Landgericht Wiesbaden, Urteil vom 01.06.2021, Az. 11 O 47/21

11. Zivilkammer | REWIS RS 2021, 5385

UNLAUTERER WETTBEWERB WETTBEWERBSRECHT UWG

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Leitsatz des Bearbeiters

1.
Die Vornahme einer 1 Cent-Überweisung mit einem werblichen Verwendungszweck stellt eine geschäftliche Handlung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG dar.

2.
Ein nicht kenntlich machen des kommerziellen Zwecks im Sinne von § 5a Abs. 6 UWG liegt vor, wenn das äußere Erscheinungsbild der geschäftlichen Handlung so gestaltet wird, dass der Verbraucher ihren kommerziellen Zweck nicht klar und eindeutig erkennen kann. Das ist anzunehmen, wenn der durchschnittliche Verbraucher im Zuge der 1 Cent-Überweisung davon ausgeht, dass er mit dem überweisenden Unternehmen in einer konkreten geschäftlichen Beziehung gestanden hat.

3.
Auf 1 Cent-Überweisungen mit werblichem Charakter ist der Gedanke des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG anzuwenden, dass ohne ausdrückliche Einwilligung des Überweisungsempfängers eine inhaltlich störende Werbemaßnahme aufgezwungen wird.


Sebastian Laoutoumai, LLM.

21.02.2022

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Gegenstand

Zur Unzulässigkeit von "1-Cent-Überweisungen" zu werblichen Zwecken; unzumutbare Belasätigung.


Tenor

  1. Die Verfügungsklägerin hat es jeweils bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu 2 Jahren, die Ordnungshaft zu vollstrecken an den Geschäftsführer der Komplementärin, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des [X.]:
    1. den kommerziellen Zweck von Überweisungen an Verbraucher nicht kenntlich zu machen
      und / oder
    2. Überweisungen an Verbraucher zu tätigen und den Verwendungszweck Werbung für Vermögensanlagen bzw. Finanzanlagenvermittler zu machen, wenn dies jeweils geschieht wie nachstehend abgebildet: tenor-bild
  2. Die Kosten des einstweiligen [X.] hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.
  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 60.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
  4. Der Streitwert des einstweiligen [X.] wird auf 50.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Verfügungsklägerin betreibt eine Internetdienstleistungs-Plattform für digitale Immobilien-Investments zur Vermittlung von Vermögensanlagen im Sinne des [X.].

Die Verfügungsbeklagte ist ein Tochter-Unternehmen der in [X.] ansässigen [[X.] und bietet selbst auch Vermögensanlagen auf der „[xxx] Crowd" an. Die [[X.] bietet mit der "[xxx]Crowd" ein entsprechendes Angebot wie die Verfügungsklägerin am Markt an.

Die Verfügungsklägerin erhielt Kenntnis davon, dass die Verfügungsbeklagte am [X.] Überweisungen über jeweils 0,01 € an verschiedene Verbraucher in ganz [X.] getätigt hat, wobei als Verwendungszweck folgender Text verwendet wurde:

[X.]]crowd.com - [xxx] Group + [xxx]AG sagen [X.] fuer ihr Vertrauen. Neue Crowd Foundinq-Emission".

Die [X.] entsprach der bildlichen Darstellung wie im Tenor ersichtlich.

Die Verfügungsbeklagte stand mit keinem der Verbraucher zuvor im geschäftlichen Kontakt. Die Verbraucher erteilten keine Einwilligung für den Erhalt von Werbung durch die Verfügungsbeklagte.

Mit Schreiben vom 16.04.2021 mahnte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte wegen der behaupteten [X.]verstöße ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auf. Die Verfügungsbeklagte lehnte dies mit Schreiben vom [X.] ab.

Die Verfügungsklägerin beantragt,

die Verfügungsklägerin hat es jeweils bei Meldung eines Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu 2 Jahren, die Ordnungshaft zu vollstrecken an den Geschäftsführer der Komplementäre, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des [X.]:

  1. Den kommerziellen Zweck von Überweisungen an Verbraucher nicht kenntlich zu machen
    und / oder
  2. Überweisungen an Verbraucher zu tätigen und den Verwendungszweck Werbung für Vermögensanlagen bzw. Finanzanlagenvermittler zu machen, wenn dies jeweils geschieht wie nachstehend abgebildet: tenor-bild

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, dass der Verfügungsklägerin der Anspruch nicht zustünde.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Verfügungsklägerin verwiesen.

Entscheidungsgründe

1

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet.

2

Die Aktivlegitimation der Verfügungsklägerin folgt aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG.

3

Die Verfügungsklägerin hat einen Anspruch auf die beantragte Unterlassungserklärung wie tenoriert.

4

Der Anspruch auf Unterlassung ergibt sich aus § 5 a Abs. 6 UWG.

5

Die 1-Cent- Überweisungen stellen geschäftliche Handlungen im Sinne der Vorschrift dar. Geschäftliche Handlungen im Sinne des UWG bedeutet jedes Verhalten einer Person zu Gunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrages über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt, § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG.

6

Mit den [X.] bewirkt/fördert die Verfügungsklägerin die [X.] „(...)-Crowd“ der [X.], indem sie auf deren Domain ([xxx][X.]) und die dort angebotenen Emissionen verweist. Darüber hinaus fördert die Verfügungsbeklagte damit aber auch ihren eigenen Wettbewerb, weil sie selbst auf der Plattform Vermögensanlagen anbietet.

7

Nach § 5 a Abs. 6 UWG handelt unlauter, wer den kommerziellen Zweck einer geschäftlichen Handlung nicht kenntlich macht, sofern sich dieser nicht unmittelbar aus den Umständen ergibt und das nicht kenntlich machen geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

8

Der kommerzielle Zweck wird vorliegend nicht kenntlich gemacht. Ein nicht kenntlich machen des kommerziellen Zwecks liegt vor, wenn das äußere Erscheinungsbild der geschäftlichen Handlung so gestaltet wird, dass der Verbraucher ihren kommerziellen Zweck nicht klar und eindeutig erkennen kann ([X.], 644 Rdn. 15).

9

Maßgebend ist nach § 3 Abs. 4 Satz 1 UWG die Sicht des durchschnittlich informierten [X.] aufmerksamen und verständigen [X.] oder des durchschnittlichen Mitglieds der angesprochenen Verbrauchergruppe. Vorliegend wird der durchschnittliche Verbraucher im Zuge der 1-Cent- Überweisung davon ausgehen, dass er mit der Verfügungsbeklagten in einer konkreten geschäftlichen Beziehung gestanden hat, was sich aus dem dargelegten Verwendungszweck: "[X.] fuer ihr Vertrauen“ ergibt.

10

Die werbliche Zwecksetzung wird damit verschleiert. Tatsächlich bestand kein Anspruch auf den überwiesenen Geldbetrag und kein geschäftlicher Kontakt zwischen der Verfügungsbeklagten und den Überweisungsempfängern. Der kommerzielle Zweck folgt auch nicht aus den Umständen, denn für den unbefangenen Verbraucher ist es auf den ersten Blick nicht möglich zu erkennen, dass der Handlung ein kommerzieller Zweck, nämlich ein Werbezweck, zugrunde liegt. Es kann insoweit dahinstehen, ob der durchschnittliche Verbraucher nach einer analysierenden Betrachtung der Überweisung die werbliche Wirkung des Beitrags erkennt, weil dies nicht ausreichend ist ([X.], 644, Rdn. 21).

11

Mit dem bezweckten Besuch der Website, den der Verbraucher zwecks weiterer Aufklärung des Vorgangs naheliegend aufsuchen wird, hat der Überweisungsempfänger eine geschäftliche Entscheidung getroffen, die er nicht getroffen hätte, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass es sich bei der Überweisung um Werbung handelt.

12

Die von der Verfügungsbeklagten vorgenommenen [X.] sind zudem nach § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG unzulässig.

13

Danach ist eine geschäftliche Handlung, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarerWeise belästigt wird, unzulässig. Eine geschäftliche Handlung liegt wie dargestellt vor.

14

Der Empfänger der Überweisung wird hierdurch auch belästigt. Gegenstand des Schutzes gemäß [ref=6dffee4e-b665-4778-9871-b963b395fac3]§ 7 Abs. 1 [X.]] ist die Verhinderung des Eindringens des Werbenden in die Privatsphäre des [X.] und die geschäftliche Sphäre. Es soll verhindert werden, dass den Verbrauchern und sonstigen Marktteilnehmern Werbemaßnahmen gegen ihren erkennbaren oder mutmaßlichen Willen aufgedrängt werden. Verhindert werden soll darüber hinaus, dass die belästigende Werbung zu einer Bindung von Ressourcen des Empfängers (z.B. [X.]aufwand, Kosten etc.) führt ([X.], Urteil vom 21.04.2016, Aktenzeichen I ZR 276/16, Rdn. 16).

15

Vorliegend rechnet der Verbraucher nicht damit, dass er Werbung im Verwendungszweck von Überweisungen findet, die noch dazu eine geschäftliche Beziehung zu dem Verbraucher suggerieren. Der betroffene Verbraucher kann mit einem solchen Geldeingang nichts anfangen. Es besteht die berechtigte Befürchtung des [X.], dass es sich um ein dubioses Geschäftsmodell handelt, mit der Gefahr, dass Kundendaten des [X.] unlauter erworben werden. Um sich Gewissheit über den unvorhergesehenen Geldeingang zu verschaffen, muss der Verbraucher Recherchen bezüglich der Überweisung
anstellen und wird in diesem Zusammenhang - wie von der Verfügungsbeklagten auch beabsichtigt - die im Verwendungszweck genannte Internetseite besuchen.

16

Ein Besuch dieser Website ist daher nur aufgrund notwendiger Recherchetätigkeit vorgenommen und damit dem Verbraucher aufgedrängt worden.

17

Die Belästigung ist auch unzumutbar. Eine unzumutbare Belästigung ist gern, des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG stets anzunehmen bei Werbung unter Verwendung einer automatischen Anrufmaschine, eines Faxgerätes oder elektronischer Post, ohne dass eine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten vorliegt.

18

Auch wenn es sich hier um eine Überweisung handelt, so ist doch der Gedanke des § 7 Abs.2 Nr. 3 UWG anzuwenden, dass ohne ausdrückliche Einwilligung des [X.] eine inhaltlich störende Werbemaßnahme aufgezwungen wird.

19

Die Verfügungsbeklagte hat durch die Überweisung und den Text die Aufmerksamkeit des [X.] erregt und bedrängt den Verbraucher, sich mit dem Anliegen der Verfügungsbeklagten durch Recherche ihrer Internetseite auseinanderzusetzen. Auch ist weiterhin zu berücksichtigen, dass eine solche Verwendung kostengünstiger Werbemethoden, soweit diese als rechtmäßig angesehen werden, dazu führen wird, dass sich andere [X.] zur Nachahmung veranlasst sehen.

20

Daraus würde in Zukunft eine erhebliche Zahl gleichartiger Handlungen entstehen, die auch in ihrer Summe eine wesentliche Belästigung der Verbraucher darstellen würden. Bei der Frage der Unzumutbarkeit der Belästigung ist weiterhin zu berücksichtigen, dass die Werbung in einem besonders sensiblen Bereich des Zahlungsverkehrs stattgefunden hat.

21

Die vorgenommenen [X.] [X.] darüber hinaus die Gefahr, dass der Verbraucher deswegen auf seinen Kontoauszügen andere wichtige Posten übersieht. In jedem Fall wird er mehr [X.] benötigen, um die Kontoauszüge sorgfältig zu prüfen. Ob eine unzumutbare Belästigung auch daraus folgt, dass der Empfänger der Überweisung verunsichert sein und sich fragen wird, ob er die Zahlung behalten darf oder diese erstatten muss, kann dahinstehen, da schon die bisherigen genannten Überlegungen eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG begründen.

22

Die Dringlichkeit wird nach § 12 Abs. 1 UWG vermutet.

23

[X.] beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit begründet sich aus § 709 ZPO.

24

Der Streitwert rechtfertigt sich aus § 51 Abs.2 GKG.

Zur besseren Lesbarkeit wurden ggf. Tippfehler entfernt oder Formatierungen angepasst.

Meta

11 O 47/21

01.06.2021

Landgericht Wiesbaden 11. Zivilkammer

Urteil

Sachgebiet: O

§ 7 UWG, § 5a UWG

Zitier­vorschlag: Landgericht Wiesbaden, Urteil vom 01.06.2021, Az. 11 O 47/21 (REWIS RS 2021, 5385)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5385

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