Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.09.2012, Az. III B 53/12

3. Senat | REWIS RS 2012, 3067

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten - Ermittlungspflicht des FG - Rechtliches Gehör


Leitsatz

NV: Ein zur Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO führender Verstoß des Finanzgerichts gegen den klaren Inhalt der Akten liegt nicht bereits deshalb vor, weil das FG den ihm vorliegenden Akteninhalt nicht entsprechend den Vorstellungen eines Beteiligten gewürdigt hat oder die Würdigung fehlerhaft erscheint. Insoweit würde es sich um materiell-rechtliche Fehler handeln, die grundsätzlich nicht zu einer Revisionszulassung führen .

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision wegen Vorliegens von [X.] gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) liegen entweder nicht vor oder sind von dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O gebotenen Form dargelegt worden.

2

1. Der von dem Kläger gerügte Verstoß des Finanzgerichts ([X.]) gegen den klaren Inhalt der Akten liegt nicht vor.

3

a) Die einen Verfahrensfehler begründende Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O liegt vor, wenn das [X.] seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die Entscheidung darauf beruhen kann (vgl. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 21. Februar 2006 XI B 36/05, [X.] 2006, 1846).

4

b) Das [X.] hat insoweit jedoch keine Umstände unberücksichtigt gelassen, die es in seine Beweiswürdigung hätte einbeziehen müssen.

5

Der Kläger trägt vor, er habe in jeder Hinsicht unstreitig vorgetragen, eine Wohnung in der [X.] und ein Geschäftslokal in der [X.] innegehabt zu haben. Das [X.] habe dies nicht zur Kenntnis genommen und deshalb auf Seite 12 der Entscheidungsgründe von einer etwaigen weiteren Wohnanschrift in der [X.] gesprochen.

6

Tatsächlich hat das [X.] das Bestehen einer (weiteren) Wohnung in der [X.] und eines Geschäftslokals in der [X.] weder unberücksichtigt gelassen noch negiert. Jedoch hat es diese Tatsachen im Ergebnis nicht für entscheidungserheblich erachtet. Denn es ist aufgrund der Gesamtwürdigung des Verhaltens des [X.] im Verwaltungsverfahren, des Klägervortrags und der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger sowohl bei der Zustellung des Änderungsbescheids zur Investitionszulage 1999 vom 28. Dezember 2005 als auch bei der Zustellung der beiden [X.] zur Investitionszulage 1996 und 1997 und zur Investitionszulage 1999 jedenfalls auch noch eine Wohnung in der [X.] vorgehalten hat und dass diese auch die hauptsächlich von ihm genutzte Wohnung dargestellt hat.

7

Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O liegt im Übrigen nicht bereits deshalb vor, weil das [X.] den ihm vorliegenden Akteninhalt nicht entsprechend den klägerischen Vorstellungen gewürdigt hat oder die Würdigung fehlerhaft erscheint. Insoweit würde es sich um nicht zur Revisionszulassung führende materiell-rechtliche Fehler handeln, nicht indes um einen [X.] (vgl. etwa [X.] vom 24. April 2007 VIII B 251/05, [X.] 2007, 1521; vom 12. September 1996 [X.], [X.] 1997, 246, jeweils m.w.N.).

8

2. Soweit der Kläger behauptet, das [X.] habe gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) verstoßen, weil es trotz entsprechender Anhaltspunkte nicht ermittelt habe, wie sich die Wohnsituation des [X.] im Jahr 2007 dargestellt habe, wird der behauptete Verfahrensmangel nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O geforderten Art und Weise dargelegt.

9

a) [X.] des [X.] wird durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Satz 2 [X.]O) begrenzt. Kommen diese ihrer Mitwirkungspflicht nicht nach, reduziert sich die Ermittlungspflicht des [X.]. Stellen rechtskundig vertretene Beteiligte keine auf eine weitere Sachaufklärung gerichteten Anträge, kommt eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das [X.] regelmäßig nur in Betracht, wenn sich dem [X.] eine weitere Sachaufklärung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen ([X.] vom 10. Januar 2007 [X.]113/06, [X.] 2007, 935, m.w.N.). Für die ordnungsgemäße Rüge fehlender Sachaufklärung wären daher insbesondere Ausführungen dazu nötig gewesen, welche Tatsachen das [X.] hätte aufklären, welche Beweise es hätte erheben und aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit einer Aufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 13. August 2007 III B 159/06, [X.] 2007, 2284, m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des [X.] nicht. Der Kläger trägt nicht vor, welche Tatsachen für die von ihm behauptete ausschließliche Wohnung in der [X.] gesprochen hätten. Auch legt er nicht dar, welche weiteren Beweise das [X.] hätte erheben müssen, um solche Tatsachen festzustellen. Ebenso fehlt es an Darlegungen dazu, ob und aus welchen Gründen sich dem [X.] die Notwendigkeit einer Aufklärung hätte aufdrängen müssen, nachdem das [X.] zahlreiche Indizien für eine fortbestehende Wohnung in der [X.] festgestellt hatte. Allein der Umstand, dass der Kläger einen abweichenden Sachverhalt behauptet, für den er aber keine tatsächlichen, einer Überprüfung zugänglichen Anhaltspunkte liefert, genügt nicht, um weitere Ermittlungspflichten des [X.] auszulösen.

Im Übrigen trifft es auch nicht zu, dass das [X.] unaufgeklärt gelassen hat, wie sich die Wohnsituation des [X.] im Jahre 2007 dargestellt hat. Bereits bei der Beweisaufnahme vom 15. Dezember 2011 wurde durch Befragung der [X.] ermittelt, ob nach den bei der Post geführten Mieterbüchern den Kläger betreffende Veränderungen hinsichtlich des [X.] einer Wohnung in der [X.] bekannt geworden seien. Im [X.] an diese Beweisaufnahme erhielt der Kläger laut Protokoll über die mündliche Verhandlung auch Gelegenheit, die Wohnsituation aus seiner Sicht darzustellen. Ebenso hat das [X.] versucht, durch Zeugenvernehmung der Ehefrau des [X.] weitere Erkenntnisse für die [X.] ab 2005 zu gewinnen. Überdies hat das [X.] aus den Akten festgestellt, dass den Kläger auch nach 2005 zumindest nicht förmlich zugestellte Briefe unter der Adresse [X.] erreicht haben müssen und er auch weiterhin überwiegend unter dieser Adresse gehandelt hat.

3. Auch die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.

a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 [X.]O) umfasst vor allem das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Sie haben einen Anspruch darauf, dem Gericht auch in rechtlicher Hinsicht alles vortragen zu können, was sie für wesentlich halten. Diesen Ansprüchen entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Weiterhin hat das Gericht seine Entscheidung zu begründen, wobei aus seiner Begründung erkennbar sein muss, dass eine Auseinandersetzung mit dem wesentlichen Vorbringen der Verfahrensbeteiligten stattgefunden hat (Beschluss des [X.] vom 15. April 1980  2 BvR 827/79, [X.] 54, 86, m.w.N.). Diese richterliche Pflicht geht jedoch nicht so weit, dass sich das Gericht mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen müsste, da davon auszugehen ist, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Es darf das Vorbringen außer [X.] lassen, das nach seiner Auffassung unerheblich oder unsubstantiiert ist. Das rechtliche Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat ([X.] vom 15. Dezember 2010 XI B 46/10, [X.] 2011, 448).

b) Die Beschwerdebegründung lässt eine solche Gehörsverletzung im Streitfall nicht erkennen.

Soweit der Kläger vorträgt, das [X.] sei zu Unrecht von einer Heilung etwaiger Zustellungsmängel ausgegangen, macht er in Wahrheit keine Gehörsverletzung, sondern einen materiell-rechtlichen Fehler geltend, der einen Zulassungsgrund nicht zu begründen vermag.

Ebenso ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag, das [X.] habe seine Darlegungen zum Bestehen einer Wohnung in der [X.] unberücksichtigt gelassen, keine Gehörsverletzung. Denn insoweit übersieht der Kläger, dass das [X.] zum einen das Bestehen einer Wohnadresse in der [X.] sehr wohl zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Insbesondere hat es bereits im Tatbestand des Urteils mehrere unstreitige Anhaltspunkte für diese Wohnadresse wiedergegeben und in den Entscheidungsgründen darauf abgestellt, dass der Wohnsitz in der [X.] nach eigenen Angaben des [X.] nur aus beruflichen Gründen begründet worden sei, worauf auch der insoweit geschlossene Mietvertrag hindeute. Zudem ergibt sich aus dem Umstand, dass das [X.] der Aussage der Ehefrau des [X.] zu einem 95 %-igen Aufenthalt in der [X.] gefolgt ist, dass es vom Bestehen eines weiteren Wohnsitzes ausgegangen ist. Dass das [X.] die Frage, welche Wohnung die Hauptwohnung des [X.] darstellte, nach den [X.] anders beantwortet hat als der Kläger, stellt hingegen keine Gehörsverletzung dar, sondern ist vielmehr eine ebenfalls dem materiellen Recht zuzuordnende Frage der (vermeintlich) unzutreffenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung.

Meta

III B 53/12

19.09.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 19. Januar 2012, Az: 13 K 13406/08, Urteil

§ 96 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 96 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 76 Abs 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.09.2012, Az. III B 53/12 (REWIS RS 2012, 3067)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3067

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

III B 66/11 (Bundesfinanzhof)

Rüge fehlender Sachaufklärung - Tauschgeschäft zwischen einer Gesellschaft und ihrem Gesellschafter - Annahme fremdüblicher Bedingungen …


III B 73/11 (Bundesfinanzhof)

(Offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 107 FGO - Zum Einwand der Weiterleitung beim Berechtigtenwechsel - …


III B 139/09 (Bundesfinanzhof)

Änderung eines Zulagenbescheides wegen neuer Tatsachen


VIII B 131/18 (Bundesfinanzhof)

(Nichtzulassungsbeschwerde wegen Verfahrensmängeln nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)


X B 22/12 (Bundesfinanzhof)

Finanzgerichtliche Sachaufklärungspflicht und Recht auf Akteneinsicht - Absehen von weiterer Begründung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.