Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.02.2011, Az. 4 StR 635/10

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 9244

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 635/10 vom 22. Februar 2011 in dem Sicherungsverfahren gegen - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: 1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] [X.]nthal ([X.]) vom 8. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg. 1 1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen den nicht vorbe-straften, an einer [X.] Schizophrenie leidenden Be-schuldigten sind vier in den Jahren 2009 und 2010 im Abstand von jeweils meh-reren Monaten begangene Straftaten: 2 (1) eine am 25. Februar 2009 während einer vom [X.] angeordneten Unterbringung im [X.]klinikum begangene vorsätzliche Körper-verletzung zum Nachteil eines mit dem Reinigen des Bodens befassten [X.], 3 - 3 - (2) eine am 14. Juli 2009 zum Nachteil seines Betreuers begangene ver-suchte Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, 4 (3) eine am 14. Januar 2010 zum Nachteil seines Betreuers begangene Bedrohung, die dieser allerdings nicht ernst nahm, und 5 (4) Beleidigungen zweier Mitarbeiterinnen seines Betreuers am 23. März 2010, wobei die Kammer bezüglich einer vom Beschuldigten zudem begange-nen versuchten Körperverletzung einen strafbefreienden Rücktritt angenommen hat. 6 Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sich die [X.] den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wo-nach damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte auch künftig gleich gelagerte Straftaten begehen werde, "eine Steigerung von Gewalt über das bekannte Maß hinaus" sei aber nicht zu erwarten ([X.]). 7 2. Diese Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht. 8 a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine au-ßerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet wer-den, wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Ta-ten begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die [X.] selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechts-friedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren [X.] zuzuordnen sein (vgl. [X.], Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 9 - 4 - 6/08; vom 16. Juli 2008 - 2 [X.] jeweils mwN). Die lediglich latente Ge-fahr oder bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus ([X.], [X.] vom 10. September 2008 - 2 [X.], vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, [X.], 198). b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die [X.] nicht be-legt. 10 aa) Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an ([X.], Beschluss vom 3. April 2008 - 1 [X.], Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 [X.], [X.], 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen ([X.], Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 [X.], Beschlüsse vom 3. April 2008 - 1 [X.], vom 10. August 2010 - 3 [X.]). Todesdrohungen gehö-ren hierzu indes nur, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe lie-gende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen ([X.], Beschluss vom 3. April 2008 - 1 [X.], Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 [X.], [X.], 563, 564, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 5 [X.], [X.], 383; vgl. auch [X.], Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 [X.]). Die Gefahr bloßer Beleidigungen ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen. 11 - 5 - bb) Auf dieser Grundlage vermag allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte künftig den [X.] gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die [X.] nicht zu begründen. 12 Soweit die Kammer auf die Möglichkeit tätlicher Auseinandersetzungen während einer Unterbringung abstellt, handelt es sich zwar für sich betrachtet um gewichtige Straftaten. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht ([X.], Beschluss vom 16. Juli 2008 - 2 [X.] mwN). Dies gilt jedenfalls, wenn - wozu indes in dem angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen - es um das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachten gegenüber dem im Um-gang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenem oder geschultem Personal geht. Aggressives Verhalten in diesem Bereich ist nicht gleichzuset-zen mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen [X.] oder dem Täter nahe stehenden Personen. Solche Taten verlangen daher - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster [X.] zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel ([X.], Urteil vom 22. Januar 1998 - 4 StR 354/97, [X.], 405). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Ausnahme der [X.] vom 25. [X.] 2009 bisher durch vergleichbare Taten ersichtlich noch nicht in Erschei-nung getreten ist, obwohl er seit dem [X.] vielfach stationär in psychiatri-schen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste (vgl. [X.], Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, [X.], 198). 13 Auch zu erwartende Taten nach der Art und Intensität der zum Nachteil seines Betreuers oder dessen Mitarbeiter begangenen Taten sind nicht ohne 14 - 6 - weiteres geeignet, die Unterbringung des Beschuldigten zu rechtfertigen. Sie wurden von ihm jeweils in einer aus seiner Sicht besonderen Situation began-gen (vor der Tat vom 14. Juli 2009 hatte der Betreuer die Bitte des [X.] nach Geld abgelehnt; vor der Tat vom 14. Januar 2010 hatte sich der Be-schuldigte aus seiner Wohnung ausgesperrt und seinen Betreuer gebeten, ei-nen Schlüsseldienst zu verständigen, was dieser ebenfalls ablehnte). Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte bei diesen Taten zunächst nur verbal-aggressiv verhalten hat, er bei Einschreiten dritter Personen von [X.] absah oder abgebracht werden konnte und sich beruhigen ließ (vgl. [X.], Beschluss vom 23. November 2010 - 5 [X.]). Insgesamt vermögen die vom Beschuldigten begangenen und drohen-den Taten, die zudem in ihrer Intensität und Gefährlichkeit jedenfalls keine Stei-gerung erfuhren, die außerordentlich schwere Maßregel des § 63 StGB nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einem von den Straftaten her ähnlich gelagerten, jedoch ein Nachbarschaftsverhältnis betreffenden Fall [X.], Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschuldigte "als Opfer eines weit verzweigten Komplotts aus Ärzten, Betreuern, Polizei und Nachbarschaft" ([X.]) sieht, gegenüber denen es indes nach den Feststellungen der [X.] bislang ersichtlich nur in seltenen - den oben wiedergegebenen - Fällen zu Aggressionsdurchbrüchen kam. 15 3. An einer das Sicherungsverfahren abschließenden Entscheidung und einer Aufhebung des Unterbringungsbefehls ist der Senat jedoch gehindert; denn es ist nicht auszuschließen, dass weitere Feststellungen die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen können. Die [X.] hat es insbesondere unterlassen, nähere Feststellungen zu 16 - 7 - den Taten zu treffen, die Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen be-trafen und entweder "auf den [X.] verwiesen oder nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise wegen Schuldunfähgkeit eingestellt" wurden ([X.], 5). Auch zu dem vom Sachverständigen in Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose erwähnten Einsatz eines Messers ([X.]) verhält sich das Urteil nicht weiter. [X.] [X.][X.] Mutzbauer

Meta

4 StR 635/10

22.02.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.02.2011, Az. 4 StR 635/10 (REWIS RS 2011, 9244)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9244

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 635/10 (Bundesgerichtshof)

Sicherungsverfahren: Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus; Erheblichkeit der …


4 StR 81/12 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Erheblichkeit zu erwartender Gewalt- und Aggressionsdelikte


4 StR 81/12 (Bundesgerichtshof)


3 StR 25/22 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Begriff der Straftat von erheblicher Bedeutung; Nachstellung als geeignete Anlasstat


2 Ws 405/16 (Oberlandesgericht Köln)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

4 StR 635/10

5 StR 209/10

5 StR 492/10

5 StR 256/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.