Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.08.2013, Az. X B 16-17/13, X B 16/13, X B 17/13

10. Senat | REWIS RS 2013, 3268

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Gegenstand

Aussetzung des Verfahrens - Klärung der Notwendigkeit eines Gewinnfeststellungsbescheids


Leitsatz

1. NV: Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine gesonderte Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO vorliegen, kann verbindlich nur in dem Feststellungsverfahren entschieden werden .

2. NV: Das FG hat ein die Steuerfestsetzung einschließlich der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags betreffendes Klageverfahren deshalb bereits dann nach § 74 FGO auszusetzen, wenn es möglich erscheint, dass ein Gewinnfeststellungsbescheid zu erlassen ist .

Tatbestand

1

I. Die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) sind Eheleute. Die Klägerin gründete zum 1. April 1995 die [X.]irma [X.] mit Sitz in [X.] waren insoweit gewerbliche Räume in [X.], [X.] 1. Der Kläger betrieb das [X.] zunächst in [X.], meldete es aber ab dem 1. Januar 1996 als freiberufliches Ingenieurbüro in [X.], [X.] an. Der Sitz der im [X.]ebruar 1995 gegründeten [X.] befand sich ebenfalls in [X.], [X.].

2

Die Kläger waren bis zum 30. April 1996 in [X.] gemeldet und meldeten sich sodann nach [X.], [X.] um. Ihnen standen zudem zwei Wohnungen in [X.], [X.] 3 zu Wohnzwecken zur Verfügung. Sie gaben sowohl gegenüber dem Beklagten und Beschwerdeführer ([X.]inanzamt --[X.]A--) anlässlich einer persönlichen Rücksprache am 16. Mai 1997 als auch gegenüber dem [X.]A [X.] in einem Schreiben vom 12. Juni 1997 an, sich vorwiegend in [X.] aufzuhalten.

3

Zwischen dem [X.]A und dem [X.]A [X.] kam es wegen der örtlichen Zuständigkeit für die Einkommensbesteuerung zu einem negativen Kompetenzstreit. Nachdem die Kläger im Dezember 1997 erklärten, sich (wieder) überwiegend in [X.] aufzuhalten, erkannte das [X.]A seine örtliche Zuständigkeit als Wohnsitz-[X.]A an.

4

Aufgrund der Ergebnisse einer Außenprüfung und [X.] Ermittlungsmaßnahmen bei der [X.]irma [X.] legte das [X.]A für die Jahre 1996 bis 1999 den Einkommensteuerfestsetzungen der Kläger geänderte Besteuerungsgrundlagen zugrunde. Infolge erheblicher Verlustvorträge des [X.] blieb es trotz der Gewinnerhöhungen wie zuvor bei [X.] von 0 DM. Mit Bescheiden vom 17. April 2008 stellte das [X.]A die zum 31. Dezember 1995 bis zum 31. Dezember 1999 verbleibenden Verluste für die Kläger fest. Diese Bescheide sind jeweils Gegenstand der vor dem [X.]inanzgericht ([X.]G) geführten Verfahren 12 K 146/09 (Klägerin) und 12 K 126/09 (Ehemann).

5

Mit Beschlüssen vom 19. November 2012 setzte das [X.]G beide Verfahren gemäß § 74 der [X.]inanzgerichtsordnung ([X.]GO) bis zur bestandskräftigen Entscheidung über die gesonderte [X.]eststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb der [X.]irma [X.] für die Jahre 1996 bis 1999 aus.

6

Gegen die Verfahrensaussetzung für das Streitjahr 1996 wendet sich das [X.]A mit den vorliegenden Beschwerden. Es sei unklar, warum das [X.]G auch für das [X.] von dem Erfordernis einer gesonderten [X.]eststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b der Abgabenordnung ([X.]) ausgehe. Die Kläger seien zwar in [X.] gemeldet gewesen, hätten sich nach eigenen Angaben jedoch noch im Laufe des Jahres 1997 überwiegend in [X.], dem Ort der Geschäftsleitung der [X.]irma [X.], aufgehalten. Eine gesonderte [X.]eststellung setze dagegen voraus, dass die örtliche Zuständigkeit für die gesonderte [X.]eststellung und für die Veranlagung zur Einkommensteuer am Schluss des Gewinnermittlungszeitraums auseinander falle.

7

Das [X.]A begehrt mit seinen Beschwerden, denen das [X.]G nicht abgeholfen hat, die [X.]ortführung der finanzgerichtlichen Verfahren wegen der gesonderten [X.]eststellung des verbleibenden [X.] zur Einkommensteuer auf den 31. Dezember 1996.

8

Die Kläger haben sich in den Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Beschwerden sind unbegründet.

1. Die Verbindung der Verfahren beruht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 [X.]O.

2. Das [X.] hat mit den angefochtenen Beschlüssen zutreffend entschieden, dass die Verfahren wegen der gesonderten Verlustfeststellungen auch für das [X.] auszusetzen sind bis bestandskräftig feststeht, ob und in welcher Höhe das [X.] den Gewinn der [X.]irma [X.] gesondert feststellt.

a) Gemäß § 74 [X.]O kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei (Senatsbeschluss vom 8. Januar 2013 [X.]203/12, B[X.]H/NV 2013, 511). Ist ein Grundlagenbescheid noch nicht ergangen, ist ein Klageverfahren gegen den [X.]olgebescheid zwingend auszusetzen (Senatsurteil vom 17. Mai 1995 [X.], B[X.]HE 177, 478, [X.] 1995, 640, unter II.4.).

b) [X.]ür die Besteuerung natürlicher Personen nach dem Einkommen und Vermögen ist das [X.]A zuständig, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AO). Bei mehrfachem Wohnsitz eines verheirateten Steuerpflichtigen, der von seinem Ehegatten nicht dauernd getrennt lebt, ist der Wohnsitz maßgebend, an dem sich die [X.]amilie vorwiegend aufhält (§ 19 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz [X.]). Dem für die Besteuerung zuständigen [X.]A obliegt auch die gesonderte [X.]eststellung des verbleibenden Verlustvortrags gemäß § 10d Abs. 3 Satz 3 (heute Abs. 4 Satz 3) des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden [X.]assung.

Einkünfte aus einer gewerblichen Tätigkeit werden nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.] gesondert festgestellt, wenn das für die gesonderte [X.]eststellung zuständige [X.]A (vgl. § [X.]) nicht auch für die Steuern vom Einkommen (vgl. § [X.]) zuständig ist. Nach § 18 Abs. 1 Nr. [X.] ist für die gesonderte [X.]eststellung nach § 180 AO bei gewerblicher Tätigkeit das [X.]A örtlich zuständig, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung befindet. [X.] Voraussetzung für den Erlass eines gesonderten Gewinnfeststellungsbescheids gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.] ist somit --wie vom [X.]A zutreffend angeführt-- das Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeit für die gesonderte Gewinnfeststellung (§ [X.]) und für die Steuern vom Einkommen (§ [X.]). Bei gewerblichen Einkünften ist dies dann gegeben, wenn sich die Geschäftsleitung des Betriebs in einem anderen als dem Bezirk des Wohnsitz-[X.]A befindet. Maßgebend hierfür sind die Verhältnisse zum Schluss des Gewinnermittlungszeitraums.

c) Die Abtrennung der [X.]eststellung einer Besteuerungsgrundlage von dem eigentlichen Steuerfestsetzungsverfahren einschließlich der Verlustfeststellung bewirkt notwendigerweise eine Kompetenzverteilung zwischen den für die [X.]eststellung der Besteuerungsgrundlage und den für die [X.]estsetzung der Steuer einschließlich der Verlustfeststellung zuständigen [X.]inanzbehörden. Wegen dieser Kompetenzverteilung und des sich aus § 86 AO ergebenden Legalitätsprinzips kann die Entscheidung über das Erfordernis oder Nichterfordernis einer gesonderten [X.]eststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.] verbindlich nur in dem --ggf. noch [X.] Grundlagenverfahren getroffen werden. Dementsprechend ist ein (positiver oder negativer) [X.]eststellungsbescheid gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. [X.] schon dann zu erlassen, wenn das Erfordernis einer gesonderten [X.]eststellung behauptet wird oder auf Grund des (ggf. streitigen) Sachverhalts möglich erscheint (vgl. Beschluss des [X.] --B[X.]H-- vom 16. November 2006 XI B 156/05, B[X.]H/NV 2007, 401, unter II.2.).

d) Nach diesen Maßstäben hat das [X.] die Verfahren der Kläger wegen der gesonderten [X.]eststellung des jeweils verbleibenden [X.] zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1996 im Ergebnis zutreffend ausgesetzt.

Nach den Ausführungen des [X.] befand sich die Geschäftsleitung der [X.]irma [X.] nach dem Gesamtbild der Verhältnisse in den Jahren 1996 bis 1999 in [X.]. Als zuständiges Wohnsitz-[X.]A hat das [X.] für diese Jahre demgegenüber das [X.]A angesehen. Zwar weist das [X.]A zu Recht darauf hin, das [X.] führe im Tatbestand seiner Entscheidung aus, die Kläger hätten noch im [X.]olgejahr sowohl gegenüber dem [X.]A als auch gegenüber dem [X.] erklärt, sich überwiegend in [X.] aufzuhalten. Es sei daher nicht klar, warum das [X.] ohne weitere Ausführungen zu der Annahme gelange, die Kläger hätten ihren Wohnsitz bereits zum Ende des Jahres 1996 in [X.] gehabt.

In diesem Punkt bestand jedoch ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen dem [X.]A und dem [X.]. Anders als das [X.]A ging das [X.] trotz der Erklärungen der Kläger nicht von seiner örtlichen Zuständigkeit gemäß § 19 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz [X.] aus. Bei Zugrundelegung dieser Ansicht mussten die Einkünfte der [X.]irma [X.] deshalb auch für das [X.] gesondert festgestellt werden - unterstellt, das [X.] stimmt mit dem [X.] überein, dass sich die Geschäftsleitung der [X.]irma [X.] in [X.] befindet. Im Übrigen haben die Kläger nach der Darstellung des [X.] im Dezember 1997 geäußert, sich wieder überwiegend in [X.] aufzuhalten. Von daher ist es nicht ausgeschlossen, dass sie sich auch in der [X.] nach ihrem Umzug aus D-Stadt im [X.] vorwiegend in [X.] --und damit im Bezirk des [X.]A-- aufhielten und den Schwerpunkt ihres Aufenthalts erst im [X.] für einige Monate nach [X.] verlegten.

Da es nach alledem auch für das [X.] möglich erscheint, dass das [X.] eine gesonderte [X.]eststellung der Einkünfte der [X.]irma [X.] durchzuführen hat, hat das [X.] die Verfahren gegen den Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 1996 zu Recht ausgesetzt. Die verbindliche Entscheidung über das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der gesonderten [X.]eststellung (Auseinanderfallen der örtlichen Zuständigkeit für die gesonderte [X.]eststellung und für die Veranlagung zur Einkommensteuer) kann nur in diesem Grundlagenverfahren und damit zunächst vom [X.] getroffen werden.

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O. Da die Beschwerden keinen Erfolg haben, ist eine Kostenentscheidung ungeachtet dessen zu treffen, dass die vorliegenden Beschwerdeverfahren als unselbständige Zwischenverfahren zu den noch beim [X.] anhängigen Klageverfahren anzusehen sind (Senatsbeschluss in B[X.]H/NV 2013, 511, m.w.N.). Nur bei erfolgreichen Beschwerden --oder einer Erledigung der Hauptsache im [X.] sieht der B[X.]H im Hinblick auf die Unselbständigkeit des Beschwerdeverfahrens von einer Kostenentscheidung ab (vgl. Beschluss vom 17. [X.]ebruar 2004 IV B 209/03, B[X.]H/NV 2004, 966, unter 3., m.w.N.).

Meta

X B 16-17/13, X B 16/13, X B 17/13

22.08.2013

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 19. November 2012, Az: 12 K 146/09, Beschluss

§ 74 FGO, § 18 Abs 1 Nr 2 AO, § 19 Abs 1 AO, § 180 Abs 1 Nr 2 Buchst b AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.08.2013, Az. X B 16-17/13, X B 16/13, X B 17/13 (REWIS RS 2013, 3268)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3268

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