Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.07.2012, Az. V ZB 106/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4762

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

V [X.]/12
vom

12. Juli
2012
in dem Verfahren nach dem [X.]

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja

[X.] § 1 Abs. 1
Eine Therapieunterbringung nach § 1 Abs. 1 [X.] kann nur gegen Betroffene [X.] werden, die sich in Sicherungsverwahrung nach dem Strafgesetzbuch befinden oder befunden haben, nicht jedoch gegen nach § 275a Abs. 5 StPO aF einstweilig Untergebrachte.
[X.], Beschluss vom 12. Juli 2012 -
V [X.]/12 -
OLG Nürnberg

[X.]

-
2
-
Der V. Zivilsenat des [X.]s hat am 12. Juli 2012
durch [X.] [X.], die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und
Dr.
[X.] und
die Richterinnen
Dr. Brückner
und Weinland

beschlossen:

Die Beschwerden der Beteiligten zu 2 und 3 gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des [X.] vom 5. März 2012 werden zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die [X.] des Betroffenen in allen Instanzen
werden je zur Hälfte
dem Freistaat Bayern und der [X.] auferlegt.

Gründe:

I.

Der Betroffene wurde mit Urteil der [X.] des [X.] vom 5.
Februar 2003 ([X.].: Jug KLs 401 Js 107041/02), rechtskräftig seit dem 13.
Februar 2003, wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von zehn Jah-ren verurteilt, die mit dem Ablauf des 16.
Februar 2012 vollständig verbüßt
war. Mit Beschluss vom 16.
Januar 2012 erließ
die [X.] des [X.] gegen den
Betroffenen einen Unterbringungsbefehl gemäß § 105 Abs. 1 [X.], § 7 Abs. 4 [X.] (idF vom 8.
Juli 2008), §
275a Abs. 5 Satz 1 StPO (idF vom 28.
Juli 2009
[im Folgenden §
275a StPO aF]), Art.
316e Abs. 1 1
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EGStGB, auf dessen Grundlage sich der Betroffene seit dem 17.
Februar 2012 in der Justizvollzugsanstalt Straubing
befindet.

Am
14.
Dezember 2011 hat
der Beteiligte zu 2
-
soweit hier noch von [X.] -
gemäß §
1 Abs. 1 des [X.]es ([X.]) vom 22.
Dezember 2010 ([X.] I S. 2300, 2305)
die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung
beantragt. Einen gleichlautenden
Antrag
hat der Beteiligte zu 3 am 26.
Januar 2012
gestellt.
Das [X.] hat den Antrag des Beteiligten zu 2 als unzulässig verworfen und den
Antrag
des Beteiligten zu
3 als unbegründet zurückgewiesen.

Das [X.] beabsichtigt, die hiergegen gerichteten [X.] der Beteiligten zu 2 und 3 zurückzuweisen. Hieran sieht es sich aber durch den Beschluss des [X.] [X.]s
vom 30.
Septem-ber 2011
(5 W 212/11-94, [X.], 31)
gehindert. Es hat deshalb die [X.] mit Beschluss vom 24.
Mai 2012 dem [X.] zur Ent-scheidung vorgelegt.

II.

Das vorlegende Gericht
meint, dem Beteiligten zu 2 fehle die Berechti-gung, einen Antrag
nach dem [X.] zu stellen. Der Leiter einer Einrichtung sei nur dann nach §
5 Abs. 1 Satz 3 [X.] antragsbe-rechtigt, wenn sich der Betroffene in der Sicherungsverwahrung befinde und diese in der Einrichtung vollstreckt werde. Daran
fehle es. Denn der Vollzug
des gegen den Betroffenen erlassenen
Unterbringungsbefehls
nach §
275a Abs. 5 Satz 1 StPO aF sei keine Sicherungsverwahrung
im Sinne des §
5 Abs. 1 Satz
3 [X.]. Hieraus folge auch die Unbegründetheit des
Antrags
des Betei-2
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4

-
ligten zu 3. Voraussetzung für eine Unterbringung nach dem
Therapieunterbrin-gungsgesetz
sei
nach §
1 Abs. 1 [X.]
unter anderem, dass sich der Betroffe-ne
derzeit
in der Sicherungsverwahrung befinde oder aus ihr
bereits
entlassen worden sei. Dafür reiche der Vollzug
eines Unterbringungsbefehls nach §
275a Abs. 5 Satz 1 StPO aF nicht aus. Das vorlegende Gericht meint, seiner Ent-scheidung stehe
die Rechtsauffassung des
[X.]
[X.]s entgegen, das die gegenteilige Ansicht vertrete und das Therapieunterbrin-gungsgesetz auch auf diesen Fall anwende.

III.

Die Vorlage ist nach
§ 18 Abs. 1 Satz 1 [X.] statthaft. Danach hat ein [X.] die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem [X.] vorzulegen, wenn es bei seiner Entscheidung in einer ent-scheidungserheblichen Rechtsfrage von einer Entscheidung eines anderen [X.]s oder des [X.]s abweichen
will. Der [X.] ist zwar bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Vorlage nach § 18 Abs. 1 Satz 1 [X.] an die Auffassung des vorlegenden Gerichts gebunden, es könne ohne Beantwortung der streitigen Rechtsfrage über die sofortige weitere Beschwerde nicht entscheiden (Senat, Beschlüsse vom 11. November 1986
-
V [X.], [X.]Z 99, 90, 92, vom 22. Januar 2004 -
V [X.], [X.], 937, 938, insoweit nicht in [X.]Z 157, 322 abgedruckt, und vom 30. September 2004 -
V [X.], [X.], 3339). Auf der Grundlage des in dem [X.] mitgeteilten Sachverhalts und der darin zum Ausdruck gebrachten rechtlichen Beurteilung des Falls prüft der Senat jedoch, ob eine Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, die das vorlegende Gericht abweichend von der Entscheidung eines anderen [X.]s oder von einer Entscheidung des [X.]es beantworten will, für die dieselbe Rechtsfrage eben-5
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falls erheblich war (vgl. Senat, Beschlüsse vom 9.
Juli 1956 -
V
BLw
16/56, [X.]Z 21, 234, 236, vom 8.
März 2007 -
V
ZB
149/06, NJW-RR 2007, 1569, vom 30. September 2004 -
V [X.], [X.], 3339
und vom 11.
Februar
2010 -
V
ZB
167/09, juris Rn. 8 jeweils mwN). So verhält es sich hier. Das vor-legende Gericht möchte die Rechtsfrage, "ob die vorläufige Unterbringung nach §
275a Abs. 5 StPO aF als Vollzug der Sicherungsverwahrung im Sinne von §§
1, 5 Abs. 1 Satz 3 [X.] anzusehen ist",
anders beantworten als das Saar-ländische [X.]. Auf die Beantwortung der Frage kam es in jenem und kommt es im vorliegenden Verfahren entscheidend an.

IV.

Die nach §§ 3, 16 [X.], §§ 63 f. FamFG zulässigen Beschwerden
sind unbegründet.
Die Entscheidung des [X.]s hält einer rechtlichen Über-prüfung stand.

1. Dabei kann offen bleiben, ob die gegen das [X.] erhobenen verfas-sungsrechtlichen Bedenken durchgreifen (Verfahren vor dem [X.] anhängig unter [X.]. 2 BvR 2302/11; vgl. [X.] einerseits Antrag des [X.] für die Plenarberatung des [X.] in [X.]. 794/2/12; [X.], [X.], 177, 181; und auch [X.], [X.] 2011, 417, 418; andererseits [X.], [X.], 31, 32).

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2. [X.] folgt auch nicht schon aus dem Umstand, dass es an der in § 1 Abs. 1 [X.] vorausgesetzten (Beschlus-sempfehlung zu dem Fraktionsentwurf eines [X.] und zu begleitenden Regelungen in BT-Drucks. 17/4062, S. 16) rechtskräftigen Entscheidung
darüber fehlt, dass der
Betroffene
deshalb nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden kann, weil ein Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der [X.] zu berücksichtigen ist. Zwar entscheidet das Gericht nach der Regelung des §
10 Abs. 1 Satz 1 [X.] über den Antrag in der Hauptsache erst nach Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung. Auch ohne sie
kann über einen
Antrag
aber schon dann entschieden werden, wenn dieser aus anderen Gründen abzuweisen
ist, §
10 Abs. 1 Satz 2
[X.]. So ist es hier.

3. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2 ist unbegründet, weil dessen
An-trag unzulässig ist.

a) Die Therapieunterbringung nach § 1 Abs. 1 [X.] kann nicht von Amts wegen, sondern
nach § 3 [X.], § 23 FamFG nur auf Antrag angeordnet werden. Zwar bestimmt § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.], dass das gerichtliche Verfah-ren eingeleitet wird, wenn Gründe für die
Annahme bestehen, dass die Voraus-setzungen für eine solche Unterbringung gegeben sind. Dabei handelt es sich aber um eine inhaltliche Voraussetzung für die Einleitung des Verfahrens ([X.] eines [X.] und zu begleitenden Regelungen [Entwurfsbegrün-dung] in BT-Drucks. 17/3403, [X.]). In diese Prüfung darf das Gericht nur auf Grund eines Antrags der nach § 5 Abs. 1 Sätze 2 und 3 [X.] oder
nach von dieser Vorschrift
abweichendem Landesrecht (vgl. Art. 84 Abs. 1 Satz 2 GG) antragsberechtigten Stelle eintreten (Entwurfsbegründung in BT-Drucks.
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17/3403 S.
56). Fehlt es an der Antragsberechtigung, die von dem Gericht [X.] wegen zu prüfen ist ([X.], [X.] 2012, 85;
allge-mein:
[X.], FamFG, 17.
Aufl., §
23 Rn. 12), so ist der Antrag als unzu-lässig zu verwerfen ([X.], [X.] 2012, 85; für § 417 FamFG: [X.], Beschluss vom 27. Oktober 2011 -
V [X.], [X.] 2012, 82, 83 Rn.
12; allgemein: [X.], FamFG, 17.
Aufl., §
23 Rn. 23). Dieser Fall liegt hier vor.

b) Der Beteiligte zu 2 ist nicht antragsberechtigt, weil sich der Betroffene
in der Justizvollzugsanstalt nicht, wie es
§ 5 Abs. 1 Satz 3 [X.] verlangt, in der Sicherungsverwahrung befindet.

aa) Im Zeitpunkt der Antragstellung befand er sich weder in Sicherungs-verwahrung noch in Unterbringung zur Sicherung der Sicherungsverwahrung, sondern in Strafhaft.

[X.]) Dieser Mangel
ist nicht
-
was für die Zukunft möglich gewesen wäre (vgl. dazu: Senat, Beschluss vom 15. September 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 318, 319 Rn. 8 und 10)
-
geheilt worden. Der Betroffene ist zwar seit dem 17.
Februar 2012 in der Justizvollzugsanstalt des Beteiligten
zu 2 nicht mehr in Strafhaft, sondern
nach § 275a Abs. 5 StPO aF zur Sicherung der Sicherungs-verwahrung untergebracht.
Das führt aber nicht dazu, dass er sich seitdem im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 3 [X.] "in der Sicherungsverwahrung befindet".

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(1) Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut und der systematischen Stel-lung des § 5 Abs. 1 Satz 3 [X.] einerseits und des § 275a Abs. 5 StPO
aF anderseits. Beide Vorschriften verwenden den Begriff der Sicherungsverwah-rung, ohne ihn eigenständig zu definieren. Dessen bedurfte es
auch nicht. Denn sie stehen beide in einem systematischen Zusammenhang zu den Regelungen der §§ 66 bis 66b StGB über die Sicherungsverwahrung als Nebenfolge einer Straftat und verwenden den Begriff in diesem Sinne. Das Therapieunterbrin-gungsgesetz
sieht eine
weitere
Form der Unterbringung zum Schutz der Allge-meinheit, insbesondere potentieller neuer Opfer vor den Folgen einer psychi-schen Störung eines Straftäters in bestimmten Fällen vor, in denen er durch Sicherungsverwahrung nach dem Strafgesetzbuch nicht mehr gewährleistet werden kann
([X.]E 128, 326, 401). §
275a Abs. 1 bis 4 StPO aF regelt das Verfahren, in dem eine vorbehaltene oder nachträgliche Sicherungsverwahrung nach §§
66a, 66b StGB angeordnet wird. Absatz 5 der Vorschrift ermöglicht dem Gericht, die einstweilige Unterbringung anzuordnen
um sicherzustellen, dass die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung noch getroffen werden kann. Diese Unterbringung ist von der dann zu treffenden Entscheidung über die Sicherungsverwahrung zu unterscheiden. An sie sind deshalb auch niedri-gere Anforderungen zu stellen. So kann etwa auf die Einholung der nach §
275a Abs. 4 StPO aF erforderlichen Gutachten verzichtet werden (OLG

München, [X.], 573, 574
Rn. 15; [X.]/[X.], 6. Aufl., §
275a Rn.
10).

(2) Nichts anderes ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der [X.]. Mit ihr wollte
der Gesetzgeber den Umstand für das Therapieunterbringungsverfahren nutzen, dass der Leiter der Einrichtung, in welcher die Sicherungsverwahrung vollzogen wird, die Betroffenen beson-ders gut kennt und besonders gut zu beurteilen weiß, bei welchen unter ihnen 14
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eine Therapieunterbringung angezeigt ist (Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 17/3403 [X.]). Das lässt sich nur in der Sicherungsverwahrung erreichen, nicht aber in der
vorgeschalteten einstweiligen Unterbringung. Diese sichert die [X.], nimmt sie aber inhaltlich nicht vorweg. Das könnte zwar anders sein, wenn die Unterbringung länger dauert und therapeuti-sche Bemühungen einsetzen. Eine Zuständigkeitsregelung, die davon abhinge, wäre aber unklar und deshalb mit Art. 104 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Denn der Gesetzgeber muss die Voraussetzungen, unter denen eine Freiheits-entziehung angeordnet werden darf,
hinreichend eindeutig regeln ([X.]E 96, 68, 97). Dazu gehören auch die formellen Voraussetzungen wie Zuständigkeits-regelungen ([X.], [X.], 1254, 1255).

4. Die Beschwerde des Beteiligten zu 3 ist unbegründet, weil dessen
An-trag unbegründet ist.

a) Eine Therapieunterbringung
darf nach § 1 Abs. 1 [X.] unter den in Nr. 1 und 2 dieser Vorschrift genannten weiteren Voraussetzungen nur ange-ordnet werden, wenn auf Grund einer rechtskräftigen Entscheidung feststeht, dass eine wegen einer Straftat der in § 66 Abs.
3 Satz 1 StGB genannten
Art verurteilte Person deshalb nicht länger in der Sicherungsverwahrung unterge-bracht werden kann, weil ein Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung zu berücksichtigen ist. Wann ein Betroffener in die-sem Sinne "nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden kann", ist umstritten. Teils wird die Vorschrift weit in dem Sinne ausgelegt, dass diese Voraussetzung auch dann erfüllt ist, wenn der Betroffene -
wie hier -
nach § 275a Abs. 5 StPO
aF
einstweilen untergebracht worden ist, gegen ihn Siche-rungsverwahrung hätte verhängt werden können und dies
im Hinblick auf
das Rückwirkungsverbot unterblieben ist.
Das sei "materiell Sicherungsverwahrung"
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([X.], [X.], 31, 34). Teils wird die Vorschrift mit dem
vorle-genden Beschwerdegericht (so schon in [X.] 2012, 87, 88) eng in dem Sinn verstanden, dass eine Therapieunterbringung nur möglich ist, wenn sich der Betroffene in der Sicherungsverwahrung befindet oder befunden hat
([X.]/
Starke, [X.], 254,
255).

b) Der Senat hält die zweite Meinung für zutreffend.

aa) Für sie spricht der Wortlaut der Regelung. Die in § 1 Abs. 1 Halb-satz
1 [X.] verwendete Formulierung "der Sicherungsverwahrung untergebracht werde"
ist bei isolierter Betrachtung allerdings auslegungsfähig. Sie kann einerseits nur Betroffene [X.], die sicherungsverwahrt sind oder waren. Sie lässt sich andererseits auch in dem Sinn verstehen, dass es auf den Fortfall der rechtlichen
Möglich-keit ankommt, Sicherungsverwahrung anzuordnen. Für diesen Fall
hätte an sich die Formulierung näher gelegen "

". Das ändert aber nichts daran, dass die in dem Gesetz gewählte [X.], für sich genommen, die Auslegung des [X.] Oberlandesge-richts zulässt. Dieses Textverständnis scheitert
indes
daran, dass die Passage nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern im Textzusammenhang der [X.] gelesen werden muss. Ihr Sinn wird durch § 1 Abs. 2 [X.] deut-lich. Danach ist Absatz 1 der Vorschrift unabhängig davon anzuwenden, ob die verurteilte Person sich noch im Vollzug der Sicherungsverwahrung befindet [X.] bereits entlassen wurde. Diese Regelung wäre überflüssig, würde § 1 Abs. 1 [X.] unabhängig von dem Vollzug von Sicherungsverwahrung nur auf die rechtliche Möglichkeit der Anordnung von Sicherungsverwahrung abstellen. Einen Sinn ergibt sie nur, wenn § 1 Abs. 1 [X.] im Grundsatz nur Betroffene anspricht, die sich in Sicherungsverwahrung befinden. Denn dann bedarf es 18
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einer Regelung darüber, was mit Betroffenen geschehen soll, die sich nicht mehr in Sicherungsverwahrung befinden.
Nach dem Wortlaut gilt das Gesetz deshalb nur für Betroffene, die sich in Sicherungsverwahrung befinden oder befunden haben.

[X.]) Die Wortlautauslegung wird durch ein systematisches Argument be-stätigt.

Das Antragsrecht des [X.] nach § 5 Abs. 1 Satz 3 [X.] setzt, wie bereits ausgeführt, eine Sicherungsverwahrung nach dem Strafgesetzbuch voraus. Denn nur bei dieser ist nach Art. 159, 160, 9 BayStVollzG (bei Fehlen entsprechenden Landesrechts: §§ 1, 7 StVollzG) ein Vollzugsplan zu erstellen, aus dem sich -
jedenfalls in Zukunft -
im Einzelnen ergeben muss, wie dem ver-fassungsrechtlichen Individualisierungs-
und Intensivierungsgebot bei dem [X.] Betroffenen Rechnung getragen werden soll ([X.]E 128, 326, 379 f.,
juris Rn. 113).
Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 [X.] kann der
Antrag auf Therapieun-terbringung bereits vor der Entlassung des Betroffenen aus der [X.] gestellt werden.
Die für die Durchführung der Sicherungsverwahrung zuständi-ge Vollstreckungsbehörde ist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 [X.] zur Übermittlung der für die Entscheidung über die Therapieunterbringung erforderlichen Daten verpflichtet. Auch diese Regelungen setzen voraus, dass sich die Betroffenen in Sicherungsverwahrung befinden oder befunden
haben.

[X.]) Von diesem Verständnis ist auch der Gesetzgeber ausgegangen. So heißt es in der Erläuterung zu § 1 [X.] in der Entwurfsbegründung, die Vor-schrift regele die "materiellrechtlichen Voraussetzungen, unter denen gegen einen
verurteilten Straftäter, der sich in Sicherungsverwahrung befindet oder "
(BT-Drucks. 17/3403 20
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S.
53). Zweck des Gesetzes war es, die Folgen des Urteils des [X.] vom 17. Dezember 2009 (19359/04, NJW 2010, 2495) angemessen und [X.] zu regeln (Entwurfsbegründung in BT-Drucks 17/3403 S. 19, 53). Das Urteil behandelt die Fälle von Straftätern, bei denen die im Zeitpunkt ihrer Verurteilung bestehende Begrenzung der [X.] auf höchstens zehn Jahre rückwirkend aufgehoben [X.].
Um diese auch ausdrücklich so genannten Altfälle ging es. Dem steht nicht entgegen, dass der zuständige Minister des [X.] in der Plenardebatte des [X.] zu dem Gesetzesbeschluss des [X.] die
Erklärung zu Protokoll gegeben
hat, das [X.] gehe nach der Diskussion um seinen (mündlich) im Rechts-
und Innenausschuss gestellten Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses davon aus, dass § 1 [X.] auch den Fall einer Unterbringung auf Grund eines Unterbringungsbefehls gemäß §
275a
StPO
aF
erfasse
([X.], 538 [878. Sitzung vom 17. Dezember 2010 Anlage 14]). Diese Erklärung ist kein Beleg dafür, dass der Gesetzgeber die Vorschrift in diesem Sinne verstanden hätte ([X.] wohl [X.], [X.], 31, 36). Sie zeigt im Gegenteil, dass am Ende des Gesetzgebungsverfah-rens eine Fallgruppe aufgefallen ist, deren Einbeziehung in das Gesetz erwä-genswert gewesen wäre, aber eine Textänderung erfordert hätte. Zu einem ent-sprechenden Vorschlag hat sich der Bundesrat nicht entschließen können, weil sie nur durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses zu erreichen gewesen wäre und diese das -
allseits angestrebte -
Inkrafttreten der Neuregelung zum 1.
Januar 2011 gefährdet hätte. Der Gesetzgeber hat damit in Kauf genommen, dass diese Fälle von dem Gesetz nicht erfasst werden und durch eine spätere Ergänzung der Vorschrift einbezogen werden müssten. Das ließ sich durch eine Protokollerklärung nicht vermeiden.

-

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dd) Die Regelung in § 1 Abs. 1 [X.] kann auf den Fall der Unterbrin-gung nach §
275a Abs. 5 StPO aF auch nicht entsprechend angewendet wer-den. Dafür spielt es keine Rolle, ob eine Einbeziehung dieser Fallgruppe in den Regelungsbereich der Vorschrift sachlich vertretbar oder wünschenswert wäre. Eine Therapieunterbringung darf als Freiheitsentziehung nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG nur unter den Voraussetzungen angeordnet werden, die sich [X.] und hinreichend bestimmt aus dem Gesetz selbst ergeben ([X.], NVwZ-RR 2009, 616; [X.], Beschluss vom 14. Oktober 1954 -
IV ZB 52/54, [X.]Z 15, 61, 63 f.). Diese Verfassungsvorschrift
steht einer analogen Heran-ziehung materiell-rechtlicher Ermächtigungsgrundlagen für Freiheitsentziehun-gen entgegen ([X.], [X.]E 29, 183, 196; 83, 24, 31
f.; NVwZ-RR 2009, 616).

V.

Die Entscheidung über die Gerichtskosten beruht auf § 19 [X.]. Unter Berücksichtigung der Regelungen
in Art. 5
Abs. 5 [X.] und § 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG entspricht es billigem Ermessen, den Freistaat
Bayern und die
[X.] als diejenigen
Körperschaften, denen
die beteiligten
Behörden
jeweils angehören
(vgl. § 3 [X.], §
337 Abs. 2 FamFG), je zur Hälfte zur Erstattung der Auslagen des Betroffenen
zu verpflichten (Senat, Beschluss vom 29. April

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2010 -
V [X.], juris Rn. 27, insoweit nicht in [X.] 2010, 210 abge-druckt, für § 430 FamFG).

Krüger

Schmidt-Räntsch
[X.]

Brückner
Weinland
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 05.03.2012 -
7 AR 35/11 [X.] -

OLG Nürnberg, Entscheidung vom 24.05.2012 -
15 [X.] -

Meta

V ZB 106/12

12.07.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.07.2012, Az. V ZB 106/12 (REWIS RS 2012, 4762)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4762

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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