Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.07.2011, Az. IX ZR 100/10

9. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5026

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Gegenstand

Insolvenzanfechtung: Anfechtungszeitraum bei Inkongruenz von Verrechnungen im debitorischen Bankenkontokorrent vor dem Insolvenzantrag


Leitsatz

Die Frage der Inkongruenz von Verrechnungen im debitorischen Bankenkontokorrent kann bei der Anfechtung von Rechtshandlungen innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor der Insolvenzantragstellung für den gesamten Anfechtungszeitraum nur einheitlich beantwortet werden. Wird das Kontokorrent nicht vorher gekündigt, läuft der Anfechtungszeitraum bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens .

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 2. Zivilsenats des [X.] vom 27. Mai 2010 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage in Höhe von 5.051,57 € nebst anteiligen Zinsen abgewiesen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision des [X.] wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Schuldnerin nahm vor Stellung eines Eigenantrags bei der beklagten Sparkasse ungekündigten Überziehungskredit in Anspruch, dessen Betragsgrenze bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 28. November 2005 nicht überschritten wurde. Im dritten Monat vor der Antragstellung verringerte sich die Überziehung um 5.862,02 €, im zweiten Monat um weitere 62.374,88 €, im letzten Monat erhöhte sie sich wieder um 63.185,33 €. Mit seiner Klage verlangt der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin den [X.] des Überziehungskredits aus dem zweiten und dritten Monat vor Antragsstellung von zusammen 68.236,90 € nebst Zinsen zur Masse.

2

Mit diesem Antrag ist der Kläger in beiden Tatsacheninstanzen unterlegen. Eingeschlossen darin war der Betrag von 5.051,57 €, der bei Insolvenzeröffnung als Kreditrückführung verblieb. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag mit Haupt- und Hilfsbegründung weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision ist nur zum kleineren Teil begründet und die Sache in diesem Umfang noch nicht zur Endentscheidung reif.

I.

4

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in [X.], 1287 ff (mit Anmerkung Stiller, aaO 2011, 87 f) abgedruckt ist, hat angenommen, die von der Beklagten vorgenommenen Verrechnungen im Bankkontokorrent seien kongruent und als Bargeschäft der Anfechtung entzogen. Anders liege es nur bei dem Betrag von 5.051,57 €, um den das Kontokorrent innerhalb der gesetzlichen Dreimonatsfrist insgesamt zurückgeführt worden sei. Dieser Hilfsanspruch sei mit der Klage aber nicht erhoben worden. Dagegen wendet sich die Revision mit Sach- und Verfahrensrügen. Mit Ausnahme des letztgenannten Punktes hat sie keinen Erfolg.

II.

5

Mit zutreffender Begründung hat das Berufungsgericht die Einstellung der Gutschriften in das Sparkassenkontokorrent und die Verrechnungen der Beklagten innerhalb des [X.] nicht als nach § 131 Abs. 1 [X.] inkongruent gewertet.

6

1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist die bankmäßige Verrechnung von Gutschriften im ungekündigten Kontokorrent mit Überziehungskredit insoweit kongruent, als die Bank erneute Verfügungen des Schuldners über diese Deckungsmasse zugelassen hat. Die Kongruenzfrage kann hierbei innerhalb des [X.] für den gleichen Betrag nur einheitlich beantwortet werden ([X.], Urteil vom 7. März 2002 - [X.], [X.]Z 150, 122, 133 letzter Absatz der Entscheidung; Beschluss vom 6. April 2006 - [X.], juris Rn. 9; Urteil vom 15. November 2007 - [X.], [X.], 184 Rn. 17; zur Möglichkeit betragsmäßiger Abspaltungen siehe auch [X.], FS [X.] 2008 S. 267, 275). Demgegenüber führt die Verrechnung in kritischer [X.] eingehender Zahlungen, denen keine Belastungsbuchungen gegenüberstehen, bei ungekündigtem Überziehungskredit wegen der damit verbundenen Kredittilgung zu einer inkongruenten Deckung, weil die Erfüllung des Rückzahlungsanspruchs noch nicht verlangt werden kann ([X.], Urteil vom 11. Oktober 2007 - [X.], [X.], 175 Rn. 6; vom 7. Mai 2009 - [X.], [X.], 436 Rn. 8 f.).

7

2. Von den genannten Grundsätzen geht auch die Revision aus. Sie beanstandet indes, als [X.] im Sinne dieser Rechtsprechung sei entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht der gesetzliche [X.]rahmen der besonderen Insolvenzanfechtung zu verstehen, sondern die zeitlichen Grenzen der Anfechtungstatbestände des § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] einerseits - der letzte Monat vor der Antragstellung und die [X.] danach - und der § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 [X.] andererseits - der zweite und dritte Monate vor dem Eröffnungsantrag. Das ist rechtlich nicht richtig.

8

3. Der Senat hat allerdings für die Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.] die Prüfung der Gläubigerbenachteiligung und der Kongruenz der sie bewirkenden Kontokorrentverrechnungen auf den hier maßgebenden Handlungszeitraum - den letzten Monat vor der Antragstellung oder die [X.] danach - beschränkt ([X.], Urteil vom 15. November 2007 aaO Rn. 17). Denn eine vorangegangene Rechtshandlung oder Gläubigerbenachteiligung ist für diesen Anfechtungstatbestand ohne Bedeutung. Werden Rechtshandlungen dagegen nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 [X.] angefochten, kann eine drohende Inkongruenz von Verrechnungen durch die Weiterentwicklung des [X.] im letzten Monat vor der Antragstellung oder danach noch behoben werden. Eine Gläubigerbenachteiligung wäre nicht mehr gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 oder 3, § 143 Abs. 1 [X.] wegen inkongruenter Deckung zu beseitigen, wenn das Kontokorrent zur [X.] der Kündigung oder der Verfahrenseröffnung einen ebenso hohen oder höheren [X.] aufgewiesen hätte wie zu Beginn des [X.]. Bis dahin fehlt es für die [X.] an einem abgeschlossenen Gläubigerverhalten. Die Frage des [X.] nach § 142 [X.] und der hierbei vorausgesetzte zeitliche Zusammenhang der Kontobewegungen spielt für die Kongruenzbeurteilung keine Rolle. Denn das Bargeschäft ist erst zu prüfen, wenn es auf die Gläubigerbenachteiligung einer kongruenten Deckung ankommt. Ein Analogieschluss, die zeitliche Deckung müsse sich in den Fällen des § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 [X.] genauso ergeben wie nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 [X.], widerspricht dem Sinn des Gesetzes.

9

Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass die von Klage und Revision vertretene Gesetzesauslegung willkürlichen Ergebnissen Tür und [X.] öffnen würde. Ebenso wie der höchste zwischenzeitliche Sollstand bei der besonderen Insolvenzanfechtung von Verrechnungen im Bankenkontokorrent innerhalb des [X.] außer Betracht zu bleiben hat ([X.], Urteil vom 15. November 2007 aaO Rn. 16 f.; Beschluss vom 27. März 2008 - [X.], juris Rn. 4), so gilt dies auch für den niedrigsten erreichten Zwischenstand.

4. Weil die Beklagte in Höhe von 63.185,33 € eine kongruente Deckung erlangt hat, ist die allein auf § 131 Abs. 1 Nr. 2 [X.] gestützte Klage, Voraussetzungen des § 130 [X.] sind nicht vorgetragen, in diesem Umfang nebst der darauf entfallenden Zinsen unbegründet.

III.

Fehlerhaft ist das Berufungsurteil, soweit es die Klage darüber hinaus in vollem Umfang abgewiesen hat, weil der Kläger angeblich die inkongruente Kreditrückführung von 5.051,57 € innerhalb des [X.] nicht geltend gemacht habe. Das [X.] hat diese Hilfsbegründung als Hilfsanspruch auch wegen Verjährung nach § 146 [X.] abgewiesen. Beides trifft nicht zu.

Ein selbständig [X.] in Höhe von 5.051,57 € liegt schon deshalb nicht vor, weil er nicht auf die Beseitigung einer anderen Gläubigerbenachteiligung gerichtet ist als die vom Kläger sonst erstrebte Verurteilung. Da insoweit die nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 [X.] zur Schlüssigkeit führenden Tatsachen vorgetragen sind, ist die Klage auch hierauf gestützt. In der Sache selbst ist der Rechtsstreit in diesem Umfang noch nicht spruchreif, weil Feststellungen zur streitigen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im [X.] fehlen.

[X.]                                            Raebel                                        Pape

                           Grupp                                         [X.]

Meta

IX ZR 100/10

07.07.2011

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 27. Mai 2010, Az: 2 U 907/09, Urteil

§ 131 Abs 1 Nr 2 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.07.2011, Az. IX ZR 100/10 (REWIS RS 2011, 5026)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5026

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

IX ZR 259/12

IX ZR 259/12

IX ZR 67/09

IX ZR 67/09

IX ZR 4/11

IX ZR 100/10

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