Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.03.2022, Az. 2 WDB 2/22

2. Wehrdienstsenat | REWIS RS 2022, 8163

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei versäumter Berufungsfrist


Tenor

Auf die Beschwerde des früheren Soldaten wird der Beschluss des Vorsitzenden der [X.] des [X.] vom 14. Dezember 2021 aufgehoben.

Dem früheren Soldaten wird hinsichtlich der Berufungsfrist gegen das Urteil der [X.] des [X.] vom 15. September 2021 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1

Der frühere Soldat wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig.

2

[X.] hat ihm mit Urteil vom 15. September 2021 das Ruhegehalt aberkannt. In der Rechtsmittelbelehrung heißt es: "Gegen dieses Urteil ist gemäß § 115 [X.] bis zum Ablauf eines Monats nach seiner Zustellung ... zulässig ..." Das Urteil ist ihm am 16. Oktober 2021 zugestellt worden. Seine Verteidigerin hat vom [X.] am 20. Oktober 2021 formlos eine beglaubigte Urteilsabschrift mit folgendem Hinweis erhalten: "Dem Soldaten wurde eine Ausfertigung mit fristbestimmender Wirkung zugestellt."

3

Sie hat dem früheren Soldaten mit E-Mail vom selben Tag das Urteil übersandt und mitgeteilt, es sei "hier am heutigen Tag zugestellt worden, so dass die Berufung bis zum 22. November zu erheben und zu begründen ist". Der frühere Soldat solle sie innerhalb des Oktobers wissen lassen, ob er Berufung einlegen wolle. Dieser hat mit E-Mail vom 30. Oktober 2021 geantwortet, er sei mit dem Angebot einverstanden und könne eine Ratenzahlung anbieten, woraufhin seine Verteidigerin mit E-Mail vom 8. November 2021 geantwortet hat, das gehe in Ordnung und sie werde die Begründung demnächst fertigen und ihm senden.

4

Am 22. November 2021 hat sie für den früheren Soldaten beim [X.] Berufung eingelegt und diese begründet. Am 29. November 2021 hat der Vertretungsrichter sie darauf hingewiesen, dass die Berufung verfristet sei. Sie hat am selben Tag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und erneut Berufung eingelegt und diese begründet.

5

Zur Begründung des [X.] hat sie ausgeführt, dass sie die Frist falsch berechnet habe und ihr Verschulden dem früheren Soldaten nicht zuzurechnen sei. Dieser habe ihr am 30. Oktober 2021 den Auftrag zur Berufung erteilt, auf eine korrekte Einreichung durch sie vertrauen dürfen und auf ihre Angaben vertraut. Von dem Fehler hätten sie und der frühere Soldat erst am 29. November 2021 Kenntnis erlangt.

6

Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat entgegnet, aus der Begründung des [X.] gehe eine "Verschuldensfreiheit" des früheren Soldaten nicht hervor.

7

Mit Beschluss vom 14. Dezember 2021 hat der Vorsitzende der Truppendienstkammer die Berufung wegen Verfristung als unzulässig verworfen. Der Beschluss ist dem früheren Soldaten am 4. Januar 2022 zugestellt worden.

8

Seine Verteidigerin hat für ihn am 10. Januar 2022 Beschwerde erhoben und beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Sie macht ergänzend zu ihrem bisherigen Vortrag geltend, sie habe es versäumt, sich beim früheren Soldaten zu erkundigen, wann bzw. ob ihm das Urteil früher zugestellt worden sei. Daher habe dieser davon ausgehen dürfen, dass ihre Fristberechnung korrekt gewesen sei und die Berufung fristgerecht eingereicht werde.

9

Die Vorsitzende der Truppendienstkammer hat die Akten mit Schreiben vom 12. Januar 2022 dem [X.] zur Entscheidung vorgelegt.

Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält die Beschwerde für unbegründet, weil der frühere Soldat durch eigenes Verschulden zum Fristversäumnis beigetragen habe. Er habe mit seiner E-Mail vom 30. Oktober 2021 keinen Auftrag zur Einlegung einer Berufung erteilt, sondern nur eine Ratenzahlungsvereinbarung bestätigt. Auch habe er seiner Verteidigerin das für die Fristberechnung maßgebliche Datum der Zustellung des Urteils an ihn nicht mitgeteilt.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

1. Zwar hat der frühere Soldat die Berufungsfrist versäumt.

Gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] ist die Berufung gegen das Urteil des [X.]s bis zum Ablauf eines Monats nach seiner Zustellung beim [X.] oder beim [X.] einzulegen. Dabei entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Berufungsfrist bereits mit der Zustellung an den (früheren) Soldaten - nicht erst mit der formlosen Bekanntgabe an seinen Verteidiger - zu laufen beginnt (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Mai 2019 - 2 [X.] 4.18 - juris Rn. 9 zu § 145a StPO m.w.[X.] anders bei Mehrfachzustellung: Beschluss vom 17. April 2018 - 2 [X.] 4.18 - [X.] 450.1 § 12 WBO Nr. 1 Rn. 10 zu § 37 Abs. 2 StPO).

Da dem früheren Soldaten das Urteil ausweislich der Postzustellungsurkunde am 16. Oktober 2021 zugestellt worden ist, hat die Berufungsfrist mit Ablauf des 16. November 2021 geendet (vgl. § 91 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 43 Abs. 1 StPO). Die Berufung ist jedoch erst am 22. November 2021 beim [X.] eingegangen.

2. Dem früheren Soldaten ist aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

a) Sein Wiedereinsetzungsantrag ist zulässig. Der frühere Soldat hat insbesondere die gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 91 Abs. 1 Satz 2 [X.] maßgebliche Frist von zwei Wochen gewahrt, innerhalb derer der Antrag auf Wiedereinsetzung unter Glaubhaftmachung der Gründe zu stellen und die versäumte Handlung nach Wegfall des Hindernisses nachzuholen ist. Denn er hat von dem Fristversäumnis erst am 29. November 2021 erfahren und seine Verteidigerin hat am selben Tag beim [X.] die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die versäumte Handlung - die bereits am 22. November 2021 beim [X.] eingelegte Berufung - nachgeholt.

b) Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet.

Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 44 Satz 1 StPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Bei der Prüfung der Frage, ob den Angeschuldigten an einer Fristversäumung gemäß § 44 Satz 1 StPO ein Verschulden trifft, ist es den Gerichten in wehrdisziplinargerichtlichen Verfahren regelmäßig verwehrt, ihm die Versäumnisse seines Verteidigers zuzurechnen, sofern er nicht durch eigenes Verschulden zur Fristversäumung beigetragen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 7. September 2018 - 2 [X.] 3.18 - [X.]E 163, 89 Rn. 14 m.w.[X.]).

Vorliegend hat das Fristversäumnis ausschließlich die Verteidigerin des früheren Soldaten zu vertreten. Sie hat die Berufungsfrist falsch berechnet, weil sie statt von dem maßgeblichen Datum der Zustellung des angefochtenen Urteils an den früheren Soldaten von dem Datum einer vermeintlichen Zustellung des Urteils an sie selbst ausgegangen ist, bei der es sich in Wirklichkeit nur um eine formlose Übersendung einer beglaubigten Abschrift des Urteils gehandelt hat.

Der frühere Soldat hat nicht durch eigenes Verschulden zum Fristversäumnis beigetragen. Er hat seiner Verteidigerin rechtzeitig vor Fristablauf, nämlich mit E-Mail vom 30. Oktober 2021 den Auftrag zur Einlegung der Berufung erteilt. Sein darin erklärtes Einverständnis bezog sich auf die vorherige Bitte seiner Verteidigerin, sie wissen zu lassen, ob er Berufung einlegen wolle. Zwar ist er in der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung darauf hingewiesen worden, dass gegen das Urteil bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung die Berufung zulässig sei. Auch war ausweislich der [X.], bei der es sich um eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO handelt, der Tag der Zustellung des Urteils an ihn - also der 16. Oktober 2021 - auf dem Briefumschlag vermerkt. Er durfte aber auf die Aussage in der E-Mail seiner Verteidigerin vom 20. Oktober 2021 vertrauen, das Urteil sei dort am 20. Oktober 2021 (ebenfalls) "zugestellt" worden, so dass das maßgebliche Fristende der 22. November 2021 (ein Montag) sei. Denn für ihn als juristischen Laien musste es sich nicht aufdrängen, dass das Urteil in Wahrheit seiner Verteidigerin nicht zugestellt worden war und dass es für die Fristberechnung darum auf die Zustellung an ihn selbst ankam.

3. [X.] bleibt der Endentscheidung vorbehalten (§ 141 Abs. 1 und 2 [X.]), weil das Beschwerdeverfahren nach § 114 Abs. 1 Satz 1 [X.] ein Nebenbestandteil des gerichtlichen Disziplinarverfahrens ist (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Juli 2007 - 2 [X.] 1.07 - Rn. 21).

Meta

2 WDB 2/22

15.03.2022

Bundesverwaltungsgericht 2. Wehrdienstsenat

Beschluss

Sachgebiet: WDB

vorgehend Truppendienstgericht Nord, 14. Dezember 2021, Az: N 5 VL 14/17, Beschluss

§ 91 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 91 Abs 1 S 2 WDO 2002, § 114 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 115 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 116 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 116 Abs 1 S 2 WDO 2002, § 141 Abs 1 WDO 2002, § 141 Abs 2 WDO 2002, § 43 Abs 1 StPO, § 44 S 1 StPO, § 45 Abs 1 S 1 StPO, § 418 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.03.2022, Az. 2 WDB 2/22 (REWIS RS 2022, 8163)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8163

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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