Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.03.2011, Az. X B 7/11

10. Senat | REWIS RS 2011, 8398

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Gegenstand

(Überzeugungsbildung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens - Verfahrensmangel - Absehen von weiterer Begründung auch für Verfahren nach § 116 Abs. 6 FGO)


Leitsatz

NV: Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO muss das FG seine Überzeugung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens bilden, also den gesamten konkretisierten Prozessstoff zugrunde legen. Insbesondere muss es den Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Beteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei berücksichtigen .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte in den Jahren 1997 bis 2000 u.a. Einkünfte aus einem Imbissbetrieb. Bei einer Außenprüfung für die Jahre 1997 bis 2000 konnte er keine ordnungsgemäße Buchführung vorlegen. Deshalb schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Da für die Streitjahre nur Eingangsrechnungen im Wert zwischen ca. 5.000 [X.] und 9.500 [X.] jährlich aufgefunden werden konnten, legte das [X.] seiner Schätzung der jährlichen [X.] der Streitjahre die Daten des Jahres 1995 (50.000 [X.]) zugrunde und ermittelte mit Hilfe der amtlichen Richtsatzsammlung jährliche Umsätze in Höhe von 130.000 [X.] bzw. 135.000 [X.]. Den Gewinn schätzte es auf 40 % des [X.] (52.000 [X.] bzw. 54.000 [X.]).

2

Das Finanzgericht ([X.]) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage teilweise statt. Die für 1995 ermittelten [X.] seien als [X.] für die Streitjahre nicht geeignet, da sich die Art des Imbissbetriebs des [X.] geändert habe. Stattdessen seien einer zutreffenden Schätzung die Feststellungen der Außenprüfung zugrunde zu legen, wonach in den Jahren 1997 bis 1999 Einkäufe im Wert von monatlich 5.000 [X.] bis 9.500 [X.] durch Rechnungen belegt seien. Andere Anhaltspunkte für eine Schätzung seien nicht greifbar. Das Gericht mache von seiner eigenen Schätzungsbefugnis Gebrauch und gehe aufgrund der durch die Außenprüfung festgestellten Daten von monatlichen Einkäufen des [X.] in Höhe von 6.000 [X.] aus. Der vom [X.] verwendete [X.] sei angemessen und auch das Gericht schätze den Gewinn auf 40 % der Umsätze, also auf 74.880 [X.]. Für 1997 sei zu berücksichtigen, dass der Kläger seinen Imbissbetrieb erst im Mai eröffnet habe und deshalb unter Einbeziehung einer kurzen Anlaufphase davon auszugehen sei, dass in diesem Jahr nur die Hälfte der Umsätze und des Gewinns erzielt worden seien.

3

Die Revision ließ das [X.] nicht zu.

4

Mit der vorliegenden Beschwerde beantragt der Kläger die Zulassung der Revision. Das [X.]-Urteil beruhe auf einem Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten (§ 96 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) und damit auf einem Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O). Völlig überraschend und im Widerspruch zu den Feststellungen der Außenprüfung unterstelle das [X.] in den Jahren 1997 bis 1999 einen monatlichen Wareneinkauf von 5.000 [X.] bis 9.500 [X.]. Wäre dem Kläger hierzu rechtliches Gehör gewährt worden, hätte dieser den Irrtum des [X.] unter Hinweis auf den Prüfungsbericht aufklären können. Das Urteil beruhe auch auf diesem Irrtum, denn das Gericht bezeichne selbst die aufgefundenen Wareneingangsrechnungen der Jahre 1997 bis 1999 als alleinig zutreffende Schätzungsgrundlage. Von der Außenprüfung sei unstreitig ein monatlicher Wareneinkauf in Höhe von 418,24 [X.] (1997; = 1/12 von 5.018,85 [X.]), 798,05 [X.] (1998; = 1/12 von 9.576,65 [X.]) und 627,59 [X.] (1999; = 1/12 von 7.531,07 [X.]) festgestellt worden. [X.] man diese Feststellung als den nach Ansicht des [X.] allein in Betracht kommenden [X.] an, würden sich bei dem vom Gericht verwendeten [X.]ssatz von 160 % Bruttojahresumsätze in Höhe von 8.030,16 [X.] (1997), 15.322,64 [X.] (1998), 12.049,71 [X.] (1999) und 22.098,30 [X.] (2000) ergeben. Diese Werte lägen deutlich unter den durch das Gericht geschätzten Beträgen.

5

Das [X.] beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit gemäß § 116 Abs. 6 [X.]O zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Zutreffend trage der Kläger vor, dass die Außenprüfung von jährlichen [X.]n ausgegangen sei, die das [X.] als monatliche Einkäufe seiner Schätzung zugrunde gelegt habe.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 [X.]O), weil es auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O beruht.

7

1. Im angefochtenen Urteil hat das [X.] bei seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens berücksichtigt.

8

a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O hat das [X.] seine Überzeugung nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden, also den gesamten konkretisierten Prozessstoff zugrunde zu legen. Insbesondere muss das [X.] den Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Beteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei berücksichtigen (vgl. im Einzelnen Beschluss des [X.] --BFH-- vom 14. Dezember 2006 [X.], [X.] 2007, 741, unter [X.] der Gründe). § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O ist allerdings nur verletzt, wenn das [X.] seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der dem schriftlich festgehaltenen Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht oder wenn eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt geblieben ist. Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O ist ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O (vgl. [X.] vom 21. Februar 2006 [X.]/05, [X.] 2006, 975, m.w.N.; vom 7. April 2005 IX B 194/03, [X.] 2005, 1354).

9

b) Im Streitfall liegt ein derartiger Verfahrensverstoß vor, auf dem auch das angefochtene Urteil des [X.] beruht. Nach Auffassung des Gerichts konnten nur die von der Außenprüfung aufgefundenen Wareneingangsrechnungen der Jahre 1997 bis 1999 die alleinig zutreffende Schätzungsgrundlage für die Umsätze der Streitjahre sein. Entgegen dem eindeutigen Inhalt der Akten hat es jedoch in den Jahren 1997 bis 1999 einen monatlichen Wareneinkauf von 5.000 DM bis 9.500 DM unterstellt, obwohl sich diese Beträge --worauf der Kläger, aber auch das [X.] zutreffend hinweisen-- eindeutig auf die jährlichen Einkäufe des [X.] für seinen Imbissbetrieb beziehen.

2. Der Senat hält es für sachgerecht, die Vorentscheidung nach § 116 Abs. 6 [X.]O aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

3. Da das [X.] den [X.] 1997 auf Null DM reduziert hat, geht der beschließende Senat zugunsten des [X.] davon aus, dass insoweit kein Rechtsmittel gegen das [X.]-Urteil eingelegt wurde.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

5. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O abgesehen, der auch für das Verfahren nach § 116 Abs. 6 [X.]O Anwendung findet (vgl. [X.] vom 6. Juni 2007 [X.], [X.] 2007, 1910, m.w.N.).

Meta

X B 7/11

22.03.2011

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 26. Oktober 2010, Az: 16 K 5177/07 E,G,U,F, Urteil

§ 96 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 116 Abs 5 S 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.03.2011, Az. X B 7/11 (REWIS RS 2011, 8398)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8398

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