Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.10.2012, Az. II ZR 239/11

II. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 2288

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
II ZR 239/11
Verkündet am:
16. Oktober 2012
Stoll
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 709 Abs. 2; HGB §§ 105, 161
Sieht der [X.]svertrag einer Publikumspersonengesellschaft für [X.], zu denen auch Änderungen des [X.] gehören, eine qualifizierte Mehrheit von ¾ der anwesenden Stimmen vor und bestimmt er außerdem, dass für diese Beschlussgegenstände bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine höhere Mehrheit erforderlich ist, kann die Regelung über die höheren [X.] grundsätzlich mit ¾-Mehrheit aufgehoben werden, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung die Voraussetzungen für ihre Anwendbarkeit nicht erfüllt sind und sich dem Ge-sellschaftsvertrag auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen lässt, dass die Aufhebung der höheren [X.] auch dann nur mit diesen höheren Mehrheiten möglich sein soll, wenn die Voraussetzungen, an die der [X.]svertrag ihre Geltung knüpft, nicht gegeben sind.
[X.], Urteil vom 16. Oktober 2012 -
II ZR 239/11 -
KG

[X.]

-
2 -

Der I[X.] Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 16.
Oktober 2012 durch [X.]
Dr.
Bergmann,
[X.]
Strohn, die Richterin Dr.
Reichart
sowie
die Richter Dr.
Drescher und Born

für Recht erkannt:
Die Revision des [X.] gegen das Urteil des 23. Zivilsenats des [X.] vom
26. September 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der durch die Nebenintervention entstandenen Kosten zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist als unmittelbarer [X.]er
mit einem Kommanditan-teil von 150.000 DM

der [X.], einem geschlossenen Im-mobilienfonds in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, beteiligt.
Die Nebenintervenientin ist geschäftsführende Kommanditistin und wie die beiden Komplementäre allein zur Vertretung der [X.]
berechtigt
und verpflichtet.
Der [X.]svertrag (künftig: [X.]) enthält in §§ 16, 17 zur [X.] unter anderem folgende Regelungen:
1
2
-
3 -

§ 16 Gegenstand der [X.]erversammlung
1.
Die [X.]erversammlung ist insbesondere für folgende
[X.]en zuständig:

f)
Änderungen des [X.]svertrages

2.
Soweit Beschlüsse nach Abs.1 lit. a), c), f), g), j), k)
und l) gefasst wer-den, bedarf es einer ¾-Mehrheit der anwesenden Stimmen. Sind 75 % aller Stimmen auf fünf oder weniger Personen vereinigt, tritt an die Stel-le der ¾-Mehrheit
die 9/10-Mehrheit. Sind 90 % oder mehr aller Stimmen auf fünf oder weniger Personen vereinigt, sind die vorgenannten [X.] einstimmig zu fassen.

§ 17 Beschlussfassung

1.
Die Beschlüsse können in [X.]erversammlungen oder im Wege der schriftlichen Abstimmung gefasst werden.

2.

3.
Beschlüsse bedürfen grundsätzlich der einfachen Mehrheit der abge-gebenen Stimmen, sofern nicht in diesem Vertrag oder durch Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

7.

Klage, die gegen die [X.] zu richten ist, geltend gemacht wer-

§ 9 [X.] lautet:
§ 9 [X.]skonzept, Beleihungsrichtlinien

1.
Diesem [X.]szweck ist eine Wirtschaftlichkeitsberechnung zu-r-e-schlüsse fasst, die zu einer wesentlichen Abweichung von dieser Wirt-schaftlichkeitsberechnung führen, bedarf ein solcher Beschluss der in §
16 Abs. 2 beschriebenen Mehrheit.

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-
4 -

In der [X.]erversammlung vom 11. März 2010 beschlossen die [X.]er
mit der in § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestimmten 3/4-Mehrheit, § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] ersatzlos aufzuheben. Die Voraussetzungen, unter de-nen diese Bestimmungen für eine Beschlussfassung über die in Satz 1 genann-ten Beschlussgegenstände höhere [X.] aufstellen, lagen zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht vor.
Der Kläger hat beantragt, die Unwirksamkeit der Beschlüsse festzustel-len.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelas-sene Revision des [X.], mit der er seine erstinstanzlichen Anträge auf Fest-stellung der Unwirksamkeit der Beschlüsse weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des [X.] hat keinen Erfolg.
[X.] Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Die in der [X.]erversammlung vom 11. März 2010 gefassten [X.] seien formell wirksam zustande gekommen und materiell wirksam.
Die
Beschlüsse über die Aufhebung des § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] hätten nicht der in diesen Vorschriften bestimmten Mehrheit von 9/10 bzw. der Einstimmig-keit bedurft, weil die dort vorausgesetzten Beteiligungsverhältnisse nicht er-reicht gewesen seien. Die [X.]ermehrheit habe mit den angegriffenen Beschlüssen nicht ihre gesellschafterlichen
Treuepflichten gegenüber der [X.] verletzt.
Hierfür genüge nicht, dass aufgrund der Änderungen
des Ge-4
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5 -

sellschaftsvertrags die abstrakte Gefahr bestehe, dass künftig treuwidrige [X.] gefasst werden könnten, sofern die Mehrheitskommanditistin eine be-herrschende Stellung erlange. Vielmehr seien diese
Beschlüsse im Einzelfall darauf zu überprüfen, ob die Mehrheit ihre Stimmrechtsmacht treuwidrig zu Las-ten der Minderheit ausgeübt habe
oder die Zustimmung der [X.] erforderlich sei.
I[X.] Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision stand.
Die angefochtenen [X.] sind mit der erforderlichen Mehrheit ge-fasst worden und sind materiell wirksam.
1. Die Beschlüsse über die Aufhebung von § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] konnten mit der in § 16 Abs. 2 Satz
1 [X.] bestimmten 3/4-Mehrheit
gefasst wer-den, da die in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] für die Geltung der höheren Quoren bestimmten Voraussetzungen nicht vorlagen.
a) Beschlüsse in einer Personengesellschaft sind grundsätzlich einstim-mig zu fassen (vgl. § 709 Abs. 1 BGB, § 105 Abs. 3,
§ 161 Abs. 2 HGB), wenn und soweit nicht im [X.]svertrag für den betreffenden Beschlussgegen-stand das Einstimmigkeitsprinzip durch das Prinzip einfacher oder qualifizierter Mehrheit ersetzt worden ist (vgl. § 709 Abs. 2 BGB), um die Handlungsfähigkeit der [X.] sicherzustellen. Für die formelle Legitimation eines Mehrheits-beschlusses genügt es grundsätzlich, dass sich aus dem [X.]svertrag -
ausdrücklich oder durch Auslegung
-
eindeutig ergibt, dass der jeweilige [X.] einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll ([X.], Urteil vom 15. Januar 2007 -
II ZR 245/05, [X.]Z 170, 283 Rn. 9 -
OTTO;
Urteil vom 24.
November 2008 -
II
ZR
116/08, [X.]Z
179, 13 Rn.
15 -
Schutzgemeinschaftsvertrag II; Urteil vom 15. November 2011 -
II
ZR
266/09, [X.]Z 191, 293 Rn. 16).

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-
6 -

Der
[X.]svertrag der [X.] bestimmt nicht ausdrücklich, welches Quorum für Änderungen der [X.] erforderlich ist. Er regelt jedoch, dass Beschlüsse über Änderungen des [X.]svertrags, um die es sich auch bei Änderungen der [X.] handelt, einer
3/4-Mehrheit bedürfen
(§ 16 Abs.
2 Satz 1, Abs. 1 Buchstabe f). Ein höheres Stimmquorum von 9/10 oder Einstimmigkeit verlangt der [X.]svertrag für solche Beschlüsse erst dann, wenn 75 % bzw. 90 % der Stimmen
in der Hand von fünf oder weniger [X.]ern vereinigt sind (§ 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.]). Liegen die
Gel-tungsvoraussetzungen
für die potentiell höheren [X.] nicht vor, gilt für Änderungen des [X.]svertrags das [X.] des § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.], mit der Folge, dass ein Beschluss formell wirksam ge-fasst ist, wenn er eine Mehrheit von 3/4
der anwesenden Stimmen gefunden hat.
Dem [X.]svertrag lässt sich auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen, dass abweichend von § 16 Abs. 2 [X.] die Aufhebung von § 16 Abs.
2 Satz 2 und 3 [X.] auch dann nur mit den dort bestimmten Mehrheiten möglich
sein soll, wenn die
Voraussetzungen, die der [X.]svertrag für das Eingreifen dieser [X.] aufstellt, (noch) nicht erfüllt sind.
Hin-reichende Anhaltspunkte
dafür, dass entgegen dem Wortlaut des [X.] für eine bestimmte Änderung des [X.]svertrags, näm-lich die Herabsetzung des [X.]s,
die in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] geregelten höheren [X.] gelten sollen, obwohl die Voraussetzungen nicht gegeben sind,
die diese Bestimmungen selbst für ihre Anwendbarkeit fordern,
sind nicht
ersichtlich
und werden von der Revision auch nicht aufgezeigt.
Die von der
Revision befürwortete Vorwirkung

insbesondere des § 16 Abs. 2 Satz 3 [X.] führte in einer Publikumsgesellschaft wie der [X.] dazu, dass eine Änderung dieser Satzungsbestimmung faktisch unmög-12
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lich würde, und zwar auch dann, wenn das in § 16 Abs. 2 Satz 3 [X.] geregelte Einstimmigkeitserfordernis bei Vorliegen der dort vorausgesetzten [X.] zur Handlungsunfähigkeit der [X.] führte.
§ 16 Abs. 2 [X.] knüpft einen höheren als den durch das Erfordernis einer 3/4-Mehrheit
gewähr-leisteten Schutz der Minderheit -
auch vor nachteiligen Änderungen der [X.] selbst
-
an besondere Voraussetzungen. Solange diese nicht ein-getreten sind, lässt der [X.]svertrag
eine Aufhebung des in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] geregelten qualifizierten [X.] mit der qualifi-zierten Mehrheit des § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.]
von 75 % der anwesenden Stim-men
zu.
b) Der von der Revision für ihre Auffassung herangezogene so genannte [X.] führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar wird im Ge-sellschaftsvertrag der [X.] nicht ausdrücklich ausgesprochen, dass § 16 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 [X.] mit der in § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestimmten Mehrheit aufgehoben werden können, wenn die Voraussetzungen der Sätze 2 und 3 [X.] (noch) nicht vorliegen. Dies ist
-
unabhängig davon, dass es sich bei der [X.] um eine Publikumsgesellschaft handelt
und der Bestimmtheits-grundsatz bei Publikumsgesellschaften
ohnehin keine Anwendung findet ([X.], Urteil vom 19. November 1984 -
II ZR 102/84, NJW 1985, 972, 973)
-
für die formelle Legitimation einer auf eine gesellschaftsvertragliche [X.] gestützten Mehrheitsentscheidung aber nicht erforderlich, und zwar auch dann
nicht, wenn es sich um ein früher so genanntes Grundlagengeschäft handelt; es genügt, dass sich durch Auslegung des [X.]svertrags eindeutig ergibt, dass der betreffende Beschlussgegenstand der [X.] unterworfen sein soll
([X.], Urteil vom 15. November 2011 -
II ZR 266/09, [X.]Z 191, 293 Rn. 16
mwN). Das
Berufungsgericht hat im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei bejaht, dass auch Beschlüsse über eine Änderung des § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3
[X.]
selbst uneingeschränkt der [X.] des § 16 Abs. 2 [X.] unterlie-14
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gen, mit der Folge, dass die Aufhebung von § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] in gleicher Weise wie sonstige Satzungsänderungen einer Mehrheitsentscheidung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 [X.] unterworfen ist, wenn -
wie hier
-
die Bedingungen, unter denen der [X.]svertrag für satzungsändernde Beschlüsse ein höheres Quorum oder Einstimmigkeit fordert, nicht erfüllt sind.
Ohne Erfolg beruft sich die Revision für ihre gegenteilige Auffassung auf das Urteil des Senats vom 15. Juni 1987 ([X.], [X.], 1178). Diese Entscheidung beruhte auf der Anwendbarkeit des so genannten [X.], dem, wie ausgeführt, für die formelle Legitimation einer Mehr-heitsentscheidung nach der neueren Rechtsprechung des Senats ([X.], Urteil vom 24.
November 2008 -
II
ZR
116/08, [X.]Z
179, 13 Rn.
15 -
Schutzgemeinschaftsvertrag II;
Urteil vom 15. November 2011 -
II ZR 266/09, [X.]Z 191, 293 Rn. 16 mwN) keine Bedeutung mehr zukommt. Darauf, dass in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall zudem die Satzungsbestim-mung, die ein höheres [X.] vorschrieb, anwendbar war und ihr Eingreifen anders als im vorliegenden Fall nicht vom Eintritt bestimmter, zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht gegebener Voraussetzungen abhängig war, kommt es nicht mehr an.
c) Schließlich rechtfertigt auch der von der Revision angeführte Grund-satz, wonach Sonderregelungen, die bei Geltung des [X.] oder ein höheres Quorum voraus-setzen, nur unter
Einhaltung des betreffenden höheren [X.] abgeändert oder aufgehoben werden können (MünchKommBGB/[X.]/[X.], 5. Aufl., §
709 Rn. 82; einschränkend [X.], [X.], 10. Aufl., § 179 Rn. 20; offen gelas-sen in [X.], Urteil vom 13. März 1980 -
[X.], [X.]Z 76, 191, 195 für die Aktiengesellschaft), keine abweichende Beurteilung. Ob eine allgemeine Regel anzuerkennen ist, wonach [X.] in einem [X.]svertrag, die für bestimmte Beschlussgegenstände eine qualifizierte Mehrheit vorschreiben,
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-
9 -

nur mit derselben Mehrheit beseitigt werden können, und welchen Anwen-dungsbereich sie hat, bedarf keiner Entscheidung. Der [X.]svertrag der [X.] schreibt für alle
Änderungen der Satzung dasselbe qualifizierte [X.]
vor, das
sich unter bestimmten Voraussetzungen erhöht. Hier geht es um die Frage, ob für eine bestimmte Vertragsänderung, nämlich die Aufhebung von § 16 Abs. 2 Satz 2
und 3 [X.], die dort geregelten höheren [X.] gelten sollen, obwohl bei Beschlussfassung die Voraus-setzungen
für ihre Anwendbarkeit noch nicht vorliegen.
d) Die Auffassung der Revision, dass die Aufhebung des § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] die dort bestimmte Mehrheit von 9/10 bzw. Einstimmigkeit [X.], lässt sich auch nicht auf das von ihr angezogene, zum Aktienrecht er-gangene Urteil des Senats vom 13. März 1980 ([X.], [X.]Z 76, 191) stützen. Der Senat hat im Wege der Auslegung der dort zu beurteilenden [X.] verneint, dass das nach dieser Satzung für eine bestimmte Beschlussfas-sung erforderliche qualifizierte [X.] von 2/3 der abgegebenen Stimmen mit der allgemein für [X.] vorgesehenen einfachen Mehrheit aufgehoben werden konnte. Daraus kann nichts für die Be-antwortung der sich hier stellenden Frage abgeleitet werden, ob eine
Regelung, die unter bestimmten Voraussetzungen über die allgemein für
Änderungen des [X.]svertrags erforderliche qualifizierte Mehrheit von 3/4
der anwesen-den Stimmen hinaus eine Mehrheit von 9/10 oder Einstimmigkeit fordert, nur mit dieser Mehrheit bzw. Einstimmigkeit abgeändert werden kann, obwohl diese [X.] bei Beschlussfassung nicht gelten.
2. Die Beschlüsse
sind materiell wirksam. Die [X.]ermehrheit hat mit der Aufhebung der in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] bestimmten Quoren ihre gesellschafterliche Treuepflicht gegenüber der Minderheit nicht verletzt.

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10 -

a) Ist die Entscheidung der Mehrheit der [X.]er von einer Rege-lung im [X.]svertrag gedeckt, ist auf einer zweiten Stufe zu prüfen, ob sie sich als treuwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minder-heit darstellt und deshalb inhaltlich unwirksam ist ([X.], Urteil vom 15. Januar 2007 -
II ZR 245/05, [X.]Z 170, 283 Rn. 10 -
OTTO; Urteil vom 24. November 2008 -
II
ZR 116/08, [X.]Z 179, 13 Rn. 17 -
Schutzgemeinschaftsvertrag II; Urteil vom 15. November 2011 -
II ZR 266/09, [X.]Z 191, 293 Rn. 16). [X.] eine Mehrheitsentscheidung ihrem Inhalt nach die Zustimmung jedes [X.] [X.]ers, wie es beispielsweise bei Beschlüssen über [X.] Beitragserhöhungen (vgl. § 707 BGB) der Fall ist, führt ungeachtet sonsti-ger [X.] schon die fehlende Zustimmung eines [X.]ers dazu, dass der Beschluss ihm gegenüber unwirksam ist ([X.], Urteil vom 5.
März 2007 -
II ZR 282/05, [X.], 766 Rn. 15; Urteil vom 9. Februar 2009 -
II ZR 231/07, [X.], 864 Rn. 16). Unerheblich ist, ob dieser [X.]er an der Beschlussfassung beteiligt war.
b) Nach diesen Grundsätzen sind die Beschlüsse über die Aufhebung der in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] geregelten [X.] wirksam. Die Beschlüsse
sind nicht als treuwidrig zu beurteilen, weil sie, wie die Revision meint,
in einen

[X.]svertragliche Einstimmigkeitserfordernisse oder Sperrminoritäten gehören nicht zu dem Mehrheitsentscheidungen entzogenen Bereich
der indivi-duellen Mitgliedschaft des einzelnen [X.]ers,
sondern schützen die Minderheit insgesamt (MünchKommBGB/[X.]/[X.], 5. Aufl., § 709 Rn. 82; vgl. auch [X.], Urteil vom 24. November 2008 -
II ZR 116/08, [X.]Z 179, 13 Rn. 22 -
Schutzgemeinschaftsvertrag II). Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass die im [X.]svertrag festgelegten Mehrheitserforder-nisse in stärkerem Maß vor Änderungen geschützt wären, als es der [X.] selbst vorsieht. § 16 Abs. 2 Satz
3 [X.] bestimmt für besondere 19
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Beschlussgegenstände, zu denen auch Änderungen des [X.]svertrags zählen, in dem -
hier bei der Beschlussfassung nicht gegebenen
-
Fall, dass sich 90 % oder mehr aller Stimmen in den Händen von fünf oder weniger Per-sonen befinden, dass Beschlüsse zustande kommen, wenn alle anwesenden oder vertretenen [X.]er mit Ja stimmen. Die Zustimmung jedes
einzel-nen [X.]ers, somit auch derjenigen [X.]er, die an der [X.] nicht teilnehmen, die aber für eine Änderung der Mehrheitsquoren zu ver-langen wäre, wenn man die Stimmqualität dem [X.]errechte zuordnen wollte, fordert der [X.]svertrag unge-achtet der Beteiligungsverhältnisse für keinen Beschlussgegenstand, auch nicht für die Änderung des § 16 Abs. 2 [X.] selbst.
c)
Die Beschlüsse stellen sich nicht deshalb als treuwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit dar, weil mit Erreichen der in §
16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] vorausgesetzten [X.]sstruktur die Mehr-heitsgesellschafter nach Aufhebung des dort geregelten [X.]-ses von 9/10 der anwesenden Stimmen bzw. [X.] das in § 9 [X.] festgelegte [X.]skonzept ohne Weiteres gegen den Willen der [X.] ändern könnten, diese jedoch gegen [X.], die zu einer wesentlichen Abweichung der im [X.]svertrag nie-dergelegten Wirtschaftlichkeitsberechnung führten, durch den [X.]sver-trag gerade abgesichert sein sollten (§ 9 Abs. 1, § 16 Abs. 2 [X.]). Die [X.] sind durch § 9 Abs. 1 [X.] vor Änderungen des [X.] schon nicht in diesem weiten Umfang geschützt. Zwar [X.] § 9 Satz 1 [X.] Beschlüsse, die zu einer wesentlichen Abweichung von der dem [X.]svertrag beigefügten Wirtschaftlichkeitsberechnung führen, den in § 16 Abs. 2 [X.] bestimmten qualifizierten [X.]. [X.] ist aber nicht gesagt, dass die in § 16 Abs. 2 Satz 1, 2 und 3 [X.] enthalte-nen [X.] nach Maßgabe der
gesellschaftsvertraglichen [X.]
-
12 -

gelungen keiner Änderung zugänglich sind. Hierfür ergeben sich -
wie oben dargelegt
-
aus dem [X.]svertrag keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Zustimmung jedes einzelnen [X.]ers verlangt der [X.]sver-trag weder für die in § 9 Abs. 1 [X.] genannten Beschlüsse noch für Änderungen des § 16 Abs. 2 [X.] selbst.
Hinzu kommt, dass
durch die
angefochtenen Beschlüsse, mit denen das in § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] geregelte gesteigerte Mehrheits-
bzw. Einstim-migkeitserfordernis aufgehoben wird, weder die wirtschaftliche Ausrichtung der [X.] geändert noch eine wirtschaftlich nachteilige Entscheidung zu Las-ten der Minderheit getroffen wird. Dies kann allenfalls durch künftige [X.] geschehen. Folge der Aufhebung des § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] ist es allerdings, dass die Mehrheit auch dann, wenn 75 % der Stimmen in der Hand von fünf oder weniger [X.]ern sind, formell legitimiert ist, Ent-scheidungen mit 3/4-Mehrheit zu fassen.
Die Zulassung von Mehrheitsent-scheidungen ist jedoch für sich genommen nicht treuwidrig. Sie verfolgt den gerade in einer Publikumsgesellschaft grundsätzlich legitimen Zweck, die bei Geltung sehr hoher [X.] und erst recht des Einstimmigkeits-prinzips gefährdete Handlungsfähigkeit der [X.] sicher zu stellen. Zwar wird den [X.] durch die von der Revision beanstandete Änderung des [X.]svertrags die abstrakte Möglichkeit verschafft, künf-tig mit ihrer Mehrheitsmacht (auch) treuwidrige Beschlüsse zu Lasten der [X.] zu fassenr-feldBeschlüsse über die Änderung des [X.]svertrags als treuwidrig und deshalb unwirksam zu bewerten (vgl. auch [X.], Urteil vom 28. Januar 1980 -
II
ZR
124/78, [X.]Z 76, 352, 353
f.; Urteil vom 1. Februar 1988 -
II
ZR
75/87, [X.]Z 103, 184, 191 ff.), mit der Folge, dass abweichend vom Willen der im [X.]svertrag für solche Änderungen der Satzung vorge-schriebenen Mehrheit bei Vorliegen der in § 16 Abs. 2
Satz 2 und Satz 3 [X.] 22
-
13 -

genannten Beteiligungsverhältnisse Mehrheitsentscheidungen nur mit der
höhe-ren Mehrheit von 9/10 gefasst werden könnten oder von vornherein ausge-schlossen wären. Künftige Beschlüsse sind nicht schon deshalb treuwidrig, weil sie die Mehrheit aufgrund der geänderten Satzung gegen den Willen der [X.] fassen kann. Die Minderheit ist vor treuwidrigen Entscheidungen der Mehrheit durch die gegen diese Beschlüsse gegebenen [X.] hinreichend geschützt. Verletzen künftige -
durch die Aufhebung des §
16 Abs. 2 Satz 2 und 3 [X.] lediglich formell legitimierte -
Beschlüsse der Mehrheit treuwidrig die Interessen der Minderheit, steht es der Minderheit offen, die materielle Unwirksamkeit solcher Beschlüsse durch eine Klage gegen diese Beschlüsse geltend zu machen.

Bergmann

Strohn

Reichart

Drescher

Born
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.01.2011 -
95 O 82/10 -

KG, Entscheidung vom 26.09.2011 -
23 [X.] -

Meta

II ZR 239/11

16.10.2012

Bundesgerichtshof II. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.10.2012, Az. II ZR 239/11 (REWIS RS 2012, 2288)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2288

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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