Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2011, Az. 1 StR 24/10

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 9703

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Gegenstand

Steuerhinterziehung: Unberechtigter Vorsteuerabzug für Lieferungen im Rahmen eines auf Hinterziehung von Umsatzsteuern angelegtem Systems


Leitsatz

Jedenfalls dann, wenn derjenige, für den eine Lieferung ausgeführt wird, weiß, dass diese Teil eines auf Hinterziehung von Umsatzsteuer angelegten Systems ist, so ist er hinsichtlich dieser Lieferung nicht als Unternehmer i.S.d. § 15 UStG tätig. Macht er dennoch die in einer Rechnung für diese Lieferung ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 15 UStG als Vorsteuer geltend, begeht er eine Steuerhinterziehung .

Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12. August 2009 werden als unbegründet verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Verfahrensgegenstand sind Steuerdelikte (Hinterziehung von Umsatzsteuer), die in den [X.] 2006 und 2007 im Rahmen von „zwei groß angelegten und gut organisierten sowie auf Verschleierung ausgerichteten Steuerhinterziehungssystemen“ begangen (System „B.“, [X.] in S.; Steuerverkürzung durch unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuer in Höhe von etwa 10 Mio. €) oder versucht (System „[X.]“, [X.]; vergebliche unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuer in Höhe von etwa 4,8 Mio. €) wurden. Die in näher festgestellter Weise hieran beteiligten Angeklagten wurden, differenziert nach Art und Maß ihrer Beteiligung, wegen vollendeten und/oder versuchten Steuerhinterziehungen jeweils zu Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.

2

Ihre auf eine von allen Angeklagten erhobene Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revisionen bleiben erfolglos (§ 349 Abs. 2 [X.]).

I.

3

Mit der Verfahrensrüge wird geltend gemacht, der in der am 5. November 2008 begonnenen Hauptverhandlung häufig als alleiniger Urkundsbeamter der Geschäftsstelle (Protokollführer) eingesetzte [X.] sei zuvor entgegen § 153 Abs. 5 [X.] nicht mit dieser Aufgabe betraut worden; daher sei insoweit die Hauptverhandlung entgegen § 226 Abs. 1 [X.] ohne Urkundsbeamten der Geschäftsstelle durchgeführt worden (§ 338 Nr. 5 [X.]).

4

1. Folgendes liegt zu Grunde:

5

Der [X.] war nach Bestehen der entsprechenden Prüfung seit 2004 am [X.] tätig und dort 2006 mit den Aufgaben eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle betraut worden. Zum 15. September 2008 wechselte er zum [X.]. Mit Verfügung vom 22. September 2008 übertrug ihm die Personalleiterin die Aufgaben eines Angestellten in Serviceeinheiten. Mit Schreiben vom 11. August 2009 (dem Tag vor der Verkündung des angefochtenen Urteils) betraute ihn der Geschäftsleiter des [X.] im Auftrag der Präsidentin des [X.] mit Wirkung vom 15. September 2008 mit den Aufgaben eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Landgericht.

6

2. Eine Betrauung mit der Aufgabe eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle muss erfolgen, bevor der Betraute diese Aufgabe wahrnimmt ([X.], [X.] 1984, 337; [X.], [X.], 53. Aufl., § 153 [X.] Rn. 3), sie ist also nicht rückwirkend möglich. Wäre sie erst am 11. August 2009 erfolgt, wären zuvor bezüglich des [X.] die Voraussetzungen des § 153 Abs. 5 [X.] nicht erfüllt gewesen.

7

3. Der [X.] entnimmt jedoch die entsprechende Betrauung des [X.] mit genügender Klarheit der genannten Verfügung der Personalleiterin vom 22. September 2008.

8

a) Unter den Voraussetzungen von § 153 Abs. 5 [X.] hier in Verbindung mit § 8 der [X.] ([X.]) der Justizbehörde der [X.] vom 13. Dezember 2004 (HmbJVBl 2004, 95 f.) können Angestellte mit der Aufgabe eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle betraut werden. Es handelt sich dabei um ein Geschäft der Justizverwaltung [X.]. § 22 Satz 1 HmbAG[X.], das den Gerichtspräsidenten zugewiesen ist. Diese können gemäß § 22 Satz 2 HmbAG[X.] zur Erledigung ihnen zugewiesener Justizverwaltungsgeschäfte die ihrer Dienstaufsicht unterstellten Justizangehörigen heranziehen. Die Personalleiterin untersteht der Dienstaufsicht der Präsidentin des [X.]. Sie ist, wie sich aus der ergänzenden Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft im Einzelnen ergibt, unter anderem mit der Entscheidung über den Einsatz von Angestellten im Geschäftsbereich des [X.] betraut. Einen Grundsatz, wonach insoweit eine Einschränkung gelte, weil die Betrauung mit der Aufgabe eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle durch den Präsidenten selbst erfolgen müsse, gibt es nicht (vgl. [X.], Urteil vom 4. Juni 1985 - 1 StR 18/85, [X.] 1985, 492; allgemein zur Möglichkeit, diese nicht an eine bestimmte Form gebundene Betrauung zugleich mit der Zuweisung weiterer Aufgaben an den Angestellten zu verbinden, vgl. OLG Bremen [X.] 1984, 109; [X.]/[X.], [X.], 6. Aufl., § 153 Rn. 22).

9

b) Die Voraussetzungen von § 153 Abs. 5 [X.] liegen hier vor. Bei Einführung dieser Bestimmung (Gesetz zur Neuregelung des Rechts des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 19. Dezember 1979, [X.] I 2306) war die Ausbildung von [X.] nicht auf eine Tätigkeit als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle ausgerichtet (BT-Drucks. 8/2024, [X.], 14). Daher sollte sichergestellt werden, dass nur geeignete Angestellte (BT-Drucks. aaO S. 14) nach sorgfältiger Prüfung im Einzelfall mit dieser Aufgabe betraut wurden (vgl. [X.]/[X.] aaO). Inzwischen umfasst die Berufsausbildung zum [X.] auch das Führen von Hauptverhandlungsprotokollen in Strafsachen (vgl. § 3 Nr. 8 und § 4 der - bundeseinheitlichen - VO über die Berufsausbildung zum/zur [X.] vom 26. Januar 1998 <[X.] I 195> [X.]. Nr. 8b der Anlage zu § 4 JFAngAusbV). Wer die Abschlussprüfung als Justizfachangestellter bestanden hat (§ 8 JFAngAusbV), bietet daher grundsätzlich die Gewähr für die gebotene Sachkunde bei der Protokollführung in Strafsachen. Dies deckt sich mit dem von der Revision vorgelegten Schreiben der Präsidentin des [X.] vom 19. November 2009, wonach ein Justizfachangestellter nach bestandener Prüfung als zur Protokollführung befähigt angesehen wird.

c) Dementsprechend ist auch in der Stellenbeschreibung - die die objektiven Kriterien bestimmt, die man erfüllen muss, um für die Übertragung des Dienstpostens in Betracht zu kommen (allgemein zum Rechtscharakter von Stellenbeschreibungen vgl. [X.]. 33 Nr. 59; [X.] NZA 2005, 1185, 1187) -, die der Einstellung des [X.] zu Grunde lag, die Protokollführung in Strafsachen als ein wesentlicher Tätigkeitsschwerpunkt genannt; auf sie entfallen 30 % der Arbeitszeit. Dem entsprechend lautet die Funktionsbezeichnung dieser Stelle „Geschäftsstellenverwaltung mit Protokollführung in einer … Strafkammer“. Dem entspricht, dass eine Tätigkeit als Protokollführer in Strafsachen ein Tätigkeitsmerkmal ist, das dazu führt, dass die Stelle - wie hier - in die Vergütungsgruppe [X.] eingruppiert ist, während im übrigen vergleichbare, aber nicht mit Protokollführung in Strafsachen verbundene Stellen regelmäßig in die Vergütungsgruppe [X.] eingruppiert sind, also niedriger besoldet werden.

d) Die ihm vorgelegten nachträglichen Erläuterungen der Justizverwaltung versteht der [X.] insgesamt dahin, dass die in der Verfügung vom 22. September 2008 liegende Betrauung des [X.] mit den Aufgaben eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle mit dem genannten Schreiben vom 11. August 2009 ausdrücklich auch schriftlich zum Ausdruck gebracht werden sollte. Der [X.] bemerkt jedoch, dass ein von Beginn an klar dokumentiertes, nicht auslegungsbedürftiges Verwaltungshandeln das Verfahren entlastet hätte.

II.

Auch die Sachrügen bleiben erfolglos.

1. Die abgeurteilten Taten (vor I) beruhten auf folgendem Hinterziehungssystem:

a) Es wurden zum Schein Fakturierungsketten aufgebaut, die den Firmen [X.] den Abzug von in Rechnungen ausgewiesener Umsatzsteuer als Vorsteuer ermöglichen sollten. Zu diesem Zweck wurden jeweils mindestens zwei Gesellschaften vorgeschaltet, deren Aufgabe im Wesentlichen darin bestand, Rechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer zu erstellen. Irgendeinen Spielraum hatten sie dabei nicht, die Rechnungen waren ihnen zuvor von den Angeklagten samt [X.] übersandt worden. Die Rechnungssummen waren dabei planmäßig so gewählt, dass ein „[X.]“ erwirtschaftet wurde, der verschleiert an Firmen im Ausland transferiert werden konnte.

b) Im Einzelnen wurde folgende Vorgehensweise gewählt:

Die jeweils erste Firma der Kette „erwarb“ die Waren aufgrund einer innergemeinschaftlichen Lieferung umsatzsteuerfrei von Unternehmern aus anderen [X.]. Diese erste Firma „veräußerte“ sie dann an eine andere in [X.] ansässige Firma. Der Nettoausgangsrechnungsbetrag wurde gegenüber dem [X.] um gut 100 % „aufgepreist“. Die in diesen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer wurde von der ersten [X.] weder angemeldet noch abgeführt. Die dann in der Kette nachfolgende Gesellschaft fakturierte die Waren mit geringem Aufpreis - direkt oder unter Einschaltung einer dritten Gesellschaft - an die [X.] oder die Firma [X.] weiter. Die in den entsprechenden Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer wurde angemeldet und abgeführt. Damit sollten sich die Umsätze der Firmen [X.] gegenüber den Finanzbehörden als unauffällig darstellen. Diese Firmen generierten den „[X.]“, indem sie die in den an sie gerichteten Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend machten. Die Waren wurden umsatzsteuerfrei an Firmen im [X.] Ausland - jedenfalls auf dem Papier - weitergeleitet.

2. Obwohl die Firmen [X.] danach keinen Anspruch auf Abzug oder Erstattung von Vorsteuer hatten, haben die Angeklagten den Abzug der in den jeweiligen Eingangsrechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuer veranlasst und so durch unrichtige Erklärungen Steuern verkürzt oder dies versucht.

Hier kommt allein eine Vorsteuererstattung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG in Betracht. Eine Vorsteuererstattung setzt voraus, dass in Rechnungen (§ 14 UStG) für Lieferungen eines anderen Unternehmers (§ 2 Abs. 1 UStG) an den Unternehmer, der den Vorsteuerabzug geltend macht, gesondert Umsatzsteuer ausgewiesen ist. Die in den Fakturierungsketten den Firmen B. bzw. [X.] vorgeschalteten Gesellschaften waren hier jedoch in diesem Sinne keine Unternehmer, sondern nicht als Unternehmer einzustufende Strohmänner.

Bei der Entscheidung darüber, ob umsatzsteuerrechtlich ein Unternehmer vorliegt, ist die Gesamtheit der Gegebenheiten des Einzelfalls den Umständen gegenüber zu stellen, unter denen gewöhnlich eine entsprechend vergleichbare wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird (vgl. [X.], Urteil vom 26. September 1996, [X.]/94, Rechtssache Enkler, Rn. 28, 30; vgl. hierzu [X.] in [X.]/Geist, UStG, 9. Aufl., § 2 Rn. 7). Entscheidend ist daher, ob die jeweils hier den Firmen B. oder [X.] vorgeschaltete Firma als Teil der Lieferkette wie ein typischer Händler gehandelt hat (vgl. [X.], Urteil vom 22. Mai 2003 - 5 [X.], [X.], 578, 579 mwN; [X.] 1987, 752; [X.] aaO).

Dies ist zu verneinen. Das „Bild des Handels“ ist durch die wiederholte Anschaffung und Veräußerung von Wirtschaftsgütern im Sinne eines marktmäßigen Umschlags von Sachwerten gekennzeichnet (vgl. auch [X.] 2010, 21). Im hier in Rede stehenden Zusammenhang hatten die vorgeschalteten Firmen weder ein Kapital- noch ein Abnahmerisiko zu tragen. Sie hatten vielmehr ohne eigenen Spielraum im Wesentlichen nur vorgegebene Rechnungen auszustellen. Es liegen sog. [X.] vor, da die vorgeschalteten Firmen nicht im Rahmen eines Geschäftes, das wechselseitige Rechte und Pflichten begründen sollte, eigene Interessen wahrnahmen. Vielmehr waren sich die Beteiligten dieser Geschäfte darüber einig, dass die vorgeschalteten Firmen ohne sonstige eigene Rechte oder Pflichten als im Lager der Firmen B. oder [X.] stehende Hilfspersonen ausschließlich der Durchsetzung von deren Interesse dienten (vgl. [X.] aaO; [X.] aaO Rn. 13 jew. mwN).

Da nach alledem die vorgeschalteten Firmen hier nicht als Unternehmer tätig waren, waren die Firmen [X.] gemäß § 15 UStG nicht zum Vorsteuerabzug im Hinblick auf die von diesen Firmen ausgestellten Rechnungen berechtigt und hatten dementsprechend auch keinen Anspruch auf Erstattung der in diesen Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuer. Durch die gleichwohl auf dieser Grundlage vorgenommenen Umsatzsteuervoranmeldungen haben die Angeklagten (zumindest konkludent) für die Firmen B. und/oder [X.] eine Vorsteuerabzugsberechtigung behauptet und durch diese unrichtigen Erklärungen (täterschaftlich) ungerechtfertigte Steuervorteile für diese beiden Firmen erlangt oder zu erlangen versucht (vgl. auch [X.] aaO). Am Vorsatz besteht kein Zweifel.

3. Unabhängig davon tragen die Feststellungen auch noch aus einem anderen Grunde die Schuldsprüche. Sowohl dem Angeklagten [X.] (Geschäftsführer [X.]) als auch den Angeklagten [X.] und Be. (jeweils Vorstand der [X.]) war nämlich bekannt, dass sich diese Firmen durch den (zumindest auf dem Papier erfolgten) Erwerb der in den Lieferketten fakturierten Waren an Umsätzen beteiligten, die in [X.] einbezogen waren. Auch deshalb waren die Firmen [X.] - ebenso wie die in den Lieferketten vorgeschalteten Unternehmer - hier nicht als Unternehmer i.S.d. § 15 UStG tätig. Die in diesem Zusammenhang wesentlichen Tatsachen - Vorsteuerabzug (bzw. der entsprechende Versuch) durch die Firmen [X.], obwohl Verantwortliche dieser Firmen von der vorangegangenen [X.] wussten - waren auch den übrigen Angeklagten bekannt und sie machten sie sich bei ihrer Beteiligung am Tatgeschehen zu eigen; sie sind daher auch ihnen zuzurechnen.

a) Der Wertung, dass die Firmen [X.] hinsichtlich der hier getätigten Geschäfte nicht als Unternehmer i.S.d. § 15 UStG tätig waren, liegt eine Auslegung dieser Bestimmung zu Grunde, wie sie (auch) [X.] geboten ist. Gemäß Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der „Sechste(n) Richtlinie 77/388 EWG des [X.] über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage“ (ABl. Nr. L 145 S. 1; nachfolgend Sechste Richtlinie) darf der Steuerpflichtige (Art. 4 Abs. 1 und 2 der Sechsten Richtlinie; vgl. zum Begriff des Steuerpflichtigen auch [X.], Urteil vom 6. Juli 2006, [X.]/04, [X.], Rechtssache Kittel u.a. Rn. 41 mwN) „die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer“ (unter anderem) „für Gegenstände“ abziehen, „die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden ...“. Der Anspruch auf diesen Vorteil entfällt jedoch, wenn er in betrügerischer Weise geltend gemacht wird, da eine betrügerische oder sonst missbräuchliche Berufung (auch) auf Gemeinschaftsrecht verboten ist. Die Sechste Richtlinie soll auch das Ziel fördern, Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und damit vergleichbare sonstige Missbräuche zu bekämpfen. Ein derartiger betrügerischer Missbrauch liegt jedenfalls vor, wenn sich der Steuerpflichtige bewusst an einem in eine Mehrwert- bzw. [X.] einbezogenen Umsatz beteiligt: dabei kommt es nicht darauf an, ob er auch schon die (frühere) [X.] selbst begangen hat, sondern es genügt, wenn ihm diese bekannt ist (vgl. [X.] aaO Rn. 54 ff., 61 mwN; die Auffassung der Revision, dass diese Entscheidung „mittlerweile durch neuere Entscheidungen [des [X.]] überholt sein dürfte“, teilt der [X.] nicht, vgl. [X.], Urteil vom 7. Dezember 2010, [X.]/09, Rechtssache R Rn. 52 ff.).

b) Unter diesen Umständen können auch die Firmen [X.] nach Auffassung des [X.]s nicht als Unternehmer i.S.d. § 15 UStG angesehen werden. Das Vorliegen eines Unternehmers i.S.d. § 15 Abs. 1 UStG ist in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch, bei solcher wirtschaftlicher Betätigung zu verneinen, die sich durch bewusste Beteiligung an und bewusste Ausnutzung von anderweitigen Steuerstraftaten steuerrechtliche Vorteile verschafft, wie etwa hier „[X.]e“ auf der Grundlage von [X.], die innerhalb einer eigens zu diesem Zweck geschaffenen Lieferkette begangen wurden. Die sonstigen Voraussetzungen von § 370 AO liegen, wie dargelegt, vor.

c) Da nach alledem hier die Firmen [X.] schon nicht i.S.d. § 15 UStG als Unternehmer tätig waren, bedarf es keiner Entscheidung, ob das Recht zum Vorsteuerabzug auch mit der Begründung zu verneinen sein könnte, dass unter den gegebenen Umständen (trotz möglicherweise durchgeführter Warenbewegung i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG) auch keine Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen, zum Vorsteuerabzug berechtigenden Sinne vorliegt (vgl. in diesem Zusammenhang [X.], 94; [X.], 81; vgl. auch [X.] wistra 2009, 1, 5).

d) Soweit das [X.] in diesem Zusammenhang dahin zu verstehen ist, dass gegen die der genannten Begründung - [X.] auch deshalb, weil die Firmen [X.] wegen bewusster Beteiligung an einem in eine [X.] einbezogenen Umsatz keine vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer sind - zu Grunde liegende Auslegung des Gesetzes unter dem Blickwinkel des [X.] (vgl. Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) Bedenken bestehen, teilt der [X.] diese Auffassung nicht.

aa) Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] und des [X.] bestehen an der hinreichenden Bestimmtheit von § 370 AO selbst keine Zweifel (vgl. nur [X.] 37, 201; [X.], Urteil vom 19. Dezember 1990 - 3 [X.], [X.]St 37, 266 ff.). Insoweit hat der Gesetzgeber selbst abstrakt-generell hinreichend bestimmt über die Strafbarkeit entschieden. Es gibt keinen Steueranspruch des Staates, der nach dem Willen des Gesetzes nicht gegen eine rechtswidrige und schuldhafte Verkürzung strafrechtlich geschützt sein soll. Dies gilt umso mehr, als das materielle Steuerrecht selbst aufgrund seines Eingriffscharakters dem allgemeinen, aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Bestimmtheitsgebot unterliegt (Gesetzmäßigkeit der Besteuerung, vgl. Tipke/Lang Steuerrecht, 20. Aufl., § 4 Rn. 150 ff.).

bb) Nach Auffassung des [X.]s bestehen auch hinsichtlich der Auslegung von § 15 UStG im vorgenannten Sinne mit Blick auf den [X.] keine Bedenken. Sie ist nicht nur, wie dargelegt, ohne weiteres mit dem Wortlaut des Gesetzes zu vereinbaren, sondern sie entspricht auch dem Normzusammenhang und der Zwecksetzung des Umsatzsteuerrechts. Letztlich soll der Endverbraucher die Umsatzsteuer tragen, der Unternehmer soll dagegen vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Umsatzsteuer entlastet werden. Dies gewährleistet die Neutralität der umsatzsteuerlichen Belastung aller ihrerseits der Umsatzsteuer unterliegenden wirtschaftlichen Tätigkeiten, unabhängig von den Zwecken und (oder) Ergebnissen dieser Tätigkeiten (vgl. [X.], Urteil vom 6. Juli 2006, [X.]/04, [X.], Rechtssache Kittel u.a. Rn. 48 mwN). Jedenfalls für die Adressaten des Umsatzsteuergesetzes - ausschließlich Unternehmer, die auf Grund von Ausbildung und (oder) praktischer Erfahrung über das einschlägige Fachwissen verfügen - ist dieser Normzusammenhang, als zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm, ohne weiteres erkennbar. Sie sind als regelmäßig dazu im Stande anzusehen, den Regelungsgehalt dieses Gesetzes zu verstehen und ihm konkrete Verhaltensanweisungen zu entnehmen (vgl. [X.] 48, 48, 56 f. mwN; [X.] wistra 2010, 396, 404). Deswegen haben sie - über den Wortlaut der Vorschrift hinaus - auch insoweit die Möglichkeit, das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die staatliche Reaktion vorauszusehen.

Die geschilderte Generierung von „[X.]en“ verstößt gegen das dargelegte Prinzip der Umsatzsteuerneutralität. Der Staat erstattet Vorsteuer, die er zuvor nicht in Form der Umsatzsteuer erhalten hat. Die anderen Marktteilnehmer, die derartige illegale „[X.]e“ nicht generieren, haben dadurch Wettbewerbsnachteile. Die hiermit verbundene Verletzung der Gerechtigkeitsprinzipien des Umsatzsteuergesetzes und die daraus resultierenden strafrechtlichen Konsequenzen sind nach Auffassung des [X.]s für jedermann, jedenfalls aber für die Adressaten des Umsatzsteuergesetzes, zu denen die Angeklagten zählen, erkennbar.

4. Auch im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

[X.]     

        

     Wahl

        

Hebenstreit

        

Ri[X.] Prof. Dr. Jäger ist wegen
Urlaubsabwesenheit an der
Unterschrift verhindert.

                          
        

[X.]   

        

     Sander     

        

Meta

1 StR 24/10

08.02.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 12. August 2009, Az: 620 KLs 12/08, Urteil

§ 370 Abs 1 Nr 1 AO, § 15 Abs 1 UStG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.02.2011, Az. 1 StR 24/10 (REWIS RS 2011, 9703)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9703

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