Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.02.2016, Az. X ZR 97/14

10. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 16248

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Gegenstand

Allgemeine Geschäftsbedingungen: Vereinbarung der Fälligkeit des Beförderungsentgelt bei Abschluss eines Luftbeförderungsvertrags


Leitsatz

1. Die Vereinbarung einer Verpflichtung des Fahr- oder Fluggastes, das Beförderungsentgelt bei Vertragsschluss zu entrichten, widerspricht nicht wesentlichen Grundgedanken des Rechts des Personenbeförderungsvertrags.

2. Eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Luftverkehrsunternehmens, nach der der Flugpreis unabhängig vom Zeitpunkt der Buchung bei Vertragsschluss zur Zahlung fällig ist, stellt keine unangemessene Benachteiligung des Fluggastes dar.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des [X.] vom 5. September 2014 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die beklagte     [X.] ermöglicht Flugbuchungen u.a. über das [X.] und verwendet dabei eine Buchungsmaske mit folgendem Inhalt:

"Ihre Zahlweise

Entscheiden Sie sich hier, ob Sie die Buchung sofort bezahlen möchten oder ob Sie sich die Flüge und Preise bis zu 48 Stunden reserviert halten möchten.

o     Jetzt bezahlen

o     Reservierung mit Preisgarantie

Bitte beachten Sie: Die Buchung muss innerhalb der 48 Stunden aktiv bestätigt und bezahlt werden, […]."

2

Der Kläger, ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 [X.] eingetragener [X.], sieht hierin eine Beförderungsbedingung im Luftverkehr, welche unabhängig von der Höhe des Ticketpreises oder dem zeitlichen Abstand zwischen Buchung und Flugantritt die Verpflichtung zur vollständigen Bezahlung des Flugpreises bereits unmittelbar nach Abschluss des Luftbeförderungsvertrags begründet.

3

Die auf Unterlassung der Verwendung dieser Vorauszahlungsregelung gegenüber Verbrauchern und Erstattung der Abmahnkosten nebst [X.] gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die zulässige Revision bleibt ohne Erfolg.

5

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Ob der angegriffene Inhalt der von der Beklagten verwendeten Buchungsmaske als beanstandungsfähige Allgemeine Geschäftsbedingung oder als Ausdruck einer faktischen Vertragsabwicklungspraxis anzusehen sei, könne dahinstehen. Jedenfalls sei eine die Vorleistungspflicht des Verbrauchers im [X.] begründende Allgemeine Geschäftsbedingung nicht nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 [X.] unwirksam. Zwar werde von den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen der §§ 641, 646 [X.] sowie des § 320 [X.] abgewichen. Darin liege bei der gebotenen Interessenabwägung aber keine unangemessene Benachteiligung des Verbrauchers.

7

Für eine Vorleistung des Fluggasts in Abkehr von der gesetzlichen Vorleistungspflicht des Werkunternehmers spreche im Massengeschäft der Fluggastbeförderung ein nahezu zwingendes praktisches und wirtschaftliches Bedürfnis. Ein Luftfahrtunternehmen, welches im Linienverkehr dem Kontrahierungszwang nach § 21 Abs. 2 Satz 3 [X.] unterliege, wäre bei einer Vorausleistungspflicht nach der gesetzlichen Regelung in Ansehung seines Anspruchs auf Zahlung des Flugpreises einem untragbaren Insolvenz- sowie [X.] ausgesetzt. Sicherungsrechte wie das [X.], die diese Risiken für den Unternehmer minimieren könnten, schieden aufgrund der Natur des [X.] aus.

8

Der mit der Zahlung des Flugpreises unmittelbar nach Vertragsschluss einhergehende Verlust des rechtlichen Druck- und Sicherungsmittels aus der Einrede des [X.] verursache kein entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten. Das Zurückbehaltungsrecht des einzelnen Passagiers sei schon im Ansatz kein effektives Druckmittel gegenüber einem Luftfahrtunternehmen. Einen starken wirtschaftlichen Druck auf Luftfahrtunternehmen, die aufgestellten Flugpläne einzuhalten, bewirke bereits die Verordnung ([X.]) Nr. 261/2004 des [X.] und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 295/91 ([X.]. [X.] 46 S. 1 vom 17. Februar 2004, nachfolgend: Fluggastrechteverordnung oder [X.]). Das bei Luftfahrtunternehmen generell bestehende Insolvenzrisiko werde durch die staatliche Aufsicht, die die Finanzlage und die Liquidität der Unternehmen aufgrund der Verordnung ([X.]) Nr. 1008/2008 des [X.] und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von [X.] in der [X.] ([X.]. [X.] 293 S. 3 vom 31. Oktober 2008) überwache, erheblich gemindert.

9

Auch das vom Kläger vorgeschlagene [X.] mit einer Anzahlung bei Buchung und einer Restzahlung zu einem Zeitpunkt relativ kurz vor Flugbeginn verschaffe dem Fluggast im Ergebnis keinen wirtschaftlich messbaren oder rechtlich relevanten Vorteil gegenüber der international üblichen Zahlungspraxis. Vielmehr wäre eine Abkehr davon mit zusätzlichen Kosten - ebenso für den Fluggast - und auf Seiten der Luftfahrtunternehmen mit unzumutbaren Risiken infolge der internationalen Wettbewerbsverzerrung zulasten des [X.] [X.] verbunden.

II. Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

1. Vorauszahlungsbestimmungen in [X.] eines [X.] unterliegen nach § 307 Abs. 3 Satz 1 [X.] der Inhaltskontrolle, da durch sie von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Ob die im Streitfall beanstandete Handhabung der [X.] sich als eine solche Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 [X.]) darstellt oder ob es sich, wie die Beklagte meint, hierbei um ein nicht beanstandungsfähiges tatsächliches Marktverhalten handelt, bedarf keiner Erörterung, da das Berufungsgericht eine Klausel, die den Fluggast zur Zahlung des Flugpreises bei der Flugbuchung verpflichtet, zu Recht nicht als eine den Fluggast entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligende Regelung und damit als wirksam angesehen hat (§ 307 Abs. 1 Satz 1 [X.]).

2. § 309 Nr. 2 Buchst. a [X.], wonach in [X.] Geschäftsbedingungen eine Bestimmung unwirksam ist, durch die das Leistungsverweigerungsrecht, das dem Vertragspartner des Verwenders nach § 320 [X.] zusteht, ausgeschlossen oder eingeschränkt wird, findet keine Anwendung (vgl. zu § 11 Nr. 2a [X.]: [X.], Urteil vom 12. März 1987 - [X.], [X.]Z 100, 157, 161).

3. Eine Vorauszahlungsklausel ist nicht mit wesentlichen Grundgedanken des Personen(luft)beförderungsrechts unvereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 [X.]).

a) Ein auf die entgeltliche (Luft-)Beförderung von Personen gerichteter Vertrag ist allerdings nach allgemeiner Auffassung als Werkvertrag zu qualifizieren (vgl. [X.], Urteil vom 21. Dezember 1973 - [X.], [X.]Z 62, 71, 75 ff.; Urteil vom 24. Juni 1969 - [X.], NJW 1969, 2014, 2015; [X.]/[X.], [X.], 75. Aufl., Einf. v. § 631 Rn. 17a; [X.]/[X.], [X.], Neubearb. 2014, [X.]. zu §§ 631 ff. Rn. 76; MünchKomm[X.]/[X.], 6. Aufl., Nach § 651 Rn. 1; [X.], Handelsrecht, 6. Aufl., S. 1102; Schwenk/[X.], Handbuch des Luftverkehrsrechts, 4. Aufl., [X.]; [X.], Der [X.], 3. Aufl., [X.] f.). Das Werkvertragsrecht sieht keine Vorleistungspflicht des Bestellers, welche das Gebot, gegenseitige Verträge Zug um Zug abzuwickeln (§§ 320, 322 [X.]), verdrängte, sondern vielmehr eine Vorleistungspflicht des Werkunternehmers vor. Gemäß § 641 Abs. 1 Satz 1 und § 646 [X.] ist der Werklohn erst bei Abnahme oder Vollendung der Leistung des Werkunternehmers zu entrichten.

b) Diese gesetzliche Regelung kann jedoch das Leitbild des [X.], an dem sich eine allgemeine Geschäftsbedingung messen lassen müsste, allenfalls mit erheblichen Einschränkungen bestimmen. Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs hat zwar im Besonderen Schuldrecht in Titel 9 (Werkvertrag und ähnliche Verträge) nur für den Reisevertrag ein eigenständiges Regelungswerk geschaffen. Gleichwohl weist (aber) auch der Personenbeförderungsvertrag Besonderheiten auf, denen bei der Bestimmung des gesetzlichen Leitbilds Rechnung getragen werden muss.

aa) Das Berufungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass mit der Vorleistungspflicht des Werkunternehmers in der vom Gesetzgeber zugrunde gelegten typischen Situation das Recht des Werkunternehmers korrespondiert, das Werkstück nur gegen Zahlung des [X.] herauszugeben. Ihm steht unter den Voraussetzungen des § 647 [X.] ein [X.] zu, er kann unter den Voraussetzungen des § 648 [X.] die Einräumung einer Sicherungshypothek verlangen, und er kann unter den Voraussetzungen des § 648a [X.] Sicherheit für die von ihm zu erbringenden Bauleistungen beanspruchen. Auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, finden nach § 651 [X.] in erster Linie und bei vertretbaren Sachen ausschließlich die Vorschriften über den Kauf und die §§ 640, 646 [X.] mithin keine Anwendung. Schließlich hat der Werkunternehmer unter den Voraussetzungen des § 632a [X.] einen Anspruch auf Abschlagszahlungen gegen den Besteller.

Ähnlich wie dem Werkunternehmer steht auch dem Frachtführer nach § 440 Abs.1 HGB für alle Forderungen aus dem [X.] ein Pfandrecht an dem ihm zur Beförderung übergebenen Gut zu.

bb) Bei der Personenbeförderung besteht demgegenüber kein Sicherungsrecht für den Vergütungsanspruch des Unternehmers. Dementsprechend wäre der Unternehmer ungesichert mit der Gefahr von Zahlungsausfällen in erheblicher Größenordnung belastet, sähe man ihn grundsätzlich als vorleistungspflichtig an, was umso schwerer wöge, als denjenigen, der Personenbeförderungsleistungen öffentlich anbietet, in der Regel eine Beförderungspflicht trifft, wie sie in § 10 A[X.] und ebenso - darauf weist das Berufungsgericht zu Recht hin - in § 21 Abs. 2 Satz 3 [X.] vorgesehen ist. Zudem kann bei der Personenbeförderung eine Parallelität der vertraglichen Leistungen im Sinne des § 320 [X.] nicht erreicht werden. Um eine zeitnahe und zügige Erfüllung des [X.] zu ermöglichen, ist es erforderlich, dass eine der Vertragsparteien in Vorleistung tritt. Diese Verpflichtung trifft in der Regel den Fahr- oder Fluggast, denn eine Abwicklung des Personenbeförderungsvertrags dergestalt, dass das Beförderungsentgelt erst nach Vollendung des Werks, mithin bei Ankunft am Zielort gezahlt wird, wäre, wie auch die Revision nicht verkennt, beim Massengeschäft der Fahr- oder Fluggastbeförderung im Linienverkehr kaum praktikabel.

c) Dieser vom allgemeinen Werkvertragsrecht abweichenden Besonderheit des Personenbeförderungsvertrags hat auch der Gesetzgeber verschiedentlich Rechnung getragen. So ist die Vorauszahlung des [X.] im Recht der Eisenbahnbeförderung ausdrücklich vorgesehen (vgl. Art. 4 der Verordnung ([X.]) Nr. 1371/2007 des [X.] und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr ([X.]. [X.] 315 S. 14 vom 3. Dezember 2007) i.V.m. [X.], [X.], Art. 8 Abs. 1 [X.]). Auch bei der Luftbeförderung zeigen die Regelungen zur Erstattung des Flugpreises nach Art. 8 [X.] insbesondere in den Fällen der Nichtbeförderung oder Annullierung eines Fluges, dass das Unionsrecht davon ausgeht, dass der Flugpreis vor [X.] gezahlt wird. Nichts anderes gilt für das nationale Recht. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zu § 9 Nr. 2 [X.] wird der Verzicht auf ein gesetzliches Verbot der formularmäßigen Vereinbarung einer Vorleistungspflicht damit begründet, dass derartiges zu weit gehe, "zumal in vielen Bereichen die technische Abwicklung des Vertrags ohne Vorleistungen kaum vorstellbar wäre (Eintrittskarten, Fahrkarten)" (BT-Drucks. 7/3919, [X.]). Die gängige Redeweise vom "Kauf" einer Fahrkarte spiegelt den Umstand wieder, dass bei der Personenbeförderung der Erwerb der in der Fahrkarte "verkörperten" Berechtigung zur Inanspruchnahme der Beförderungsleistung regelmäßig Zug um Zug gegen Zahlung des Fahrpreises erfolgt und damit die Vorleistung nicht vom Unternehmer, sondern vom Fahrgast erbracht wird.

Schließlich werden die Besonderheiten des Personen(luft)beförderungsvertrags, die vom werkvertraglichen Leitbild abweichen, auch in der etablierten internationalen Buchungs- und Abrechnungspraxis abgebildet. Das Berufungsgericht hat unangegriffen festgestellt, dass die [X.] ([X.]) Standards für etwa 94 % der weltweiten Flüge festlegt, zu denen auch die Praxis der Vorauskasse für Flüge im globalen Buchungs- und Reservierungssystem gehört.

d) Auch die Revision stellt eine Vorleistungspflicht des Fahr- oder Fluggastes nicht grundsätzlich in Frage, wenn sie es für möglich hält, eine Verpflichtung des Fluggastes zur vollständigen Zahlung 30 Tage vor Abflug wirksam zu vereinbaren. Ihre Annahme, weiter dürfe die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild mangels Erforderlichkeit einer solchen Regelung nicht gehen, setzt jedoch voraus, dass dem gesetzlichen Leitbild des [X.] die Zahlung des Flugpreises nach Ankunft des Flugzeugs am Bestimmungsort und damit nach Fertigstellung des "[X.]" entspräche. Dies trüge, wie ausgeführt, der Eigenart des [X.] nicht Rechnung.

4. Vor diesem Hintergrund hält eine Vorauszahlungsklausel in einem [X.], die die sofortige Fälligkeit des Flugpreises unabhängig von dessen Höhe auch bei erst Monate später anstehenden Flügen vorsieht, der [X.] bei Abwägung der Interessen der Vertragspartner stand. Denn die von der gesetzlichen Regelung abweichende Vorleistungspflicht des Kunden kann sich auf sachliche Gründe stützen.

a) Eine Vorleistungspflicht in [X.] Geschäftsbedingungen kann wirksam vereinbart werden, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, der bei Abwägung mit den hierdurch für den Vertragspartner entstehenden Nachteilen Bestand hat (st. Rspr.; [X.], Urteil vom 9. Dezember 2014 - [X.]/12, [X.]Z 203, 335 Rn. 23; Urteil vom 4. März 2010 - [X.], [X.]Z 184, 345 Rn. 12; Urteil vom 24. September 2002 - [X.], [X.], 542, 543; Urteil vom 10. März 1999 - [X.], [X.]Z 141, 108, 114).

b) Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Personenbeförderungsvertrags und vor dem Hintergrund des Unionsrechts, dem - wie die Beklagte - die Luftfahrtunternehmen der [X.] (Art. 2 Buchst. c [X.], Art. 2 Nr. 11 [X.] ([X.]) Nr. 1008/2008) unterworfen sind, widerspricht die beanstandete Regelung nicht einem angemessenen Interessenausgleich. Die gebotene Interessenabwägung erfordert es entgegen der Auffassung des [X.] und von Teilen des Schrifttums ([X.], [X.] 2014, 58-63; [X.], [X.] 2015, 109, 112) insbesondere nicht, die Vorauszahlungsmodalitäten in [X.] Geschäftsbedingungen auf eine Anzahlung bei Vertragsschluss (in Höhe von regelmäßig 20 % des Flugpreises) und eine Restzahlung (höchstens 30 Tage) vor [X.] zu beschränken, wie dies der Rechtsprechung des [X.] zum [X.] entspräche ([X.]Z 203, 335).

aa) In der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, dass der Reiseveranstalter in seinen [X.] Geschäftsbedingungen die Vorauszahlung des Reisepreises vorsehen kann ([X.]Z 203, 335 Rn. 24; [X.], Urteil vom 20. Juni 2006 - [X.], [X.] 2006, 256 Rn. 10; [X.]Z 100, 157, 164 f.). Beschränkungen bei der Vereinbarung einer Vorauszahlungspflicht des Reisenden unterliegt er nur insoweit, als er den vollen Reisepreis grundsätzlich erst 30 Tage vor Reiseantritt verlangen und bei einer bei Vertragsschluss fälligen Anzahlung grundsätzlich keinen Betrag beanspruchen darf, der 20 % des Reisepreises übersteigt. Auch insoweit hat der [X.] jedoch anerkannt, dass vom Reiseveranstalter zu erbringende höhere Vorleistungen, insbesondere in Gestalt der Erfüllung von Forderungen der Leistungsträger, deren sich der Reiseveranstalter für die Erbringung der Reiseleistungen bedient, auch eine höhere Anzahlungsquote rechtfertigen können ([X.]Z 203, 335 Rn. 28); als solche Vorleistungen sind insbesondere die Kosten einer Luftbeförderung in Betracht gezogen worden ([X.]Z 203, 335 Rn. 33).

bb) Bei sofortiger Zahlung des Flugpreises verliert der Fluggast die Einrede des nicht erfüllten Vertrags, d.h. das Recht, die ihm obliegende Zahlung bis zur Bewirkung der Gegenleistung zu verweigern (§ 320 Abs. 1 [X.]). Wie beim Reisevertrag wäre aber ein solches Leistungsverweigerungsrecht faktisch regelmäßig ohne Bedeutung. Auch der Fluggast könnte das Leistungsverweigerungsrecht nicht ausüben, weil er typischerweise keinen Einblick in die Flugvorbereitungen des Luftfahrtunternehmens hat (vgl. zum Reisevertrag [X.]Z 203, 335 Rn. 28; [X.]Z 100, 157, 167). Anders als im [X.] besteht jedoch bei Luftbeförderungsverträgen im Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung aufgrund der darin gewährten unabdingbaren Mindestrechte der Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung, Annullierung oder großen Verspätung, namentlich des pauschalen Ausgleichsanspruchs nach Art. 7, ein unionsrechtlicher Mechanismus, der unabhängig von einem individuellen Leistungsverweigerungsrecht präventiv auf die Luftfahrtunternehmen einwirkt und diese zur Einhaltung der Flugplanung und Erbringung der vertraglichen Beförderungsleistung anhält.

cc) Es verbleibt der Umstand, dass der Fluggast bei einer vollständigen und sofortigen Vorauszahlung des Flugpreises - worauf der Kläger zutreffend hinweist - einen Liquiditätsnachteil erleidet und das volle Risiko der Leistungsunfähigkeit seines Vertragspartners zu tragen hat, das nicht, wie im [X.] gemäß § 651k [X.], durch eine obligatorische Sicherstellung der Flugpreisrückerstattung im Insolvenzfall kompensiert wird. Beide Gesichtspunkte sind nicht ohne Gewicht, vermögen jedoch im Ergebnis keine Unbilligkeit der angegriffenen Klausel zu begründen.

(1) Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Berechtigung des Luftfahrtunternehmens nicht in Frage steht, den vollen Flugpreis 30 Tage vor Abflug fällig zu stellen. Insoweit ist die Überwälzung des Liquiditätsverlustes wie des [X.] ohnedies unvermeidlich. Hinzu kommt, dass [X.] im Land- wie im Luftverkehr ohnehin häufig relativ kurzfristig geschlossen werden. Die verbleibenden Risiken rechtfertigen es nicht, je nach Buchungszeitpunkt eine Abweichung von der Regel für geboten zu halten, dass der Preis für den Flugschein wie für die Fahrkarte "beim Kauf" verlangt werden darf.

(2) Das Insolvenzrisiko ist bei einem Luftfahrtunternehmen der [X.] durch die unionsrechtlichen Zulassungs- und Aufsichtsbestimmungen im Vergleich zu einem Unternehmen, das keiner staatlichen Aufsicht unterliegt, deutlich verringert. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines in der [X.] niedergelassenen Luftfahrtunternehmens gehört gemäß Art. 4, 5 [X.] ([X.]) Nr. 1008/2008 zu den Schwerpunkten des Verfahrens bei der Erteilung einer Betriebsgenehmigung. Um die Gültigkeit der Genehmigung aufrechtzuerhalten, unterliegt das Luftfahrtunternehmen der staatlichen Überwachung und ist jederzeit verpflichtet, seine finanzielle Leistungsfähigkeit nachzuweisen (Art. 8, 9 [X.] ([X.]) Nr. 1008/2008). Erscheinen die finanziellen Bedingungen für eine Aufrechterhaltung des Betriebs nicht gesichert, hat die Genehmigungsbehörde - nicht zuletzt zur Verringerung des Risikos für Fluggäste (Erwägungsgrund 6 der [X.] ([X.]) Nr. 1008/2008) - die Betriebsgenehmigung auszusetzen oder zu widerrufen.

(3) Sowohl der [X.] als auch der nationale Gesetzgeber halten im Bereich des Personenbeförderungsrechts durch spezielle [X.], namentlich die Fluggastrechteverordnung und die Verordnung ([X.]) Nr. 1008/2008, einen ausreichenden Verbraucherschutz für gewährleistet. Dies folgt aus Erwägungsgrund 27 der Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/[X.] des [X.] und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/[X.] des Rates und der Richtlinie 1999/44/[X.] des [X.] und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/[X.] des Rates und der Richtlinie 97/7/[X.] des [X.] und des Rates; [X.]. [X.] 304 S. 64 vom 22. November 2011), wonach die Beförderung von Personen vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen sein solle, weil sie bereits im Rahmen anderer [X.] geregelt werde, beziehungsweise, was den öffentlichen Verkehr und Taxis betrifft, auf [X.] geregelt sei. Infolge der Umsetzung der Richtlinie fällt im nationalen Recht die Beförderung von Personen nicht unter den Anwendungsbereich des Untertitels über besondere Vertriebsformen, "da hier europarechtliche Vorgaben, etwa bei [X.] und öffentlich-rechtliche Regelungen einen ausreichenden Schutz bieten" (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des [X.]; BT-Drucks. 17/12637, [X.] zu § 312 Abs. 2 Nr. 5 [X.]).

(4) [X.] geht mit einem Liquiditätsvorteil des Luftfahrtunternehmens einher, der Teil der [X.] und damit Gegenstand der Preisfestsetzung ist. Nach Art. 22 Abs. 1 [X.] ([X.]) Nr. 1008/2008 legen die Luftfahrtunternehmen der [X.] ihre Flugpreise und Frachtraten für innergemeinschaftliche Flugdienste (unbeschadet des Art. 16 Abs. 1, der den Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, dem [X.] in wirtschaftlich schwachen Regionen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufzuerlegen) frei fest. Unter dem Begriff "Flugpreise" sind nach Art. 2 Nr. 18 die [X.] zu verstehen sowie etwaige Bedingungen, unter denen diese Preise gelten. Dies bedeutet, dass für das Luftfahrtunternehmen ein Spielraum für die Festsetzung der Flugpreise einschließlich der Bedingungen, unter denen diese gelten, besteht. In diese Festsetzung kann deshalb grundsätzlich auch ein Liquiditätsvorteil einfließen, der, auch wenn nicht bei jeder frühzeitigen Flugbuchung ein Preisvorteil erzielbar sein mag, in der Regel nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Kunden führen wird. Der Liquiditäts- und gegebenenfalls Zinsnachteil wird bei frühzeitiger Flugbuchung jedenfalls tendenziell wirtschaftlich durch einen Preisvorteil des Kunden gegenüber einer späteren Buchung ausgeglichen.

(5) Schließlich ist zu berücksichtigen, dass eine andere Beurteilung das Luftfahrtunternehmen zwänge, die bereits erwähnte, auf einer Empfehlung der [X.] beruhende Buchungs- und Abrechnungspraxis auf ein Vorauszahlungsmodell mit einer Anzahlung bei Vertragsschluss und Restzahlung möglichst kurz vor [X.] umzustellen.

Eine solche Umstellung verursachte für das Luftfahrtunternehmen einen erheblichen verwaltungsmäßigen und abrechnungstechnischen Zusatzaufwand, dem - je nach Buchungszeitpunkt - kein wesentlicher Ausgleich der Nachteile gegenüberstünde, die für den Fluggast mit einer Vorauszahlung ohnehin verbunden sind.

Zudem darf bei der gebotenen Interessenabwägung eine mögliche wirtschaftliche Beeinträchtigung der Luftfahrtunternehmen, auch mit Blick auf einen bei einer Abkehr von der international angewandten Abrechnungspraxis möglicherweise auftretenden Wettbewerbsnachteil, nicht unberücksichtigt bleiben. Eine Umstellung der etablierten Zahlungsabwicklung griffe in das Geschäftsmodell der Unternehmen ein. Zur Sicherstellung des für die Sommer- und Winterflugperiode eines jeden Jahres aufzustellenden [X.] im Fluglinienverkehr sind die Luftfahrtunternehmen in besonderem Maße auf Planungssicherheit bei der Refinanzierung der Vorlaufkosten angewiesen. Das Luftfahrtunternehmen kann auch einzelne Plätze eines Fluges nur in begrenztem Umfang vorsorglich mehrfach vergeben, da eine Überbuchung der Kapazitäten zu einer Nichtbeförderung von Fluggästen und damit zu Ausgleichszahlungen nach Art. 7 i.V.m. Art. 4 [X.] führen kann. Es ist zwar richtig, dass das Risiko, kostendeckend zu wirtschaften, vom Unternehmen zu tragen ist. Da höhere Risiken aber regelmäßig höhere Kosten bedeuten und daher auch das [X.] an niedrigen Preisen berühren, sind die Auswirkungen von Risikoerhöhungen gleichwohl in die Interessenabwägung einzubeziehen, zumal, wie dargelegt, Luftfahrtunternehmen im Linienverkehr dem [X.] im Rahmen des veröffentlichten [X.] (§ 21 Abs. 2 Satz 3 [X.]) unterworfen sind und ihre wirtschaftliche Tätigkeit deshalb auch im Allgemeininteresse liegt.

III. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Meier-Beck                       [X.]

                     Schuster                         [X.]

Meta

X ZR 97/14

16.02.2016

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 5. September 2014, Az: I-6 U 23/14, Urteil

§ 307 Abs 1 S 1 BGB, § 307 Abs 2 Nr 1 BGB, § 641 Abs 1 S 1 BGB, § 646 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.02.2016, Az. X ZR 97/14 (REWIS RS 2016, 16248)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 2404 WM2017,494 REWIS RS 2016, 16248


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. X ZR 97/14

Bundesgerichtshof, X ZR 97/14, 16.02.2016.


Az. 6 U 23/14

Oberlandesgericht Köln, 6 U 23/14, 05.09.2014.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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