Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.10.2016, Az. X K 3/15

10. Senat | REWIS RS 2016, 3449

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Entschädigungsklage: begrenzte Rückwirkung der Verzögerungsrüge; Auswirkung der Beantwortung von Sachstandsanfragen


Leitsatz

1. NV: Wird eine Verzögerungsrüge erstmals deutlich nach dem Zeitpunkt erhoben, ab dem die Verfahrensdauer bei objektiver Betrachtung als unangemessen anzusehen ist, ist die Rückwirkung der Verzögerungsrüge für Zwecke der Begründung eines Geldanspruchs auf Entschädigung im Regelfall auf einen Zeitraum von gut sechs Monaten begrenzt (Anschluss an Senatsurteil vom 6. April 2016 X K 1/15, BFHE 253, 205, BStBl II 2016, 694, Rz 40 ff.).

2. NV: Allein der Umstand, dass das Gericht zu einem Zeitpunkt, zu dem die Verfahrensdauer bereits als unangemessen anzusehen ist, auf eine Sachstandsanfrage eines Beteiligten ein kurzes Antwortschreiben verfasst, ohne dies aber darüber hinaus zum Anlass zu nehmen, das Verfahren zu fördern, führt nicht zu der Würdigung, dass das Verfahren für den Monat, in den die Beantwortung der Sachstandsanfrage fällt, als nicht verzögert gilt.

3. NV: Bei einem verzögerten Ausgangsverfahren, das durch Ehegatten geführt wurde, steht der Entschädigungsanspruch jedem Ehegatten gesondert zu (Anschluss an Senatsurteil vom 4. Juni 2014 X K 12/13, BFHE 246, 136, BStBl II 2014, 933, Rz 47).

4. NV: Gemäß § 66 Satz 2 FGO i.d.F. des Gesetzes vom 11. Oktober 2016 (BGBl I 2016, 2222) wird bei Entschädigungsklagen die Streitsache erst mit Zustellung der Klage rechtshängig. Dies bewirkt, dass auch der Lauf der Prozesszinsen erst mit der Zustellung der Klage beim Beklagten und nicht wie bisher mit dem Eingang der Klage beim BFH beginnt. § 66 Satz 2 FGO ist allerdings nur auf Entschädigungsklagen anzuwenden, die ab dem 15. Oktober 2016 beim BFH eingehen.

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an jeden der Kläger wegen unangemessener Dauer des beim [X.] geführten Klageverfahrens 7 K 1148/10 (zunächst 9 K 1148/10) für einen Zeitraum von 20 Monaten Entschädigung in Höhe von 2.000 €, jeweils nebst seit dem 28. August 2015 zu berechnender Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, zu zahlen.  

Darüber hinaus wird festgestellt, dass die Dauer des beim [X.] geführten Klageverfahrens 7 K 1148/10 (zunächst 9 K 1148/10) für einen Zeitraum von weiteren sechs Monaten unangemessen war.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Tatbestand

1

I. Die Kläger begehren gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes ([X.]) Entschädigung wegen der von ihnen als unangemessen angesehenen Dauer des seit dem 17. Mai 2010 anhängigen und am 29. Januar 2015 durch Zustellung des Urteils an die Kläger beendeten Verfahrens 7 K 1148/10 (zunächst 9 K 1148/10) vor dem [X.] ([X.]).

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Kläger erzielte in den Streitjahren 2006 bis 2008 als Unternehmensberater (§ 15 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) sowie als Fachhochschuldozent (§ 18 EStG) jeweils geringfügige Einkünfte. Die Klägerin war als Vertriebsbeauftragte nichtselbständig beschäftigt. Die Kläger befanden sich seit 2003 in einer schwierigen finanziellen Lage. Ihr selbstgenutztes Einfamilienhaus wurde im Jahr 2007 zwangsversteigert, worauf sie in ein kleineres angemietetes Einfamilienhaus umzogen.

3

Am 17. Mai 2010 erhoben die Kläger Klage wegen ihrer Einkommensteuerbescheide für 2006 bis 2008. Sie begründeten die Klage bereits in der Klageschrift und gaben die streitige Bemessungsgrundlage mit 36.993 € an. Der Kläger machte Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer als zusätzliche Betriebsausgaben bei seinen Einkünften nach §§ 15, 18 EStG geltend. Die Klägerin begehrte den Abzug von Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Sie war für ihren Arbeitgeber seit dem 1. Juli 2006 neben anderen Regionen auch für Kunden im [X.] und in der [X.] zuständig, suchte allerdings regelmäßig das Büro ihres Arbeitgebers in [X.] --in der Nähe des Hauptwohnsitzes der [X.] auf. Zum 1. September 2006 hatte sie ein Appartement in einer grenznahen [X.] Stadt, später eine Wohnung in einem anderen grenznahen [X.] Ort angemietet. [X.] gab sie den ausländischen Wohnsitz auf.

4

Der Beklagte des Ausgangsverfahrens (das Finanzamt --[X.]--) lehnte die Berücksichtigung der Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung ab. Hauptmotiv für die Wohnsitzverlegung nach [X.] sei die Durchführung eines Privatinsolvenzverfahrens nach [X.] Recht gewesen, das deutlich einfacher sei als das [X.] Insolvenzverfahren und insbesondere keine Wohlverhaltensfrist vorsehe. Dies sei als private Veranlassung der doppelten Haushaltsführung anzusehen. Zur Erreichung der Kunden sei ein Wohnsitz in [X.] nicht geeignet gewesen, da die Entfernungen von dort zu den meisten Kunden nicht geringer gewesen seien als vom Hauptwohnsitz der Kläger aus.

5

Ferner führte das [X.] aus, es habe die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer für das [X.] bereits anerkannt. Für die [X.] und 2008 fehle es indes an der Vorlage entsprechender Nachweise, zumal die Kläger nach der Zwangsversteigerung ihres Hauses umgezogen seien.

6

Die Kläger verzichteten am 28. Juli 2010 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und schränkten nach entsprechenden Hinweisen des [X.] mit Schreiben vom 30. August 2010 ihren Klageantrag ein. Der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze endete am 16. September 2010 mit der Erklärung der Kläger, eine Replik auf die letzte Äußerung des [X.] sei nicht erforderlich. Das [X.] wurde in der Folgezeit zunächst nicht weiter tätig.

7

Am 7. Juni 2013 ging beim [X.] ein Schreiben der Kläger ein, in dem es heißt: "Wir erinnern an den noch ausstehenden Beschluss des [X.]s". Der damals beim [X.] zuständige Berichterstatter teilte den Klägern am 9. Juli 2013 mit, die Sache stehe noch nicht zur Bearbeitung an. Mit einer Entscheidung sei frühestens im 2. Halbjahr 2014 zu rechnen.

8

Zum 1. September 2013 übertrug das Präsidium des [X.] die Zuständigkeit u.a. für das Ausgangsverfahren auf einen anderen Senat des [X.]. Die neue Berichterstatterin forderte am 3. September 2013 die Steuerakten beim [X.] an und fragte bei den Beteiligten wegen eines Verzichts auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung an. Am 5. September 2013 übertrug der neu zuständige Senat die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Einzelrichterin. Noch im September 2013 erklärten beide Beteiligte ihren Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

9

Am 10. Januar 2014 richtete die Einzelrichterin umfangreiche rechtliche Hinweise an die Kläger, aus denen sich entnehmen lässt, dass sie die Klage nicht für erfolgversprechend hielt. Hierauf entspann sich ein Schriftwechsel zwischen den Klägern, dem [X.] und dem [X.], der am 1. April 2014 damit endete, dass das [X.] dem [X.] die letzte Stellungnahme der Kläger übersandte.

Am 6. Juni 2014 baten die Kläger um Mitteilung, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Die Einzelrichterin antwortete am 11. Juni 2014, dass voraussichtlich im 3. Quartal 2014 entschieden werde. Am 3. September 2014 erklärten die Kläger, sie seien inzwischen Rentner. Die Entscheidungen würden für sie eine zunehmende finanzielle Belastung entfalten. Das [X.] äußerte sich hierzu nicht. Am 6. Januar 2015 baten die Kläger nochmals um Mitteilung, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Die Einzelrichterin äußerte sich hierzu nicht, wies die Klage aber ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 21. Januar 2015 ab, das den Klägern am 29. Januar 2015 zugestellt wurde. Das [X.] begründete die Klageabweisung hinsichtlich des Arbeitszimmers mit unzureichenden Darlegungen der Kläger. Auch Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung seien nicht anzuerkennen, weil die Wohnorte in [X.] nicht im Einzugsbereich des [X.] lägen und die Wohnsitznahme in [X.] durch die beabsichtigte Nutzung der Vorteile des [X.] Privatinsolvenzverfahrens maßgeblich privat mitveranlasst gewesen sei.

Am 28. August 2015 haben die Kläger die vorliegende Entschädigungsklage erhoben. Sie bringen vor, das Ausgangsverfahren sei fast fünf Jahre lang anhängig gewesen, obwohl es keine besonderen Schwierigkeiten aufgewiesen habe. Sie hätten wiederholt Verzögerungsrügen erhoben. Bei Zugrundelegung der durchschnittlichen Dauer finanzgerichtlicher Verfahren sei eine Verzögerung von 38,5 Monaten anzunehmen.

Die Kläger beantragen,
1. festzustellen, dass das Verfahren vor dem Hessischen [X.] 7 K 1148/10 eine überlange Verfahrensdauer aufgewiesen hat, und
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger wegen der Verzögerung des genannten Verfahrens eine Entschädigung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber nicht unter 3.840 € [X.] 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage liegen sollte.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, in Ermangelung von Besonderheiten des vorliegenden Falles gelte die vom Senat aufgestellte Regelvermutung, wonach eine Überlegungszeit des [X.] von bis zu zwei Jahren noch nicht als unangemessen anzusehen sei. Danach hätte das Verfahren ab Juni 2012 gefördert werden müssen. Da mit der Bearbeitung tatsächlich erst im September 2013 begonnen worden sei, sei das Verfahren um 15 Monate verzögert worden. Später sei eine weitere Verzögerung von sechs Monaten hinzugekommen. Insgesamt sei höchstens eine Verzögerung von 21 Monaten gegeben.

Entscheidungsgründe

II. [X.] ist --ungeachtet des nur in Höhe eines [X.] bezifferten Antrags (vgl. hierzu [X.]surteil vom 2. Dezember 2015 [X.], [X.], 233, [X.], 405, Rz 15 ff.)-- zulässig und auch begründet.

Die Dauer des [X.] war unangemessen; die Verzögerung betrifft einen Zeitraum von 26 Monaten (dazu unten 1.). Allerdings wirkt die erst mehr als drei Jahre nach Klageerhebung eingereichte [X.] nicht bis auf den Zeitpunkt zurück, ab dem die Verfahrensdauer bei objektiver Betrachtung als unangemessen anzusehen ist, so dass die Kläger nur für einen Verzögerungszeitraum von 20 Monaten eine Geldentschädigung beanspruchen können (unten 2.). Der sich hieraus ergebende Entschädigungsbetrag von 2.000 € steht jedem der klagenden Ehegatten gesondert zu (unten 3.) und ist entsprechend dem Klageantrag zu verzinsen (unten 4.). Soweit wegen der späten Erhebung der [X.] keine Geldentschädigung gewährt werden kann, ist die Unangemessenheit der Verfahrensdauer festzustellen (unten 5.).

1. Die Dauer des [X.] war unangemessen. Die Verzögerung beläuft sich auf 26 Monate.

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des [X.] und des [X.] (vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlich [X.]surteil vom 7. November 2013 [X.], [X.], 126, [X.], 179, Rz 48 ff., auf das zur Vermeidung von Wiederholungen wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).

Nach dieser Entscheidung ist der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen, die dem Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an einem möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits einerseits und anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen --wie dem Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes durch inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ möglichst hochwertige Entscheidungen, der Unabhängigkeit der [X.] und dem Anspruch auf den gesetzlichen [X.]-- Rechnung tragen. Danach darf die zeitliche Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer des [X.] nicht zu eng gezogen werden; dem Ausgangsgericht ist ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung seines Verfahrens --auch in zeitlicher [X.] einzuräumen. Zwar schließt es die nach der Konzeption des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG vorzunehmende Einzelfallbetrachtung aus, im Rahmen der Auslegung der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen, innerhalb der ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein sollte. Gleichwohl kann für ein finanzgerichtliches Klageverfahren, das im Vergleich zu dem typischen in dieser Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, die Vermutung aufgestellt werden, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene ("dritte") Phase des [X.] nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt. Dies gilt nicht, wenn der Verfahrensbeteiligte rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise auf Umstände hinweist, aus denen eine besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens folgt.

b) Nach diesen Grundsätzen ist das Ausgangsverfahren um 26 Monate in unangemessener Weise verzögert worden.

aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.

Der Schwierigkeitsgrad des [X.] war als leicht überdurchschnittlich anzusehen, weil zahlreiche Sachverhaltsfragen zu prüfen und zudem auch in mehrfacher Hinsicht rechtliche Wertungen vorzunehmen waren (Arbeitszimmer als Mittelpunkt der Betätigung, erhebliche private Mitveranlassung der doppelten Haushaltsführung). Das gilt unabhängig davon, dass das [X.] den Schwierigkeitsgrad ausweislich der vorgenommenen Übertragung auf die Einzelrichterin wohl höchstens als durchschnittlich eingeschätzt hat.

Auf der anderen Seite war der Streitwert des [X.] --und damit die Bedeutung des Verfahrens für die [X.] im Vergleich zu durchschnittlichen "[X.]" relativ hoch. Die streitige Bemessungsgrundlage betrug ausweislich der Klageschrift 36.993 €.

bb) Besondere Gründe für eine Eilbedürftigkeit haben die Kläger innerhalb der zweijährigen Regelfrist weder geltend gemacht noch sind solche Gründe für das [X.] aus den Akten erkennbar gewesen.

cc) Die Würdigung, dass die Verfahrensdauer in Bezug auf einen Zeitraum von 26 Monaten unangemessen war, ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten [X.].

(1) In dem seit dem 17. Mai 2010 beim [X.] anhängigen Ausgangsverfahren endete der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten am 16. September 2010.

Geht man nach den vorstehend unter [X.] dargelegten Grundsätzen davon aus, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu vermuten ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, hätte das [X.] das Verfahren ab Juni 2012 wieder aufgreifen und durch kontinuierliches Tätigwerden zur Entscheidung führen müssen. Tatsächlich ist es erst im September 2013 tätig geworden ([X.], Anfrage wegen eines Verzichts auf mündliche Verhandlung, Beschluss über die Übertragung auf die Einzelrichterin). Demzufolge ist das Verfahren zunächst in den Monaten Juni 2012 bis August 2013 (15 Monate) als verzögert anzusehen.

Von Mitte September 2013 bis zu dem im Januar 2014 erteilten rechtlichen Hinweis blieb das [X.] erneut untätig. Die Verfahrensdauer ist daher in Bezug auf die Monate Oktober bis Dezember 2013 ebenfalls als unangemessen anzusehen (drei weitere Monate).

An die rechtlichen Hinweise des [X.] schloss sich bis April 2014 ein weiterer Schriftsatzaustausch an, der durch sachdienliche Hinweise des [X.] geleitet wurde. Nachfolgend war bis zur [X.] im Januar 2015 indes keine weitere Tätigkeit des [X.] zu verzeichnen. Dementsprechend ist das Verfahren auch in den Monaten Mai bis Dezember 2014 als verzögert anzusehen (acht weitere Monate).

Insgesamt ergibt sich daraus eine unangemessene Verfahrensdauer von 26 Monaten.

(2) Die kurzen Antworten des [X.] auf die Sachstandsanfragen der Kläger vom 9. Juli 2013 und 11. Juni 2014 führen nicht dazu, dass für den jeweiligen Monat von einer angemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist.

Der [X.] hat bereits entschieden, dass weder eine bloße "Standardantwort" des [X.] auf die Sachstandsanfrage eines Beteiligten ([X.]surteil vom 19. März 2014 [X.], [X.], 521, [X.], 584) noch die Beschränkung auf die Weiterleitung einer [X.] an den anderen Beteiligten ([X.]surteil vom 17. Juni 2014 [X.], [X.], 33, Rz 51) als Aktivität des Gerichts anzusehen ist.

Eine individuelle Antwort des Gerichts auf eine [X.] ist nur dann als --die Annahme einer weiteren Verzögerung ausschließende-- Aktivität des Gerichts gewertet worden, wenn die richterliche Befassung mit dem Verfahren dazu geführt hat, dass bereits im Folgemonat die Ladung zur mündlichen Verhandlung erging ([X.]surteil vom 4. Juni 2014 [X.], [X.], 30, Rz 37).

Vorliegend hat das [X.] zwar weder bloße Standardantworten versandt noch sich auf die Weiterleitung der Sachstandsanfragen an das [X.] beschränkt. Allerdings waren seine Antworten nicht besonders individuell gehalten. Vor allem aber hat es die Anfragen nicht zum Anlass genommen, das Ausgangsverfahren zu fördern. In einem solchen Fall kann eine lediglich knappe Reaktion auf eine Sachstandsanfrage --auch wenn sie über ein formularmäßiges Standardschreiben der Geschäftsstelle [X.] nicht als nennenswerte Aktivität des Gerichts angesehen werden, die es rechtfertigen könnte, für einen ganzen Monat von der Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer abzusehen.

2. Die erst mehr als drei Jahre nach Klageerhebung eingereichte [X.] wirkt allerdings nicht bis auf den Zeitpunkt zurück, ab dem die Verfahrensdauer bei objektiver Betrachtung als unangemessen anzusehen ist, so dass die Kläger nur für einen Verzögerungszeitraum von 20 Monaten eine Geldentschädigung beanspruchen können.

a) Ein Verfahrensbeteiligter erhält nur dann eine Geldentschädigung, wenn er die Dauer des Verfahrens bei dem mit der Sache befassten Gericht gerügt hat (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG).

b) Eine [X.] der Kläger kann erst in ihrem am 7. Juni 2013 beim [X.] eingegangenen Schreiben gesehen werden, in dem sie "an den noch ausstehenden Beschluss" erinnert haben.

Im Einklang mit der gesetzlichen Regelung des § 198 Abs. 3 GVG, die keine besonderen formellen Anforderungen an eine [X.] stellt, ist die Rechtsprechung des [X.]s großzügig darin, Erklärungen eines Verfahrensbeteiligten als [X.] auszulegen (ausführlich [X.]surteil in [X.], 126, [X.], 179, Rz 27). Die Kläger haben in ihrem am 7. Juni 2013 eingegangenen Schreiben hinreichend deutlich zu erkennen gegeben, dass sie die ausstehende Entscheidung des [X.] anmahnen wollen.

c) Darüber hinaus hat der [X.] bereits entschieden, dass auf der Grundlage einer Gesamtschau der gesetzlichen Regelungen über die [X.] (§ 198 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 Sätze 1 und 2 GVG) von einer im Regelfall gut sechsmonatigen Rückwirkung einer [X.] auszugehen ist ([X.]surteil vom 6. April 2016 [X.], [X.], 205, [X.], 694). Da vorliegend keine Gründe erkennbar sind, die für ein Abweichen vom Regelfall sprechen, begründet die am 7. Juni 2013 eingegangene [X.] einen Anspruch auf Geldentschädigung ab Dezember 2012.

3. Jedem der Kläger steht aufgrund der unangemessenen Verfahrensdauer eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 2.000 € zu.

a) Das Entstehen eines Nichtvermögensnachteils wird in Fällen unangemessener Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG vermutet (vgl. auch [X.]surteil vom 17. April 2013 [X.], [X.], 516, [X.], 547, Rz 54).

b) Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 GVG wäre im Streitfall nicht ausreichend. Dafür spricht vor allem, dass das [X.] trotz mehrfacher Versuche der Kläger, es zu einer Entscheidung zu bewegen, zunächst nicht verfahrensabschließend tätig geworden ist.

c) Umstände dafür, dass der in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG genannte Regelbetrag von 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung vorliegend unbillig (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) sein könnte, sind weder von den Beteiligten vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Auch wenn im Gesetz ein Jahresbetrag genannt ist, kann dieser im konkreten Fall nach Monaten bemessen werden ([X.]surteil in [X.], 521, [X.], 584, Rz 37, m.w.N.).

d) Bei einem verzögerten Ausgangsverfahren, das durch Ehegatten geführt wurde, steht der Entschädigungsanspruch jedem Ehegatten gesondert zu ([X.]surteil vom 4. Juni 2014 [X.], [X.], 136, [X.], 933, Rz 47).

4. Der Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit der [X.] (§ 66 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) am 28. August 2015 an folgt aus § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).

§ 66 Satz 2 [X.]O i.d.[X.] zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Gerichtskostengesetzes vom 11. Oktober 2016 ([X.], 2222), wonach bei [X.]n die Streitsache erst mit der Zustellung der Klage rechtshängig wird, ist im Streitfall noch nicht anzuwenden. Das genannte Gesetz ist nach seinem Art. 10 am Tag nach der Verkündung --also am 15. Oktober 2016-- in [X.] getreten. Die vorliegende [X.] ist aber bereits am 28. August 2015 beim [X.] ([X.]) eingegangen. Hierfür gilt weiter die bisherige Rechtsprechung des [X.]s, wonach bei [X.]n vor dem [X.], auf die gemäß § 155 Satz 2 [X.]O die Vorschriften der [X.]O über das Verfahren im ersten Rechtszug entsprechend anwendbar sind, sich die Rechtshängigkeit nach § 66 (Satz 1) [X.]O richtet ([X.]surteil in [X.], 521, [X.], 584, Rz 39 ff.). Danach beginnt der [X.] mit der Erhebung der Klage, also dem Eingang der Klageschrift beim [X.] (§ 64 Abs. 1 [X.]O).

Weil § 66 Satz 2 [X.]O im Streitfall noch nicht anwendbar ist, kann zudem offenbleiben, ob für die Wahrung der sechsmonatigen Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG im zeitlichen Anwendungsbereich der Neuregelung nunmehr ebenfalls erst die Zustellung beim Beklagten maßgeblich ist oder ob hier --wofür manches spricht-- weiterhin der Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift beim [X.] (vgl. § 64 Abs. 1 [X.]O, der durch das Gesetz vom 11. Oktober 2016 nicht geändert worden ist) heranzuziehen ist.

5. Soweit wegen der späten Erhebung der [X.] trotz einer objektiv unangemessenen Verfahrensdauer keine Geldentschädigung gewährt werden kann (hier: für die Monate Juni bis November 2012), ist gemäß § 198 Abs. 4 GVG die Unangemessenheit der Verfahrensdauer festzustellen.

6. Der [X.] entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 [X.]O).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O. Obwohl der Beklagte unmittelbar nach der Zustellung der Klageschrift eingeräumt hatte, dass eine Verzögerung von 21 Monaten vorliege und seine Bereitschaft zur Zahlung von 2.100 € erklärt hatte, hat er letztlich die volle Abweisung der Klage beantragt. Daher wäre es nicht gerechtfertigt, die Kläger --im Hinblick darauf, dass das Klageverfahren möglicherweise durch eine außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs hätte vermieden werden [X.] mit einem Kostenanteil zu belasten.

Meta

X K 3/15

25.10.2016

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 21. Januar 2015, Az: 7 K 1148/10, Urteil

§ 198 Abs 3 GVG, § 64 Abs 1 FGO, § 66 S 1 FGO, § 66 S 2 FGO, § 288 Abs 1 S 2 BGB, § 291 BGB, § 198 Abs 5 S 2 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.10.2016, Az. X K 3/15 (REWIS RS 2016, 3449)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3449

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X K 6/20 (Bundesfinanzhof)

Überlange Verfahrensdauer und Wiedergutmachung auf andere Weise als durch Entschädigung


X K 2/16 (Bundesfinanzhof)

Entschädigungsklage: Klageerhebung vor Beendigung des Ausgangsverfahrens, Bestimmtheit des Zahlungsantrags auf Geldentschädigung


X K 1/15 (Bundesfinanzhof)

Begrenzte Rückwirkung einer Verzögerungsrüge - materieller Schaden


X K 9/13 (Bundesfinanzhof)

Unangemessene Verfahrensdauer bei 77-monatiger Dauer des finanzgerichtlichen Klageverfahrens; Präklusionswirkung der nicht "unverzüglich" erhobenen Verzögerungsrüge bei …


X K 3-7/16, X K 3/16, X K 4/16, X K 5/16, X K 6/16, X K 7/16 (Bundesfinanzhof)

Entschädigungsklage: Wahrung der Klagefrist, Bestimmtheit des Zahlungsantrags auf Geldentschädigung


Referenzen
Wird zitiert von

III ZR 61/20

B 10 ÜG 2/19 R

B 10 ÜG 1/19 R

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.