Bundessozialgericht, Urteil vom 19.09.2024, Az. B 12 R 6/22 R

12. Senat | REWIS RS 2024, 12063

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für eine konkrete Beschäftigung - Formularbescheid - Syndikusrechtsanwalt


Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.]vom 28. Mai 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die mit Bescheid vom 29.12.2003 erteilte [X.]von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) ihre bei der Beigeladenen zu 1. ausgeübte Beschäftigung im Zeitraum vom [X.]bis 30.1.2020 umfasst.

2

Die Klägerin ist seit dem [X.]als Rechtsanwältin zugelassen und Mitglied der Rechtsanwaltskammer Köln sowie des zu 2. beigeladenen Versorgungswerks. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Rechtsvorgängerin der [X.]befreite die Klägerin antragsgemäß von der Versicherungspflicht in der [X.]ab 1.10.2003 (Bescheid vom 29.12.2003). Im Antrag hatte die Klägerin zur ausgeübten Beschäftigung die Alternative "angestellt, berufsspezifisch beschäftigt als" angekreuzt und dazu "Referentin/Rechtsabteilung" bei "Verband k eV, K" sowie zum Beginn der Beschäftigung "01.10.03" angegeben. Der formularmäßige [X.]trägt die Überschrift: "[X.]von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des [X.](SGB VI)". Nach der Grußformel "Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin" lautet der Eingangssatz: "auf Ihren Antrag werden Sie von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten befreit." Sodann folgt ein umrandetes Feld mit folgenden Angaben:

"Eingangsdatum des Befreiungsantrages

13.10.03

Art der berufsständischen Beschäftigung bzw. Tätigkeit

Rechtsanwältin

Beginn des Beschäftigungsverhältnisses bzw. der Versicherungspflicht als Selbständiger, Sozialleistungsbezieher, Wehr-/Zivildienstleistender

01.10.03

Beginn der Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung und der Berufskammer

25.01.03

Versorgungseinrichtung
Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande NW
40042 Düsseldorf

Beginn der Befreiung
1. Okt. 2003"

3

Unter dem umrandeten Feld wird im Fließtext ausgeführt: "Die [X.]gilt für die obengenannte und weitere berufsspezifische Beschäftigungen / Tätigkeiten, solange hierfür eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der [X.]besteht und solange Versorgungsabgaben bzw. Beiträge in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die [X.]zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären." Es folgt die Rechtsbehelfsbelehrung und im [X.]die Aufforderung: "Bitte auch die Hinweise auf der Rückseite beachten!". Diese sind entsprechend abgedruckt.

4

Die Klägerin beendete das Arbeitsverhältnis beim [X.]und nahm ab dem [X.]eine Beschäftigung als Syndikusanwältin in der Abteilung "SR Recht" bei der Beigeladenen zu 1. auf. Hierfür ist sie seit dem 31.1.2020 von der Versicherungspflicht in der [X.]befreit (Bescheid vom 25.6.2020). Für die Beschäftigung wurden zunächst Beiträge zur Altersvorsorge bis zum 31.12.2014 an den Beigeladenen zu 2. entrichtet. Anlässlich einer Betriebsprüfung bei der Beigeladenen zu 1. meldete diese die Klägerin ab Januar 2015 als versicherungspflichtig in der [X.]an und zahlte seitdem Pflichtbeiträge an die Beklagte. Beiträge für davor liegende Zeiträume erhob die Beklagte nicht.

5

Die Klägerin beantragte bei der [X.]die Feststellung, dass die im Bescheid vom 29.12.2003 ausgesprochene [X.]von der Rentenversicherungspflicht auch ihre ab dem [X.]ausgeübte Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 1. erfasse. Die Beklagte lehnte das von ihr als Antrag "auf [X.]von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI" ausgelegte Begehren ab. Die Klägerin sei nicht als Rechtsanwältin bei ihrer Arbeitgeberin beschäftigt. Aus der vorangegangenen [X.]vom 29.12.2003 könne keine [X.]für die Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 1. hergeleitet werden. Diese habe sich ausschließlich auf die damalige Tätigkeit bezogen (Bescheid vom 16.11.2015). Das Angebot der Beklagten, ein Schreiben der Klägerin im Widerspruchsverfahren vom [X.]als fristgerechten Antrag auf rückwirkende [X.]nach dem neu geschaffenen § 231 Abs 4b SGB VI zu werten und den Widerspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss eines (neuen) [X.]nach der ab 1.1.2016 gültigen Rechtslage ruhend zu stellen, lehnte die Klägerin ab. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin zurück (Widerspruchsbescheid vom 2.8.2017).

6

Das [X.]hat die Klage abgewiesen. Streitgegenstand sei allein, ob die frühere [X.]die Tätigkeit nach dem Arbeitgeberwechsel ab dem [X.]umfasse, nicht jedoch eine eigenständige Entscheidung nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI (Urteil vom 27.1.2020). Auf die Berufung der Klägerin hat das L[X.]das Urteil des [X.]abgeändert und den Bescheid der [X.]vom 16.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.]insoweit aufgehoben, als die Beklagte darin die nach Auffassung des L[X.]von der Klägerin nicht beantragte [X.]von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI abgelehnt hat. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Der frühere Bescheid vom 29.12.2003 erfasse die bei der Beigeladenen zu 1. ab [X.]ausgeübte Beschäftigung der Klägerin nicht. Der darin genannte Befreiungsantrag und der [X.]würden einen konkreten Bezug zu der zum 1.10.2003 aufgenommenen Beschäftigung herstellen. Mit dem [X.]zum [X.]habe sich der frühere [X.]erledigt. Dass die Beklagte in ihrer Prüfmitteilung vom 14.4.2015 gegenüber dem Arbeitgeber die (erst) zum 1.1.2015 aufgenommene Beitragszahlung für die Klägerin nicht beanstandet habe, rechtfertige keinen Vertrauensschutz. Da die Klägerin ihren [X.]zum [X.]nicht mitgeteilt habe, sei sie auch nicht schutzwürdig (Urteil vom 28.5.2021).

7

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 133, 157 BGB iVm §§ 31, 32, 39 Abs 2 SGB X sowie Art 2 und Art 20 GG. Der [X.]des früheren Bescheids beschränke sich nicht auf die im Antrag angegebene Beschäftigung. Die aktuelle Beschäftigung sei hiervon ebenfalls umfasst. Es habe der Verwaltungspraxis entsprochen, dass [X.]auch für Tätigkeiten bei anderen Arbeitgebern fortgälten, sofern diese Tätigkeiten berufsspezifisch und von den [X.]in der Kammer einerseits und im Versorgungswerk andererseits begleitet seien. Die Nichtangabe des [X.]sei daher nicht pflichtwidrig gewesen.

8

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichtes [X.]vom 28. Mai 2021 sowie des Sozialgerichtes Köln vom 27. Januar 2020 abzuändern, den Bescheid der [X.]vom 16. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2017 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin in ihrer Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 1. vom 1. Juli 2007 bis zum 30. Januar 2020 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

1. Die Klägerin macht ihr Begehren in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage geltend (vgl § 54 Abs 1 Satz 1, § 55 Abs 1 Nr 1 iVm § 56 SGG). [X.]Streitgegenstand ist die Frage, ob die zugunsten der Klägerin mit Bescheid vom 29.12.2003 ausgesprochene [X.]von der Versicherungspflicht in der [X.]ihre Beschäftigung ab dem [X.]bis zum 30.1.2020 für die Beigeladene zu 1. umfasst. Darauf hat die Klägerin ihr Feststellungsbegehren zulässigerweise von Beginn an und hinsichtlich des Zeitraums im Berufungsverfahren prozessual zulässig begrenzt.

2. In der Sache hat das [X.]zu Recht die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des [X.]zurückgewiesen. Der ablehnende Bescheid der [X.]vom 16.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.]ist im noch angegriffenen Umfang rechtmäßig. Die mit Bescheid vom 29.12.2003 erteilte [X.]betrifft nicht die von der Klägerin ab [X.]ausgeübte Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 1.

Der Senat ist zur Auslegung des streitgegenständlichen Formularbescheids befugt. Hierbei hält er am bisherigen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geprägten Maßstab fest (dazu a). Nach Auslegung des Senats bezieht sich die mit Bescheid vom 29.12.2003 erteilte [X.]auf die konkrete Beschäftigung als "Referentin/Rechtsabteilung beim Verband k eV, K" und nicht auf eine Tätigkeit als Rechtsanwältin allgemein (dazu b). Die Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 1. im Zeitraum vom [X.]bis zum 30.1.2020 ist von dieser [X.]nicht umfasst, der Bescheid hat sich vielmehr iS von § 39 Abs 2 SGB X durch den Wechsel des Arbeitsverhältnisses erledigt (dazu c). Abweichendes ergibt sich auch nicht aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs oder aus [X.](dazu d). Dem steht Verfassungsrecht nicht entgegen (dazu e).

a) Der Senat ist bei [X.]eines - wie hier - für das gesamte [X.]zuständigen [X.]uneingeschränkt zu einer eigenen Auslegung befugt und hieran nicht durch § 163 SGG gehindert (vgl B[X.]Urteil vom 16.6.2021 - B 5 RE 4/20 R - [X.]4-2600 § 6 [X.]RdNr 20 mwN). Er ist dabei weder an das vom [X.]vertretene Auslegungsergebnis noch an dessen Feststellungen zum Wortlaut des Bescheids gebunden, sondern kann eine eigene Bewertung vornehmen (vgl B[X.]Urteil vom 13.12.2018 - B 5 RE 1/18 R - BSGE 127, 147 = [X.]4-2600 § 6 Nr 18, RdNr 40). Die Auslegung eines Verwaltungsakts hat ausgehend von seinem [X.]und unter Heranziehung des in § 133 BGB zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedankens so zu erfolgen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern den wirklichen Willen der Behörde bzw des [X.]ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat. Für die Ermittlung des erklärten Willens sind dabei auch die Umstände und Gesichtspunkte heranzuziehen, die zur Aufhellung des Inhalts der Verfügung beitragen können und die den Beteiligten bekannt sind, wenn der Verwaltungsakt sich erkennbar auf sie bezieht. Maßstab der Auslegung ist insofern der verständige und Zusammenhänge berücksichtigende Beteiligte ("objektiver Empfängerhorizont"). Dies ergibt sich auch aus der Regelung in § 157 BGB, die bei der Auslegung einseitiger Willenserklärungen ergänzend zu berücksichtigen ist (vgl B[X.]Urteil vom 16.6.2021 - B 5 RE 4/20 R - [X.]4-2600 § 6 [X.]RdNr 20 mwN).

b) Der [X.]über die "[X.]von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des [X.](SGB VI)" enthält aus Sicht eines verständigen Empfängers einen [X.]mit Regelungscharakter und damit einen Verwaltungsakt iS von § 31 SGB X allein im Eingangssatz des Bescheids in Verbindung mit den ihm unmittelbar folgenden und ihn konkretisierenden (umrandeten) Ausführungen zum betroffenen Beschäftigungsverhältnis sowie zum Beginn der [X.](vgl B[X.]Urteil vom 16.6.2021 - B 5 RE 4/20 R - [X.]4-2600 § 6 [X.]RdNr 21). Verdeutlicht wird dies durch die Einleitung mit den Worten "auf Ihren Antrag". Nicht vom [X.]erfasst und als Hinweise zu qualifizieren sind auch Formulierungen, die zwar räumlich separat vor der Rechtsbehelfsbelehrung und vor dem mit "Hinweise" überschriebenem Teil aufgeführt sind, jedoch inhaltlich lediglich allgemeine Ausführungen zur Dauer und zur Geltung der [X.]machen (vgl B[X.]Urteil vom 13.12.2018 - B 5 RE 3/18 R - [X.]4-2600 § 6 [X.]RdNr 31). Dies entspricht den bisherigen für die Auslegung von formularmäßigen [X.]entwickelten höchstrichterlichen Grundsätzen (vgl zuletzt B[X.]Urteil vom 16.6.2021 - B 5 RE 4/20 R - [X.]4-2600 § 6 [X.]Rd[X.]mwN). Hieran hält der Senat fest.

Der frühere Bescheid vom 29.12.2003 umfasst damit nur die konkret beantragte [X.]von der Versicherungspflicht für die Beschäftigung der Klägerin als "Referentin/Rechtsabteilung beim Verband k eV, K". Dies war für die Klägerin als Adressatin objektiv auch erkennbar. Der Regelungsumfang kommt sowohl in der äußeren Gestaltung des Bescheids als auch in den darin enthaltenen Ausführungen zum Ausdruck.

So wird im Bescheid nach dem Eingangssatz, der die [X.]von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung der Angestellten ausspricht, - umrandet - der Inhalt der Verfügung konkretisiert. Hier finden sich auf den Einzelfall bezogene Angaben zu dem Beginn der Befreiung, der Art der (allgemeinen) berufsständischen Beschäftigung und dem Beginn des Beschäftigungsverhältnisses, für das die [X.]von der Versicherungspflicht ausgesprochen wird. Durch die Umrandung der Verlautbarungen werden diese von den nachfolgenden Erklärungen abgehoben und ihnen dadurch eine besondere Bedeutung beigemessen.

Dass es sich beim zu befreienden Beschäftigungsverhältnis nicht allgemein und unspezifiziert um eine Tätigkeit als Rechtsanwältin handelt, ergibt sich vorliegend aus der separaten Feststellung zum "Beginn der Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung und der Berufskammer" am 25.1.2003. Zuvor vermerkt der [X.]ausdrücklich den "Beginn des Beschäftigungsverhältnisses" am 1.10.2003 und bestimmt danach auch den Beginn der Befreiung. Dies entspricht dem im Bescheid ausdrücklich in Bezug genommenen Antrag der Klägerin (vgl B[X.]Urteil vom 13.12.2018 - B 5 RE 1/18 R - BSGE 127, 147 = [X.]4-2600 § 6 Nr 18, RdNr 52 ff) mit ihren individuellen "Angaben zur ausgeübten Beschäftigung", zu deren Beginn am 1.10.2003 sowie zum konkreten Arbeitgeber. Die [X.]erfolgte antragsgemäß und damit erkennbar bezogen auf die damalige Beschäftigung der Klägerin (vgl B[X.]Urteil vom 16.6.2021 - B 5 RE 4/20 R - [X.]4-2600 § 6 [X.]RdNr 22). Das entspricht dem gesetzlichen Auftrag der Beklagten, die [X.]für eine konkrete Beschäftigung und deren Ausgestaltung festzustellen (vgl § 6 Abs 5 Satz 1 SGB VI; vgl BSG Urteil vom 22.3.2018 - B 5 RE 5/16 R - [X.]4-2600 § 6 [X.]RdNr 32).

c) Die spätere Beschäftigung als Syndikusrechtsanwältin bei der Beigeladenen zu 1. ist von der früheren [X.]nicht umfasst. Der [X.]vom 29.12.2003 hat sich mit Beendigung der Beschäftigung beim [X.]auf andere Weise erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X). Bei der Beschäftigung für die Beigeladene zu 1. ab [X.]handelt es sich weder um ein nur unwesentlich geändertes Beschäftigungsverhältnis (dazu aa), noch kann dieses im Wege der Auslegung in den Regelungsumfang des Bescheids vom 29.12.2003 einbezogen werden (dazu bb). Auch eine Zusicherung der [X.]liegt nicht vor (dazu cc).

aa) Die ab [X.]ausgeübte Beschäftigung als Syndikusanwältin bei der Beigeladenen zu 1. ist eine andere als für die im Bescheid vom 29.12.2003 eine [X.]erteilt worden ist. Der Begriff der Beschäftigung knüpft an die Eingliederung in die Arbeitsorganisation eines (konkreten) Weisungsgebers an (§ 7 Abs 1 Satz 2 SGB IV). Mit dem Wechsel des Arbeitgebers wird ein neues Beschäftigungsverhältnis begründet. Die Aufnahme der Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. unter Beendigung der früheren Tätigkeit beendet damit auch die Regelungswirkung des früheren Befreiungsbescheids (§ 39 Abs 2 SGB X, vgl B[X.]Urteil vom [X.]- B 5 RE 2/20 R - [X.]4-2600 § 6 [X.]Rd[X.]mwN). Den Feststellungen des [X.]ist insoweit auch kein Ausnahmefall zu entnehmen (zB Betriebsübergang, vgl § 613a BGB, hierzu BSG Urteil vom 16.6.2021 - B 5 RE 4/20 R - [X.]4-2600 § 6 [X.]RdNr 26).

bb) Der frühere Bescheid vom 29.12.2003 kann auch nicht so verstanden werden, dass er das neue Beschäftigungsverhältnis in die [X.]von der Versicherungspflicht in der [X.]einbezieht. Die Passage "die [X.]gilt für die obengenannte und weitere berufsspezifische Beschäftigungen / Tätigkeiten, solange hierfür eine Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung unter Beibehaltung der Pflichtmitgliedschaft in der [X.]besteht und solange Versorgungsabgaben bzw. Beiträge in gleicher Höhe geleistet werden, wie ohne die [X.]zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären" ist - nach den obigen Ausführungen - lediglich ein (allgemeiner) Hinweis ohne Regelungscharakter. Er ist weder Teil des [X.]noch Ergänzung der Entscheidungsformel. Das war für die Klägerin auch erkennbar. Denn der verwendete Begriff der "weitere[n] berufsspezifischen Beschäftigungen / Tätigkeiten" ist im Gegensatz zum [X.]offensichtlich unbestimmt. Es handelt sich weder um eine [X.]Regelung iS von § 31 Satz 1 SGB X noch um eine Nebenbestimmung iS von § 32 SGB X (Befristung, Bedingung oder Auflage). Hierdurch wird lediglich darauf hingewiesen, dass weitere Beschäftigungen / Tätigkeiten vom Bescheid erfasst sein können, etwa bei unwesentlich geänderten (berufsspezifischen) Beschäftigungsverhältnissen (vgl B[X.]Urteil vom 16.6.2021 - B 5 RE 4/20 R - [X.]4-2600 § 6 [X.]RdNr 29). Nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte bereits zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses über die Einbeziehung künftiger Beschäftigungen ohne weitere (vorherige) Prüfung der genannten Voraussetzungen ("berufsspezifisch", "solange hierfür") entschieden hat, zumal die (allgemeine) Rechtsanwaltstätigkeit nicht von der [X.]erfasst ist.

Dem Bescheid ist nicht zu entnehmen, dass die Beklagte ihre eigene Entscheidungskompetenz beschränken wollte. Eine neuerliche Prüfkompetenz der [X.]beim Wechsel der Beschäftigung musste nicht in dem [X.]geregelt werden. Sie folgt vielmehr bereits aus dem gesetzlichen Auftrag (vgl § 6 Abs 3 SGB VI). Dass von diesem nicht abgewichen werden sollte, bestätigt auch der weitere Hinweis im Bescheid, dass die [X.]tätigkeitsbezogen erfolgt.

Die seit 1.1.2016 bei der Prüfung nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Abs 3 SGB VI bestehende Bindung der [X.]an die bestandskräftige Entscheidung der Rechtsanwaltskammer nach § 46a Abs 2 Satz 1 BRAO (eingeführt durch Gesetz zur Neuordnung des Rechts der [X.]und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015, BGBl I 2517) rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Die Regelung war bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids noch nicht in Kraft. Dass dem Hinweis auf weitere berufsspezifische Beschäftigungen kein Regelungsgehalt im Einzelfall zukommt, entspricht auch dem bereits damals bereits gültigen § 6 Abs 5 Satz 1 SGB VI (zur umfassenden Neugestaltung der [X.]von der Versicherungspflicht durch das [X.]1992 <BGBl 1989 I 2261> mit konkretem Beschäftigungs- bzw Tätigkeitsbezug mit begrenzter Reichweite der [X.]vgl B[X.]Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 3/11 R - BSGE 112, 108 = [X.]4-2600 § 6 Nr 9, RdNr 23 mwN).

cc) Aus den Hinweisen im streitgegenständlichen Bescheid kann auch keine Zusicherung abgeleitet werden (§ 34 SGB X). Eine Zusicherung gemäß § 34 Abs 1 Satz 1 SGB X hat die Rechtsqualität eines Verwaltungsakts und die Aufgabe, dem Adressaten als verbindliche Zusage über das zukünftige Verhalten der Verwaltungsbehörde bei Erlass des Verwaltungsakts Gewissheit zu verschaffen (vgl B[X.]Urteil vom 12.12.2011 - [X.]R 79/11 R - BSGE 110, 1 = [X.]4-2600 § 43 Nr 17, RdNr 31). Den allgemeinen Hinweisen ist jedoch gerade keine Regelung im Sinne einer Verpflichtung zur Behandlung eines in der Zukunft liegenden, konkreten Sachverhalts zu entnehmen.

d) Eine Einbeziehung der späteren Beschäftigung in den [X.]vom 29.12.2003 kann auch nicht aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründet werden (dazu aa) noch lässt sich ein Vertrauensschutz herleiten aus dem Bescheid selbst - iVm der Verwaltungspraxis - (dazu bb), dem Schreiben der [X.]vom 14.4.2015 oder dem Verzicht auf Beitrags(nach-)forderungen bis zum 31.12.2014 (dazu cc).

aa) Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Er setzt demnach eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung voraus, die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geworden ist. Außerdem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (stRspr; vgl B[X.]Urteil vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - [X.]4-3100 § 60 [X.]RdNr 29 mwN). Daran scheitert es hier. Die ab [X.]aufgenommene Beschäftigung der Klägerin als Syndikusanwältin bei der beigeladenen (nichtanwaltlichen) Arbeitgeberin war keine rechtsanwaltliche Tätigkeit im Sinne der [X.](vgl zur Doppelberufstheorie B[X.]Urteil vom 3.4.2014 - B 5 RE 13/14 R - BSGE 115, 267 = [X.]4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 48). Für sie konnte daher keine [X.]gewährt werden. Erst mit der Zulassung als Syndikusrechtsanwältin ergab sich eine gesetzeskonforme Befreiungsmöglichkeit. Dem hat die Beklagte durch die [X.]von der Rentenversicherungspflicht ab dem 31.1.2020 durch Bescheid vom 25.6.2020 Rechnung getragen.

bb) Für ein schützenswertes Vertrauen der Klägerin fehlt es an einem von der [X.]gesetzten Vertrauenstatbestand. Nach gefestigter Rechtsprechung verstößt es gegen [X.]und Glauben, wenn ein Rentenversicherungsträger für eine Beschäftigung die Versicherungspflicht feststellt, nachdem er zuvor in einer Antwort auf die Frage des Betroffenen nach der Reichweite einer früheren Beschäftigung den Eindruck erzeugt hatte, auch für eine neu eingegangene Beschäftigung trete wegen der schon erteilten früheren [X.]keine Versicherungspflicht ein (vgl B[X.]Urteil vom 16.6.2021 - B 5 RE 4/20 R - [X.]4-2600 § 6 [X.]RdNr 34 mwN). Ein solche Konstellation bestand hier jedoch nicht.

Ein Vertrauensschutz kann nicht aus dem Inhalt des Bescheids abgeleitet werden. Die darin enthaltenen allgemeinen Hinweise der [X.]können nicht so verstanden werden, dass sämtliche weiteren Beschäftigungen von der [X.]umfasst wären (vgl oben zu c bb).

Darüber hinaus ist die Klägerin nicht in Kontakt zur [X.]getreten. Sie ist insoweit auf die Antragsobliegenheit (vgl § 6 Abs 2 SGB VI) zu verweisen. Es gab für sie keinen hinreichenden Grund für die Annahme, neuerliche Anträge bei Wechsel des Beschäftigungsverhältnisses seien nicht nötig. Nach den bindenden Feststellungen des [X.](§ 163 SGG) hat die Klägerin infolge des Tätigkeitswechsels zum [X.]weder einen Antrag auf [X.]von der Versicherungspflicht gestellt noch den Wechsel der [X.]angezeigt. Die Beklagte hatte daher weder eine konkrete Veranlassung noch überhaupt die Möglichkeit, der Klägerin aus Anlass des [X.]über die Ausführungen im [X.]hinaus konkrete ggf vertrauensschützende rechtliche Hinweise über die Ausgestaltung der Versicherungspflicht zu geben. Das bloße Nichtstun der Klägerin erfüllt die Anforderungen an den Vertrauensschutz vorliegend nicht.

Auch eine anschließende Mitgliedschaft in einer Versorgungseinrichtung begründet kein entsprechendes Vertrauen dahingehend, dass eine nachfolgende, andere Beschäftigung von einer früheren [X.]von der Versicherungspflicht in der [X.]umfasst ist (vgl B[X.]Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 5/10 R - [X.]4-2600 § 231 [X.]RdNr 37).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aufgrund einer von der Klägerin behaupteten Verwaltungspraxis der [X.]im Sinne einer generellen Fortwirkung der Befreiung. Für das Vorliegen einer derartigen Verwaltungspraxis bestehen keine Anhaltspunkte. Der von der Klägerin zitierte Ausschnitt aus den von der [X.]veröffentlichten Informationen zur Verwaltungspraxis (NZA 2014, 136, 137) spricht von einer verwaltungsvereinfachenden generellen Fortgeltung von [X.]nur in Bezug auf klassische berufsspezifische Tätigkeiten, also bei anwaltlichen Arbeitgebern. Auch dem Bescheid ist kein Hinweis auf eine Verwaltungspraxis der [X.]im Sinne einer generellen [X.]zu entnehmen.

cc) Ein schutzwürdiges Vertrauen ergibt sich ebenso wenig aus der Prüfmitteilung der [X.]vom 14.4.2015 an die Beigeladene zu 1. Darin wird darauf hingewiesen, dass [X.]ohne aktuellen [X.]spätestens zum 1.1.2015 anzumelden und ggf für diese (erst) ab Januar 2015 Beiträge zur Rentenversicherung zu zahlen seien. Mangels Regelungscharakters liegt kein Verwaltungsakt vor, der Anknüpfungspunkt für einen Bestands- und Vertrauensschutz hinsichtlich der Statusfrage der Klägerin sein könnte (vgl B[X.]Urteil vom [X.]- B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = [X.]4-2400 § 7 Nr 43, RdNr 32, 36).

e) Verfassungsrecht steht dem Ergebnis nicht entgegen. Die oben dargestellte Gesetzeslage steht im Einklang mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG). Darin ist formuliert, dass die [X.]von der Versicherungspflicht in der [X.]auf die jeweilige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit beschränkt ist (§ 6 Abs 5 Satz 1 SGB VI). Die Aufnahme eines neuen Beschäftigungsverhältnisses erfordert daher - von unwesentlichen Änderungen abgesehen - regelmäßig einen neuen Befreiungsantrag (vgl § 6 Abs 2 SGB VI). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit der Gesetzesänderung zum 1.1.2016 durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der [X.]und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015 (BGBl I 2517) dem Vertrauensschutz der Betroffenen Rechnung getragen (vgl hierzu [X.]Nichtannahmebeschluss vom 19.7.2016 - 1 BvR 2584/14 - juris RdNr 12).

3. [X.]beruht auf § 193 SGG.

        
                          

Meta

B 12 R 6/22 R

19.09.2024

Bundessozialgericht 12. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Köln, 27. Januar 2020, Az: S 2 R 720/19 WA, Urteil

§ 7 Abs 1 SGB 4, § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6, § 6 Abs 2 SGB 6, § 6 Abs 3 SGB 6, § 6 Abs 5 S 1 SGB 6, § 31 SGB 10, § 34 Abs 1 S 1 SGB 10, § 39 Abs 2 SGB 10, § 133 BGB, § 157 BGB, § 46a BRAO, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 19.09.2024, Az. B 12 R 6/22 R (REWIS RS 2024, 12063)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 12063

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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