Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.10.2010, Az. 1 StR 266/10

1. Strafsenat | REWIS RS 2010, 2257

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Betruges: Anforderungen an ein Einstellungsurteil wegen Strafverfolgungsverjährung


Leitsatz

In einem Einstellungsurteil wegen Verjährung sind die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses in einer revisionsrechtlich überprüfbaren Weise festzustellen und zu begründen .

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 23. Februar 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betruges in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Es hat weiter angeordnet, dass von der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe sechs Monate als vollstreckt gelten. Hinsichtlich zweier weiterer Taten hat es das Verfahren (wegen Verjährung) eingestellt.

2

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird. Die Staatsanwaltschaft beanstandet insbesondere, dass das [X.], das zwar [X.] des Angeklagten angenommen hat, die gewerbsmäßige Begehungsweise des Betruges aber verneint und deshalb die Qualifikation des § 263 Abs. 5 StGB nicht bejaht hat. Dies hatte zur Folge, dass das [X.] in zwei Fällen vom Eintritt der Verjährung ausgegangen ist und in den anderen Fällen nur einen Schuldspruch gemäß dem Grundtatbestand (§ 263 Abs. 1 StGB) zugrunde gelegt hat.

3

Das Rechtsmittel, das vom [X.] vertreten wird, hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg, so dass es eines [X.] auf die Verfahrensrüge, der ebenfalls Gewicht zukommt, nicht bedarf.

4

Das [X.] hat festgestellt, dass der Angeklagte Mitglied einer Bande war, die sich zusammengeschlossen hatte, "um künftig auf Dauer in einer Vielzahl von Fällen unter Beteiligung weiterer Personen ... vorsätzlich [X.] herbeizuführen und diese fingierten Unfallschäden an den Fahrzeugen in betrügerischer Weise gegenüber den jeweiligen Versicherungsgesellschaften abzurechnen, indem sie diesen gegenüber wahrheitswidrig angaben, dass die Schäden bei Verkehrsunfällen verursacht worden waren" ([X.]). Chef der Bande war der Inhaber des Autohauses S., bei dem der Angeklagte als "Geringverdiener" angestellt war. Das [X.] hat zehn Fälle dargestellt, bei denen der Angeklagte als Bandenmitglied bei den Taten mitwirkte. Es hat jedoch eine gewerbsmäßige Begehungsweise durch ihn insbesondere deshalb verneint, weil der Verbleib der Versicherungsleistungen teilweise ungeklärt sei, der Angeklagte in einzelnen Fällen keine direkte Auszahlung erhalten habe, er von den Gutschriften auf seinem Firmenkonto (oder dem Konto seiner Freundin) keine Kenntnis gehabt habe, sein Lohn und seine unregelmäßigen Prämienleistungen nicht aus den Versicherungsleistungen beglichen worden seien und die kostenlose Nutzung von Fahrzeugen nicht auf die Beteiligung am Versicherungsbetrug zurückzuführen sei. Von den unwiderlegbaren Angaben des glaubhaft geständigen Angeklagten sei insoweit auszugehen.

5

Hinsichtlich der beiden wegen Verjährung eingestellten Fälle teilt das [X.] lediglich mit, dass diese am 5. Oktober 1998 bzw. am 20. Januar 2000 begangen wurden und, dass die obigen Ausführungen zur fehlenden Gewerbsmäßigkeit entsprechend gelten würden.

6

1. Die Einstellung in den Fällen 1. und 2. der Anklage hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das [X.] hat hier rechtsfehlerhaft keine hinreichenden Feststellungen getroffen, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob die Taten nicht nur bandenmäßig, sondern auch gewerbsmäßig begangen wurden, so dass sie entgegen der Ansicht des Gerichts nicht verjährt wären, da für § 263 Abs. 5 StGB anders als für § 263 Abs. 1 StGB eine zehnjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB) gilt.

7

In einem Einstellungsurteil (§ 260 Abs. 3 StPO) wegen Verjährung sind die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des [X.] in einer revisionsrechtlich überprüfbaren Weise festzustellen und zu begründen.

8

Der Tatrichter ist verpflichtet, die Verfahrensvoraussetzungen zu prüfen und grundsätzlich so darzulegen, dass sie vom Revisionsgericht nachgeprüft werden können. Soweit zu dieser Überprüfung eine dem Tatrichter obliegende Feststellung von Tatsachen erforderlich ist, hat er diese rechtsfehlerfrei zu treffen und (gegebenenfalls) zu würdigen. Dieser Begründungszwang ergibt sich sowohl aus § 34 StPO wie aus der Natur der Sache (vgl. [X.], 157, 159; [X.], 53. Aufl., Rn. 29 zu § 267 StPO; [X.] StPO, 25. Aufl., Rn. 158 zu § 267; [X.] in [X.], Rn. 32 zu § 267; KMR-Paulus StPO, Rn. 106 zu § 267; auch [X.] 1986, 778, mwN; [X.] NJW 1963, 1265). Würde man die pauschale, in tatsächlicher Hinsicht nicht näher belegte Angabe des Tatrichters, dass ein bestimmtes Verfahrenshindernis bestehe oder eine Verfahrensvoraussetzung fehle, für ausreichend erachten, so wäre der betreffende Verfahrensbeteiligte in Unkenntnis des vom Gericht als gegeben unterstellten, aber nicht mitgeteilten Sachverhalts in vielen Fällen gar nicht in der Lage, die Entscheidung sach- und formgerecht anzufechten. Ein derartiger sachlich-rechtlicher Mangel nötigt zur Aufhebung des Urteils und der ihm zugrunde liegenden Feststellungen (vgl. OLG Hamm aaO).

9

In den Urteilsgründen muss daher grundsätzlich, von der zugelassenen Anklage ausgehend, in revisionsrechtlich nachprüfbarer Weise dargelegt werden, aus welchen Gründen die Durchführung des Strafverfahrens unzulässig ist, d.h. die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des [X.] sind festzustellen und anzugeben (vgl. u.a. [X.]/[X.] Die Urteile in Strafsachen 28. Aufl., Rn. 644; [X.] StPO 6. Aufl., Rn. 45 zu § 267 StPO; [X.] aaO, Rn. 158 zu § 267; KMR-Paulus aaO Rn. 106 zu § 267; [X.] StPO, Rn. 38 zu § 267; auch [X.], Urteil vom 6. März 2002 - 2 StR 530/01, [X.]R [X.]. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 13). Der Umfang der Darlegung richtet sich nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der Eigenart des [X.]. Die angeführten Grundsätze gelten jedenfalls und vor allem dann, [X.]n - wie hier - das Verfahrenshindernis von der strafrechtlichen Würdigung der Sache abhängt und eine abschließende Beurteilung darüber, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt, nur getroffen werden kann, [X.]n eine diesbezügliche Beweisaufnahme durchgeführt und entsprechende Feststellungen getroffen wurden. Gerade bei der Prüfung der Voraussetzungen der Verjährung sind die tatsächlichen Voraussetzungen des behaupteten [X.], das zur Einstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO führen müsste, hinreichend festzustellen (vgl. [X.], Urteil vom 5. August 1997 - 5 [X.], NStZ-RR 1997, 374, 375 mwN). Hier benötigt ein Einstellungsurteil eine vom Tatrichter festzustellende Sachverhaltsgrundlage. Erst auf dieser Grundlage lässt sich die Verjährungsfrage beurteilen. Daher sind in solchen Fällen eine umfassende Beweisaufnahme und detaillierte Feststellungen zum Tatgeschehen erforderlich, bevor die Verjährungsfrage beurteilt werden kann (vgl. u.a. [X.], Beschluss vom 25. Oktober 1995 - 2 [X.], [X.]St 41, 305). An diesen Anforderungen ändert daher auch der Umstand nichts, dass das Revisionsgericht befugt ist, das Vorliegen von Verfahrensvoraussetzungen selbständig zu prüfen (vgl. u.a. [X.] 1986, 778 mwN; [X.] aaO, Rn. 158 zu § 267). Es hat dieses Verfahrenshindernis vielmehr nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu überprüfen (vgl. auch [X.]surteil vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09 - Rn. 12 mwN). Der [X.] könnte die für die Beurteilung des Eintritts der Verjährung maßgebliche Frage, ob der Angeklagte "gewerbsmäßig" gehandelt hat, nicht im Freibeweisverfahren klären; dies obliegt vielmehr dem Tatrichter im Strengbeweisverfahren.

Diesen Anforderungen an ein Einstellungsurteil (Prozessurteil) wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Für beide eingestellten Fälle wird schon nicht mitgeteilt, ob ein eigenes Fahrzeug des Angeklagten bei der Fingierung der Unfälle beteiligt war, was ein finanzielles Eigeninteresse des Angeklagten belegen kann, noch wird festgestellt, an [X.] die Versicherungsleistungen ausbezahlt wurden und ob der Angeklagte hieran in irgendeiner Form partizipiert hat.

Die Einstellung in diesen beiden Fällen hat danach keinen Bestand.

Der [X.] kann nicht ausschließen, dass es in einer neuen Hauptverhandlung insoweit zu einer Verurteilung nach § 263 Abs. 5 StGB kommt. In diesem Zusammenhang weist der [X.] auch daraufhin, dass der Tatrichter nicht gehalten ist, Behauptungen eines Angeklagten als unwiderlegbar hinzunehmen, [X.]n Anhaltspunkte für die Richtigkeit dieser Angaben fehlen. Es erscheint nicht nahe liegend, dass der Angeklagte eine Vielzahl dieser [X.] auch unter Ver[X.]dung eigener Fahrzeuge - begangen hat, ohne nennenswerten eigenen finanziellen Vorteil hieraus zu ziehen, was eine gewerbsmäßige Begehungsweise belegen könnte. Es ist weiter nicht nachvollziehbar, warum (was auch mit der Verfahrensrüge geltend gemacht wird) der Chef der Bande, S., über den die gesamten Abwicklungen liefen, nicht als Zeuge vernommen wurde, obwohl er nahe liegend zur finanziellen Beteiligung des Angeklagten Angaben machen kann. Die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) drängte danach, ihn als Zeugen anzuhören, unabhängig davon, ob die Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung auf seine Vernehmung verzichtet haben sollten (vgl. auch [X.], Urteil vom 25. März 2010 - 4 StR 522/09 - Rn. 11, [X.], 236, 237).

2. Die Aufhebung der eingestellten Fälle erfasst hier auch die übrigen Fälle, in denen Gewerbsmäßigkeit ebenfalls verneint wurde. Denn durch die rechtsfehlerhafte Einstellung zweier Fälle kann die Beweiswürdigung in den übrigen Fällen tangiert sein. Es ist nicht auszuschließen, dass der Tatrichter bei Feststellung, dass in den eingestellten Fällen Gewerbsmäßigkeit zu bejahen ist, auch bei den übrigen Taten hiervon ausgegangen wäre. Dies könnte z.B. dann der Fall sein, [X.]n das Überleben des Autohauses, das vom Angeklagten angestrebt wurde, nur durch diese Taten ermöglicht wurde und der Angeklagte sich dadurch seinen Nebenverdienst erhalten wollte oder, [X.]n die kostenlose Nutzung der Fahrzeuge durch den Angeklagten ohne seine Beteiligung an den Taten nicht gewährleistet war oder das Kundenkonto ihm doch bekannt war und für ihn einen finanziellen Vorteil darstellt oder [X.]n die im Urteil nicht genauer bezifferten Prämienzahlungen sehr wohl eine dauernde Einnahmequelle waren.

Der [X.] hält es für möglich, dass insgesamt noch Feststellungen getroffen werden können, die in allen Fällen eine gewerbsmäßige Begehungsweise belegen.

Danach war das Urteil insgesamt aufzuheben.

[X.]                         [X.]                         Elf

                Graf                             Jäger

Meta

1 StR 266/10

19.10.2010

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bamberg, 23. Februar 2010, Az: 2 KLs 110 Js 4252/08, Urteil

§ 260 Abs 3 StPO, § 78 StGB, §§ 78ff StGB, § 263 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.10.2010, Az. 1 StR 266/10 (REWIS RS 2010, 2257)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2257

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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