Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.07.2012, Az. 10 AZR 488/11

10. Senat | REWIS RS 2012, 4795

ARBEITSRECHT BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) ÖFFENTLICHER DIENST

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Jahressonderzahlung - Arbeitgeberwechsel


Leitsatz

Der Anspruch auf Jahressonderzahlung nach § 20 Abs. 1 TV-L vermindert sich nach § 20 Abs. 4 TV-L um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, in dem der Beschäftigte keinen Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts gegen den Arbeitgeber hat, bei dem er am 1. Dezember des Jahres beschäftigt ist.

Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 15. April 2011 - 10 [X.] 1197/10 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Höhe der tariflichen Sonderzahlung für das [X.] gemäß § 20 [X.].

2

Der Kläger trat am 1. Oktober 2009 als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit [X.] der regelmäßigen Arbeitszeit in die Dienste der beklagten [X.]. Nach dem Arbeitsvertrag findet ua. der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder ([X.]) Anwendung. Die Vergütung des [X.] richtet sich nach der [X.] 13 Stufe 2 [X.].

3

Zuvor war der Kläger vom 1. August 2008 bis zum 30. September 2009 beim [X.] an der [X.] J - ebenfalls unter vereinbarter Geltung des [X.] - beschäftigt.

4

Die Beklagte zahlte dem Kläger im November 2009 als Jahressonderzahlung für das [X.] einen Betrag in Höhe von 210,24 Euro brutto. Dabei berücksichtigte sie lediglich die bei ihr in den Monaten Oktober 2009 bis Dezember 2009 verbrachte Beschäftigungszeit des [X.], nicht jedoch die beim [X.] geleistete Beschäftigung in den Monaten Januar 2009 bis September 2009. § 20 [X.] lautet, soweit hier von Interesse:

        

„§ 20 

        

Jahressonderzahlung

        

(1)     

Beschäftigte, die am 1. Dezember im Arbeitsverhältnis stehen, haben Anspruch auf eine Jahressonderzahlung.

        

...     

        

(4)     

Der Anspruch nach den Absätzen 1 bis 3 vermindert sich um ein Zwölftel für jeden Kalendermonat, in dem Beschäftigte keinen Anspruch auf Entgelt oder Fortzahlung des Entgelts nach § 21 haben.“

5

§ 21 [X.] bildet die tarifliche Grundlage für den Entgeltfortzahlungsanspruch des dem [X.] unterfallenden Beschäftigten gegen seinen Arbeitgeber.

6

Mit Schreiben vom 11. Februar 2010 machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Zahlung der Differenz zwischen der vollständigen Jahressonderzahlung für das [X.] und dem gezahlten Betrag in rechnerisch unstreitiger Höhe von 630,71 Euro geltend. Die Beklagte lehnte die Zahlung mit Schreiben vom 22. Februar 2010 ab.

7

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die von der Beklagten vorgenommene Kürzung der Jahressonderzahlung für das Jahr 2009 um 9/12 für die Monate Januar 2009 bis einschließlich September 2009 sei nicht berechtigt. Die Beschäftigung beim [X.] in den ersten neun Monaten des Jahres 2009 sei zu berücksichtigten. Der Wortlaut des § 20 Abs. 4 Satz 1 [X.] stelle für die Verminderung der Jahressonderzahlung um jeweils 1/12 lediglich darauf ab, ob in den betreffenden Kalendermonaten kein Entgelt- oder Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 21 [X.] entstanden sei. Einen solchen Anspruch habe der Kläger auch während seiner Beschäftigung beim [X.] erlangt. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses beim selben Arbeitgeber sei nicht Voraussetzung für die Gewährung der gesamten Jahressonderzahlung.

8

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 630,71 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. März 2010 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, aus § 20 Abs. 4 [X.] ergebe sich der Grundsatz der [X.], der hier zur Kürzung der Jahressonderzahlung für das [X.] um 9/12 führe. Dem Tarifvertrag sei die grundsätzliche Regel zu entnehmen, dass frühere Arbeitsverhältnisse nur bei ausdrücklicher Anordnung im Tarifvertrag [X.] sein sollten. Eine solche Anordnung sei in der Vorschrift des § 20 [X.], anders als in anderen Regelungsbereichen, nicht enthalten.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Das [X.] hat die Klage zu Recht abgewiesen.

I. Dem Kläger steht der von ihm erhobene Zahlungsanspruch nicht zu. Der nach § 20 Abs. 1 [X.] bestehende Anspruch des [X.] auf Jahressonderzahlung für das [X.] vermindert sich um 9/12. Das ergibt die Auslegung von § 20 Abs. 4 [X.].

1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.] 19. September 2007 - 4 [X.] - Rn. 30, [X.]E 124, 110; 7. Juli 2004 - 4 [X.]/03 - zu I 1 b aa der Gründe, [X.]E 111, 204; 8. September 1999 - 4 [X.] - zu I 1 a der Gründe, [X.]E 92, 259) folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom [X.] auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem [X.] ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.

2. Nach diesen Maßstäben vermindert sich gemäß § 20 Abs. 4 [X.] der Anspruch auf Sonderzahlung um jeweils ein Zwölftel für die Monate, in denen der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entgelt gegen den Arbeitgeber hat, zu dem er am 1. Dezember des jeweiligen Jahres im Arbeitsverhältnis steht (ebenso [X.]/[X.]/[X.]/Wiese [X.] Stand April 2012 § 20 Rn. 134; [X.]/[X.]/Kiefer/Thivessen [X.] Stand Juni 2012 § 20 Rn. 35; aA: [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.] [X.] § 20 Rn. 29 f.).

a) Schon der Wortlaut der Tarifvorschrift legt nahe, dass Vorbeschäftigungszeiten bei anderen dem [X.] unterworfenen Arbeitgebern zur anteiligen Kürzung führen sollen.

aa) Der Tarifvertrag spricht in § 20 Abs. 1 vom „Arbeitsverhältnis“, vom „Beschäftigten“ und von dessen „Anspruch“. Die Tarifnorm regelt also das Recht des Gläubigers (Arbeitnehmers), von seinem Schuldner, dem Arbeitgeber, unter bestimmten Voraussetzungen Zahlung verlangen zu können (vgl. § 194 BGB). In diesem Rechtsverhältnis müssen die Anspruchsvoraussetzungen nach § 20 Abs. 1 [X.] vorliegen. Der Arbeitnehmer muss am 1. Dezember des Jahres im Arbeitsverhältnis zu diesem Arbeitgeber stehen. Ein Arbeitnehmer, der lediglich vom 1. Januar bis zum 30. November im Arbeitsverhältnis gestanden hat, erwirbt ebenso wenig einen Anspruch auf eine Jahressonderzahlung wie ein Arbeitnehmer, der etwa am 15. Dezember ins Arbeitsverhältnis eintritt (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.] [X.] § 20 Rn. 7 ff.). Das Bestehen anderer Arbeitsverhältnisse erfüllt nicht die Anspruchsvoraussetzungen. Dies zeigt, dass auch die auf § 20 Abs. 1 [X.] Bezug nehmende Kürzungsvorschrift des § 20 Abs. 4 [X.], wenn sie von „Ansprüchen“ spricht, Ansprüche aus demjenigen Arbeitsverhältnis meinen muss, in dem der [X.] besteht. Es wäre überraschend, wenn in § 20 Abs. 4 [X.] andere Anspruchsgegner gemeint wären als der Arbeitgeber, der Schuldner der Jahressonderzahlung ist.

bb) Dass etwaige andere Arbeitsverhältnisse anspruchserhaltende Auswirkungen haben sollen, ist an keiner Stelle erwähnt. Wenn § 20 Abs. 4 [X.] von Ansprüchen nach § 21 [X.] spricht, so kann das auch deshalb nicht in dem vom Kläger in Anspruch genommenen Sinn verstanden werden, weil § 21 [X.] lediglich die gemeinsame Anspruchsgrundlage für Entgeltfortzahlungsansprüche in [X.] dem [X.] unterf[X.]den Arbeitsverhältnissen darstellt. Dieser Umstand ändert nichts daran, dass die Voraussetzungen der Anspruchsnorm in dem Schuldverhältnis erfüllt sein müssen, für das § 20 [X.] die Tatbestandsmerkmale festlegt.

b) Dieses Ergebnis wird bekräftigt durch die Systematik des Tarifvertrags. Er regelt grundsätzlich die im jeweiligen Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber bestehenden Rechte und Pflichten. Soweit sich aus anderen Arbeitsverhältnissen ergebende Umstände auf die Rechtslage auswirken sollen, ist dies ausdrücklich angeordnet.

aa) So sieht § 34 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 [X.] für die Berechnung der Kündigungsfristen nach § 34 Abs. 1 [X.], der eine Staffelung nach Beschäftigungszeiten anordnet, vor:

        

„Wechseln Beschäftigte zwischen Arbeitgebern, die vom Geltungsbereich dieses Tarifvertrages erfasst werden, werden die Zeiten bei dem anderen Arbeitgeber als Beschäftigungszeit anerkannt. Satz 3 gilt entsprechend bei einem Wechsel von einem anderen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber.“

bb) Eine Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten bei einem anderen Arbeitgeber ist außerdem in § 22 Abs. 3 [X.] für den [X.] und in § 23 Abs. 2 [X.] für das [X.] vorgeschrieben, und zwar jeweils durch Verweis auf § 34 Abs. 3 [X.].

cc) Bei dieser Lage hätte, wenn § 20 [X.] die Vorbeschäftigungszeiten bei einem anderen Arbeitgeber als anspruchsbegründend ansähe, eine ausdrückliche Anordnung erwartet werden müssen.

dd) Dass der Tarifvertrag, wenn er Ansprüche und deren Voraussetzungen im Arbeitsverhältnis regelt, grundsätzlich das Verhältnis zwischen einem bestimmten Arbeitnehmer und seinem aktuellen - nicht irgendeinem früheren - Arbeitgeber meint, zeigt ebenso ein Blick auf § 1 Abs. 1 [X.], der lautet:

        

„Dieser Tarifvertrag gilt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Beschäftigte), die in einem Arbeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber stehen, der Mitglied der Tarifgemeinschaft deutscher Länder ([X.]) oder eines Mitgliedverbandes der [X.] ist.“

Auch die Regelungen in § 4 [X.] über Versetzung, Abordnung, Zuweisung und Personalgestellung erweisen, dass der Tarifvertrag Rechte und Pflichten mangels ausdrücklicher anderer Regelung stets nur zwischen einem Arbeitgeber und seinem Arbeitnehmer vorsieht.

c) Zu Unrecht meint die Revision, § 20 [X.] müsse deshalb in ihrem Sinne ausgelegt werden, weil in der Vorgängerregelung (§ 2 Abs. 2 TV Zuwendung) ausdrücklich angeordnet war, dass Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern zu einer Kürzung der Jahressonderzahlung führen. Das [X.] hat insoweit zu Recht auf den damals gegebenen anderen [X.] verwiesen. Nach der seinerzeitigen Vorschrift des § 1 TV Zuwendung konnten aufgrund ausdrücklicher Anordnung Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern anspruchsfördernd bzw. anspruchserhaltend sein. Es war daher folgerichtig und notwendig, dass der Tarifvertrag, soweit die Beschäftigung bei anderen Arbeitgebern nicht anspruchswirksam sein sollte, dies gesondert zum Ausdruck brachte. Da die jetzige Tarifregelung Beschäftigungszeiten bei anderen Arbeitgebern nicht mehr zur Begründung von [X.] heranzieht, ist es ebenso folgerichtig, wenn sie derartige Zeiten auch bei der Minderung der Ansprüche nicht ausdrücklich anspricht.

d) Dass, wie der Kläger meint, dem Tarifvertrag der Gedanke zugrunde liege, die „Treue zum öffentlichen Dienst“ an sich zu belohnen oder zu fördern, ist nicht erkennbar. Die Regelungen des Tarifvertrags sind vielmehr durchweg auf das Arbeitsverhältnis zwischen dem jeweiligen Arbeitgeber und seinem jeweiligen Arbeitnehmer bezogen, soweit nicht ausdrücklich andere Beschäftigungsverhältnisse als maßgebend bezeichnet sind.

e) Auch das in § 40 [X.] zum Ausdruck gelangende Interesse an der Flexibilität der Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbereich kann eine Auslegung im Sinne des [X.] nicht begründen. In § 40 [X.] sind einzelne Abweichungen von den allgemeinen Regelungen des [X.] detailliert geregelt, so etwa in Nr. 3 zur regelmäßigen Arbeitszeit, in Nr. 4 zu Sonderformen der Arbeit, in Nr. 5 zu Stufen der [X.], in Nr. 6 zum Leistungsentgelt, in Nr. 7 zum Erholungsurlaub und in Nr. 8 zu befristeten Arbeitsverträgen. In dem hier maßgeblichen Gesichtspunkt, dass nämlich die tariflichen Rechte und Pflichten stets das Verhältnis zwischen einem Arbeitgeber und seinem Arbeitnehmer betreffen, unterscheiden sich diese Sonderregelungen nicht von den allgemeinen Vorschriften. Ein Grundgedanke des vom Kläger in Anspruch genommenen Inhalts lässt sich diesen tarifvertraglichen Anordnungen nicht entnehmen.

II. Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

        

    Mikosch    

        

    Mikosch    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Rigo Züfle    

        

    A. Effenberger    

                 

Meta

10 AZR 488/11

11.07.2012

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Köln, 22. Juli 2010, Az: 4 Ca 2701/10, Urteil

§ 1 TV-L, § 20 Abs 1 TV-L, § 21 TV-L, § 22 TV-L, § 23 TV-L, § 24 TV-L, § 20 Abs 4 TV-L

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.07.2012, Az. 10 AZR 488/11 (REWIS RS 2012, 4795)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4795

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

5 Sa 315/14

11 Sa 543/12

14 Sa 331/12

17 Sa 732/11

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.