Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.09.2004, Az. 2 StR 268/04

2. Strafsenat | REWIS RS 2004, 1818

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[X.] vom 1. September 2004 in der Strafsache gegen

wegen versuchten Mordes u.a.
- 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 1. September 2004 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das [X.]eil des [X.] vom 4. Dezember 2003 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in [X.] mit schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus [X.]. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die [X.] formellen und materiellen Rechtes rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der [X.]ußformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Versagung einer Strafmilderung gemäß §§ 21, 49 StGB weist Rechtsfehler auf. Die Aufhebung des Strafausspruchs entzieht der [X.] 3 - gungsanordnung gemäß § 63 StGB die Grundlage, so daß der gesamte Rechtsfolgenausspruch aufzuheben ist. 1. Nach den Feststellungen des [X.] versuchte der Angeklagte den schlafenden Zeugen M. durch Schläge mit verschiedenen Gegenständen zu töten. Der Angeklagte konnte die Tat durch Einschreiten der Polizei nicht vollenden; das Opfer erlitt schwere Verletzungen. "Bei Begehung der Tat war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der an einem [X.] und einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens leidet, infol-ge der Alkoholisierung und einer bestehenden emotional instabilen Persönlich-keitsstörung aufgrund einer krankhaften seelischen Störung und schweren an-deren seelischen Abartigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert, aber nicht ausgeschlossen" ([X.]). Die [X.] hat einen maximalen [X.] von 2,84 %o zur [X.] angenommen ([X.]). Sie ist dem Sachverständigen darin gefolgt, daß beim Angeklagten ein Alkoholabhängigkeitssyndrom gemäß der [X.] ([X.] 10: [X.]) vorliege. Dessen Trinkverhalten entspreche dem sogenannten "süchtigen Trinken" (sogenannter gamma-Typ), welches durch [X.] beim Trinken gekennzeichnet sei. Der Angeklagte leide zudem an einer schwer ausgeprägten emotional instabilen Persönlichkeitsstörung ([X.] 10: [X.]), die im Verhältnis zum bestehenden Alkoholabhängigkeitssyndrom wesentlich schwerer wiege ([X.]). Beim Angeklagten liege darüber hinaus sowohl eine Hyperaktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung ([X.] 10: [X.]) als auch eine hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens ([X.] 10: [X.]) vor, die stark ausgeprägt sei ([X.]). - 4 - Das [X.] hat auf den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten Erwachsenenstrafrecht angewandt. Eine Milderung nach §§ 21, 49 StGB hat der Tatrichter unter Bezugnahme auf [X.], 480 abgelehnt. Die Vor-aussetzungen des § 106 [X.] hat er verneint ([X.]). Eine [X.] gemäß §§ 23, 49 StGB hat er jedoch vorgenommen. 2. Die Versagung einer Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 StGB begegnet hier durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Tatrichter hat zwar erörtert, daß der Angeklagte auch seine bisherigen Straftaten unter [X.] begangen und gewußt habe, "daß er unter [X.] zu [X.] neige und Angst habe, irgendwann mal jemanden totzuschlagen" ([X.]). Die [X.] hat sich aber nicht damit auseinandergesetzt, ob dem Angeklagten der Alkoholkonsum uneingeschränkt vorwerfbar ist. Dies ist unter anderem dann nicht der Fall, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der die Alkoholaufnahme nicht als schulderhöhender Umstand zu werten ist, kann vorliegen, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zu übermäßigem Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt (vgl. u.a. [X.], [X.]. vom 17. Juni 2004 - 4 StR 54/04; [X.], [X.]. vom 27. Januar 2004 - 3 [X.] und [X.], [X.]. vom 9. Juli 2003 - 2 [X.] letzter Satz). Im Hinblick auf das festgestellte Alkoholabhängigkeitssyndrom, dessen Annahme hier auch die angegebene Abstinenzphase nicht entgegensteht ([X.]), drängte sich im vorliegenden Fall dem Tatrichter die Erörterung auf, ob dem Angeklagten der Alkoholkonsum uneingeschränkt vorgeworfen werden kann. Hierbei war zu berücksichtigen, daß beim Angeklagten eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vorliegt, die im Verhältnis zum bestehenden - 5 - Alkoholabhängigkeitssyndrom wesentlich schwerer wiegt. Gerade wenn im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB und bei der [X.] zu § 64 StGB darauf abgestellt wird, daß diese Störung ursächlich für das eher sekundäre Alkoholabhängigkeitssyndrom und deshalb geboten ist, in [X.] Linie die emotional instabile Persönlichkeitsstörung zu behandeln ([X.]), liegt nahe, daß dem Angeklagten sein Alkoholkonsum nicht uneinge-schränkt vorgeworfen werden kann, da er seine Persönlichkeitsstörung nicht zu verantworten hat. Der Senat kann nicht ausschließen, daß der Tatrichter bei rechtsfehler-freier Erörterung eine Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 StGB vorge-nommen hätte. Der Strafausspruch hat daher keinen Bestand. Dies führt hier auch zur Aufhebung der Unterbringungsanordnung gemäß § 63 StGB (die an sich rechtlich nicht zu beanstanden ist; vgl. u.a. [X.]St 44, 338), da diese un-trennbar mit den Feststellungen zum Strafausspruch verbunden ist, aus denen sich die Voraussetzungen der positiv festgestellten erheblich verminderten Schuldfähigkeit ergeben. Es kann dahinstehen, ob der Revision des Angeklag-ten entnommen werden kann, daß die Maßregel nach § 63 StGB vom [X.] ausgenommen sein soll, eine solche Beschränkung wäre - anders als bei § 64 StGB (vgl. [X.]St 38, 362, 363) - wegen der dargelegten engen Verknüpfung nicht wirksam (vgl. hierzu auch Senatsbeschluß vom 20. Septem-ber 2002 - 2 [X.]). Der Rechtsfehler bei der Erörterung der §§ 21, 49 StGB nötigt aber nicht zur Aufhebung auch des Schuldspruchs. Der Tatrichter hat - sachverständig beraten - die Annahme von Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB), insbesondere im Hinblick auf die gewonnene Überzeugung von einem Tatmotiv des Angeklag-ten ([X.]), rechtsfehlerfrei verneint. Der aufgezeigte [X.] - 6 - erstreckt sich nicht auf die Frage der Schuldunfähigkeit, welche bei der gege-benen Sachlage ohnehin auszuschließen ist. 3. Im Hinblick auf die Ausführung des Tatrichters zu § 106 [X.] weist der Senat darauf hin, daß eine unmittelbare Prüfung dieser Vorschrift, die eine "Sonderregelung zur Milderung der Rechtsfolgen" darstellt (vgl. [X.]St 31, 189, 191), nur dann geboten ist, wenn ansonsten eine lebenslange Freiheits-strafe verwirkt wäre. Da der Tatrichter hier eine - allerdings im Hinblick auf die Nähe zur Tatvollendung näher zu begründende - Milderung nach Versuchs-grundsätzen (§§ 23, 49 StGB) vorgenommen hat und deshalb zu einem Straf-rahmen von drei Jahren bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe gelangt ist, war die Prüfung einer Strafrahmenverschiebung nach § 106 [X.] entbehrlich. § 106 [X.] fordert eine stärkere Berücksichtigung des Resozialisierungsgedankens dadurch, daß auch bei grundsätzlich verwirkter lebenslanger Freiheitsstrafe bei einem Heranwachsenden geprüft werden muß, ob eine spätere Wiedereinglie-derung des [X.] erwartet werden kann. Ist aber lebenslange Freiheitsstrafe, zum Beispiel durch Strafrahmenverschiebungen - wobei bereits die einfache Milderung der lebenslangen Freiheitsstrafe gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB ei-nen gegenüber § 106 Abs. 1 [X.] wesentlich günstigeren Strafrahmen eröffnet - nicht verwirkt und deshalb eine spätere Wiedereingliederung ohnehin mög-lich, kann die Sonderregelung des § 106 [X.] nicht darüber hinaus zu einer Strafrahmenverschiebung führen. Soweit in der einschlägigen Literatur (vgl. u.a. [X.] [X.] 10. Aufl. § 106 Rdn. 3; [X.]/Dölling [X.] 11. Aufl. § 106 [X.] Rdn. 8; Ostendorf [X.] 4. Aufl. § 106 Rdn. 3; Die-mer/Schoreit/Sonnen [X.] 4. Aufl. § 106 Rdn. 10) für die Gegenmeinung die Entscheidungen des 1. Strafsenats vom 16. Juni 1959 - 1 StR 261/59 (= [X.] LM Nr. 10 zu § 105 [X.] = NJW 1959, 1500 nur Leitsatz) und des [X.] vom 19. August 1960 - 4 StR 182/60 (= [X.], 938) ange-- 7 - führt werden, so befassen sich diese nicht mit (einer weiteren Strafrahmenver-schiebung gemäß) § 106 [X.]. Wenn auch eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung nach § 106 [X.] nicht möglich ist, so hat der dieser Vorschrift zugrundeliegende allgemeine Gedanke auch Gültigkeit für die Bemessung zeitiger, insbesonderer längerer, Freiheitsstrafen (vgl. Senatsbeschluß vom 12. August 1994 - 2 StR 348/94 - Leitsatz in [X.], 609). Denn bei der Frage, ob gegen einen Heranwach-senden eine lange Freiheitsstrafe zu verhängen ist, sind die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben in der Gesellschaft zu erwarten sind, re-gelmäßig besonders eingehend zu prüfen (Senatsbeschluß aaO). Rissing-van Saan Ri[X.] Detter ist wegen Urlaubs- Maatz

abwesenheit an der Unterschrift

gehindert.

Rissing-van Saan

Rothfuß

Roggenbuck

Meta

2 StR 268/04

01.09.2004

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.09.2004, Az. 2 StR 268/04 (REWIS RS 2004, 1818)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 1818

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