Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 05.06.2019, Az. 6 C 2/19, 6 C 2/19 (6 C 7/13)

6. Senat | REWIS RS 2019, 6580

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Gegenstand

Automatisierte Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen; bayerisches Polizeirecht


Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Unterlassung automatisierter [X.] nach [X.] Polizeirecht.

2

Der Kläger ist mit seiner vorbeugenden Unterlassungsklage vor dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof erfolglos geblieben. Der erkennende [X.] hat seine Revision gegen das Berufungsurteil des Verwaltungsgerichtshofs mit Urteil vom 22. Oktober 2014 - 6 C 7.13 [[X.]:[X.]:[X.]] - ([X.] 402.41 [X.]) zurückgewiesen. Der [X.] hat die Klage als zulässig, aber unbegründet erachtet.

3

Zum Zeitpunkt der Entscheidung des [X.]s nahm der Beklagte die streitigen [X.] auf der Grundlage von Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 sowie Art. 38 Abs. 3 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der [X.] (Polizeiaufgabengesetz - [X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990 ([X.]), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl [X.]) vor (im Folgenden: [X.] a.F.).

4

Der Kläger hat gegen das Urteil des erkennenden [X.]s und die vorinstanzlichen Entscheidungen Verfassungsbeschwerde eingelegt.

5

Während des Verlaufs des Verfahrens vor dem [X.] sind die landesgesetzlichen Grundlagen der streitigen [X.] wie folgt geändert worden: Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 [X.] ist durch Gesetz vom 23. November 2015 (GVBl S. 410) redaktionell einer Änderung des [X.] Versammlungsrechts angepasst worden. Die Vorschriften des Art. 13 Abs. 1 [X.] und des Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 [X.] sind durch Gesetze vom 13. Dezember 2016 ([X.]) und vom 24. Juli 2017 ([X.]) erweitert worden. Die Bestimmungen in Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 und Art. 38 Abs. 3 [X.] sind durch das [X.] [X.] Polizeirechts ([X.] - Neuordnungsgesetz) vom 18. Mai 2018 (GVBl S. 301) in einem neuen Art. 39 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 bis 3 [X.] bei geringfügigen redaktionellen Änderungen im Wesentlichen wortlautidentisch zusammengeführt worden (im Folgenden: [X.] n.F.).

6

Das [X.] hat auf die Verfassungsbeschwerde des [X.] mit Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 1 BvR 142/15 - (NVwZ 2019, 827) unter Nr. 1 Buchst. a der [X.]. 33 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 [X.] a.F. sowie Art. 39 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 [X.] n.F. für mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG wegen Verstoßes gegen Art. 71 und 73 Abs. 1 Nr. 5 GG unvereinbar und nichtig erklärt, soweit die Vorschriften die Kraftfahrzeugkennzeichenerfassung zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze vorsehen. Das [X.] hat zudem unter Nr. 1 Buchst. b der [X.] Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 [X.] a.F. und die nachfolgenden Fassungen der Vorschrift für mit Art. 71 und Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG unvereinbar und nichtig erklärt, soweit die Norm die Identitätsfeststellung zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze vorsieht.

7

Unter [X.] Buchst. a der [X.] hat das [X.] Art. 33 Abs. 2 Satz 2 bis 5 [X.] a.F. sowie Art. 39 Abs. 1 [X.] n.F. für mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt, soweit die Vorschriften die Kraftfahrzeugkennzeichenerfassung nach Maßgabe des Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 [X.] a.F. und der nachfolgenden Fassungen der Norm nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichen Gewicht beschränken, soweit sie die Kraftfahrzeugkennzeichenerfassung nach Maßgabe des Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 [X.] a.F. und der nachfolgenden Fassungen der Norm uneingeschränkt für "Durchgangsstraßen (<...> andere Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr)" vorsehen und soweit sie keine Pflicht zur Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen für die Durchführung der [X.] vorsehen. Das [X.] hat zudem unter [X.] Buchst. b der [X.] Art. 38 Abs. 3 Satz 2 [X.] a.F. sowie Art. 39 Abs. 3 Satz 2 [X.] n.F. für mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt, soweit die Vorschriften die Verarbeitung der Kennzeichen zu weiteren Zwecken nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht oder sonst einem vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesse beschränken.

8

Unter Nr. 3 der [X.] hat das [X.] entschieden, dass die unter [X.] der [X.] angeführten Vorschriften in ihrer (neuen) Fassung vom 18. Mai 2018 bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Dezember 2019, nach Maßgabe der Gründe seines Beschlusses weiter anwendbar bleiben.

9

Unter Nr. 4 der [X.] hat das [X.] festgestellt, dass das Urteil des erkennenden [X.]s vom 22. Oktober 2014 und die Entscheidungen der Vorinstanzen den Kläger in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzen. Es hat das Urteil des erkennenden [X.]s aufgehoben und die Sache an das [X.] zurückverwiesen.

Unter Nr. 5 der [X.] hat das [X.] die Verfassungsbeschwerde des [X.] im Übrigen zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Der [X.] entscheidet über die Revision im Einverständnis mit den Beteiligten nach § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne (weitere) mündliche Verhandlung.

1. Die zulässige Revision ist begründet, soweit der [X.]hof die Berufung des [X.] gegen das klageabweisende Urteil des [X.] insofern zurückgewiesen hat, als sich die zulässige vorbeugende Unterlassungsklage, mit der sich der Kläger gegen automatisierte [X.] der auf ihn zugelassenen [X.]fahrzeuge durch den Beklagten wendet, auf die Erfassung von Kennzeichen und den Abgleich mit polizeilichen Daten zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze bezieht. Das Berufungsurteil beruht in diesem Umfang auf einer Verletzung von Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, weil das [X.] Polizeirecht, indem es automatisierte [X.] auch zu diesem Zweck erlaubt, nach dem Beschluss des [X.] vom 18. Dezember 2018 - 1 BvR 142/15 [[X.]:[X.]:BVerfG:2018:rs:20181218.1bvr014215] - (NVwZ 2019, 827) in dem unter [X.] umschriebenen Umfang grundgesetzwidrig und nichtig ist. Diesem Beschluss kommt Bindungswirkung gemäß § 31 Abs. 1 [X.] und Gesetzeskraft nach § 31 Abs. 2 Satz 2 [X.] zu. Der [X.] kann diesbezüglich gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO in der Sache selbst entscheiden.

2. Im Übrigen ist die Revision unbegründet und nach § 144 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Die automatisierte [X.] erlaubenden, nicht dem [X.] unterfallenden Bestimmungen des [X.]n Polizeirechts sind zwar nach den unter [X.] dargelegten Maßgaben des bindenden und mit Gesetzeskraft versehenen Beschlusses des [X.] vom 18. Dezember 2018 zum Teil mit dem Grundgesetz unvereinbar, bleiben jedoch auch insoweit - in ihrer Fassung vom 18. Mai 2018 - bis zu einer Neuregelung durch den Landesgesetzgeber, längstens bis zum 31. Dezember 2019 weiter anwendbar. Eine Neuregelung ist noch nicht in [X.] getreten und die genannte Frist ist noch nicht abgelaufen. Bedenken im Hinblick auf den Vollzug dieser Vorschriften und der übrigen hier einschlägigen, mit der Verfassung vereinbaren Normen bestehen nicht. In dieser Hinsicht wird auf die Ausführungen einschließlich der bindenden Feststellungen in dem Urteil des [X.]hofs ([X.] Rn. 126 ff.) verwiesen.

3. [X.] folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Meta

6 C 2/19, 6 C 2/19 (6 C 7/13)

05.06.2019

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 17. Dezember 2012, Az: 10 BV 09.2641, Urteil

Art 2 Abs 1 GG, Art 1 Abs 1 GG, § 31 Abs 1 BVerfGG, § 31 Abs 2 S 2 BVerfGG, Art 33 Abs 2 S 2 PolAufgG BY vom 11.12.2011, Art 33 Abs 2 S 3 PolAufgG BY vom 11.12.2011, Art 33 Abs 2 S 4 PolAufgG BY vom 11.12.2011, Art 33 Abs 2 S 5 PolAufgG BY vom 11.12.2011, Art 39 Abs 1 PolAufgG BY vom 18.05.2018

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 05.06.2019, Az. 6 C 2/19, 6 C 2/19 (6 C 7/13) (REWIS RS 2019, 6580)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 6580

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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