Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 15.05.2019, Az. 1 BvQ 43/19

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2019, 7279

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

ÖFFENTLICHES RECHT PARTEIEN BUNDESVERFASSUNGSGERICHT (BVERFG) WERBUNG MEINUNGSFREIHEIT RUNDFUNK FERNSEHEN

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Gegenstand

Erlass einer einstweiligen Anordnung bzgl der Ausstrahlung eines Wahlwerbespots der NPD zur Europawahl 2019 - Ablehnung von Wahlwerbespots nur bei evidenter und ins Gewicht fallender Verletzung von Strafnormen - Maßgeblichkeit allein des Inhalts des Werbespots, nicht jedoch der inneren Haltung bzw parteilichen Programmatik - hier: jedenfalls keine evidente Verletzung des § 130 Abs 1 Nr 2 StGB durch fraglichen Werbespot


Tenor

1. Der [X.] wird verpflichtet, den von der Antragstellerin eingereichten überarbeiteten [X.] auf dem zugeteilten Sendeplatz am 17. Mai 2019 um 16.58 Uhr sowie auf einem weiteren vom [X.] zu bestimmenden Sendeplatz vor der am 26. Mai 2019 stattfindenden Europawahl auszustrahlen.

2. Das [X.] hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen im Verfahren der einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe

1

1. Die Antragstellerin ist eine politische [X.] und begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des [X.] ([X.]), einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, anlässlich der [X.] einen von ihr eingereichten [X.] auf den zugeteilten [X.] auszustrahlen. Der [X.] beginnt mit den Worten

"Seit der willkürlichen Grenzöffnung 2015 und der seither unkontrollierten Massenzuwanderung werden [X.] fast täglich zu Opfern",

2

was bildlich mit immer schneller werdenden Einblendungen von [X.] und Namen von Opfern von Gewaltdelikten/Tötungsdelikten unterlegt wird. In der Folge wird die Einrichtung von "Schutzzonen" als Orten, "an denen sich [X.] sicher fühlen sollen" in Aussicht gestellt.

3

2. Der Antragstellerin waren seitens des [X.] zwei Sendeplätze zur Ausstrahlung eines 90-sekündigen Fernseh-[X.]s am 30. April und am 17. Mai 2019 zugeteilt worden. Den von der Antragstellerin zur Ausstrahlung eingereichten [X.] lehnte der [X.] jedoch mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 30. April 2019 ab, da dieser einen offenkundigen und schwerwiegenden Verstoß gegen den Straftatbestand der Volksverhetzung enthalte.

4

3. Das Verwaltungsgericht wies den auf Verpflichtung des [X.] zur Ausstrahlung gerichteten Eilantrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 3. Mai 2019 zurück, die hiergegen erhobene Beschwerde zum [X.] wurde mit Beschluss vom 13. Mai 2019 abgewiesen. Der [X.] enthalte in seiner Gesamtschau einen evidenten und schwerwiegenden Verstoß gegen § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB, da er Migrantinnen und Migranten pauschal als Kriminelle diffamiere und eine Zweiteilung der Gesellschaft in [X.] und (kriminelle) Ausländer propagiere. Eine andere Auslegungsmöglichkeit zu Gunsten der Antragstellerin sei ausgeschlossen. Der [X.] sei vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Antragstellerin als [X.] zu verstehen und bringe in diesem Kontext die Missachtung der Menschenwürde all derer zum Ausdruck, die der "ethnischen Volksgemeinschaft" nicht angehörten.

5

4. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügt die Antragstellerin die Verletzung ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Der [X.] habe keinen - schon gar nicht evident und schwerwiegend - volksverhetzenden Inhalt. Vielmehr handele es sich dabei um auch und gerade im Rahmen der Wahlwerbung zulässige Meinungsäußerungen, was die Verwaltungsgerichte verkannt hätten.

6

Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist stattzugeben, da eine zu erhebende Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache Erfolg hätte.

7

Das [X.] kann nach § 32 Abs. 1 [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Im Eilrechtsschutzverfahren sind die erkennbaren Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen, wenn absehbar ist, dass über eine Verfassungsbeschwerde nicht rechtzeitig entschieden werden kann. Ergibt die Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz der schwere Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 [X.] (vgl. [X.] 111, 147 <153>).

8

Danach sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung hier gegeben.

9

1. Eine Verfassungsbeschwerde erscheint zum derzeitigen Zeitpunkt weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Vielmehr ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten einer zu erhebenden Verfassungsbeschwerde, dass die Verwaltungsgerichte zu Unrecht einen evidenten und ins Gewicht fallenden Verstoß gegen § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB angenommen haben.

a) Da die Wahlwerbung in Hörfunk und Fernsehen nach wie vor zu den wichtigen Mitteln im Wahlkampf der politischen [X.]en gehört, muss die Vergabe von Hörfunk- und Fernsehzeiten für Wahlwerbesendungen dem Grundsatz der gleichen [X.] der politischen [X.]en Rechnung tragen (vgl. [X.] 34, 160 <163>; 47, 198 <225>; 67, 149 <152>). Daher dürfen zum Zwecke der Wahlwerbung vorgesehene Sendungen der politischen [X.]en nur bei einem evidenten und ins Gewicht fallenden Verstoß gegen allgemeine Normen des Strafrechts zurückgewiesen werden (vgl. [X.] 47, 198 <230 ff.>; 67, 149 <152>).

Für die Frage, ob in einem Werbespot eine strafbare Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt, kommt es darauf an, ob dieser einen Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet und dadurch dessen Menschenwürde angreift. Maßgeblich ist dabei, dass Teilen der Bevölkerung ihre Würde als Personen abgesprochen wird.

b) Aus den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte ergibt sich nicht mit hinreichender Gewissheit, dass dem [X.] ein solcher volksverhetzender Inhalt entnommen werden muss. Sein Fokus liegt - anders als in seiner ursprünglichen Fassung, die dem Verfahren 1 BvQ 36/19 zugrunde lag - auf den [X.]n als vermeintlichen "Opfern", wobei auf eine Reihe von in den Medien geschilderten Straftaten angespielt wird. Als Bedrohung werden lediglich abstrakt die "willkürliche Grenzöffnung" und die "Massenzuwanderung" genannt. Ein [X.] zur Begründung eines volksverhetzenden Gehalts des [X.]s kann entgegen der Entscheidung des [X.] insbesondere nicht aus einer Auslegung des Werbespots unter Rückgriff auf das [X.]programm der Antragstellerin hergeleitet werden. Maßgeblich für die Beurteilung des [X.]s ist allein dieser selbst, nicht die innere Haltung oder die parteiliche Programmatik, die seinen Hintergrund bildet. Insoweit begegnet die von den Verwaltungsgerichten vorgenommene Auslegung des Werbespots schon für sich durchgreifenden Bedenken. Jedenfalls aber ist vorliegend ein Verstoß gegen § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht evident im Sinne der Anforderungen an die Untersagung eines [X.]s (vgl. [X.] 47, 198 <230 ff.>; 67, 149 <152>).

2. Da eine Verfassungsbeschwerde danach offensichtlich begründet wäre, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 [X.], so dass dem Antrag stattzugeben ist.

3. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 3 [X.].

Meta

1 BvQ 43/19

15.05.2019

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 13. Mai 2019, Az: OVG 3 S 33.19, Beschluss

Art 5 Abs 1 S 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 8 Abs 2 S 1 GemRDFunkABEErG BB, § 8 Abs 4 GemRDFunkABEErG BB, § 130 Abs 1 Nr 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 15.05.2019, Az. 1 BvQ 43/19 (REWIS RS 2019, 7279)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7279

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Referenzen
Wird zitiert von

6 C 8/21

1 BvR 479/20

6 B 360/21

Zitiert

1 BvQ 36/19

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