Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.06.2004, Az. IV ZB 9/04

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2004, 2710

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS IV ZB 9/04
vom 23. Juni 2004 in dem Rechtsstreit

- 2 -

[X.] hat durch den [X.], [X.], [X.], die Richterin Dr. Kessal-Wulf und [X.]

am 23. Juni 2004

beschlossen:
1. Unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen
wird auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin der [X.] des 19. Zivilsenats des [X.] vom 4. Februar 2004 aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 29. Juli 2003 als unzulässig [X.] worden ist.
2. Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Ent-scheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht [X.].
3. Streitwert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 340.441,50 •

- 3 -

Gründe:

[X.] Unter Abweisung der Widerklage im übrigen hat das [X.] die Klägerin zur Zahlung von 340.441,50 • verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte und [X.] fristgerecht Berufung eingelegt und diese - eingehend am 3. November 2003 - auch fristgerecht begründet. Die Klägerin hat gegen das ihr am 5. August 2003 zugestellte Urteil am 29. August 2003 "selbständige Anschlussberufung" eingelegt, sodann Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum 6. November 2003 beantragt, die ihr gewährt worden ist.

Mit Schriftsatz vom 6. November 2003, der bei Gericht erst am 7. November 2003 eingegangen ist, hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ihre Berufung begründet. Die Berufungsbegründung endet mit folgendem Zusatz:
"V. Da die Berufungsbegründung dem [X.] nach Ablauf der verlängerten Frist zugegangen ist, stelle ich klar, dass die Berufung als unselbständige Anschluss-berufung aufrecht erhalten bleibt."
Mit am 20. November 2003 beim [X.] eingegange-nem Schriftsatz hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin für diese Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.] beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe am letzten [X.] kurz nach 23.00 Uhr von seiner in der Rechtsanwaltskanzlei mitarbeitenden Ehefrau die vierte Fassung des Entwurfs der Berufungsbegründung als [X.] vorgelegt bekommen. Er habe sodann bis 23.15 Uhr noch kleine Änderungen dik-- 4 -

tiert, unter anderem eine geringfügig andere Anordnung eines Absatzes auf Seite 20 des Schriftsatzes, die Aufhebung einer Absatztrennung auf Seite 14 und eine Änderung der Position eines Geldbetrages von Sei-te 20 auf Seite 22. Gegen 23.35 Uhr habe er die vermeintliche Endfas-sung der Berufungsbegründung dem [X.] per Telefax übermitteln wollen, dabei jedoch festgestellt, daß ganze Textteile ge-fehlt hätten. Beim Versuch, die Endfassung des Textes im Computer aufzurufen, habe sich gezeigt, daß wesentliche Teile des Textes ver-schwunden gewesen seien. Seine Ehefrau müsse vergessen haben, die Änderungen und Ergänzungen auf der Festplatte abzuspeichern. [X.] habe die Endfassung der Berufungsbegründung erst nach Mitter-nacht erstellt werden können.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das [X.] das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung der Kläge-rin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Auslegung der von der Klägerin im Zuge des Berufungsverfahrens ab-gegebenen Erklärungen ergebe, daß sie mit ihrer selbständigen An-schlußberufung eine selbständige Berufung habe einlegen wollen. Als solche sei das Rechtsmittel verspätet begründet und mithin unzulässig. Das Wiedereinsetzungsgesuch bleibe erfolglos, weil den [X.] der Klägerin ein Verschulden an der Versäumung der Beru-fungsbegründungsfrist treffe. Da er die Frist voll ausgeschöpft habe, habe ihn eine erhöhte Sorgfaltspflicht getroffen. Es sei ihm insoweit möglich und zuzumuten gewesen, in der gegebenen Situation die weni-gen Änderungen, soweit sie angesichts der ablaufenden Frist nicht oh-nehin verzichtbar gewesen seien, auf der ihm als Ausdruck vorgelegten vierten Fassung des Entwurfs der Berufungsbegründung handschriftlich - 5 -

zu ergänzen und den so ergänzten Schriftsatz sodann per Fax an das [X.] zu versenden.

I[X.] Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Klägerin hat teilweise Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlus-ses, soweit die Berufung als unzulässig verworfen worden ist.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 in Verbin-dung mit §§ 522 Abs. 1 Satz 4 und 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] er-fordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

2. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.] zurückgewiesen. Denn der [X.] der Klägerin, dessen Verhalten ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzu-rechnen ist, war hier nicht ohne sein Verschulden daran gehindert, die Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Zwar darf eine [X.] eine Frist grund-sätzlich bis zum Ablauf (24.00 Uhr) des letzten Tages ausnutzen. Sie hat in diesem Falle jedoch erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Ein-haltung der Frist sicherzustellen ([X.], Beschluß vom 23. April 1998 - [X.] - NJW 1998, 2677 unter II m.w.[X.]; vgl. auch [X.], Beschluß vom 9. November 2001 - 15 ZB 01.30255 - veröffentlicht in [X.]; [X.] 1991, 753).

Diese besonderen Anforderungen hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin nicht beachtet. Denn es wäre ihm möglich und zumutbar - 6 -

gewesen, die am letzten [X.] um kurz nach 23.00 Uhr vorge-legte, ausgedruckte Fassung des vierten (und letzten) Entwurfs der [X.]sbegründung heranzuziehen, um rechtzeitig vor Fristablauf die Berufungsbegründung per Telefax an das Berufungsgericht zu [X.]. Nach seinem Vorbringen hat er spätestens um 23.40 Uhr entdeckt, daß die vermeintliche Endfassung der Berufungsbegründung erhebliche Lücken enthielt, die vermutlich auf einem Fehler seiner Ehefrau beim Abspeichern des Textes beruhten. In dieser Situation war es ihm [X.], die lediglich marginalen Änderungen, die er im Anschluß an die Vorlage der vierten Fassung des Entwurfs noch diktiert hatte, hand-schriftlich in den Ausdruck einzufügen, um diesen sodann zu unter-zeichnen und per Telefax zu versenden (vgl. dazu auch [X.], [X.], 165). Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall we-sentlich von solchen Fällen, in denen es infolge einer Computerpanne kurz vor Fristablauf gänzlich unmöglich wird, einen Text rechtzeitig zu erstellen ([X.] NJW-RR 2003, 1439 f.) oder in denen ein defektes Faxgerät die rechtzeitige Übermittlung unmöglich macht ([X.], [X.] vom 20. Februar 2003 - [X.]/02 - NJW-RR 2003, 861 f.).

Soweit die Rechtsbeschwerde einwendet, grundsätzlich bestimme allein der Rechtsanwalt, wann er eine Rechtsmittelbegründung als fer-tiggestellt ansehe, der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin müsse sich deshalb nicht auf handschriftliche Änderungen und Ergänzungen ver-weisen lassen, verkennt sie die Bedeutung der Berufungsbegründungs-frist. Es entspricht nicht den erhöhten Anforderungen an die bei der Fristwahrung aufzubringende Sorgfalt, wenn der Prozeßbevollmächtigte wegen nur geringfügigen Textveränderungen die [X.] 7 -

dungsfrist verstreichen läßt, um statt dessen auf eine Wiedereinsetzung zu vertrauen.

3. Steht somit zwar fest, daß die Klägerin die [X.] versäumt hat, kann dennoch die Verwerfung ihrer Berufung als unzulässig keinen Bestand haben.

a) Die Klägerin hatte ihr Rechtsmittel ursprünglich als selbständige Anschlußberufung bezeichnet und dabei übersehen, daß diese früher in § 522 Abs. 2 ZPO a.F. geregelte Form der Anschlußberufung dem [X.] fremd ist ([X.], Beschluß vom 30. April 2003 - [X.] 2003, 1356 = NJW 2003, 2388 unter II 2 a; BT-Drucks. 14/4722 [X.]). Der [X.] hat nach neuem Recht zwei Möglichkeiten. Er kann sich entweder der Berufung des Gegners anschließen (§ 524 ZPO) oder, falls die Voraussetzungen des § 511 ZPO gegeben sind, selbständig Berufung einlegen. Nur im ersten Fall verliert die Berufung ihre Wirkung, wenn der Gegner sein Rechtsmittel zurücknimmt (§ 524 Abs. 4 ZPO). Wird hingegen eine selbständige [X.] eingelegt, bleibt diese vom Schicksal der gegnerischen Berufung unabhängig. Für sie laufen eigenständige Fristen zur Einlegung (§ 517 ZPO) und Begründung (§ 520 Abs. 2 ZPO). Welche Möglichkeit der [X.] wählt, steht grundsätzlich in seinem Belieben. Erst wenn die Fristen zur Einlegung oder Begründung der selbständigen [X.] verstrichen sind, ist er - im Rahmen der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO - auf die Anschlußberufung beschränkt ([X.] aaO). Daß er sich grundsätzlich zwischen den beiden genannten Möglichkeiten der Berufung entscheiden muß, schließt es nicht aus, die Anschlußberufung - 8 -

für den Fall zu erklären, daß die Zulässigkeitsvoraussetzungen der selbständigen Berufung nicht erfüllt sind.

b) Hat - wie hier - der [X.] innerhalb der [X.] ein als selbständige Anschlußberufung bezeichnetes Rechtsmittel einlegt, so ist durch Auslegung seiner prozessualen Erklärungen zu [X.], für welche der genannten Möglichkeiten er sich entscheiden will ([X.] aaO unter [X.]). Das Berufungsgericht hat wegen der Anträge der Klägerin auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO und wegen des nachfolgenden Wiedereinsetzungs-gesuchs angenommen, der Klägerin sei es darum gegangen, eine selb-ständige Berufung durchzuführen.

Das ist zwar richtig. Das Berufungsgericht hat dabei aber erkenn-bar übersehen, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin im letzten Absatz des [X.] selbst auf dessen [X.] Eingang hingewiesen und aus diesem Grunde klargestellt hat, daß die Berufung nunmehr als unselbständige Anschlußberufung auf-recht erhalten werden solle. Die Klägerin hat damit von der in § 524 ZPO geregelten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO für die Anschlußerklärung hatte hier erst am 5. November 2003 zu laufen begonnen.

c) Selbst wenn die Klägerin ungeachtet der Anschlußerklärung vor-rangig weiterhin eine selbständige Berufung angestrebt hat, worauf ins-besondere das nachträgliche Wiedereinsetzungsgesuch gegen die [X.] der Berufungsbegründungsfrist hindeutet, ist die [X.] jedenfalls dahin zu verstehen, daß sie für den Fall der [X.] 9 -

sung des [X.] erklärt ist. Deshalb durfte die [X.] der Klägerin nicht verworfen werden.

[X.] eine [X.] gegen eine bestimmte Entscheidung mehrfach [X.] ein, handelt es sich um dasselbe Rechtsmittel; ihr Begehren richtet sich im Ergebnis nur auf eine sachliche Überprüfung des [X.] Urteils. Daher ist über das Rechtsmittel nach ständiger Rechtsprechung einheitlich zu entscheiden ([X.], Beschluß vom 2. Juli 1996 - [X.] - NJW 1996, 2659 unter 2 c). Das gilt auch dann, wenn der [X.] sowohl eine selbständige Berufung einlegt als auch eine Anschlußerklärung nach § 524 ZPO abgibt. Entspricht die zunächst eingelegte Berufung den förmlichen Anforderungen des [X.] nicht, darf sie daher auch nicht gesondert als unzulässig verwor-fen werden ([X.] aaO m.w.[X.]).

Hier liegt zwar eine - aus den oben genannten Gründen - unzuläs-sige selbständige Berufung vor. Sie durfte aber nicht verworfen werden, solange es möglich blieb (und bleibt), sie als unselbständige Anschluß-berufung zu behandeln (vgl. [X.] aaO m.w.[X.]; [X.], Beschluß vom 26. Oktober 1999 - [X.] - [X.], 730 m.w.[X.]). - 10 -

Die Sache war deshalb nach Aufhebung der Berufungsverwerfung zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens an das Berufungsgericht [X.] zu verweisen.

[X.] [X.] [X.]

Dr. [X.]

[X.]

Meta

IV ZB 9/04

23.06.2004

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.06.2004, Az. IV ZB 9/04 (REWIS RS 2004, 2710)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 2710

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