Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2010, Az. 2 StR 505/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 1996

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 505/10 vom 27. Oktober 2010 in der Strafsache gegen wegen versuchter Nötigung - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 27. Oktober 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 13. Juli 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter Nötigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachbeschwerde gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg. 1 Nach den Feststellungen des [X.] leidet der Angeklagte unter einer paranoiden Psychose mit ausgeprägtem Wahnsystem. Er hatte sich [X.] in einem Liebeswahn zu einer - entweder wirklich existierenden oder auch nur imaginären - Frau [X.]befunden. Später fühlte er sich zur Tatzeit von dieser Person und deren Gehilfen verfolgt, "bestrahlt und abgehört". "Um der Verfolgung durch Frau [X.]und deren Schergen zu entkommen, 2 - 3 - entschloss sich der Angeklagte Ende Januar 2010" dazu, in die Justizvollzugs-anstalt "umzuziehen, da ihm dies als der einzig sichere Ort erschien". Er begab sich am 28. Januar 2010 zur Mittagszeit in die Räume der [X.]und wandte sich an eine Angestellte mit den Worten: "Dies ist ein Überfall. [X.] Sie mir 20.000 Euro." Er wurde daraufhin aber von anderen Mitarbeitern aus den Geschäftsräumen hinaus gedrängt. Der Angeklagte setzte sein Vorha-ben in einer Filiale der [X.] in gleicher Weise fort, wobei er seine Forderung noch damit unterstrich, dass er eine Hand in der Jackentasche aus-streckte, um den Eindruck entstehen zu lassen, er sei bewaffnet. Hier wurde er mit dem Hinweis darauf, dass die Bankmitarbeiter keinen Zugriff auf größere Bargeldbestände hätten, zum Verlassen des Gebäudes veranlasst. Er unter-nahm danach einen dritten Anlauf bei der [X.], wo er mit denselben [X.] einen "Überfall" behauptete und das Vorhandensein einer Waffe simulierte. Kurze Zeit darauf wurde er in den Bankräumen von der herbeigerufenen Polizei festgenommen, worauf es ihm zumindest in erster Linie angekommen war. Das [X.] hat angenommen, dass es sich um Nötigungsversuche des Angeklagten gehandelt habe. Dabei habe sicher eine "erhebliche Beein-trächtigung seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit" vorgelegen, "aber nicht eine gänzliche Aufhebung seiner Schuldfähigkeit." Unmittelbarer Beweggrund sei der Wunsch gewesen, verhaftet zu werden und danach in die Justizvoll-zugsanstalt "umzuziehen". Dabei sei er "kontrolliert und planerisch" [X.]. Es sei nicht auszuschließen, dass er vor dem Hintergrund vorhandener Schulden im Falle einer Herausgabe von Bargeld dieses angenommen hätte, was aber nicht sein vorrangiges Ziel gewesen sei. 3 Gegen die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Die Urteilsgründe lassen [X.], dass das [X.] die von ihm angenommene verminderte [X.] - 4 - higkeit nicht richtig bewertet hat. Eine infolge krankhafter seelischer Störung reduzierte Einsichtsfähigkeit ist zunächst ohne Belang (vgl. [X.], 73). Sie erlangt erst dann rechtliche Bedeutung, wenn sie tatsächlich das Fehlen der Unrechtseinsicht bei der Begehung der Tat zur Folge hat (vgl. [X.], Beschluss vom 21. November 2007 - 2 StR 548/07). In diesem Fall ist die Schuldfähigkeit sogar aufgehoben. Der Hinweis des [X.] auf die [X.] verminderte "Einsichts- und Steuerungsfähigkeit" des Angeklagten bei pau-schaler Verneinung einer Aufhebung seiner "Schuldfähigkeit" lässt es möglich erscheinen, dass das Gericht nicht ausreichend zwischen den gesondert zu bewertenden Fähigkeiten zur Unrechtseinsicht einerseits und zur einsichtsge-mäßen Steuerung andererseits unterschieden hat. Das [X.] hat ferner nicht berücksichtigt, dass die [X.] in Form seines Wissens um das Verbotensein der Hand-lungen (vgl. BGHSt 35, 347, 349) jedenfalls nicht defektfrei war. Zwar gehörte es zu seinem Plan, "Überfälle" zu begehen oder sie zumindest vorzutäuschen, um verhaftet zu werden; insofern war ihm das Verbotensein seines Handelns bewusst und sogar Bedingung der Verwirklichung seines Plans. Jedoch hat er sich infolge seines [X.] einer konkreten Bedrohung für Leib oder Leben ausgesetzt gesehen, der er nur durch Herbeiführung seiner Festnahme entge-hen zu können glaubte. Insoweit hat er sich wahnbedingt eine Notstandslage vorgestellt. Das hätte bereits unter dem Gesichtspunkt fehlender Einsicht in das Unrecht der Handlung näherer Erörterung bedurft. Darauf, dass der Angeklagte "kontrolliert" und planvoll gehandelt hat, kommt es insoweit nicht an. [X.] ist vielmehr, ob er wahnbedingt in einem Erlaubnistatbestandsirrtum ge-handelt oder einen [X.] (§ 35 StGB) angenommen hat. Dazu sind auch genauere Feststellungen zur Qualität der von dem Angeklagten an-genommenen Bedrohungslage und zu seinem Handlungsziel erforderlich. 5 - 5 - Der Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Schuld- und Strafausspru-ches. Er ergreift zudem die [X.]. Die Beurteilung von Unrechts-einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit bedarf insge-samt einer genaueren Bewertung, auf deren Grundlage der neue Tatrichter über eine mögliche [X.] zu entscheiden haben wird. 6 Fischer [X.] Eschelbach Ott

Meta

2 StR 505/10

27.10.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.10.2010, Az. 2 StR 505/10 (REWIS RS 2010, 1996)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 1996

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Strafurteil wegen Mordes: Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit aufgrund einer Psychose; strafschärfende Berücksichtigung der Tatintensität


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2 StR 505/10

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