Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.03.2013, Az. X R 16/11

10. Senat | REWIS RS 2013, 7456

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Anforderungen an die Büroorganisation für die Gewährung von Wiedereinsetzung


Leitsatz

1. NV: Der Prozessbevollmächtigte darf die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen einer eingewiesenen und regelmäßig überwachten Fachkraft übertragen. Unterläuft einer solchen Fachkraft ein Versehen bei der Notierung oder Überwachung von Fristen, braucht der Prozessbevollmächtigte dieses nicht als eigenes Verschulden zu vertreten .  

2. NV: Verwechselt die Bürokraft die vom BFH verlängerte Revisionsbegründungsfrist im Rahmen der Fristnotierung mit einem bloßen Termin und geht sie in der Folgezeit davon aus, gerichtliche Termine könnten ohne Rechtsnachteile unbeachtet bleiben, deutet dies darauf hin, dass der Prozessbevollmächtigte die erforderliche Einweisung seiner Fachkraft in den Umgang mit gerichtlichen Terminen unterlassen hat .

Tatbestand

1

I. Der erkennende Senat hatte auf eine entsprechende Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) mit Beschluss vom 12. April 2011 die Revision gegen das klageabweisende Urteil der Vorinstanz zugelassen. Dieser Beschluss wurde dem [X.]rozessbevollmächtigten ([X.]) der Klägerin am 20. April 2011 zugestellt. In der [X.]olgezeit verlängerte der Vorsitzende des erkennenden Senats auf entsprechende Anträge des [X.] die [X.] mehrfach, zuletzt mit Schreiben der [X.] vom 21. Juni 2011 --bei [X.] nach dessen Angaben eingegangen am 24. Juni 2011 ([X.] bis zum 11. Juli 2011 (Montag).

2

Da innerhalb der verlängerten [X.]rist keine Revisionsbegründung beim [X.] ([X.]) einging, wies der Senatsvorsitzende [X.] mit einem am 21. Juli 2011 zugestellten Schreiben auf den [X.]ristablauf und die Vorschrift des § 56 der [X.]inanzgerichtsordnung ([X.]GO) hin.

3

Am 25. Juli 2011 beantragte [X.], die [X.]rist für die "Beschwerdebegründung" bis zum 25. Juli 2011 zu verlängern und wegen der Versäumung der "[X.]" Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ebenfalls am 25. Juli 2011 reichte er einen Schriftsatz mit Revisionsanträgen und einer kurzen Rechtsmittelbegründung beim [X.] ein. Den Wiedereinsetzungsantrag begründete er am 28. Juli 2011 dahingehend, dass seine bisher stets zuverlässig arbeitende [X.]ristsachbearbeiterin ([X.]) den [X.] der verlängerten "[X.]rist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde" nicht als [X.]rist, sondern als Termin in die [X.]ristenüberwachung eingetragen habe. [X.] hat in einer beigefügten "Stellungnahme und eidesstattlichen Versicherung" --die keinen Hinweis auf die Strafbarkeit falscher eidesstattlicher Versicherungen enthält-- erklärt, sie habe das Datum des [X.]ristablaufs "als jederzeit verlängerbaren Termin" angesehen, "bei dessen Überschreiten auch keine unmittelbaren Rechtsnachteile zu erwarten waren".

4

Zur Organisation des [X.]ristenwesens in seiner Kanzlei hat [X.] vorgetragen, alle fristauslösenden oder einen Termin enthaltenden Schreiben würden an ihrem [X.] in eine Tabelle mit der Bezeichnung "Bescheid -- [X.]risten -- Termin -- Übersicht" eingetragen. Zusätzlich würden die Schreiben in einem eigenen [X.]ristenordner gesammelt und dort im [X.]ach des jeweiligen Sachbearbeiters abgelegt. Ab dem Tag des Eingangs würden die [X.]risten und Termine täglich anhand der Übersicht überwacht. Zusätzlich erfolge am [X.]reitag einer jeden Woche eine Durchsicht zur [X.]eststellung, welche Bescheidprüfungen, [X.]risten oder Termine in der nächsten Woche bearbeitet werden müssten. Die Bearbeitung durch den Sachbearbeiter werde bis zum ersten, spätestens aber bis zum zweiten [X.]reitag vorgenommen, der dem [X.] folge. Seit dem 24. Juni 2011 sei [X.] der einzige Berufsträger in der Kanzlei.

5

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten [X.] zu gewähren, das angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 4. Oktober 2007 aufzuheben und die Einkommensteuer 1999 unter Änderung des Bescheids vom 18. November 2004 auf 0 DM festzusetzen.

6

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das [X.]inanzamt) hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt, vertritt aber die Auffassung, dass weder die Revisionsbegründung den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 [X.]GO genüge noch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der [X.] zu gewähren sei.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist unzulässig und gemäß § 126 Abs. 1 [X.]GO durch Beschluss zu verwerfen.

8

1. Die Klägerin hat die [X.] des § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]GO versäumt. Diese [X.]rist war gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 [X.]GO zuletzt bis zum 11. Juli 2011 verlängert worden. Eine kurze Revisionsbegründung ist indes erst am 25. Juli 2011 --nach [X.] beim [X.] eingegangen.

9

2. Wegen der Versäumung der [X.] kann der Klägerin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.

a) Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass der Beteiligte ohne Verschulden verhindert war, die [X.] einzuhalten (§ 56 Abs. 1 [X.]GO). Dabei ist dem Beteiligten ein Verschulden seines [X.]rozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 [X.]GO zuzurechnen ([X.]-Beschluss vom 2. September 2005 I R 117/04, [X.]/NV 2006, 96, unter [X.]). Allerdings darf der [X.]rozessbevollmächtigte die Erledigung mechanischer Tätigkeiten untergeordneter Art einer zuverlässigen Bürokraft überlassen; hierzu gehört auch die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger [X.]risten. [X.] einer solchen [X.]achkraft bei der Notierung oder Überwachung von [X.]risten ein Versehen, braucht der [X.]rozessbevollmächtigte dieses nicht als eigenes Verschulden zu vertreten. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen geeignet sind, eine [X.]ristversäumnis auszuschließen, und er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für das Befolgen seiner Anordnungen Sorge trägt (vgl. zum Ganzen Senatsbeschluss vom 13. Oktober 1993 [X.], [X.]/NV 1994, 328, unter 2.). Dabei ist zu beachten, dass die Begründungsfristen sowohl für Revisionen als auch für Nichtzulassungsbeschwerden nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden [X.]risten gehören, so dass der [X.]rozessbevollmächtigte in diesen [X.]ällen bei der [X.]rüfung und Überwachung des [X.]ersonals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet ist (Senatsbeschluss vom 8. [X.]ebruar 2008 [X.], [X.]/NV 2008, 969, unter [X.] aa, m.w.N.).

b) Diese Anforderungen sind im Streitfall nicht erfüllt.

Nach dem Vorbringen der Klägerin beruht die [X.]ristversäumnis darauf, dass [X.] die vom [X.] verlängerte [X.] nicht als [X.]rist, sondern als Termin eingetragen hatte, und in der [X.]olgezeit die Angelegenheit nicht weiter bearbeitete, weil sie der Auffassung war, dass beim Überschreiten derartiger Termine keine unmittelbaren Rechtsnachteile zu erwarten seien.

Dieses Vorbringen lässt darauf schließen, dass in der Kanzlei des [X.] keine den gesetzlichen Anforderungen genügenden Anweisungen zum Umgang mit gerichtlichen [X.]risten bestanden. Zwar mag die bloße [X.]ehleintragung eines Termins statt einer [X.]rist durch [X.] dem [X.] --und damit der [X.] nicht als eigenes Verschulden zuzurechnen sein. [X.] für die [X.]ristversäumnis war aber neben dieser [X.]ehleintragung auch der spätere Umgang der [X.] mit der aus ihrer Sicht bestehenden Terminvorgabe des [X.]. Es ist schlechterdings unvorstellbar, dass eine Bürokraft, die durch den [X.]rozessbevollmächtigten ordentlich in die ihr übertragene [X.]rist- und Terminüberwachung eingewiesen worden ist und in ihrer Tätigkeit regelmäßig überwacht wird, annehmen könnte, ein von einem Gericht --aus ihrer Sicht-- gesetzter Termin könne ohne Rechtsnachteile überschritten werden. Abgesehen davon, dass [X.] sich im Übrigen nicht dazu geäußert hat, in welcher Weise er seine Bürokräfte in [X.]ragen der [X.]ristüberwachung belehrt und überwacht, deuten diese Angaben darauf hin, dass in der Kanzlei ein nachlässiger Umgang mit gesetzten Terminen besteht. Dieser Organisationsmangel stellt ein eigenes Verschulden des [X.] dar, das der Klägerin zuzurechnen ist.

3. Der am 25. Juli 2011 gestellte Antrag auf Verlängerung der bereits am 11. Juli 2011 abgelaufenen [X.] ist unbeachtlich, da die [X.] gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 [X.]GO nur auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden kann (vgl. [X.]-Beschluss vom 27. Oktober 2000 V R 16/00, [X.]/NV 2001, 608, unter II.4.).

4. Danach braucht der Senat nicht mehr zu entscheiden, ob die Revision auch deshalb unzulässig ist, weil die Revisionsbegründung nicht die Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 [X.]GO erfüllt.

Meta

X R 16/11

13.03.2013

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 31. März 2010, Az: 11 K 11289/07, Urteil

§ 56 Abs 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 13.03.2013, Az. X R 16/11 (REWIS RS 2013, 7456)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7456

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V R 24/12 (Bundesfinanzhof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist


IX R 15/16 (Bundesfinanzhof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens an der Fristversäumung - Büroversehen


XI R 13/12 (Bundesfinanzhof)

Fristversäumung durch angestellten Steuerberater; Wiedereinsetzung


VII B 12/14 (Bundesfinanzhof)

Keine Wiedereinsetzung bei Anwaltsverschulden


III R 4/15 (Bundesfinanzhof)

Fristenkontrolle und Postausgangskontrolle


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.