Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.04.2016, Az. XII ZB 95/16

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 13089

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:130416BXII[X.]95.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.]/16

vom

13. April 2016

in der Unterbringungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 1906 Abs. 1 und 2
Zu
den Voraussetzungen der zivilrechtlichen Unterbringung bei Alkoholabhängigkeit.

[X.], Beschluss vom 13. April 2016 -
XII [X.]/16 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 13.
April 2016
durch den Vorsitzenden Richter Dose und [X.], Dr.
Günter, Dr.
Nedden-Boeger und Dr.
Botur
beschlossen:
Auf
die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4.
Zivilkammer des [X.]s [X.]
vom 11. Januar 2016
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
[X.]: 5

Gründe:
I.
Der
51jährige Betroffene leidet an einer Alkoholabhängigkeit und
einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, wegen derer für ihn eine rechtliche Be-treuung eingerichtet ist. Aufgrund langjährigen Alkoholmissbrauchs kam es wiederholt zu
schweren Delirien und mehreren Stürzen, bei denen sich der Be-troffene im September 2011 eine dislozierte Humeruskopf-Fraktur links sowie eine Rippenserienfraktur zuzog. Trotz mehrerer Aufenthalte in betreuten [X.] kam es zu zahlreichen Rückfällen mit häufigen Klinikaufenthalten we-gen Krampfanfällen
sowie
zu zweimaligem Suizidversuch.
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Der Betreuer hat beantragt, die geschlossene Unterbringung des Be-troffenen zu genehmigen. Das Amtsgericht hat die Beteiligte zu 1,
eine Rechts-anwältin,
zur Verfahrenspflegerin bestellt und das Gutachten des
Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie
J.
eingeholt. Nach dessen
Ausführungen
benö-tigt der Betroffene die Struktur einer geschlossenen Unterbringung, ohne die er sich selbst in seinen Zielen und Möglichkeiten
falsch einschätze und überforde-re.
Der freie Wille des Betroffenen zur Frage einer geschlossenen Unterbrin-gung sei zwar krankheitsbedingt eingeschränkt, aber nicht aufgehoben, so dass der Betroffene gegen seinen Willen nicht untergebracht werden könne.
Im [X.] hieran hat das Amtsgericht ein Zweitgutachten der
Fach-ärztin für Psychiatrie C.-C. eingeholt. Hierauf gestützt hat
es
nach Anhörung des Betroffenen die geschlossene Unterbringung für ein Jahr genehmigt. [X.] hat die Verfahrenspflegerin Beschwerde eingelegt, die das [X.] zu-rückgewiesen
hat. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.].

II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Unter [X.] noch anderer,
im Betreuungsverfahren erstatteter
Vorgutachten lägen inzwischen eine hirnorganische Wesensveränderung sowie Folgeschäden in Gestalt einer Ataxie, Polyneuropathie, Leberzirrhose und Pan-kreatitis, einem beginnenden Korsakow-Syndrom sowie epileptischen Anfällen 2
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vor. Die Voraussetzungen einer Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 Ziffer
1 und 2 BGB seien auch mit Rücksicht darauf erfüllt, dass eine Alkoholabhängigkeit für sich allein betrachtet im Allgemeinen noch keine psychische Krankheit oder geistige oder seelische Behinderung darstelle. Hier sei ein auf den Alkoholis-mus zurückzuführender Zustand eingetreten, der die Annahme eines geistigen Gebrechens rechtfertige,
und aufgrund dessen es zu kurzfristigen Rückfällen mit lebensbedrohlichen Zuständen komme.
Es bestehe ein ausgeprägtes Suchtsystem, welches das vernünftige, logische Denken zugunsten der [X.] Bedürfnisbefriedigung ausschalte. Der Betroffene sei derzeit nicht in der Lage, das Für und Wider seines Alkoholkonsums und der daraus [X.] auf der Basis einer freien Willensbildung zu erfassen und abzuwägen. Die Begründung hierfür liege darin, dass
der Alkohol die Hirn-areale geschädigt habe, in denen ein Problembewusstsein und damit einherge-hende
Ängste generiert würden. Bei fortgesetztem Alkoholkonsum würde die Hirnschädigung weiter zunehmen bis hin zur bekannten Schädigung aller [X.].
Die Gefahr einer Selbstschädigung könne
nicht anders als durch eine geschlossene Unterbringung abgewendet werden. Nur bei der geplanten Langzeitbehandlung sei die unbedingt notwendige absolute [X.] ga-rantiert. Entscheidende Voraussetzung für eine Verhaltensänderung sei, dass über sehr lange [X.] jede Möglichkeit unterbunden werde, ohne Begleitung ei-nes suchterfahrenen Mitarbeiters die Einrichtung zu verlassen. Erst wenn der Betroffene verstanden und akzeptiert habe, dass die Situation unausweichlich
sei, könne bei ihm die Bereitschaft wachsen, eine langfristige Abstinenz über-haupt in Betracht zu ziehen. Seine eigene Vorstellung, ein Leben in Abstinenz oder mit kontrolliertem Alkoholkonsum ohne schützende Umgebung führen zu können, sei nicht realitätskonform. Krankheitsbedingt sei er nicht in der Lage, hinsichtlich möglicher Selbstschädigungen seinen Willen frei zu bestimmen. Er -
5
-
sei im Hinblick auf seinen Suchtmittelkonsum völlig unreflektiert; den Sucht-druck leugne er völlig.
2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 und 2 BGB nicht hinreichend festgestellt sind.
a) Gemäß §
1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, so lange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychi-schen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, und ein entgegenstehender freier Wille des Betreuten nicht besteht.
aa) Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geistige oder seelische Behinderung im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB, so dass allein darauf die Genehmigung der Unterbringung nicht gestützt werden darf. Ebenso wenig vermag die bloße Rückfallgefahr eine Anordnung der zivil-rechtlichen Unterbringung zu rechtfertigen (Senatsbeschlüsse vom 25.
März 2015 -
XII ZA 12/15 -
FamRZ 2015, 1017 Rn. 7 ff. und vom 3. Februar 2016
-
XII [X.] 317/15 -
juris Rn. 3).
Etwas Anderes
gilt
nur dann, wenn der Alkoholismus entweder im ur-sächlichen Zusammenhang mit einem geistigen Gebrechen, insbesondere einer psychischen Erkrankung steht,
oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzu-führender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat
(Senatsbeschlüsse vom 25. März 2015 -
XII ZA 12/15 -
FamRZ
2015, 1017 Rn. 7 ff. und vom 3. Februar 2016 -
XII [X.] 317/15 -
juris Rn.
3).
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6
-
Der Erstgutachter hat insoweit aufgezeigt, dass der Betroffene den [X.] als dysfunktionales Mittel zur Dämpfung geschwächter Selbstwertzustände nutze. Das Amtsgericht hat -
unter Verweis auch auf Vor-gutachten aus dem Betreuungsverfahren -
umgekehrt in Betracht gezogen, dass die Persönlichkeitsstörung eine Folge der schweren Abhängigkeitserkran-kung sei, ist im Ergebnis aber jedenfalls vom Vorliegen einer psychischen Stö-rung ausgegangen. Das [X.] ist -
hauptsächlich auf Grundlage des ein-geholten Zweitgutachtens -
von einer alkoholbedingten Hirnschädigung ausge-gangen.
bb) Ob eine psychische Krankheit damit bereits ausreichend festgestellt ist, kann für das Rechtsbeschwerdeverfahren dahinstehen. Denn wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, beruht die angefochtene Entscheidung je-denfalls
auf keinen tragfähigen Feststellungen
zum freien Willen des [X.]. In dem vom angefochtenen Beschluss
in Bezug genommenen
Erstgutach-ten ist
nämlich ausgeführt, dass der freie Wille des Betroffenen zwar suchtbe-dingt eingeschränkt
sei, aber nicht aufgehoben.
Aus der Alkoholabhängigkeit für sich genommen und dem
darauf beruhenden Mangel an Steuerungsfähigkeit in Bezug auf den [X.] von Alkohol kann nämlich nicht auf ein Unvermögen zur freien Willensbildung geschlossen werden (vgl. [X.] FamRZ
2015, 565
Rn.
31). Unter der Voraussetzung eines noch freien Willens steht es jedoch nach der Verfassung jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden
(Senatsbeschluss vom 17. August 2011 -
XII [X.] 241/11 -
FamRZ 2011, 1725 Rn.
12).
Daraus
hat der Erstgutachter von seinem Standpunkt aus folge-richtig den
Schluss gezogen, dass die rechtlichen Voraussetzungen der [X.] einer geschlossenen Unterbringung des Betroffenen nicht vorliegen.

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7
-
Die im Erstgutachten gewonnenen Erkenntnisse werden nicht durch das ergänzend
eingeholte Zweitgutachten in Frage gestellt. Zweck der Begutach-tung nach § 321 Abs. 1 FamFG ist die
Sicherstellung einer sorgfältigen
Sach-verhaltsaufklärung zur Feststellung der medizinischen Voraussetzungen einer Unterbringung. Dabei hat das Gericht seiner Pflicht nachzukommen, das [X.] auf seine wissenschaftliche Begründung, seine innere Logik und seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Aufgrund einer solchen Überprüfung hätte das [X.] die im Zweitgutachten getroffenen Schlussfolgerungen ohne [X.] verwerfen müssen. Denn
wie die [X.] selbst einräumt, steht ihre
Sicht der Dinge nicht auf dem Boden der vom Gesetzgeber für das
Betreu-ungsrecht
entwickelten
Rechtsgrundsätze. Sie präferiert eine vom geltenden Recht abweichende Handhabung und verfolgt insoweit
-
sich
selbst
als "[X.]"
bezeichnend -
ihr eigenes Konzept
nach Maßgabe ihrer eigenen
ethischen
Grundsätze. Mit dieser, sowohl vom hergebrachten medizinischen Klassifizie-rungssystem (ICD-10)
als
auch vom geltenden Betreuungsrecht
abgewandten
Grundhaltung
erfüllt die [X.]
nicht die fachlichen Voraussetzungen an eine sachkundig neutrale Begutachtung, wie sie zur Feststellung der medizi-nischen Voraussetzungen für die
Unterbringung
eines
Suchterkrankten
anhand der geltenden rechtlichen Maßstäbe erforderlich ist.
Soweit das Amtsgericht und das [X.] von einem krankheitsbe-dingten Fehlen des freien Willens hinsichtlich der Unterbringungsentscheidung ausgegangen sind, beruht dies folglich nicht auf einer verwertbaren, vom
Ge-setz geforderten gutachterlichen Grundlage (§ 321 Abs. 1 FamFG; vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 16.
Dezember 2015 -
XII
[X.]
381/15
-
FamRZ 2016, 456 Rn.
10 mwN).
b) Wegen des einer Heilbehandlung gegenwärtig noch entgegenstehen-den freien Willens des Betroffenen sind auch die Voraussetzungen einer Unter-12
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8
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bringung
zur Heilbehandlung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
2 BGB nicht hinreichend festgestellt (vgl. insoweit Senatsbeschluss vom 23.
Januar 2013
-
XII
[X.]
395/12
-
FamRZ 2013, 618 Rn.
10 f.).
3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann
in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er
keine eigenen Feststellungen über den Krankheitszustand des Betroffenen und seine
Fähig-keit zur freien Willensbildung treffen kann. Die Sache ist deshalb an das Land-gericht zurückzuverweisen, damit dieses
-
gegebenenfalls
nach mündlicher Er-läuterung des Erstgutachtens (§§ 321 Abs. 1, 30 Abs. 2 FamFG, 411 ZPO), gegebenenfalls nach neuer Begutachtung (§ 412 ZPO)
jeweils verbunden mit einer ergänzenden Anhörung des Betroffenen
-
tragfähige Feststellungen über eine psychische Erkrankung des Betroffenen und das Beststehen seines freien Willens hinsichtlich seiner Unterbringung treffen kann.
Dose Schilling

Günter

Nedden-Boeger Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 18.12.2015 -
70 XVII 1557 -

LG [X.], Entscheidung vom 11.01.2016 -
4 [X.] -

15

Meta

XII ZB 95/16

13.04.2016

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.04.2016, Az. XII ZB 95/16 (REWIS RS 2016, 13089)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 13089

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XII ZB 95/16

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