Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.01.2020, Az. 7 AZR 222/19

7. Senat | REWIS RS 2020, 313

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Gegenstand

Freigestelltes Betriebsratsmitglied - Vergütung - Benachteiligungsverbot - berufliche Entwicklung


Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 29. November 2018 - 5 [X.]/18 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.]ie Parteien streiten über Vergütungsansprüche.

2

[X.]er [X.]läger ist bei der beklagten [X.] und ihrer Rechtsvorgängerin seit dem 1. Oktober 1990 als [X.]ssekretär beschäftigt. Nach der Gründung der [X.] im März 2001 wurde der [X.]läger zum Mitglied des Betriebsrats des [X.] gewählt. Seit den [X.] im Mai 2006 ist der [X.]läger Betriebsratsvorsitzender und von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt.

3

[X.]er [X.] der [X.] gliedert sich in neun Bezirke und zwölf Fachbereiche. Jeder Bezirk wird von einem sog. Bezirksgeschäftsführer geleitet. [X.] gab es für jeden Bezirksgeschäftsführer jeweils vier stellvertretende Bezirksgeschäftsführer mit einem Stellenanteil von 0,2, insgesamt also 36 stellvertretende Bezirksgeschäftsführer. [X.]iese Anzahl der [X.] sollte dazu dienen, alle Gründungsgewerkschaften angemessen in Führungspositionen zu repräsentieren. Seit dem [X.] gibt es für jeden Bezirksgeschäftsführer nur noch einen Stellvertreter mit einem Stellenanteil von 1,0. Bei den stellvertretenden Bezirksgeschäftsführern handelt es sich um [X.]ssekretäre. [X.]ie Führungsfunktionen werden aus dem [X.]reis der [X.]ssekretäre besetzt.

4

[X.]as bei der [X.] angewendete Vergütungssystem ergibt sich aus der Gesamtbetriebsvereinbarung Entgelt (im Folgenden [X.]) aus dem Jahr 2012. [X.]iese lautet auszugsweise wie folgt:

        

„[X.] 8 …

        

Tätigkeitsbeispiele:

        

[X.] 1 …

        

8.1.1 

[X.]ssekretär/in mit Betreuungsbereich, denen als zusätzliche Aufgabe überbezirkliche und/oder landesbezirksübergreifende

                 

Tarifarbeit

                 

Betreuungsaufgaben von betrieblichen Mitbestimmungsgremien (z.B. [X.], [X.], [X.])

                 

[X.]oordination von Branchen- bzw. Teilbranchenarbeit nicht nur in Ausnahmefällen übertragen wurden

        

8.1.2 

stellvertretende/r Bezirksgeschäftsführer/in in Bezirken bis 14.999 abgerechnete Mitglieder2

        

[X.] 2 …

        

8.2.1 

stellvertretende/r Bezirksgeschäftsführer/in in Bezirken ab 15.000 abgerechnete Mitglieder2

        

…       

        
                          
        

[X.] 9 …

        

Hierunter fallen abschließend folgende Funktionen:

        

[X.] 1 …

        

9.1.1 

Bezirksgeschäftsführer/in eines Bezirkes mit bis zu 14.999 abgerechneten Mitgliedern2

        

9.1.2 

Landesfachbereichsleiter/in eines Landesfachbereiches mit bis zu 14.999 abgerechneten Mitgliedern2

        

…       

        
        

[X.] 2 …

        

9.2.1 

Bezirksgeschäftsführer/in eines Bezirkes ab 15.000 abgerechneten Mitgliedern3

        

9.2.2 

Landesfachbereichsleiter/in eines Landesfachbereiches ab 15.000 abgerechneten Mitgliedern3

5

[X.]ie Fußnoten 2 und 3 lauten:

        

„Ist die Zahl der abgerechneten Mitglieder für die Eingruppierung erheblich, wird auf den [X.]urchschnitt der letzten vier Quartale abgestellt.“

6

[X.]er [X.]läger war vor seiner Freistellung mit einem Stellenanteil von 0,8 als Betreuungssekretär Handel und mit einem Stellenanteil von 0,2 als stellvertretender Bezirksgeschäftsführer im [X.] tätig und wurde dementsprechend - auch während seiner Freistellung - nach der [X.] 8.2 [X.] vergütet. Mit Schreiben vom 7. Juni 2016 beantragte der [X.]läger die Höhergruppierung in die [X.] 9.2 [X.]. [X.]araufhin gruppierte die Beklagte den [X.]läger mit Wirkung ab dem 1. August 2016 in die [X.] 9.1 [X.] ein. Zu diesem Zeitpunkt waren drei der neun Bezirksgeschäftsführer ([X.], R und L) und zwei Fachbereichsleiter (Fachbereiche 3 und 12) aufgrund der jeweiligen Mitgliederzahlen in die [X.] 9.2 [X.] eingruppiert. Aufgrund seiner Tätigkeit als Tarifkoordinator erhielt der [X.] ebenfalls eine Vergütung nach der [X.] 9.2 [X.].

7

Mit seiner bei dem Arbeitsgericht am 11. September 2017 eingegangenen und der [X.] am 18. September 2017 zugestellten [X.]lage hat der [X.]läger die Zahlung der Vergütungsdifferenz zwischen den [X.]n 9.1 und 9.2 [X.] für den Zeitraum von August 2016 bis einschließlich Oktober 2017 verlangt sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm ab November 2017 eine Vergütung nach der [X.] 9.2 [X.] zu zahlen. Er hat geltend gemacht, nach der betriebsüblichen Entwicklung wäre er - was sich auch aus seiner Eingruppierung ergebe - spätestens mit Wirkung ab dem 1. August 2016 mit den Aufgaben eines Bezirksgeschäftsführers betraut worden. Er sei unter Berücksichtigung seiner Leistungsstärke nur mit der Bezirksgeschäftsführerin im [X.], dem Bezirksgeschäftsführer im [X.], dem Bezirksgeschäftsführer im [X.] sowie mit dem Landesbezirksleiter Handel B vergleichbar. [X.]ie Beklagte besetze ihre Führungspositionen in der Regel aus dem [X.]reis der im Bezirk beschäftigten [X.]ssekretäre; dies sei in sieben von neun Bezirken praktiziert worden. [X.]aher sei zu erwarten gewesen, dass er im [X.] mit derzeit mehr als 15.000 zahlenden Mitgliedern eingesetzt worden wäre oder im Bezirk L, da er dort seine Betriebsratsarbeit leiste. Im Übrigen hätten sich der im [X.] altersbedingt ausgeschiedene Bezirksgeschäftsführer des Bezirks [X.], Herr M, sowie der [X.] seinerzeit dafür ausgesprochen, dass er - der [X.]läger - Nachfolger von [X.] werden solle. Er habe aber aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit von einer Bewerbung abgesehen.

8

[X.]er [X.]läger hat beantragt,

        

1.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 1. November 2016 3.433,00 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. September 2017 zu zahlen,

        

2.    

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn ab November 2017 Vergütung nach [X.] 9.2 [X.] zu zahlen.

9

[X.]ie Beklagte hat beantragt, die [X.]lage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der [X.]läger sei mit sämtlichen im Zeitpunkt seiner Freistellung vorhandenen 36 stellvertretenden Bezirksgeschäftsführern vergleichbar. Eine Entwicklung vom stellvertretenden Bezirksgeschäftsführer zum Bezirksgeschäftsführer eines Bezirks mit mehr als 15.000 abgerechneten Mitgliedern (sog. großer Bezirk) sei nicht betriebsüblich, ebenso wenig eine Beförderung innerhalb desselben Bezirks. Von den derzeit neun Bezirksgeschäftsführern seien lediglich zwei zuvor stellvertretende Bezirksgeschäftsführer gewesen, nämlich Frau [X.] und [X.]; nur Frau [X.] sei zuvor in demselben Bezirk stellvertretende Bezirksgeschäftsführerin gewesen. [X.]er Umstand, dass der [X.]läger im [X.] als Nachfolger des damaligen [X.] gehandelt worden sei, bedeute nicht, dass er sich im Fall einer Bewerbung in dem Auswahlverfahren durchgesetzt hätte. [X.]agegen spreche insbesondere die vorgegebene Förderung von Frauen.

[X.]as Arbeitsgericht hat der [X.]lage stattgegeben, das [X.] hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der [X.]läger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. [X.]ie Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Mit der vom [X.] gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden. Der [X.] kann auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilen, ob der Kläger seit dem 1. August 2016 nach der [X.] 9.2 [X.] zu vergüten ist.

I. Die Klage ist insgesamt zulässig. Entgegen der Ansicht der [X.] erfüllt der Feststellungsantrag die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO.

1. Der Klageantrag zu 2. ist auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO gerichtet. Eine Feststellungsklage muss sich nicht auf ein Rechtsverhältnis im Ganzen beziehen, sondern kann sich auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen sowie auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (st. Rspr., zB [X.] 25. April 2018 - 7 [X.] - Rn. 17 mwN). So liegt der Fall hier. Die Parteien streiten über den Umfang der Zahlungsverpflichtung der [X.].

2. Für den Feststellungsantrag, der sich nicht mit dem Leistungsantrag zeitlich überschneidet, besteht auch das erforderliche Feststellungsinteresse.

a) Die Beklagte stellt die Verpflichtung, den Kläger nach der [X.] 9.2 [X.] zu vergüten, in Abrede, so dass ein rechtliches Interesse des [X.] an der Klärung seiner zutreffenden Eingruppierung vorliegt.

b) Der Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen. Eine Feststellungsklage ist trotz der Möglichkeit einer bezifferten Leistungsklage zulässig, wenn mit ihr eine sachgerechte, einfache Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu erreichen ist und prozesswirtschaftliche Überlegungen gegen einen Zwang zur Leistungsklage sprechen. ([X.] 27. Februar 2014 - 6 [X.] - Rn. 44). Zudem gilt der Vorrang der Leistungsklage vor der Feststellungsklage nicht für Klagen auf künftige Leistung nach §§ 257 bis 259 ZPO; zwischen diesen Klagen und einer Feststellungsklage kann der Gläubiger vielmehr wählen. Er muss bei teils fälligen, teils noch nicht fälligen Ansprüchen auch keine Aufteilung in einen Leistungs- und einen Feststellungsantrag vornehmen ([X.] 13. März 2007 - 1 [X.] - Rn. 18). Danach kann der Kläger im Wege einer Feststellungsklage klären lassen, ob die Beklagte verpflichtet ist, ihm ab dem 1. November 2017 Vergütung nach der [X.] 9.2 [X.] zu zahlen. Mit der Entscheidung wird die Höhe der Vergütungsansprüche des [X.] auch für die Zukunft dem Streit der Parteien entzogen.

c) Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil sich die Eingruppierung der Bezirksgeschäftsführer und Landesfachbereichsleiter, die der Kläger zur Begründung seiner Klage heranzieht, nach der [X.] infolge des Absinkens der Zahl der abgerechneten Mitglieder ihres Bezirks bzw. Fachbereichs ändern könnte. Eine mögliche Änderung der Sachlage nach Abschluss des Rechtsstreits steht dem Feststellungsinteresse nicht entgegen. Soweit sich in der Zukunft die für die Vergütung des [X.] maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ändern sollten, entfiele die [X.] (vgl. [X.] 15. Januar 2013 - 3 [X.] - Rn. 24, [X.]E 144, 160).

II. Mit der vom [X.] gegebenen Begründung kann nicht angenommen werden, dass dem Kläger kein Anspruch auf Vergütung nach der [X.] 9.2 [X.] zusteht.

1. Das [X.] hat mit einer rechtsfehlerhaften Begründung einen Anspruch nach § 37 Abs. 4 [X.] verneint.

a) Nach § 37 Abs. 4 Satz 1 [X.] darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit [X.] beruflicher Entwicklung. Diese Vorschrift soll sicherstellen, dass Mitglieder des Betriebsrats weder in wirtschaftlicher noch in beruflicher Hinsicht gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern mit [X.] beruflicher Entwicklung Nachteile erleiden ([X.] 21. Februar 2018 - 7 [X.] - Rn. 16; 18. Januar 2017 - 7 [X.] - Rn. 15; 14. Juli 2010 - 7 [X.] - Rn. 30; 16. Januar 2008 - 7 [X.] 887/06 - Rn. 15; 19. Januar 2005 - 7 [X.] 208/04 - zu I 2 a der Gründe). Die Gehaltsentwicklung des Betriebsratsmitglieds darf daher während der Dauer seiner Amtszeit in Relation zu derjenigen vergleichbarer Arbeitnehmer nicht zurückbleiben ([X.] 18. Januar 2017 - 7 [X.] - Rn. 15; 19. Januar 2005 - 7 [X.] 208/04 - zu I 2 a der Gründe).

aa) Vergleichbar iSv. § 37 Abs. 4 Satz 1 [X.] sind Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt haben wie der Amtsträger und dafür in gleicher Weise wie dieser fachlich und persönlich qualifiziert waren (vgl. [X.] 21. Februar 2018 - 7 [X.] - Rn. 17; 18. Januar 2017 - 7 [X.] - Rn. 16; 19. Januar 2005 - 7 [X.] 208/04 - zu II 1 der Gründe; 15. Januar 1992 - 7 [X.] 194/91 - zu II 1 a der Gründe; 11. Dezember 1991 - 7 [X.] 75/91 - zu II 1 der Gründe).

bb) Üblich ist eine Entwicklung, die vergleichbare Arbeitnehmer bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht genommen haben ([X.] 21. Februar 2018 - 7 [X.] - Rn. 17; 18. Januar 2017 - 7 [X.] - Rn. 16). Eine Üblichkeit entsteht aufgrund gleichförmigen Verhaltens des Arbeitgebers und einer von ihm aufgestellten Regel. Dabei muss der Geschehensablauf so typisch sein, dass aufgrund der Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten zumindest in der überwiegenden Anzahl der vergleichbaren Fälle mit der jeweiligen Entwicklung gerechnet werden kann. Da § 37 Abs. 4 Satz 1 [X.] das Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 [X.] konkretisiert, darf die Anwendung der Vorschrift auch nicht zu einer Begünstigung des Betriebsratsmitglieds gegenüber anderen Arbeitnehmern führen. Deshalb ist die Übertragung höherwertiger Tätigkeiten nur dann [X.], wenn diese dem Betriebsratsmitglied nach den betrieblichen Gepflogenheiten hätten übertragen werden müssen oder die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen Aufstieg erreicht. Nicht ausreichend ist es deshalb, dass das Betriebsratsmitglied bei der Amtsübernahme in seiner bisherigen beruflichen Entwicklung einem vergleichbaren Arbeitnehmer vollkommen gleichgestanden hat oder die Besserstellung eines oder mehrerer vergleichbarer Arbeitnehmer auf individuellen, nur auf diese bzw. diesen Arbeitnehmer persönlich zugeschnittenen Gründen beruht (vgl. [X.] 18. Januar 2017 - 7 [X.] - Rn. 16; 4. November 2015 - 7 [X.] 972/13 - Rn. 22; 14. Juli 2010 - 7 [X.] - Rn. 30).

cc) Geht es - wie hier - zunächst darum, eine [X.]e Beförderungspraxis als Voraussetzung einer entsprechenden Gehaltssteigerung darzulegen, hat das Mitglied des Betriebsrats unter Berücksichtigung der ihm zugänglichen Tatsachen vorzutragen, mit welchen Arbeitnehmern es aus seiner Sicht vergleichbar ist und aus welchen Umständen auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit zu schließen ist, dass die Mehrzahl der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer die behauptete Gehaltsentwicklung genommen hat ([X.] 4. November 2015 - 7 [X.] 972/13 - Rn. 24).

b) Von diesen Grundsätzen ist das [X.] zwar im Ansatz ausgegangen. Es hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass für die Bestimmung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer vorliegend ausnahmsweise nicht der Zeitpunkt der Amtsübernahme, sondern der Zeitpunkt der Freistellung maßgebend sei.

aa) Eine solche Ausnahme kann - anders als vom [X.] angenommen - nicht damit begründet werden, dass § 37 Abs. 4 [X.] vor allem bei freigestellten Betriebsratsmitgliedern zum Zuge komme. Der Schutz vor finanziellen Nachteilen wegen der Ausübung der Betriebsratstätigkeit nach § 37 Abs. 4 [X.] steht einem Betriebsratsmitglied für die Dauer seiner Mitgliedschaft im Betriebsrat und einen Zeitraum von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit zu. Deshalb kommt es darauf an, ob die Gehaltsentwicklung des Betriebsratsmitglieds während der gesamten Dauer seiner Amtsausübung in Relation zu derjenigen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückgeblieben ist (vgl. [X.] 21. Februar 2018 - 7 [X.] 587/16 - Rn. 24; 18. Januar 2017 - 7 [X.] - Rn. 15; 19. Januar 2005 - 7 [X.] 208/04 - zu I 2 a der Gründe; 17. Mai 1977 - 1 [X.] 458/74 - zu 3 der Gründe).

bb) Auf den Zeitpunkt der Freistellung kann entgegen der Ansicht des [X.]s auch dann nicht abgestellt werden, wenn zwischen den Parteien unstreitig ist, dass das Betriebsratsmitglied vor seiner Freistellung aufgrund der [X.] durchlaufenen beruflichen Entwicklung und der konkret ausgeübten Tätigkeit zutreffend vergütet wurde. Ein nach § 38 [X.] freigestelltes Betriebsratsmitglied würde gegenüber einem nicht freigestellten Betriebsratsmitglied ungleich behandelt, wenn anlässlich seiner Freistellung ohne sachlichen Grund der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer neu bestimmt werden könnte (vgl. [X.] Die persönliche Rechtsstellung von [X.] S. 38 f.).

2. Das [X.] hat auch mit einer rechtsfehlerhaften Begründung einen Anspruch aus § 78 Satz 2 [X.] verneint.

a) Entgegen der Ansicht des [X.]s kann ein Anspruch eines Betriebsratsmitglieds auf Zahlung einer höheren Vergütung aus § 78 Satz 2 [X.] folgen.

aa) § 37 Abs. 4 [X.] ist keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers. Die Vorschrift soll nur die Durchsetzung des [X.] durch einfach nachzuweisende Anspruchsvoraussetzungen erleichtern. Daneben kann sich ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung aus § 611a Abs. 2 BGB (bis zum 31. März 2017: § 611 Abs. 1 BGB) iVm. § 78 Satz 2 [X.] ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. Die Vorschrift enthält ein an den Arbeitgeber gerichtetes allgemeines Verbot, ein Betriebsratsmitglied wegen der Amtstätigkeit in seiner beruflichen Entwicklung zu benachteiligen. Der Arbeitgeber muss den Mitgliedern der in § 78 Satz 1 [X.] genannten Arbeitnehmervertretungen eine berufliche Entwicklung gewährleisten, die derjenigen entspricht, die sie ohne ihre Amtstätigkeit durchlaufen hätten. Von dem Benachteiligungsverbot erfasst wird nicht nur die berufliche Tätigkeit, sondern auch das sich aus ihr ergebende Entgelt. Ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, kann daher den Arbeitgeber unmittelbar auf Zahlung der höheren Vergütung in Anspruch nehmen ([X.] 4. November 2015 - 7 [X.] 972/13 - Rn. 30; 17. August 2005 - 7 [X.] 528/04 - zu 2 a der Gründe mwN).

bb) Ein Anspruch aus § 78 Satz 2 [X.] setzt allerdings voraus, dass dem Betriebsratsmitglied der Nachweis gelingt, dass es ohne seine Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrats inzwischen mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm den Anspruch auf das begehrte Arbeitsentgelt geben würde. Es bedarf daher der wenn auch auf Hilfstatsachen beruhenden Feststellung des Tatrichters, dass das Betriebsratsmitglied diese berufliche Entwicklung ohne seine Amtstätigkeit tatsächlich genommen hätte ([X.] 17. August 2005 - 7 [X.] 528/04 - zu 2 b der Gründe).

cc) [X.] der Amtsträger geltend machen, dass er ohne Ausübung seines Amts oder ohne die Freistellung durch Beförderungen einen beruflichen Aufstieg genommen hätte, hat er hierzu mehrere Möglichkeiten ([X.] 4. November 2015 - 7 [X.] 972/13 - Rn. 31; 27. Juni 2001 - 7 [X.] 496/99 - zu [X.] 1 b der Gründe, [X.]E 98, 164). Er kann vortragen, dass seine Bewerbung auf eine bestimmte Stelle gerade wegen seiner Freistellung und/oder seiner Betriebsratstätigkeit erfolglos geblieben ist ([X.] 4. November 2015 - 7 [X.] 972/13 - Rn. 31; 27. Juni 2001 - 7 [X.] 496/99 - zu [X.] 1 b aa der Gründe mwN, aaO). Hat sich ein freigestellter Amtsträger - wie im Streitfall der Kläger - auf eine bestimmte Stelle tatsächlich nicht beworben, kann und muss er zur Begründung des fiktiven [X.] darlegen, dass er die Bewerbung gerade wegen seiner Freistellung unterlassen hat und eine Bewerbung ohne die Freistellung erfolgreich gewesen wäre. Aber auch wenn eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung danach keinen Erfolg gehabt hätte oder hätte haben müssen, steht dies einem Anspruch nicht zwingend entgegen. Scheitert nämlich eine tatsächliche oder eine fiktive Bewerbung des freigestellten Amtsträgers an fehlenden aktuellen Fachkenntnissen oder daran, dass der Arbeitgeber sich zur Beurteilung der fachlichen und beruflichen Qualifikation infolge der Freistellung außerstande gesehen hat, so ist zwar die Entscheidung des Arbeitgebers für den als qualifizierter erachteten Bewerber nicht zu beanstanden. Gleichwohl kann in einem solchen Fall ein fiktiver Beförderungsanspruch des Amtsträgers bestehen, wenn das Fehlen von feststellbarem aktuellen Fachwissen gerade aufgrund der Freistellung eingetreten ist (vgl. [X.] 4. November 2015 - 7 [X.] 972/13 - Rn. 31; 14. Juli 2010 - 7 [X.] - Rn. 20 mwN).

b) Das [X.] hat zudem verfahrensfehlerhaft angenommen, der Kläger habe [X.] nicht an seiner Behauptung festgehalten, dass er im Jahr 2009 Bezirksgeschäftsführer im [X.] geworden wäre, wenn er von der Bewerbung nicht im Hinblick auf sein Betriebsratsamt abgesehen hätte. Dies rügt der Kläger zu Recht.

aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gelangt mit der zulässigen Berufung der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff des ersten Rechtszugs in die Berufungsinstanz. Das gilt auch dann, wenn ihn das erstinstanzliche Gericht als unerheblich angesehen und es daher keine Feststellungen getroffen hat (st. Rspr., vgl. [X.] 13. Januar 2012 - [X.]/10 - Rn. 11 mwN; 13. April 2011 - [X.]/09 - Rn. 35, [X.]Z 189, 182). Das Berufungsgericht hat deshalb auch schriftsätzlich angekündigtes, entscheidungserhebliches Parteivorbringen zu berücksichtigen, das von dem erstinstanzlichen Gericht für unerheblich erachtet worden ist, selbst wenn es im [X.] keine Erwähnung gefunden hat (st. Rspr., vgl. [X.] 18. September 2019 - 5 [X.] 240/18 - Rn. 27; [X.] 13. Januar 2012 - [X.]/10 - Rn. 11 mwN; 13. April 2011 - [X.]/09 - Rn. 35, aaO). Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine Partei den im ersten Rechtszug gehaltenen Vortrag in der Berufung nicht weiterverfolgt, also „fallen lässt“. Dies kann ausdrücklich, aber auch konkludent erfolgen. Insoweit ist zu beachten, dass ein Verzicht auf Rechte im Allgemeinen nicht zu vermuten ist, so dass deren Aufgabe nur unter strengen Voraussetzungen, nämlich bei einem dahingehenden unzweideutigen Verhalten oder sonst eindeutigen Anhaltspunkten angenommen werden kann. Das gilt in gleicher Weise für [X.] Vorbringen, bei dem hinzukommt, dass etwaige Zweifel über seinen Fortbestand eine Aufklärung nach § 139 Abs. 1 ZPO gebieten ([X.] 18. September 2019 - 5 [X.] 240/18 - Rn. 27; [X.] 14. November 2017 - [X.]/17 - Rn. 17).

bb) Hiernach durfte das [X.] nicht davon ausgehen, dass der Kläger seine Behauptung, er wäre im Jahre 2009 Bezirksgeschäftsführer im [X.] geworden, wenn er von der Bewerbung nicht im Hinblick auf sein Betriebsratsamt abgesehen hätte, im zweiten Rechtszug nicht weiterverfolgt hat. Einen ausdrücklichen Verzicht hat der Kläger nicht erklärt. Allein der Umstand, dass der Kläger seine Behauptung auf das Bestreiten der [X.] nicht substantiiert hat, rechtfertigt nicht die Annahme, er habe dieses Vorbringen fallen lassen.

III. Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.]. Dem [X.] ist eine abschließende Sachentscheidung nicht möglich.

1. Die auf § 37 Abs. 4 und § 78 Satz 2 [X.] gestützte Klage ist allerdings derzeit nicht schlüssig.

a) Soweit der Kläger seinen Anspruch auf § 37 Abs. 4 [X.] stützt, hat er bislang nicht schlüssig dargelegt, dass die Mehrzahl der im Zeitpunkt seiner Amtsübernahme vergleichbaren Arbeitnehmer mit [X.] beruflicher Entwicklung inzwischen nach der [X.] 9.2 [X.] vergütet werden.

aa) Der Kläger hat nicht vorgetragen, welche Tätigkeit er bei der Übernahme des [X.] ausgeübt hat und mit welchen Arbeitnehmern er zu diesem Zeitpunkt vergleichbar gewesen sein soll. Sollte der Kläger bereits bei der Amtsübernahme stellvertretender Bezirksgeschäftsführer im [X.] und [X.] im Fachbereich 12 (Handel) gewesen sein, könnte er sein Begehren nur dann auf § 37 Abs. 4 [X.] stützen, wenn die Mehrzahl der im Zeitpunkt der Amtsübernahme mit ihm vergleichbaren stellvertretenden Bezirksgeschäftsführer und [X.]e zum Bezirksgeschäftsführer eines Bezirks mit mindestens 15.000 abgerechneten Mitgliedern oder zum Landesfachbereichsleiter eines Landesfachbereichs mit mindestens 15.000 abgerechneten Mitgliedern aufgestiegen und deshalb in die [X.] 9.2 [X.] eingruppiert wäre. Dies hat der Kläger bisher nicht dargelegt. Seine Behauptung, er gehöre zu den „leistungsstarken Personen“, rechtfertigt daher nicht die Annahme, er sei nur mit [X.] (inzwischen Bezirksgeschäftsführerin Nord/Ost), [X.] (inzwischen Bezirksgeschäftsführer L), [X.] (inzwischen Bezirksgeschäftsführer R) sowie [X.] (inzwischen Leiter des Fachbereichs 12) vergleichbar.

bb) Der Kläger hat einen Anspruch aus § 37 Abs. 4 [X.] auch unter Berücksichtigung seiner früheren Tätigkeit im [X.] und seiner zum 1. August 2016 erfolgten Höhergruppierung in die [X.] 9.1 [X.] nicht mit der Behauptung dargelegt, dass die Beklagte Bezirksgeschäftsführer regelmäßig aus dem Kreis der örtlichen stellvertretenden Geschäftsführer des jeweiligen Bezirks rekrutiere. Dies gilt schon deshalb, weil die Höhergruppierung des [X.] nicht auf die Betriebsüblichkeit einer Entwicklung vom stellvertretenden Bezirksgeschäftsführer zum Bezirksgeschäftsführer schließen lässt. Zudem ist die Behauptung des [X.] zur Üblichkeit einer regionalen Beförderung unsubstantiiert. Der Kläger hat nicht konkret vorgetragen, in welchen Bezirken ein stellvertretender Bezirksgeschäftsführer zum Bezirksgeschäftsführer aufgestiegen sein soll.

b) Der Kläger hat bislang auch einen Anspruch aus § 78 Satz 2 [X.] nicht schlüssig dargelegt. Voraussetzung für einen solchen Anspruch wäre, dass der Kläger ohne Ausübung seines Amts oder ohne die Freistellung durch Beförderungen zum Bezirksgeschäftsführer eines Bezirks mit mindestens 15.000 abgerechneten Mitgliedern oder zum Landesfachbereichsleiter eines Landesfachbereichs mit mindestens 15.000 abgerechneten Mitgliedern aufgestiegen wäre. Der Kläger hat zwar insoweit behauptet, er wäre im Fall einer Bewerbung, von der er wegen seines [X.] abgesehen habe, im Jahr 2009 Bezirksgeschäftsführer des [X.] geworden, da der ausscheidende Bezirksgeschäftsführer M und der [X.] sich hierfür ausgesprochen hätten. Daraus allein kann jedoch nicht geschlossen werden, dass eine Bewerbung des [X.] erfolgreich gewesen wäre. Der Kläger hätte hierzu im Einzelnen unter Darstellung des Auswahlverfahrens und der Auswahlkriterien darlegen müssen, aus welchem Grund er sich gegen den oder die erfolgreiche Bewerber/in durchgesetzt hätte.

2. Da der Kläger erkennbar die Unschlüssigkeit seines Begehrens übersehen hat und ihm in den Vorinstanzen kein entsprechender Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO erteilt wurde, muss ihm nach Zurückverweisung Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag gegeben werden, da es nicht ausgeschlossen ist, dass der Kläger auf einen entsprechenden Hinweis einen Anspruch schlüssig dargelegt hätte.

        

    Gräfl    

        

    Klose    

        

  M. Rennpferdt   

        

        

        

    Schiller    

        

    Strippelmann     

                 

Meta

7 AZR 222/19

22.01.2020

Bundesarbeitsgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Lübeck, 26. Januar 2018, Az: 4 Ca 1886/17, Urteil

§ 37 Abs 4 S 1 BetrVG, § 78 S 2 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.01.2020, Az. 7 AZR 222/19 (REWIS RS 2020, 313)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 313

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

4 Sa 112/21

6 StR 133/22

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