Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.03.2013, Az. VI ZR 93/12

6. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 7299

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Gegenstand

Persönlichkeitsrechtsverletzung: Berichterstattung während eines laufenden Strafverfahrens über Äußerungen zu sexuellen Neigungen


Leitsatz

Zur Zulässigkeit einer Berichterstattung während eines laufenden Strafverfahrens über Äußerungen, aus denen sich Rückschlüsse auf sexuelle Neigungen ergeben.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 15. Zivilsenats des [X.] vom 14. Februar 2012 aufgehoben und das Urteil des [X.] vom 22. Juni 2011 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich mit seinem Unterlassungsbegehren gegen eine ihn betreffende Online-Berichterstattung auf dem von der [X.] betriebenen Internetportal "[X.]" während eines gegen ihn geführten Strafverfahrens.

2

Der Kläger war bis zu seiner Verhaftung im März 2010 als Fernsehmoderator und Journalist tätig. Er betrieb außerdem ein Unternehmen, das meteorologische Daten erfasst und vertreibt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen ihn wegen des Verdachts der Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Ihm wurde vorgeworfen, am 9. Februar 2010 seine damalige Freundin zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. Vom 20. März 2010 bis zum 29. Juli 2010 befand er sich in dieser Sache in Untersuchungshaft. In der vom 6. September 2010 bis zum 31. Mai 2011 dauernden Hauptverhandlung wurde er freigesprochen.

3

Nach Anklageerhebung, aber vor Eröffnung des Hauptverfahrens berichtete die Beklagte am 13. Juni 2010 auf ihrem Internetportal unter der Überschrift "Der [X.].-Krimi: Neue Indizien aus der Tatnacht?" unter anderem wie folgt:

"Der Fall [X.]. [X.]) wird immer pikanter: Laut dem Nachrichtenmagazin [X.] soll jetzt auch ein sichergestellter Tampon die angebliche Vergewaltigung beweisen!

Das Magazin veröffentlichte jetzt neue intime Details über die angebliche Tatnacht.

So heißt es in Bezug auf das Treffen zwischen Jörg [X.] und [X.] (37) unter anderem: [X.] habe ‚auf ihn gewartet mit hochgezogenem Strickkleid‘.

Und weiter: ‚wie üblich habe sie Handschellen und eine Reitgerte bereitgelegt‘."

4

Diese Informationen stammen aus der Einlassung des [X.] in seiner ersten richterlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren. Das Protokoll über diese Vernehmung, das unter anderem folgende Passage enthält, wurde in der öffentlich geführten Hauptverhandlung am 13. September 2010 zu Beweiszwecken verlesen:

"Es war dann so, das war das übliche Verfahren bei den Treffen, dass ich geklingelt habe, langsam die Treppe hoch ging, ich die Türe aufmachte, die angelehnt war, und sie wartete dann schon ausgezogen oder in diesem Fall mit schon hochgezogenem Strickkleidchen. In ihrem Besitz und zu ihrem Haushalt gehörten auch Handschellen, die sie in diesem Fall schon in der einen Hand hatte auch eine Reitgerte, die auch zu ihrem Haushalt gehörte, die immer bei ihr war und die sie dann jeweils, wenn sie Lust darauf hatte, bereitlegte."

5

Das [X.] hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, zu veröffentlichen oder sonst zu verbreiten: [X.] habe ‚auf ihn gewartet mit hochgezogenem Strickkleid‘, ‚wie üblich habe sie Handschellen und eine Reitgerte bereitgelegt‘, wenn dies geschieht wie auf [X.] im Artikel vom 13.06.2010 mit der Überschrift "Der [X.].-Krimi: Neue Indizien aus der Tatnacht?". Das Berufungsgericht hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

I.

6

Das Berufungsgericht, dessen Urteil u.a. in ZUM 2012, 330 veröffentlicht ist, hat die Klage als zulässig angesehen. Grundsätzlich müsse die klagende Partei gemäß § 253 Abs. 2, 4, § 130 Nr. 1 ZPO ihre ladungsfähige Anschrift in der Klageschrift angeben. Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass der Kläger unter der von ihm angegebenen Anschrift im [X.]punkt der Klageerhebung nicht hätte geladen werden können. Dass in einer anderen Rechtssache eine Zustellung unter dieser Anschrift fehlgeschlagen sei, lasse nicht darauf schließen, ob zur [X.] der Klageerhebung eine Zustellung hätte bewirkt werden können. Ebenso unerheblich sei, dass der Kläger bereits längere [X.] nicht mehr unter der angegebenen Anschrift amtlich gemeldet gewesen sei.

7

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG zu. Die beanstandeten Äußerungen beträfen zwar nicht den absolut geschützten Kernbereich seines Persönlichkeitsrechts, weil sie Gegenstand einer gegen ihn erhobenen Anklage seien und einen Bezug zu der vorgeworfenen Tat aufwiesen. Bei der vorzunehmenden Abwägung sei aber das Persönlichkeitsrecht des [X.] höher zu bewerten als das Berichterstattungsinteresse der Beklagten. Zu Gunsten des [X.] falle besonders ins Gewicht, dass es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren handele und ihm die Unschuldsvermutung zu [X.] komme, die eine zurückhaltende, jedenfalls aber ausgewogene Berichterstattung verlange. Den beanstandeten Äußerungen komme für das Strafverfahren nur eine geringe Bedeutung zu. Zu dem eigentlichen Tatgeschehen wiesen sie keinen konkreten Bezug auf. Ein Hinweis auf die Bedeutung der beanstandeten Äußerung für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit gehe aus dem Artikel nicht hervor. Dagegen greife die Berichterstattung über praktizierte sexuelle Vorlieben des [X.] erheblich in dessen Persönlichkeitsrecht ein, weil diese einem Großteil der Leser in Erinnerung blieben. Der Kläger werde als eine Person mit sadomasochistischen Neigungen beschrieben. Die dadurch begründete "Prangerwirkung" werde durch den Freispruch nicht beseitigt. Während des laufenden Ermittlungsverfahrens bestehe kein derart weitgehendes Berichterstattungs- und Informationsinteresse.

8

Eine abweichende Beurteilung sei nicht deshalb geboten, weil die Sexualpraktiken des [X.] in anderen Medien ebenfalls thematisiert und dadurch einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht worden seien. Die streitgegenständliche [X.] habe den Kreis der "Rezipienten" wesentlich erweitert und sei Anlass für verschiedene Medien gewesen, die dort mitgeteilten Tatsachen zum Sexualleben des [X.] nachfolgend aufzugreifen.

9

Auch nach Verlesung des Protokolls der klägerischen Einlassung vor dem Haftrichter in der öffentlichen Hauptverhandlung sei die Berichterstattung über die einvernehmlich praktizierten sexuellen Vorlieben nicht zulässig geworden. Die Verlesung selbst habe Details aus dem Sexualverhalten des [X.] nur den im Gerichtssaal anwesenden Personen offenbart. Eine Breitenwirkung habe erst die auf die Verlesung erfolgte Medienberichterstattung erzielt. Diese habe jedoch nicht dazu geführt, dass die frühere streitgegenständliche Berichterstattung über das Sexualleben des [X.] nicht mehr in rechtswidriger Weise in das Persönlichkeitsrecht eingreife und eine Wiederholungsgefahr entfallen sei. Die Medien hätten auch über die öffentliche Hauptverhandlung nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung nur zurückhaltend und maßvoll berichten dürfen. Aus dem in § 169 [X.] normierten Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen folge kein Recht der Presse, über sämtliche in der öffentlichen Verhandlung erörterten Inhalte zu berichten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger keinen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b [X.] gestellt habe.

II.

Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu.

1. Zu Recht hat allerdings das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revision die Zulässigkeit der Klage bejaht.

a) Der Kläger muss in der Klageschrift grundsätzlich eine ladungsfähige Anschrift angeben, weil hierdurch seine Bereitschaft dokumentiert wird, auf Anordnung des Gerichts persönlich zu erscheinen, und gewährleistet ist, dass er den Prozess nicht aus dem Verborgenen führt, um sich eventueller nachteiliger Folgen, insbesondere der Kostenpflicht im Fall des Unterliegens, zu entziehen ([X.], Urteile vom 9. Dezember 1987 - [X.], [X.]Z 102, 332, 335 f.; vom 17. März 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 1503; Beschluss vom 1. April 2009 - [X.], NJW-RR 2009, 1009 Rn. 11).

b) Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei keinen Mangel der Klageschrift angenommen, der zur Unzulässigkeit der Klage führt. Es hat ausgeführt, es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass gerichtliche Schriftstücke, insbesondere Ladungen, den Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht erreicht hätten. Aus dem Schreiben des Kantonsgerichts [X.]           vom 2. Dezember 2011 ergebe sich zwar, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht mehr gemeldet sei, und ein Zustellungsersuchen in einer anderen Sache deshalb nicht habe erledigt werden können. Es sei aber nicht erwiesen, dass Zustellungen im [X.]punkt der Klageerhebung dort nicht möglich gewesen seien. Dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Für die Möglichkeit einer Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO kommt es nicht auf die Anmeldung eines Wohnsitzes an, sondern auf die tatsächliche Benutzung der Wohnung zum Aufenthalt. Nicht jede vorübergehende Abwesenheit, selbst wenn sie länger dauert, hebt die Eigenschaft jener Räume als einer Wohnung im Sinne der [X.] auf. Diese Eigenschaft geht vielmehr erst verloren, wenn sich während der Abwesenheit des Zustellungsempfängers auch der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert (vgl. [X.], Urteil vom 13. Oktober 1993 - [X.], NJW-RR 1994, 564 f.). Dass eine Zustellung am 2. Dezember 2011 nicht ausführbar war, besagt nicht, dass dies auch schon zum [X.]punkt der früher erfolgten Zustellung der Klage der Fall gewesen wäre. Die ordnungsgemäße Klageerhebung ist eine Prozessvoraussetzung, die ihrer Natur nach nur bei der Einleitung des Verfahrens vorliegen muss. Deshalb bleibt die Klage zulässig, wenn erst im Lauf des Prozesses die ladungsfähige Anschrift entfällt ([X.], Urteil vom 17. März 2004 - [X.], aaO; Beschluss vom 1. April 2009 - [X.], aaO Rn. 12). Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Kläger seine Anschrift verbergen wollte, um sich negativen prozessualen Folgen zu entziehen.

2. Die Klage ist aber nicht begründet, weil dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zusteht.

a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die angegriffenen Äußerungen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des [X.] beeinträchtigen. Die Berichterstattung über Sexualpraktiken, die der Kläger in seiner Beziehung zur Anzeigeerstatterin angewandt haben soll, berührt das Persönlichkeitsrecht.

b) Im Ausgangspunkt zutreffend sind auch die rechtlichen Grundsätze, welche das Berufungsgericht seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat.

aa) Das Berufungsgericht hat es zu Recht für geboten erachtet, über den Unterlassungsantrag aufgrund einer Abwägung des Rechts des [X.] auf Schutz seiner Persönlichkeit und Achtung seines Privatlebens aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 [X.] mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 [X.] verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit zu entscheiden. Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der [X.] interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (Senatsurteile vom 8. Mai 2012 - [X.], [X.], 994 Rn. 35; vom 30. Oktober 2012 - [X.], [X.], 63 Rn. 10; vom 11. Dezember 2012 - [X.], [X.], 321 Rn. 11).

Geht es um eine Berichterstattung über den Verdacht einer Straftat, so ist zu berücksichtigen, dass Straftaten zum [X.]geschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung individueller Rechtsgüter, die Sympathie mit den Opfern, die Furcht vor Wiederholungen solcher Straftaten und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründen grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Tat in Begehungsweise und Schwere von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Bei schweren Gewaltverbrechen ist in der Regel ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Interesse an näherer Information über die Tat und ihren Hergang, über die Person des [X.] und seine Motive sowie über die Strafverfolgung anzuerkennen (vgl. Senatsurteile vom 7. Dezember 1999 - [X.], [X.]Z 143, 199, 204; vom 15. Dezember 2009 - [X.], [X.]Z 183, 353 Rn. 14; vom 8. Mai 2012 - [X.], aaO Rn. 38; [X.] 35, 202, 230 f.; [X.] NJW 2009, 3357 Rn. 18).

Handelt es sich um die Berichterstattung über ein noch nicht abgeschlossenes Strafverfahren, so ist im Rahmen der Abwägung allerdings auch die zugunsten des Betroffenen sprechende, aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende und in Art. 6 Abs. 2 [X.] anerkannte Unschuldsvermutung zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 30. Oktober 2012 - [X.], [X.], 63 Rn. 14; [X.] 35, 202, 232; [X.], NJW 2009, 350 Rn. 14; NJW 2009, 3357 Rn. 20). Diese gebietet eine entsprechende Zurückhaltung, mindestens aber eine ausgewogene Berichterstattung (vgl. [X.] 35, 202, 232; [X.], NJW 2009, 350 Rn. 14). Außerdem ist eine mögliche Prangerwirkung zu berücksichtigen, die durch die Medienberichterstattung bewirkt werden kann (vgl. [X.] 119, 309, 323; [X.], aaO). Im Hinblick darauf kann bis zu einem erstinstanzlichen Freispruch oftmals das Recht auf Schutz der Persönlichkeit und Achtung des Privatlebens gegenüber der Freiheit der Berichterstattung überwiegen ([X.], NJW 2009, 3357 Rn. 20; Senatsurteil vom 7. Juni 2011 - [X.], [X.]Z 190, 52 Rn. 25).

bb) Zutreffend hat das Berufungsgericht die Berichterstattung im [X.]punkt der [X.] als rechtswidrig beurteilt.

(1) Mit Recht hat das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung die in Rede stehenden Äußerungen der Privatsphäre des [X.] zugeordnet.

Auch wenn die Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung (vgl. Senatsurteile vom 7. Dezember 1999 - [X.], aaO 203 f.; vom 11. Dezember 2012 - [X.], aaO Rn. 26) erfüllt sind, dürfen die Medien über die Person des Verdächtigen nicht schrankenlos berichten. Vielmehr ist für jeden einzelnen Umstand aus dem persönlichen Lebensbereich, der Gegenstand der angegriffenen Medienberichterstattung ist, aufgrund einer Abwägung zu entscheiden, ob das Schutzinteresse des Betroffenen das Interesse an einer Berichterstattung überwiegt. Bei der Beurteilung des dem Persönlichkeitsrecht dabei zukommenden Gewichts ist - wie auch sonst bei der Medienberichterstattung über personenbezogene Umstände (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - [X.], [X.], 368 Rn. 13) - von entscheidender Bedeutung, ob das Thema der Berichterstattung der Intimsphäre, der Privatsphäre oder der Sozialsphäre zuzuordnen ist.

Ob ein Sachverhalt dem Kernbereich höchstpersönlicher, privater Lebensgestaltung angehört, hängt davon ab, ob der Betroffene ihn geheim halten will, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist und in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder die Belange der [X.] berührt (Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 - [X.], [X.], 66 Rn. 11; [X.] 80, 367, 374; [X.], NJW 2009, 3357 Rn. 25). Ob ein Vorgang die Intim- oder die Privatsphäre betrifft, hängt auch davon ab, in welchem Umfang Einzelheiten berichtet werden (vgl. Senatsurteil vom 29. Juni 1999 - [X.], [X.], 1250, 1251; [X.]/[X.], Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., [X.]. 5 Rn. 49). Dem unantastbaren Kernbereich gehören grundsätzlich Ausdrucksformen der Sexualität an (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 - [X.], aaO; [X.] 119, 1, 29 f.; [X.], NJW 2009, 3357 Rn. 25 f.).

Sexualstraftaten gehören aber, weil sie einen gewalttätigen Übergriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und zumeist auch in das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Opfers beinhalten, nicht der absolut geschützten Intimsphäre des Tatverdächtigen an ([X.], aaO Rn. 26).

Danach fallen die berichteten Umstände nicht in den absolut geschützten Kernbereich des Persönlichkeitsrechts.

(2) Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird, was das Berufungsgericht nicht verkannt hat, durch die prominente Stellung des [X.] erhöht. Schon die prominente Stellung des [X.] kann ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an seinem Alltagsleben begründen, selbst wenn sich sein Verhalten weder in skandalösen noch in rechtlich oder sittlich zu beanstandenden Verhaltensweisen äußert ([X.], [X.] 120, 180, 203 f.). Wegen seiner Prominenz berührt das Verhalten des [X.] die Belange der [X.] noch stärker, wenn der Vorwurf der Begehung einer Straftat im Raum steht, als dies bei nicht prominenten Personen der Fall wäre (vgl. [X.], NJW 2009, 3357 Rn. 28).

(3) Zu Gunsten des [X.] fällt aber ins Gewicht, dass die streitgegenständliche Äußerung aus seiner Einlassung bei der nicht öffentlichen Vernehmung anlässlich der Eröffnung des Haftbefehls stammt. Richterliche Vernehmungen außerhalb der Hauptverhandlung sind nicht nur nichtöffentlich; es ist grundsätzlich auch unzulässig, Medienvertretern die Anwesenheit bei solchen Vernehmungen zu gestatten ([X.] in [X.], [X.], 26. Aufl., § 168c Rn. 25).

(4) Da die Berichterstattung während eines laufenden Strafverfahrens erfolgte, ist zu Gunsten des [X.] im Rahmen der Abwägung die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Unschuldsvermutung zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 30. Oktober 2012 - [X.], aaO Rn. 14; [X.] 35, 202, 232; [X.], aaO Rn. 20). Dies gebietet Zurückhaltung bei der Mitteilung von Einzelheiten aus dem privaten Lebensbereich, deren Kenntnis zur Befriedigung des berechtigten Informationsinteresses nicht zwingend erforderlich ist. Der Unschuldsvermutung kommt hier besonderes Gewicht zu, weil die streitgegenständliche [X.] noch vor Beginn der Hauptverhandlung, mithin in einem frühen Stadium des Strafverfahrens erfolgte.

Dass es sich bei den in Rede stehenden Äußerungen nicht um die dem Kläger vorgeworfene Straftat selbst handelt, sondern um wahre Tatsachenbehauptungen aus seiner Einlassung zum Tatvorwurf, steht der Berücksichtigung der Unschuldsvermutung im Rahmen der Abwägung nicht entgegen. Denn auch eine wahre Tatsachenbehauptung kann das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussage geeignet ist, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum Anknüpfungspunkt für eine [X.] Ausgrenzung und Isolierung zu werden droht (Senatsurteile vom 20. Dezember 2011 - [X.], [X.], 368 Rn. 20; vom 8. Mai 2012 - [X.], [X.], 2197 Rn. 37 mwN). Deshalb hat das Berufungsgericht bei der Abwägung zu Gunsten des [X.] zu Recht berücksichtigt, dass er als Person mit sadomasochistischen Neigungen dargestellt wird und dies seinem Ansehen in der Öffentlichkeit abträglich sein kann. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht garantiert grundsätzlich, die eigenen Ausdrucksformen der Sexualität für sich zu behalten und sie in einem dem Zugriff anderer entzogenen Freiraum zu erleben (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 - [X.], [X.], 66 Rn. 12; [X.], NJW 2009, 3357 Rn. 26).

c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist allerdings das Unterlassungsbegehren des [X.] gleichwohl nicht begründet. Ein Unterlassungsanspruch besteht nicht, weil nach Verlesung des Protokolls über die haftrichterliche Vernehmung des [X.] in der öffentlichen Hauptverhandlung vom 13. September 2010 die gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr entfallen ist.

aa) [X.] ist eine materielle Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs. Wenn sie entfällt, erlischt auch der zukunftsgerichtete Unterlassungsanspruch (vgl. Senatsurteile vom 19. Oktober 2004 - [X.], [X.], 84, 85 mwN; vom 21. Juni 2005 - [X.], [X.], 1403; vom 30. Juni 2009 - [X.], [X.], 1417 Rn. 28; siehe auch [X.] VersR 2007, 849 Rn. 34). Eine rechtswidrige Beeinträchtigung in der Vergangenheit begründet in der Regel die tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr (Senatsurteile vom 27. Mai 1986 - [X.], [X.], 1075, 1077; vom 30. Juni 2009 - [X.], aaO Rn. 29 mwN). [X.] kann allerdings dann nicht ohne weiteres aufgrund einer bereits geschehenen Rechtsverletzung vermutet werden, wenn durch die Veränderung tatsächlicher Umstände nunmehr die Berichterstattung als rechtlich zulässig zu beurteilen ist (vgl. Senatsurteil vom 19. Oktober 2004 - [X.], aaO Rn. 18). Wer in der Vergangenheit in seinen Rechten verletzt wurde, hat keinen Anspruch darauf, dass ein Verhalten unterlassen wird, das sich inzwischen als nicht mehr rechtswidrig darstellt (vgl. Senatsurteil vom 19. Oktober 2004 - [X.], aaO Rn. 17). Das kommt hier in Betracht, weil die künftige [X.] der beanstandeten Aussage nur in anderer Form in die Öffentlichkeit tragen würde, was die Presse aus Anlass der Verlesung des fraglichen Vernehmungsprotokolls in der öffentlichen Hauptverhandlung zulässigerweise berichtete (vgl. [X.], aaO Rn. 32).

bb) Da die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nach der Verlesung des Vernehmungsprotokolls erfolgte Berichterstattung in den Medien noch während der laufenden Hauptverhandlung erfolgte, ist zu Gunsten des [X.] im Rahmen der Abwägung auch hier insbesondere die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Unschuldsvermutung zu berücksichtigen, welche eine entsprechende Zurückhaltung bei der Berichterstattung gebot. Zu beachten ist wiederum, dass auch eine wahre Tatsachenbehauptung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen kann, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, [X.] Ausgrenzung oder Prangerwirkung zu besorgen sind (vgl. Senatsurteile vom 20. Dezember 2011 - [X.], [X.], 368 Rn. 20; vom 8. Mai 2012 - [X.], [X.], 2197 Rn. 37, jeweils mwN). Hier wurde mit wenigen Sätzen berichtet, dass nach der Schilderung des [X.] sein Treffen mit der Anzeigeerstatterin auf einvernehmlichen geschlechtlichen Verkehr - auch in sadomasochistischer Form - angelegt war. Es kann unterstellt werden, dass den Beschwerdeführer durch die Berichterstattung eine erhebliche [X.] Missbilligung treffen kann. Allein von der tagesaktuellen Berichterstattung, die mit dem Abschluss des Verfahrens ein Ende findet, geht indes keine derart schwerwiegende Stigmatisierung in einer solchen Breitenwirkung aus, dass eine dauerhafte oder lang anhaltende [X.] Ausgrenzung zu befürchten wäre, die hier in der Abwägung das Berichterstattungsinteresse überwiegen müsste (vgl. [X.], NJW 2009, 3357 Rn. 29).

Auf Seiten der Beklagten ist das große Interesse der Öffentlichkeit an dem Strafverfahren und vor allem an der Hauptverhandlung gegen den prominenten und als Fernsehmoderator sehr bekannten Kläger zu berücksichtigen, welches die intensive Berichterstattung in den Medien widerspiegelt. Bei einem Strafverfahren ist regelmäßig die Kenntnis der Einlassung des Angeklagten für die Beurteilung des weiteren Verfahrensverlaufs und das Verständnis der Beweiserhebungen sowie die Würdigung der Beweisergebnisse in der Hauptverhandlung von erheblicher Bedeutung (vgl. [X.], Beschluss vom 27. September 1983 - 4 StR 550/83, juris Rn. 5; Urteil vom 30. September 2010 - 4 StR 150/10, juris Rn. 23 mwN, insoweit in NStZ-RR 2011, 82 nicht abgedruckt). Eine ausgewogene Prozessberichterstattung kann deshalb kaum auf die Wiedergabe der Einlassung verzichten. Insbesondere bei dem hier erhobenen Vorwurf der schweren Vergewaltigung war die Einlassung von zentraler Bedeutung für die Berichterstattung und für die öffentliche Meinungsbildung hinsichtlich eines möglichen Geschehensablaufs in der Tatnacht und die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Beteiligten, so dass ein enger Bezug zu dem eigentlichen Tatvorwurf besteht. Unter diesen Umständen ist die Wiederholungsgefahr nicht mehr gegeben, weil ein überwiegendes Schutzinteresse des [X.] einer aktuellen Berichterstattung hinsichtlich der angegriffenen, seiner Einlassung entstammenden Aussagen nach deren Verlesung in der Hauptverhandlung nicht mehr entgegenstände, nachdem sie durch die Verlesung des Vernehmungsprotokolls in öffentlicher Hauptverhandlung einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Damit bestand ab diesem [X.]punkt der Unterlassungsanspruch nicht mehr.

cc) Soweit der Kläger begehrt, der Beklagten eine zukünftige [X.] wie in dem Artikel vom 13. Juni 2010 zu untersagen, scheitert ein Unterlassungsanspruch am Fehlen einer Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr, die eine - vom Kläger darzulegende - Anspruchsvoraussetzung ist (vgl. Senatsurteile vom 19. Oktober 2004 - [X.], aaO Rn. 17 und vom 30. Juni 2009 - [X.], aaO Rn. 28 ff.). Insoweit kann die Gefahr einer drohenden Rechtsverletzung neu entstehen, nachdem zuvor der Anspruch erloschen ist. Dafür reicht jedoch die bloße Möglichkeit eines erneuten Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des [X.] durch die Beklagte ohne konkrete Hinweise darauf nicht aus. Die drohende Verletzungshandlung müsste sich vielmehr in tatsächlicher Hinsicht so konkret abzeichnen, dass eine zuverlässige Beurteilung unter rechtlichen Gesichtspunkten möglich wäre (vgl. Senatsurteil vom 30. Juni 2009 - [X.], aaO Rn. 30 mwN). Eine dafür erforderliche drohende Rechtsverletzung seitens der Beklagten hat der Kläger nicht dargelegt. Sie ist auch nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass der Kläger in dem Strafverfahren freigesprochen worden ist, vermag die für den Unterlassungsanspruch erforderliche konkrete Gefahr einer Rechtsverletzung durch die Beklagte jedenfalls noch nicht zu begründen.

[X.]

               Pauge                              [X.]

Meta

VI ZR 93/12

19.03.2013

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 14. Februar 2012, Az: I-15 U 123/11, Urteil

§ 823 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 1 BGB, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.03.2013, Az. VI ZR 93/12 (REWIS RS 2013, 7299)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7299

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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