertragung sämtlicher Angelegenheiten der elterlichen Sorge nach § 1630 Abs. 3 BGB


Leitsatz

Ein Elternteil ist auch dann nicht personensorgeberechtigt im Sinne des § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB VIII (juris: SGB 8), wenn das Familiengericht sämtliche Angelegenheiten der elterlichen Sorge nach § 1630 Abs. 3 Satz 1 BGB auf eine Pflegeperson übertragen hat.

Tatbestand

1

Die klagende [X.] begehrt als örtliche Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe von dem beklagten Landkreis die Erstattung von Kosten, die sie im Rahmen der Gewährung von Hilfe zur Erziehung aufwandte.

2

Der von der Hilfegewährung begünstigte Jugendliche fand bereits kurz nach seiner Geburt im Oktober 1997 Aufnahme in dem Haushalt seiner im Bezirk der Klägerin wohnhaften Großmutter mütterlicherseits. Mit Beschluss vom 2. November 1999 übertrug das Amtsgericht - Familiengericht - auf entsprechende Anträge der alleinerziehenden Kindesmutter und deren Mutter "die elterliche Sorge" für das Kind nach Maßgabe des § 1630 Abs. 3 BGB unbefristet auf die Großmutter als Pflegeperson. Zugleich wies es darauf hin, dass dieser infolge der Übertragung die Rechte und Pflichten eines Pflegers wie auch im Rahmen der Übertragung die Rechtsstellung eines gesetzlichen Vertreters zustünden. Die ursprünglich mit in dem Haushalt ihrer Mutter lebende Kindesmutter verzog im September 2009 in den Bezirk des Beklagten. Der mit ihr nicht verheiratete Kindesvater lebte weiterhin im Bezirk der Klägerin. In dem Zeitraum vom 20. Oktober 2011 bis zum 10. September 2013 gewährte die Klägerin der Großmutter ambulante Hilfe zur Erziehung in Form einer Erziehungsbeistandschaft.

3

Ohne Erfolg begehrte die Klägerin erstmals im Februar 2013 und hiernach im November 2013 von dem Beklagten die Erstattung der Kosten für die in dem vorbezeichneten Zeitraum erbrachten [X.] in Höhe von 14 153,43 €. Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Ihre gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegte Berufung hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es unter anderem ausgeführt, die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 89a Abs. 1 Satz 1 [X.] lägen nicht vor, da die Klägerin zwar auf der Grundlage ihrer örtlichen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 [X.] [X.] erbracht habe, vor Beginn dieser [X.] indes nicht der Beklagte, sondern die Klägerin selbst gemäß § 86 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 4 Halbs. 1 [X.] örtlich zuständig gewesen sei. Nachdem das Familiengericht die elterliche Sorge für den Jugendlichen auf dessen Großmutter übertragen habe, habe der Kindesmutter die Personensorge nicht länger im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 5 [X.] und des § 86 Abs. 3 [X.] zugestanden. Beide Vorschriften knüpften an die Berechtigung zur Ausübung, nicht hingegen an die Entziehung der Personensorge an. Nach einer vollständigen Übertragung der elterlichen Sorge gemäß § 1630 Abs. 3 Satz 1 BGB stehe die Berechtigung zur Ausübung der Personensorge nicht mehr den Eltern, sondern allein der Pflegeperson zu.

4

Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie macht im Wesentlichen geltend, ohne die durch § 86 Abs. 6 Satz 1 [X.] bewirkte Zuständigkeitsdurchbrechung wäre der Beklagte nach § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] örtlich zuständiger Träger der Jugendhilfe gewesen. Der in dessen Zuständigkeitsbereich aufhältigen Kindesmutter sei die Personensorge durch die familiengerichtliche Entscheidung nach § 1630 Abs. 3 BGB nicht entzogen worden. Gegenstand dieser Entscheidung sei allein die Berechtigung zur Ausübung der Personensorge, nicht hingegen eine Entziehung der Personensorge im Sinne des § 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB. Nur Letztere begründe ein "Nicht-Zustehen" der Personensorge im Sinne des § 86 Abs. 3 [X.]. Die Übertragung nach § 1630 Abs. 3 BGB verfolge das Ziel, die Familienpflege zu erleichtern, ohne die Eltern aus ihrer Rolle zu drängen. Daher sei davon auszugehen, dass nicht nur ein Rest der Personensorge, sondern auch ein Teil der Berechtigung zur Ausübung derselben bei der Mutter des Jugendlichen verblieben sei.

5

Der Beklagte verteidigt das Urteil des [X.].

Entscheidungsgründe

6

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das angefochtene Urteil steht mit Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO im Einklang. Das Oberverwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass der [X.] aus der allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden Bestimmung des § 89a Abs. 1 Satz 1 des [X.] ([X.]) - Achtes Buch ([X.]) - Kinder- und Jugendhilfe - in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung vom 11. September 2012 ([X.]), für den hier maßgeblichen [X.]raum zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 3. Mai 2013 ([X.]), nicht verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten für die von dieser im [X.]raum vom 20. Oktober 2011 bis zum 10. September 2013 erbrachten [X.] zugunsten des betroffenen [X.] in Höhe von 14 153,43 € zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Antragstellung zu erstatten. Gemäß § 89a Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.] sind Kosten, die ein örtlicher Träger auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 [X.] [X.] aufgewendet hat (1.), von dem örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre (2.).

7

1. Die Beteiligten nehmen wie auch die Vorinstanzen zu Recht an, dass die Klägerin auf der Grundlage einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 [X.] [X.] für die Gewährung ambulanter Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 [X.] [X.] in Form einer Erziehungsbeistandschaft gemäß § 30 [X.] [X.] Kosten in Höhe von 14 153,43 € aufgewendet hat. Lebt ein Kind oder ein Jugendlicher zwei Jahre bei einer Pflegeperson (vgl. [X.], Urteil vom 1. September 2011 - 5 C 20.10 - [X.]E 140, 305 Rn. 11 ff.) und ist sein Verbleib bei dieser auf Dauer zu erwarten (vgl. [X.], Urteil vom 14. November 2013 - 5 C 31.12 - [X.] 436.511 § 89a [X.] [X.] Nr. 9 Rn. 14), so ist oder wird gemäß § 86 Abs. 6 Satz 1 [X.] [X.] abweichend von den Absätzen 1 bis 5 der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dass während der [X.], in der der Jugendliche bei der Pflegeperson lebt, Leistungen der Jugendhilfe im Sinne des § 2 Abs. 2 [X.] [X.] noch nicht erbracht werden, steht der Annahme einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 Satz 1 [X.] [X.] nicht entgegen ([X.], Urteil vom 1. September 2011 - 5 C 20.10 - [X.]E 140, 305 Rn. 17). Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, dass der betroffene Jugendliche vor der Gewährung der Leistungen, deren Kosten die Klägerin erstattet wissen möchte, für die Dauer von mehr als zwei Jahren Aufnahme über Tag und Nacht in dem Haushalt seiner Großmutter gefunden hatte und sein dortiger Verbleib auch auf Dauer zu erwarten war. In dem Leistungszeitraum hatte seine Großmutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem Bereich der Klägerin.

8

2. § 89a Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.] vermittelt dem nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Pflegeperson örtlich zuständig werdenden Träger einen Erstattungsanspruch gegen den örtlichen Träger, der zuvor zuständig war (Alt. 1) oder gewesen wäre (Alt. 2). [X.] im Sinne der Vorschrift ist der ohne die Zuständigkeitsdurchbrechung des § 86 Abs. 6 Satz 1 [X.] [X.] zuständige örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, mithin derjenige örtliche Träger, der - bliebe die Zuständigkeitsdurchbrechung des § 86 Abs. 6 Satz 1 [X.] [X.] außer Betracht - nach § 86 Abs. 1 bis 5 [X.] [X.] für die Leistung zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Maßgeblicher zeitlicher Bezugspunkt ist - wie die Anknüpfung des Wortes "zuvor" an die Wörter "aufgewendet hat" verdeutlicht - der [X.]punkt der Aufnahme der Leistungsgewährung durch den nach § 86 Abs. 6 Satz 1 [X.] [X.] zuständig gewordenen Träger ([X.], Urteil vom 14. November 2013 - 5 C 25.12 - [X.] 436.511 § 89a [X.] [X.] Nr. 10 Rn. 17 m.w.[X.]). § 89a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 [X.] [X.] bezieht sich auf Fallgestaltungen, bei denen die Leistungsgewährung auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 [X.] [X.] unmittelbar an eine Gewährung von Leistungen durch einen anderen Träger anschließt. Der Anwendungsbereich des § 89a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 [X.] [X.] ist eröffnet, wenn der Leistungsgewährung auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 [X.] [X.] unmittelbar keine Gewährung von Leistungen durch einen anderen Träger vorangegangen ist. [X.] ist derjenige Träger, der im [X.]punkt der Leistungsgewährung auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 [X.] [X.] örtlich zuständig gewesen wäre, wenn die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 [X.] [X.] nicht begründet worden wäre.

9

Gemessen daran war der [X.] unstreitig nicht im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 [X.] [X.] zuständig, da [X.] vor der Aufnahme der Leistungsgewährung durch die Klägerin am 20. Oktober 2011 nicht erbracht worden waren. Für deren Bewilligung wäre der [X.] auch nicht im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 [X.] [X.] nach § 86 Abs. 1 bis 5 [X.] [X.] zuständig gewesen. Denn im insoweit maßgeblichen [X.]punkt der Aufnahme der Leistungsgewährung durch die Klägerin am 20. Oktober 2011 wäre nicht er nach Maßgabe des insoweit allein in Betracht zu nehmenden § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] [X.] örtlich zuständig gewesen.

Gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 [X.] [X.] ist für den Fall, dass die Elternteile verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben, derjenige örtliche Träger der Jugendhilfe zuständig, in dessen Bereich der personensorgeberechtigte Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; dies gilt nach § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 [X.] [X.] auch dann, wenn ihm einzelne Angelegenheiten der Personensorge entzogen sind. § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 [X.] [X.] regelt die örtliche Zuständigkeit für die Fallgestaltung bereits bei [X.] auch geographisch über den Bereich eines Jugendhilfeträgers hinaus getrennt lebender Kindeseltern dahingehend, dass [X.] für die örtliche Zuständigkeit grundsätzlich die alleinige [X.] eines Elternteils für den betroffenen Minderjährigen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Februar 2008 - 5 B 109.06 - [X.] 436.511 § 86 [X.] [X.] Nr. 6 Rn. 5). Diese Voraussetzungen waren hier in dem vorbezeichneten maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt nicht erfüllt. Zwar hatten am 20. Oktober 2011 beide Elternteile des [X.] ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den Bereichen verschiedener Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Die Mutter des [X.], die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich des [X.]n hatte, war jedoch nicht personensorgeberechtigt im Sinne des § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 [X.] [X.].

a) Ein Elternteil ist auch dann nicht personensorgeberechtigt im Sinne des § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 [X.] [X.], wenn - wie hier - sämtliche Angelegenheiten der elterlichen Sorge nach § 1630 Abs. 3 [X.] auf eine Pflegeperson übertragen wurden (a.[X.], Urteil vom 16. November 2004 - 12 B 00.3364 - FEVS 56 (2005) S. 539 <542 f.> zu § 86 Abs. 5 Satz 2 [X.] [X.]).

aa) Für dieses Normverständnis sprechen bereits mit einer deutlichen Tendenz Wortlaut und Systematik der Norm. Der Begriff "personensorgeberechtigt" ist in § 7 Abs. 1 Nr. 5 [X.] [X.] mit Wirkung für das gesamte Achte Buch des [X.] definiert. Danach ist [X.], wem allein oder gemeinsam mit einer anderen Person nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Personensorge zusteht. Die Auslegung des Merkmals "personensorgeberechtigt" in § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 [X.] [X.] hat sich deshalb auch an den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches zu orientieren.

Gemäß § 1626 Abs. 1 Satz 1 [X.], bezogen auf den hier maßgeblichen [X.]punkt zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 27. Juli 2011 ([X.]), haben die Eltern die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst nach § 1626 Abs. 1 Satz 2 [X.] die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge). Gemäß § 1631 Abs. 1 [X.] beinhaltet die Personensorge insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Geben die Eltern das Kind für längere [X.] in Familienpflege, so kann das Familiengericht gemäß § 1630 Abs. 3 Satz 1 [X.] auf Antrag der Eltern oder der Pflegeperson Angelegenheiten der elterlichen Sorge auf die Pflegeperson übertragen. Für die Übertragung auf Antrag der Pflegeperson ist nach § 1630 Abs. 3 Satz 2 [X.] die Zustimmung der Eltern erforderlich. Im Umfang der Übertragung hat die Pflegeperson gemäß § 1630 Abs. 3 Satz 3 [X.] die Rechte und Pflichten eines Pflegers. Es kann hier dahingestellt bleiben, welche Auswirkungen die Übertragung nach § 1630 Abs. 3 Satz 1 [X.] im Einzelnen hat. Jedenfalls sind die Eltern an der Ausübung der elterlichen Sorge bzw. an deren Wahrnehmung im Umfang der Übertragung gehindert (vgl. etwa [X.], in: [X.] Kommentar zum [X.], 7. Aufl. 2017, § 1630 [X.] Rn. 28; Peschel-Gutzeit, in: [X.], [X.], 2015, § 1630 [X.] Rn. 56; [X.], Familienpflege - Die rechtliche Stellung von Pflegeeltern, 2009, S. 20; weitergehend wohl Henne, Die Rechte der leiblichen Eltern von Pflegekindern, 2009, [X.] [X.]. 264).

Wurden - wie hier - sämtliche Angelegenheiten der elterlichen Sorge und wurde damit die Personensorge in vollem Umfang übertragen, sind die Eltern uneingeschränkt an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert. Es liegt insoweit genauso wie bei dem angeordneten Ruhen der elterlichen Sorge nach § 1674 Abs. 1 i.V.m. § 1675 [X.]. Für diesen Fall hat der Senat angenommen, dass mit Blick darauf, dass während des Ruhens der elterlichen Sorge diese nicht ausgeübt werden kann, die Personensorge den Eltern oder dem betroffenen Elternteil nicht zusteht im Sinne des § 86 Abs. 3 [X.] [X.] ([X.], Beschluss vom 13. September 2004 - 5 B 65.04 - EuG 2007, 187 <188>). Es spricht ganz [X.] dafür, dass dies für das Merkmal "personensorgeberechtigt" in § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] [X.] entsprechend gilt.

bb) Das grammatisch-systematische Verständnis des § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] [X.] wird durch das Ergebnis der teleologischen Auslegung der Norm bestätigt. Den Zuständigkeitsbestimmungen des § 86 Abs. 1 bis 5 [X.] [X.] liegt die gesetzgeberische Einschätzung zu Grunde, dass ein Kind oder Jugendlicher aus rechtlicher und pädagogischer Sicht grundsätzlich im Zusammenhang mit den Personen zu sehen ist, die für es oder ihn die Erziehungsverantwortung innehaben. Dies sind regelmäßig die Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil, deren natürliches Recht und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht die Pflege und Erziehung ihres Kindes ist. Denn im Regelfall vermitteln die Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil die Nähe zur Lebenswelt des Kindes oder [X.]. Demgemäß "wandert" die örtliche Zuständigkeit im Falle eines Wechsels des gewöhnlichen Aufenthalts der Eltern oder des personensorgeberechtigten Elternteils grundsätzlich mit diesen beziehungsweise diesem "mit" ([X.], Urteile vom 1. September 2011 - [X.] 5 C 20.10 - [X.]E 140, 305 Rn. 14 und vom 14. November 2013 - 5 C 25.12 - [X.] 436.511 § 89a [X.] [X.] Nr. 10 Rn. 36). Soweit in § 86 [X.] [X.] für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit auf den personensorgeberechtigten Elternteil abgestellt wird, beruht dies auf der Annahme, dass dieser Elternteil gerade wegen des Bestehens der [X.] die Nähe zur Lebenswelt des Kindes oder [X.] vermittelt. § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 und Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 [X.] [X.] geht davon aus, dass die Entziehung einzelner Angelegenheiten der elterlichen Sorge diese Nähe nicht wesentlich beeinträchtigt. Kann die [X.] aber wegen der uneingeschränkten Übertragung nach § 1630 Abs. 3 Satz 1 [X.] insgesamt nicht ausgeübt werden, ist der Annahme einer durch den Personensorgeberechtigten vermittelten Nähe die Grundlage entzogen.

cc) Die historisch-genetische Auslegung steht dem vorstehenden Normverständnis nicht entgegen. Die Gesetzesmaterialien zu § 86 [X.] [X.] (vgl. insbesondere [X.]. 12/2866 S. 15 und 21) enthalten keinen Hinweis, dass eine Übertragung sämtlicher Angelegenheiten der Personensorge auf eine Pflegeperson nach § 1630 Abs. 3 [X.] das [X.] der Personensorge im Sinne des § 86 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 5 [X.] [X.] nicht tangieren sollte. Auch die Materialien zu § 1630 Abs. 3 [X.] gebieten keine abweichende Betrachtung. Diesen ist allein zu entnehmen, dass die Rechtsstellung der Pflegeperson im Verhältnis sowohl gegenüber [X.] als auch gegenüber den personensorgeberechtigten Eltern mit dem Ziel der Verbesserung der Stellung des Kindes gestärkt werden sollte ([X.]. 8/2788 S. 47; ferner [X.], Urteil vom 15. Dezember 1995 - 5 C 2.94 - [X.]E 100, 178 <183>).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen wäre der [X.] vor der Aufnahme der Leistungsgewährung durch die nach § 86 Abs. 6 Satz 1 [X.] [X.] zuständig gewordene Klägerin nicht gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 [X.] [X.] örtlich zuständiger Träger der öffentlichen Jugendhilfe gewesen. Zwar hatte die Mutter des [X.] ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich des [X.]n. Sie war hingegen auf Grund der uneingeschränkten Übertragung von Angelegenheiten der elterlichen Sorge auf ihre Mutter nach § 1630 Abs. 3 Satz 1 [X.] zum [X.]punkt der Gewährung der Leistungen, um deren Kosten gestritten wird, nicht mehr personensorgeberechtigt im Sinne des § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 [X.] [X.].

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. [X.] besteht nach § 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO nicht.

Meta

5 C 12/16

27.04.2017

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 9. Juni 2016, Az: 4 L 140/15, Urteil

§ 86 Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB 8, § 86 Abs 6 SGB 8, § 89a Abs 1 S 1 SGB 8, § 1630 Abs 3 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.04.2017, Az. 5 C 12/16 (REWIS RS 2017, 11858)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11858

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M 18 K 18.2485

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