Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.07.2013, Az. IV ZR 110/12

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 3862

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV [X.]/12
vom

24. Juli 2013

in dem Rechtsstreit

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Der [X.]
Zivilsenat des [X.] hat durch die
Vorsitzen-de Richterin [X.], [X.], [X.], die Richterin
[X.] und [X.] Karczewski

am 24. Juli 2013

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Revision ge-gen das Urteil des [X.]

7. Zivil-senat

vom 29. Februar 2012 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 360.000

Gründe:

[X.] Mit einer vorweggenommenen Deckungsklage begehrt die Kläge-rin die Feststellung, dass die Beklagte als Rechtsnachfolgerin des [X.] der P.

GmbH verpflichtet ist, ihrer Versicherungsnehmerin wegen des Abhandenkommens von fünf Lastwagenladungen mit Druckern und Druckpatronen
des Herstellers H.

Deckungsschutz zu 1
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gewähren. Die Klägerin hatte es als Spediteurin im Juni 2007 übernom-men, den Transport der genannten Waren an Kunden des Herstellers in den [X.] und [X.] zu organisieren. Dazu hatte sie die K.

AG und [X.] beauftragt, die ihrerseits die Versiche-rungsnehmerin als Subunternehmerin eingesetzt hatte.

Die fünf Lastwagenladungen erreichten ihren Bestimmungsort nicht, weil unstreitig der bei der Versicherungsnehmerin tätige Zeuge [X.] P.

nach einem mit Mittätern vorgefassten Plan veranlasst [X.], dass das Transportgut am 29. Juni 2007 in D.

auf andere [X.] zu dem Zweck verladen und beiseite geschafft wurde, um die Ladung als gestohlen zu melden und in Wahrheit anderweitig zu verkau-fen. Teile der Ladung konnten von der Polizei in B.

sichergestellt werden.

Die Klägerin verpflichtete sich gegenüber H.

im Ver-gleichswege zur Leistung von Schadensersatz in Höhe von 450.000

Die K.

AG und [X.] trat ihre Schadensersatzansprüche gegen die inzwischen insolvente Versicherungsnehmerin an die Klägerin ab.
Der Insolvenzverwalter bestreitet diese zur Insolvenztabelle ange-meldete Schadensersatzforderung in voller Höhe. Die Klägerin macht ein eigenes Interesse geltend, die Eintrittspflicht der Beklagten gegenüber der Versicherungsnehmerin gerichtlich feststellen zu lassen.

In der Sache streiten die Parteien vorwiegend darüber, inwieweit das Verhalten des Zeugen [X.] P.

sowohl bei Abschluss des [X.] als auch bei der Verschiebung des Transportgutes der Versicherungsnehmerin zuzurechnen ist. P.

und andere sind von der Staatsanwaltschaft [X.] (122 [X.]) angeklagt, einen ban-2
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denmäßigen Betrug verübt zu haben. Das Hauptverfahren vor dem Landgericht [X.] war zur [X.] der Berufungsverhandlung noch nicht abgeschlossen.

I[X.] In den Vorinstanzen hatte die Klage Erfolg. Das Berufungsge-richt hat der Klägerin ein eigenes Feststellungsinteresse zugebilligt, weil wegen der Untätigkeit des Insolvenzverwalters die Gefahr bestehe, dass
der Klägerin als Haftpflichtgläubigerin der Deckungsanspruch der Versi-cherungsnehmerin als Befriedigungsobjekt verlorengehe.

In der Sache sei der Beklagten nicht der für eine Nichtigkeit des Versicherungsvertrages nach den §§ 134, 138 BGB erforderliche Nach-weis gelungen, dass der zu Beginn des Jahres 2007 in [X.] getretene Versicherungsvertrag nur Zweck und Teil des Ziels gewesen sei, eine kriminelle Vereinigung zu bilden und mittels der Versicherungsnehmerin Straftaten zu begehen. Dazu fehle es schon an substantiiertem Vortrag, denn auch die vorgenannte Anklageschrift enthalte keine entsprechen-den Hinweise. Soweit unstreitig [X.] P.

das Beiseiteschaffen des [X.] organisiert habe, sei die Beklagte

sowohl mit Blick auf den Abschluss des Versicherungsvertrages und eine dabei angeblich verübte arglistige Täuschung des Versicherers als auch im Hinblick auf eine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 152 [X.] a.F.)

den Beweis schuldig geblieben, dass P.

als Repräsentant der Versicherungsnehmerin gehandelt habe.
Der im Ermittlungsverfahren vernommene Bruder des Zeugen P.

habe den Mitangeklagten Kazim [X.]

als den "eigentlichen Boss"
der Versicherungsnehmerin bezeichnet, der im Hintergrund alle wichtigen Entscheidungen gefällt und entschie-den habe, die fünf Lastwagenladungen verschwinden zu lassen.
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Anderes hätte sich allenfalls aus der mit Beweisbeschluss vom 12.
September 2011 angeordneten Vernehmung der Zeugen [X.]

, [X.] P.

und [X.] P.

ergeben können, doch stehe den beiden letztgenannten Zeugen ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht nach den §§
384 Nr. 2, 383 Abs.
1 Nr. 2 ZPO zu, von dem sie Gebrauch gemacht hätten. Der in den [X.] ordnungsgemäß geladene Zeuge [X.]

sei unerreichbar, da er zur
mündlichen Verhandlung vom 25.
Januar 2012 ohne Angabe von [X.] nicht er-schienen sei und der Zeugenladung auch nicht folgen
müsse. Eine [X.] komme nicht in Betracht, da [X.] in Anbetracht des schwierigen Sachverhalts auf einen persönlichen Eindruck von ihm nicht verzichten könnten.

II[X.] Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten führt zur Zulas-sung der Revision unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Ur-teils
und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht gemäß §
544 Abs. 7 ZPO. Dieses hat den Anspruch der Beklagten auf Gewäh-rung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserhebli-cher Weise verletzt, weil es deren Antrag auf Vernehmung des Zeugen [X.]

übergangen hat.

1.
Die Beklagte hat unter anderem eingewandt, sie sei leistungs-frei, weil die Versicherungsnehmerin den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt habe. Insoweit ist entscheidend, inwieweit der Versiche-rungsnehmerin das Verhalten des Zeugen [X.] P.

zugerechnet werden kann. Die Beklagte hat sich insoweit das wesentliche Ermitt-lungsergebnis aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft [X.]
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(122 [X.]) als Vortrag zu Eigen gemacht. Danach soll, obwohl [X.] der Zeuge [X.]

und die damalige Freundin und jetzige Ehefrau des Zeugen [X.] P.

zu Geschäftsführern der Versicherungsnehme-rin berufen worden waren, in Wahrheit der Zeuge [X.] P.

als fakti-scher Geschäftsführer für die Versicherungsnehmerin verantwortlich [X.] sein. Auf Antrag der Beklagten hat das Berufungsgericht deshalb mit Beschluss vom 12. September 2011
unter anderem die Vernehmung des Zeugen [X.]

angeordnet und im Wege der Rechtshilfe seine La-dung an seinem [X.] Wohnsitz veranlasst.

2.
Von der Vernehmung des Zeugen, auf dessen Aussage es nach der Lösung des Berufungsgerichts ankam,
durfte es nicht absehen. Sie ist nur deshalb unterblieben, weil der Zeuge trotz ordnungsgemäßer La-dung ohne Angabe von Gründen nicht vor Gericht erschienen ist. Zu [X.] hat das Berufungsgericht den Zeugen schon deshalb als uner-reichbar angesehen. Zwar findet die Vorschrift des §
244 Abs.
3 Satz
2 StPO im Zivilprozessrecht entsprechende Anwendung (Senatsbeschlüs-se vom 21.
September 2011

IV
ZR 38/09, [X.], 1563 Rn.
16; vom 12.
September 2012

[X.], NJW-RR 2013, 9 Rn.
14, [X.] m.w.N.), jedoch sind an die Annahme der Unerreichbarkeit eines Zeugen strenge Anforderungen zu stellen.
Die Ablehnung eines Beweis-antrags wegen Unerreichbarkeit des Zeugen ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Gericht unter Beachtung seiner Aufklärungspflicht alle der [X.] entsprechenden Bemühungen zur Beibringung des Zeugen vergeblich entfaltet hat und keine begründete Aussicht [X.], das Beweismittel in absehbarer [X.] beizubringen (vgl.
[X.], Urteil vom 3.
Mai 2006

[X.], [X.]Z 168, 79 Rn.
25 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn das Gericht

wie hier

seine Nachforschungen auf die Verfügbarkeit des Zeugen am Terminstage
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schränkt hat und nicht der Frage nachgegangen ist, ob er in absehbarer [X.] vernommen werden kann ([X.] aaO). Hier hat sich das Berufungs-gericht nicht einmal bemüht, herauszufinden, ob dem Nichterscheinen des Zeugen eine grundsätzliche Weigerung, vor Gericht auszusagen, zugrunde lag oder lediglich eine sonstige Verhinderung. Im Übrigen hat es nicht geprüft, ob
der Zeuge außerhalb der [X.] im Wege der Bild-
und Tonübertragung (§
128a Abs. 2 ZPO) oder auch durch die Mit-glieder des [X.] in den [X.] hätte vernommen wer-den können (vgl.
[X.], Beschluss vom 1.
Juli 2010

[X.], juris
Rn. 7). Insbesondere die von §
363 Abs. 3 ZPO i.V.m.
Art. 17 der [X.] ([X.]) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 ([X.]. [X.] Nr. L
174 S. 1) eröffnete Möglichkeit einer unmittelbaren Zeugenvernehmung in den [X.] hat es ersichtlich nicht in Erwägung gezogen.

[X.] Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Soweit sich die Beklagte gegen die Bejahung des Feststellungsinteresses der Klägerin wendet und sich nach §
12 Abs.
3 [X.] a.F. für leistungsfrei hält, greifen ihre [X.] nicht
durch. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Bei der
Frage, inwieweit das Verhalten des Zeugen [X.] P.

der Versicherungsnehmerin im Rahmen des § 152 [X.] a.F. oder des §
123 BGB zuzurechnen ist, muss zwischen einer Organhaftung nach den §§ 31, 89 BGB (vgl. dazu [X.], 205; MünchKomm-[X.]/Wandt,
§ 28 Rn. 99) und einer Repräsentantenhaftung unterschie-den werden.
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Juristische Personen

wie die Versicherungsnehmerin

handeln durch ihre Organe. Deren rechtsgeschäftliches Verhalten ist mithin un-mittelbar als Verhalten der juristischen Person selbst zu werten. Eine solche Organhaftung
kommt auch dann in Betracht, wenn einer natürli-chen Person durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame und der juristischen Person wesensmäßige Funktionen zur selbständigen eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass die juristische Person insoweit durch ein faktisches Organ vertreten wird ([X.], Urteil vom 30.
Oktober 1967

[X.], [X.]Z 49, 19
unter 1 a; vgl. auch Urteil vom 11.
Juli 2005
[X.], [X.], 1706 un-ter [X.]). Nicht erforderlich ist es insoweit, dass die Tätigkeit in der [X.] der juristischen Person vorgesehen oder die betreffende natürliche Person ordnungsgemäß mit rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht aus-gestattet ist. Ihr Aufgabenbereich braucht sich auch nicht innerhalb der geschäftsführenden Verwaltungstätigkeit der juristischen Person zu be-wegen ([X.] aaO).
Der Annahme, eine Person sei faktischer [X.] einer
juristischen Person, steht es nicht notwendigerweise entge-gen, wenn für die juristische Person daneben formell weitere [X.] bestellt sind.

Repräsentant ist,
wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versi-cherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs-
oder ähnlichen Ver-hältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist. Reprä-sentant kann zum einen
sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewis-sen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (Risikoverwaltung). Übt jemand aufgrund eines Vertretungs-

oder ähnlichen Verhältnisses die Verwaltung des Versicherungsvertrages eigenverantwortlich aus, kann dies zum anderen unabhängig von einer 13
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Risikoverwaltung für seine Repräsentantenstellung (Vertragsverwaltung) sprechen
(vgl. Senatsurteil vom 21. April 1993

[X.], [X.]Z 122, 250 unter 3 a und ständig).

Unter den genannten Aspekten wird das Berufungsgericht die [X.] der Zurechnung des Verhaltens des Zeugen [X.] P.

neu zu [X.] haben. Dabei wird insbesondere auch danach zu fragen sein, ob und inwieweit die Klägerin die auf die vorgenannte Anklageschrift gestützten Behauptungen der Beklagten zur Rolle des Zeugen P.

bei der Versi-cherungsnehmerin ausreichend substantiiert bestritten hat, eine Beweis-aufnahme mithin überhaupt erforderlich sein wird.

[X.] [X.] [X.]

[X.] Dr.
Karczewski

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 15.04.2010 -
16 [X.] 24467/09 -

OLG [X.], Entscheidung vom 29.02.2012 -
7 U 2903/10 -

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Meta

IV ZR 110/12

24.07.2013

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.07.2013, Az. IV ZR 110/12 (REWIS RS 2013, 3862)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3862

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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