Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2010, Az. AnwZ (B) 9/09

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2010, 9615

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Gegenstand

Widerruf der Rechtsanwaltszulassung: Vereinbarkeit einer Tätigkeit u.a. als Geschäftsführer einer Kreishandwerkerschaft mit dem Anwaltsberuf; Wegfall des Widerrufsgrundes im Laufe des berufsgerichtlichen Verfahrens


Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluss des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs [X.] vom 21. November 2008 und der Widerrufsbescheid der Antragsgegnerin vom 2. Januar 2008 aufgehoben.

Gebühren und Auslagen werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet nicht statt.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist seit dem 27. Juni 2000 als Rechtsanwalt zugelassen. Im Jahre 2004 wurde er zum Geschäftsführer der Maler- und Lackiererinnung M. [X.]. bestellt. Am 24. Januar 2005 nahm er eine Tätigkeit als Geschäftsführer der [X.] auf. Auf diese Kreishandwerkerschaft haben die [X.]ildhauer- und Steinmetzinnung [X.], die [X.]uchbinderinnung [X.], die Dachdeckerinnung M., die Glaserinnung [X.], die Installateur- und Heizungsbauerinnungen [X.] und M., die [X.], die Innung des [X.], die Raumausstatter- und Sattlerinnung M., die [X.] M., die [X.]augewerksinnung [X.]., die [X.] und A., die Karosserie- und Fahrzeugbauer-Innung [X.], die Metallbauer-Innung [X.]. und die Musikinstrumentenmacher-Innung [X.] ihre Geschäfte übertragen, dementsprechend hat der Antragsteller auch für diese Innungen die Geschäftsführung wahrgenommen.

2

Mit [X.]escheid vom 2. Januar 2008 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 8 [X.]. Als Geschäftsführer unter anderem der Maler- und Lackiererinnung M. [X.]. und der [X.] werde er hoheitlich tätig mit der Folge, dass ihm die für die Ausübung des Anwaltsberufs notwendige Unbefangenheit und Unabhängigkeit fehle.

3

Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der [X.] zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen [X.]eschwerde. Im Laufe des [X.]eschwerdeverfahrens hat der Vorstand der Kreishandwerkerschaft den Antragsteller mit Wirkung zum 31. Dezember 2009 von seinen Verpflichtungen als Geschäftsführer entbunden. Seinen bisherigen Dienstleistungs- und [X.]eratungsvertrag mit der Kreishandwerkerschaft hat der Antragsteller gelöst. Stattdessen hat er als Geschäftsführer der Firma [X.]UG mit Wirkung ab 1. Januar 2010 einen Dienstleistungsvertrag zwischen dieser Gesellschaft und der Kreishandwerkerschaft abgeschlossen.

II.

4

Die sofortige [X.]eschwerde ist nach § 42 Abs. 1 Nr. 2 [X.] a.F. i.V.m. § 215 Abs. 3 [X.] zulässig und hat Erfolg. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung sind jedenfalls, was zu berücksichtigen ist ([X.], 356, 357; 84, 149, 150), im Laufe des gerichtlichen Verfahrens entfallen.

5

1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 8 [X.] ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem [X.]eruf, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann. Diese Regelung zielt - ebenso wie die entsprechende Regelung über die Versagung der Zulassung (§ 7 Nr. 8 [X.]) - unter anderem darauf ab, im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege das Erscheinungsbild einer von staatlichen Einflüssen freien Advokatur zu schützen, indem die beruflichen Sphären der Anwaltschaft und des öffentlichen Dienstes deutlich getrennt werden. Für die [X.]etroffenen ist die damit verbundene [X.]eschränkung ihrer [X.]erufsfreiheit allerdings nur zumutbar, wenn der [X.] nicht starr gehandhabt wird. Erforderlich ist eine Einzelfallprüfung, die der Vielgestaltigkeit der Tätigkeiten im öffentlichen Dienst gerecht wird. Eine Unvereinbarkeit kann nur angenommen werden, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass aus Sicht des rechtsuchenden Publikums die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts durch [X.]indungen an den Staat beeinträchtigt ist. Die [X.]elange der Rechtspflege sind auch dann gefährdet, wenn bei den Rechtsuchenden die Vorstellung entstehen kann, der Rechtsanwalt könne wegen seiner "Staatsnähe" mehr als andere Rechtsanwälte für sie bewirken. Dies muss anhand der konkreten Ausgestaltung des [X.] und der ausgeübten Tätigkeit geprüft werden und kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Rechtsanwalt in seinem Zweitberuf hoheitlich tätig wird ([X.], NJW 2009, 3710, 3711; [X.]E 87, 287, 324; [X.], 316, 317 m.w.N.).

6

2. Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller, solange er noch Geschäftsführer der [X.] war, als Rechtsanwalt zugelassen sein konnte. Allerdings hat der Senat, ausgehend von den dargelegten Grundsätzen, eine [X.]eschäftigung als Geschäftsführer einer Kreishandwerkerschaft ([X.]eschl. v. 13. September 1993 - [X.] ([X.]) 24/93, [X.]RAK-Mitt. 1994, 42) und einer Handwerksinnung ([X.]eschl. v. 29. November 1993 - [X.] ([X.]) 41/93, NJW-RR 1994, 954) als mit dem Anwaltsberuf unvereinbar angesehen. Es besteht kein Anlass, diese Rechtsprechung grundsätzlich in Frage zu stellen. Ob die Umstände des Einzelfalls eine andere [X.]eurteilung gerechtfertigt hätten, bedarf hier keiner Entscheidung mehr.

7

3. Jedenfalls seit der Abberufung des Antragstellers als Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft besteht ein Zulassungshindernis nicht mehr. Die [X.]elange der Rechtspflege sind durch die gleichzeitige Ausübung des Anwaltsberufs durch den Antragsteller und die nach seiner Abberufung als Geschäftsführer verbleibende Tätigkeit für die Kreishandwerkerschaft nicht (mehr) gefährdet.

8

Zwar ist der Antragsteller aufgrund des Dienstleistungsvertrags zwischen der Kreishandwerkerschaft und der [X.]ü., deren Geschäftsführer er ist, weiterhin im "administrativen" [X.]ereich der Kreishandwerkerschaft sowie der Innungen tätig, die ihre Geschäftsführung auf diese übertragen haben. Nach dem Vertrag gehört hierzu insbesondere die fortlaufende Erledigung der Korrespondenz, die Haushaltsüberwachung sowie die redaktionelle [X.]etreuung des Organs "[X.]rennpunkt Handwerk" und des Internetauftritts. Diese Aufgaben betreffen aber nicht [X.]ereiche, in denen die Kreishandwerkerschaft oder die ihr angeschlossenen Handwerksinnungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts hoheitliche Aufgaben wahrnehmen. Die hoheitliche Tätigkeit der betreffenden Körperschaften beschränkt sich ohnehin im Wesentlichen auf die Regelung und Durchführung der Lehrlingsausbildung (§ 54 Abs. 1 Nr. 3 HwO) und die Erstattung von Gutachten und Auskünften gegenüber [X.]ehörden (§ 54 Abs. 1 Nr. 8 HwO), während die Durchführung der Gesellenprüfung im Jahre 2008 auf die Handwerkskammer [X.] übertragen wurde. Der Antragsteller übt jedenfalls spätestens seit seiner Ablösung als Geschäftsführer keine hoheitliche Tätigkeit mehr aus. Ihm steht auch keine Aufsichts- und Weisungsbefugnis gegenüber hoheitlich tätigem Personal zu. Die Gefahr, dass beim rechtsuchenden Publikum der Eindruck einer die anwaltliche Unabhängigkeit beeinträchtigenden "Staatsnähe" entsteht, ist schon aus diesem Grunde weitgehend ausgeschlossen.

9

Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller nach außen nicht mehr als Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft auftritt und daher nicht mehr als deren offizieller Repräsentant wahrgenommen wird. Seine [X.]eteiligung an der Öffentlichkeitsarbeit beschränkt sich nach dem Dienstleistungsvertrag auf die redaktionelle [X.]etreuung der Mitgliederzeitschrift und des Internetauftritts. Darüber hinaus erledigt er in Vertretung der [X.]die fortlaufende Korrespondenz. Dadurch unterscheidet sich der Fall maßgeblich von dem der Senatsentscheidung vom 25. Mai 2003 ([X.] ([X.]) 50/02, [X.]GH-Report 2003, 1379) zugrunde liegenden Sachverhalt. Dort hatte der Rechtsanwalt, der zudem das Amt des Geschäftsführers wahrnahm, ausdrücklich die Aufgabe, die öffentlich-rechtliche [X.]erufsvertretung nach außen zu repräsentieren, ihre berufspolitischen Interessen zu vertreten, insbesondere Kontakte zu [X.]ehörden, Verbänden und der [X.]undesvertretung zu pflegen und öffentlichkeitswirksame Maßnahmen zur Stärkung des [X.]ekanntheitsgrades und des Ansehens der Vertretung zu ergreifen. Dass dem Antragsteller vergleichbare Aufgaben zukommen, lässt sich dem Dienstleistungsvertrag nicht entnehmen; dafür bestehen auch sonst keine Anhaltspunkte. Der bloße Umstand, dass er in derselben [X.]üroeinheit untergebracht ist wie die Kreishandwerkerschaft, lässt ebenfalls nicht befürchten, dass das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Advokatur von staatlichen Einflüssen Schaden nimmt.

Nach dem Dienstleistungsvertrag soll der Antragsteller ferner die [X.]eratung der Mitgliedsbetriebe und der Innungen in ihren betrieblichen Angelegenheiten, insbesondere im [X.]ereich des Arbeitsrechts übernehmen, einschließlich der Führung der vor- und außergerichtlichen Korrespondenz und der Vertretung der Mitgliedsbetriebe vor den Arbeitsgerichten. [X.]elange der Rechtspflege sind dadurch nicht in einem Maße gefährdet, dass ein Widerruf der Zulassung geboten wäre. Die regelmäßige Vertretung der Mitgliedsbetriebe bringt den Antragsteller in keine größere Abhängigkeit von diesen und der Kreishandwerkerschaft, als sie sonst zwischen Rechtsanwälten und deren Mandantenstamm besteht. Die Gefahr, dass sich die Mitgliedsbetriebe nicht nur wegen seiner fachlichen Kompetenz an den Antragsteller wenden, sondern damit die Hoffnung verbinden, er könne wegen seines Dienstleistungsverhältnisses mit der Kreishandwerkerschaft mehr als andere Rechtsanwälte für sie bewirken, liegt unter den hier gegebenen Umständen fern. Sollten in Einzelfällen Interessenkonflikte zwischen der Tätigkeit für die Kreishandwerkerschaft und dem Mandatsverhältnis zu den Mitgliedsbetrieben auftreten, greifen die [X.]erufsausübungsregeln der §§ 45, 46 [X.] ein. Eine generelle Versagung des Zugangs zum [X.]eruf des Rechtsanwalts ist hingegen unter [X.]erücksichtigung des Grundrechts der [X.]erufsfreiheit (Art. 12 GG) nicht gerechtfertigt.

4. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 201 Abs. 2 [X.] a.F. i.V.m. § 13a [X.] a.F.

Tolksdorf                                   Ernemann                               Roggenbuck

                        Wüllrich                                      [X.]raeuer

Meta

AnwZ (B) 9/09

08.02.2010

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Koblenz, 21. November 2008, Az: 1 AGH 3/08, Beschluss

§ 14 Abs 2 Nr 8 BRAO, § 42 Abs 1 Nr 2 BRAO vom 02.09.1994, § 215 Abs 3 BRAO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2010, Az. AnwZ (B) 9/09 (REWIS RS 2010, 9615)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9615

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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