Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.07.2006, Az. 1 StR 274/06

1. Strafsenat | REWIS RS 2006, 2422

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[X.] vom 25. Juli 2006 in der Strafsache gegen wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 25. Juli 2006 beschlossen: Auf die Revision des Verurteilten wird das Urteil des [X.] vom 6. Februar 2006 mit den [X.] aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Straf-kammer des [X.] zurückverwiesen. Gründe: Das [X.] hat gegen den Verurteilten die Unterbringung in der [X.] gemäß § 66b Abs. 2 StGB nachträglich angeordnet. Grundlage war die Verurteilung des [X.] Nürnberg-Fürth vom 8. Juni 1998 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und Bedrohung zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Die Revision des Verurteilten hat mit der Sachrüge Erfolg. 1 I. Die [X.] hat die nachträgliche Anordnung der Sicherungsver-wahrung auf folgende Umstände gestützt, die sie als neue Tatsachen im Sinne von § 66b Absätze 1 und 2 StGB bewertete: 2 - 3 - 1. Der Verurteilte war am 7. April 1993 vor der [X.] schon einmal wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu der Frei-heitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Bei der Entscheidung am 8. Juni 1998 konnte diese - bekannte - Vorverurteilung trotz § 2 Abs. 6 StGB nicht Grundlage der Anordnung von Sicherungsverwahrung aufgrund des am 31. Januar 1998 in [X.] getretenen § 66 Abs. 3 StGB sein, da gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 1a Abs. 2 [X.] in der Fassung vom 26. Januar 1998 § 66 Abs. 3 StGB nur Anwendung fand, wenn der Täter eine einschlägige (§ 66 Abs. 1 Satz 1 StGB) Straftat nach dem 31. Januar 1998 begangen hatte. Mit der Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB mit Gesetz vom 23. Juli 2004 sei die Vorverurteilung jetzt aber relevant geworden. Aufgrund einer Gesetzesänderung nunmehr relevante Tatsachen seien den erst nachträglich erkennbar gewordenen Tatsachen gleichzustellen. 3 2. Die Persönlichkeit des Verurteilten sei erst im Laufe der Inhaftierung aufgrund der [X.] umfassend zutreffend bewertet worden. Bei der Verurteilung am 8. Juni 1998 habe die [X.] seine dis[X.] Per-sönlichkeitsstruktur verkannt und die Tat überwiegend auf übermäßigen Alko-holkonsum zurückgeführt. Bei der Begutachtung zur Vorbereitung der Entschei-dung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der am 7. April 1993 erkannten Strafe zur Bewährung durch die Strafvollstreckungskammer habe der Sachverständige - fehlerhaft - keine psychopathologischen Auffälligkeiten fest-stellen können, ihn als psychisch stabil bezeichnet und das Rückfallrisiko als gering eingestuft. Dies habe die [X.] bei der [X.] am 8. Juni 1998 zwar als unzutreffend erkannt gehabt. Mangels einer rechtlichen Möglichkeit der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sei das damals aber nicht relevant gewesen. Darüber hinaus sei die Diagnose sei-nerzeit auch noch - nicht erkennbar, so ist das angefochtene Urteil wohl zu [X.] - unvollständig gewesen. Bei einer weiteren Begutachtung des [X.] - 4 - ten im Jahre 2002 im Zusammenhang mit der Prüfung, ob die Vollstreckung des [X.] aus der Verurteilung vom 8. Juni 1998 zur Bewährung ausgesetzt werden kann, seien von einem - anderen - Sachverständigen zwar zunehmend dis[X.], aggressive und in Ansätzen sadistische Persönlichkeitszüge festge-stellt worden, ohne dass dies aber die Kriterien einer Persönlichkeitsstörung im engeren Sinne erfülle. Daneben bestehe aber eine ausgeprägte Alkoholabhän-gigkeit. Diese - insgesamt aber immer noch unzutreffende - Diagnose beruhe darauf, dass sich dieser Sachverständige - wie schon die im Jahre 1997 tätigen Sachverständigen, so meint die [X.] wohl - durch übertriebene Anga-ben des Verurteilten über das Ausmaß seines Alkoholkonsums habe täuschen lassen, wie dieser zwischenzeitlich gegenüber den in diesem Verfahren (über die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung) bestellten Sachverständigen eingeräumt habe. 3. Der [X.] Empfangsraum - die Familie - sei nicht mehr vorhanden. Zwar habe sich seine Ehefrau schon im März 1997 von ihm getrennt. Dies sei damit zum Zeitpunkt der Verurteilung am 8. Juni 1998 zwar —erkennbar, aber aus den genannten Gründen nicht relevantfi gewesen. Hinzu komme, dass [X.] der Haft seine Mutter, zu der er noch Kontakt gehabt habe, verstorben sei. 5 4. Schließlich habe sich während der letzten Haftjahre gezeigt, dass bei dem Verurteilten - einer durchsetzungsstarken, chauvinistischen, dis[X.]n und narzisstischen Persönlichkeit - kein Therapiewille vorhanden sei. Das [X.] habe es in seinem Urteil vom 8. Juni 1998 für unbedingt erforder-lich gehalten, dass sich der Verurteilte im Rahmen einer Therapie mit seinen Sexualverbrechen ernsthaft auseinandersetzt. Diesen Rat habe der Verurteilte nicht befolgt. Eine Therapie sei von ihm abgebrochen worden. Spätere Bemü-hungen des Verurteilten gegen Ende der Haftzeit um die Aufnahme in eine so-zialtherapeutische Anstalt oder um eine ambulante Therapie bewertet die [X.] - 5 - kammer als nicht ernsthaft. Der Verurteilte habe gegenüber dem [X.], wie auch in der Hauptverhandlung, jede sexualtherapeutische Behand-lungsbedürftigkeit verneint. [X.] Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsver-wahrung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 7 Zwar hat die [X.] die Eingangsvoraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB sowie die Gefährlichkeit des Verurteilten, insbesondere die hohe Rückfallwahrscheinlichkeit in Folge seines Hangs zu Sexualstraftaten von Ge-wicht, rechtsfehlerfrei festgestellt. 8 Das [X.] hat seine Entscheidung aber nicht auf Umstände ge-stützt, die als neue Tatsachen im Sinne von § 66b Abs. 2 StGB bewertet wer-den können oder die zum Zeitpunkt der Verurteilung am 8. Juni 1998 noch nicht bekannt oder erkennbar waren beziehungsweise bei denen die - erst - spätere Erkennbarkeit aus den bisherigen Feststellungen hinreichend deutlich wird. 9 1. Die Änderung der Rechtslage durch In-[X.]-Treten des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung, wonach gemäß § 66b Abs. 2 StGB (nachträgliche) Sicherungsverwahrung gegen Täter angeordnet werden kann, bei denen die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB nicht erfüllt waren, ist keine neue Tatsache im Sinne des Gesetzes. Der Gesetzgeber hat bewusst auch in diesen Fällen an die strengen Vorausset-zungen des § 66b Abs. 1 StGB angeknüpft (vgl. [X.], 156 [158 f., Rdn. 9]; [X.], Beschluss vom 11. Juli 2006 - 5 [X.]. 8; a.[X.], Nachträgliche Sicherungsverwahrung und nachträgliche [X.] - 6 - keit, NStZ 2005, 307). Deshalb können auch nicht bei der [X.] bereits bekannte oder erkennbare Tatsachen —neuen [X.] nur deshalb gleichgesetzt werden, weil jene erst jetzt für die (nachträgliche) Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Grundlage bilden, relevant sein könnten. Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Siche-rungsverwahrung dient nicht dazu, frühere Entscheidungen über die (Nicht-)Anordnung der Sicherungsverwahrung zu korrigieren. Nach der Rechtspre-chung des [X.] gilt dies selbst dann, wenn das Gericht im Zu-sammenhang mit der [X.] die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung rechtsfehlerhaft unterlassen hat (vgl. [X.], 156 [159, Rdn. 10] m.w.[X.]). Erst Recht darf sich die nachträgliche Anord-nung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht darin erschöpfen, darf sie nicht dazu instrumentalisiert werden, eine zum Zeitpunkt der Anlass-verurteilung der Gesetzeslage entsprechende Entscheidung zu korrigieren. 2. Die von früheren Bewertungen abweichende Beurteilung der [X.] stellt keine —neue [X.] dar. 11 Neue Tatsachen der in § 66b StGB genannten Art sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des [X.] der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind. Ob diese Tatsachen bereits im Ausgangs- oder in einem anderen Verfahren [X.] - von der jetzigen Sicht abweichender - sachverständiger Bewertung [X.], ist ohne Belang. Maßgeblich ist nicht die neue oder sogar erstmalige Be-wertung von Tatsachen. Entscheidend ist vielmehr allein, ob die dieser [X.] zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der [X.] bereits vorlagen oder erkennbar waren (vgl. [X.]St 50, 180 [187]; [X.]St 50, 275 [278]; [X.] NJW 2006, 1442 [1444]; [X.], 155 [156, 12 - 7 - Rdn. 3]; [X.], 276 [278, Rdn. 15]; [X.], Beschluss vom 11. Juli 2006 - 5 [X.]. 9). Nach den bisherigen Feststellungen liegt es nahe, dass die nunmehr von der [X.] festgestellten [X.] bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung am 8. Juni 1998 vorlagen und umfassend erkennbar waren. Darauf deuten schon die dieser Entscheidung sowie der Vorverurteilung vom 7. April 1993 zugrunde liegenden Sachverhalte hin. 13 Die Äußerungen des Verurteilten zu seinem Alkoholkonsum scheinen nach den bisherigen Feststellungen taktisch bestimmt. Und es deutet viel dar-auf hin, dass dies schon bei der [X.] erkennbar war. Bei der Tat am 16. August 1992 (von 03.50 bis 04.50 Uhr) betrug die nach dem von ihm angegebenen [X.] berechnete maximale Blutalkoholkonzentration 0,54 Promille - erheblich verminderte Schuldfähigkeit wurde verneint. Bei der Tat am 23. Oktober 1997 ab 05.00 Uhr (Gegenstand der [X.]) wurde eine Blutalkoholkonzentration von 2,58 Promille errechnet - die [X.] war nun erheblich vermindert, folgerte hieraus die [X.]. Dabei wirken die vom Verurteilten seinerzeit genannten [X.] und sein Leistungsverhalten widerstreitet der errechneten Alkoholisierung. 14 Dass die fehlende Relevanz von zum Zeitpunkt der [X.] bekannten Tatsachen für eine - damals rechtlich ausgeschlossene - Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unerheblich ist, wurde bereits oben ausgeführt. 15 3. Dass der wesentliche Umstand - Trennung der Ehefrau -, aus der die [X.] den Wegfall des —[X.]n [X.] folgert, vor der [X.] bereits erkennbar war, teilt die [X.] selbst mit. Die Einführung der Möglichkeit der nachträglichen der Sicherungsverwahrung ändert daran - 16 - 8 - wie dargelegt - nichts. Im Übrigen mag dieser Aspekt - —[X.]r Empfangs-raumfi - bei der Gesamtwürdigung zur Rückfallprognose eine Rolle spielen, ist aber wohl kaum als Tatsache zu bewerten, aus der die Gefährlichkeit eines [X.] originär erkennbar werden kann. 4. Therapieunwilligkeit, die Verweigerung oder der Abbruch einer [X.] kann zwar grundsätzlich zu den in § 66b Abs. 1, 2 StGB genannten —neuen [X.] gehören (vgl. [X.]St 50, 121 [126]; 275 [280 f.]; [X.], Beschluss vom 9. November 2005 - 4 [X.]; Beschluss von 11. Juli 2006 - 5 [X.] -, Rdn. 11). Dies kann allerdings nur dann als berücksichtigungsfähige —neue [X.] angesehen werden, wenn zum Zeitpunkt der Verurteilung an-zunehmen war, der Verurteilte werde sich im Vollzug einer Therapie unterzie-hen. Insoweit mangelt es bislang an tragfähigen Feststellungen. Wie sich der Verurteilte seinerzeit zu dem Rat der [X.], eine Therapie anzutreten, verhielt, wird nicht mitgeteilt. Erst wenn feststeht, dass es sich insoweit um eine —neue [X.] handelt, kann dieser Aspekt - Therapieunwilligkeit, [X.] - in die Gesamtwürdigung (vgl. [X.]St 50, 121 [126 ff.]) Eingang [X.]. 17 [X.]Wahl Kolz Hebenstreit Elf

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1 StR 274/06

25.07.2006

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.07.2006, Az. 1 StR 274/06 (REWIS RS 2006, 2422)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 2422

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