Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.08.2016, Az. AK 43/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 6827

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ECLI:DE:BGH:2016:110816BAK43.16.0

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

AK 43/16
vom
11. August 2016
in dem Strafverfahren
gegen

wegen [X.]gegen humanitäre Operationen

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Der 3. Strafsenat des [X.]hat nach Anhörung des [X.]sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 11.
August 2016 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-richtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.]übertragen.

Gründe:
Der Angeklagte wurde am 21. Januar 2016 festgenommen und befindet sich seit diesem Tag aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.]vom 14. Januar 2016 (4 BGs
10/16) in Untersuchungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe zwi-schen dem 17. Februar 2013 und dem 16. Oktober 2013 im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in [X.]einen Angriff gegen Personen, Einrich-tungen, Material, Einheiten oder Fahrzeuge gerichtet, die an einer friedenser-haltenden Mission in Übereinstimmung mit der [X.]beteiligt waren und Anspruch auf den Schutz hatten, der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem humanitären Völkerrecht gewährt wird (strafbar ge-mäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStGB).
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Der Generalbundesanwalt hat unter dem 21. Juni 2016 vor dem [X.]wegen dieses Vorwurfs Anklage erhoben. Das Oberlan-desgericht hat mit Beschluss vom 13. Juli 2016
die Fortdauer der Untersu-chungshaft für erforderlich gehalten und mit Beschluss vom 18. Juli 2016 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen sowie das Hauptverfahren eröffnet.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines drin-genden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Die in [X.]seit Februar 2011 gegen die Regierung von [X.]schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens [X.]Sicherheitskräfte, Milizen und Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte
Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten Aufstand, der Anfang 2012 schließlich weite Teile des [X.]erfasste und sich zu einem großflächigen [X.]ausweitete. Spätestens seit dieser [X.]herrscht in [X.]ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt.
Zu Beginn des [X.]trat auf Seiten der bewaffneten Opposition die sog. [X.]als Hauptakteur in Erscheinung, die als [X.]eine Vielzahl inhomogener Kampfverbände und Gruppierungen mit unterschiedlichsten Motivationslagen zu vertreten versuchte. Im Laufe einer zunehmenden Radikalisierung der Proteste gegen das syrische Regime wurde die [X.]ab dem [X.]von nunmehr dominierenden is-3
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lamistischen Milizen -
u.a. von der "Jabhat al-Nusra" und dem sog. [X.]-
bekämpft und aus großen Teilen der von ihr bis dahin kontrollierten [X.]verdrängt. Dem [X.]Regime mit offizieller Armee, Polizei, Sicher-heitskräften und zivilen Milizen steht gegenwärtig eine Vielzahl von kämpfenden Gruppierungen gegenüber, die zumeist islamistisch motiviert sind und ihrerseits keine einheitliche Front bilden, sondern sich in erheblichem Umfang auch un-tereinander bekämpfen.
Im Rahmen der intensiv geführten kriegerischen Auseinandersetzungen werden von allen Konfliktparteien schwerste Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen. Alle Konfliktparteien gehen teilweise unter Einsatz [X.]geächteter Waffen ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung vor, und es finden schwerste Verbrechen sowie Massaker an Zivilisten, aber auch an kampfunfähigen gegnerischen Kämpfern statt.
bb) Der Angeklagte beteiligte sich zwischen dem 17. Februar und dem 16. Oktober 2013 an der Entführung des [X.]Staatsangehörigen

C.

, der seit Juli 2010 hauptamtlich als Rechtsberater für die friedenser-haltende Mission der [X.]auf den [X.]([X.]-
UNDOF) tätig war. Nachdem C.

am 17. Februar 2013 mit einem im Eigentum der [X.]stehenden Fahrzeug vom Hauptquartier der [X.]in Richtung [X.]aufgebrochen war, um sich dort in ärztliche Behandlung zu begeben, wurde er in der Ort-schaft [X.]nahe [X.]an einer Straßensperre von Mitgliedern einer der [X.]zuzurechnenden Personengruppe unter Vorhalt von Schusswaffen angehalten, zum Aussteigen gezwungen, verschleppt und ge-fangen gehalten, bis ihm am 16. Oktober 2013 die Flucht gelang.

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Während C.

sich in der Gewalt der bewaffneten Gruppe befand, erhoben die Entführer unter anderem gegenüber den Vereinten Nationen, ge-genüber dem [X.]Staat und gegenüber der Familie von C.

er-folglos Lösegeldforderungen und sprachen in diesem Zusammenhang gegen C.

gerichtete Todesdrohungen aus. Außerdem nahmen sie C.

seine Uhr, Bargeld in Höhe von 450 US-Dollar und seinen [X.]weg. Das Fahrzeug, mit dem C.

am Tage seiner Entführung unterwegs ge-wesen war, behielten die Entführer und verwendeten es für eigene Zwecke, nachdem sie den an beiden Seiten des Fahrzeugs befindlichen Aufdruck mit den Buchstaben "UN" sowie dessen [X.]entfernt hatten.
Der bewaffneten Gruppe gehörte auch der Angeklagte an. Er beteiligte sich jedenfalls
in der [X.]bis Juni 2013 mindestens vier Wochen lang an der Bewachung von C.

, der in verschiedenen Gebäuden in einem Raum eingeschlossen wurde und diesen nur verlassen durfte, um sich zur [X.]zu begeben oder Forderungen seiner Entführer nachzukommen. Beim Verlassen des Raumes wurden ihm die Augen verbunden und er wurde stets von einer bewaffneten [X.]begleitet. Während der Angeklagte
C.

bewachte, begleitete er ihn bei [X.]und brachte ihm das Essen. Er stellte sich C.

dabei mit seinem Kampfnamen "

A.

" vor.
b) Der dringende Tatverdacht gegen den Angeklagten wird im [X.]durch die Auswertung verschiedener "Facebook"-Profile und die Angaben des Zeugen C.

belegt.
aa) Hinweise auf die Tatbeteiligung des Angeklagten ergeben sich [X.]aus der Auswertung des "Facebook"-Profils mit der Benutzeridentifikati-on "sl.

". Der Zeuge C.

hatte den Inhaber dieses Profils nach 11
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seiner Flucht anhand von Bildern aus dem [X.]Netzwerk "Facebook" als einen seiner Entführer identifiziert, und ein Abgleich mit Daten aus dem [X.]hatte ergeben, dass es sich um das "Facebook"-Profil des Angeklagten handelte. Die Auswertung des Profils durch den [X.]Sachverständigen S.

führte zunächst zu der Erkenntnis, dass der Angeklagte auch unter dem Namen "

A.

" bekannt ist, mit dem ihn mehrere Nutzer ansprachen, die ihm ersichtlich in Freundschaft verbunden wa-ren. Außerdem ergab die Analyse des Profils Hinweise auf eine Verbindung des Angeklagten mit

N.

, der nach Ermittlungen des [X.]in K.

ein Fahrzeuggeschäft be-treibt, in dem der im Oktober
2014 in das [X.]eingereiste Angeklagte zeitweise arbeitete und unter dessen Anschrift der Angeklagte ausweislich des [X.]auch wohnhaft war.
Die Auswertung des von

N.

unter der [X.]"m.

" in dem [X.]Netzwerk "Facebook" geführten Profils erbrachte Hinweise auf Kontakte des Angeklagten zu an dem [X.]in [X.]teilnehmenden Personen, darunter einer Person mit Bezug zu der terroristischen Organisation Jabhat al-Nusra. So wurde etwa ein Lichtbild festgestellt, das N.

, den Angeklagten, den Inhaber des "Facebook"-Profils "

Q.

" und eine Person namens "W.

N.

" zeigte, der ausweislich der zu dem Lichtbild "geposteten" Kommentare und einer Recherche bei dem [X.]"Youtube" im August 2012 bei Kämpfen auf Seiten der [X.]gegen staatliche syrische Streitkräfte getötet wurde. Eine Auswertung des Profils "

Q.

" ergab Hinweise auf eine Zugehörigkeit von dessen Inhaber zur Jabhat al-Nusra, da als Titelbild des Profils die Fahne dieser Organisation gespeichert war.
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Nach den Ermittlungsergebnissen steht der Angeklagte außerdem über "Facebook" in
freundschaftlichem Kontakt zu einer Person namens "

F.

" (zu Deutsch: "

O.

"), auf dessen Profil regelmäßig In-halte mit einem Bezug zum islamistischen Terrorismus veröffentlich werden, unter anderem ein Lichtbild, auf
dem Personen mit der Fahne der [X.]zu sehen sind, die ihre Füße auf abgeschnittenen Köpfen platziert ha-ben. Zu dieser Abbildung sowie einigen anderen hat der Angeklagte sog. Likes hinterlassen. Ein anderes Foto, auf dem neben der Fahne der al-Nusra-Front eine Holzablage mit diversen Kommunikationsgeräten (Handfunkgeräte, Mobil-telefone) zu sehen ist und das am 13. März 2014 veröffentlicht wurde, kom-mentierte der Angeklagte am 24. März 2014 mit der Bemerkung "Wir beten zu Gott, dass er [X.]zu diesem Platz zurückbringt", was darauf schließen lässt, dass sich der Angeklagte früher bei der [X.]aufgehalten hat.
bb) Der Zeuge C.

hat bei seiner in der [X.]vom 4. bis zum 6.
November 2015 durchgeführten staatsanwaltschaftlichen Vernehmung nicht nur die Umstände seiner Entführung im Einzelnen geschildert, sondern auch den Angeklagten bei einer sequentiellen Wahllichtbildvorlage, in die gemäß den Vorgaben von Nr. 18 [X.]ein Lichtbild des Angeklagten sowie Lichtbilder von sieben weiteren Personen gleichen Geschlechts, ähnlichen Alters und [X.]Erscheinung eingestellt waren, ohne Zögern eindeutig als denjenigen seiner Entführer wiedererkannt, der sich ihm gegenüber als "

A.

" [X.]hatte. Zu "

A.

" hat C.

im Wesentlichen folgende Anga-ben gemacht:
"

A.

", der zur Tatzeit ungefähr 1,65 m bis 1,68 m groß, durch-schnittlich schlank und ungefähr 20 Jahre alt gewesen sei, sei ihm gegenüber erstmals im März oder April 2013 in Erscheinung getreten, und zwar für einen 16
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Zeitraum von maximal acht Wochen. Der Angeklagte habe ihn gelegentlich be-wacht, z. B. auf dem Weg zur Toilette, und ihm das Essen gebracht. Der Ange-klagte habe sich ihm gegenüber recht unfreundlich verhalten und als besonde-res Merkmal eine Selbstmordgranate am Gürtel getragen.
Überdies erkannte C.

auf dem von dem "Facebook"-Profil von

N.

stammenden Lichtbild, das neben

N.

und dem Angeklagten die Person namens "W.

N.

" sowie den Inhaber des "Facebook"-Profils "

Q.

" zeigt, außer dem Angeklagten auch den als Inhaber des "Facebook"-Profils "

Q.

" ermittelten Mann als einem anderen seiner Entführer "sehr ähnlich" wieder. Schließlich identifizierte er auf einem Lichtbild, das am 15. Juni 2013 in das "Facebook"-Profil "

Q.

" eingestellt worden war, das ihm entwendete Fahrzeug der [X.]sowie -
im Hintergrund des Bildes -
die in

Al.

gelegene Villa, in der er zunächst festgehalten wurde.
Die Angaben von C.

sind auf der Grundlage des derzeitigen [X.]glaubhaft. Für ihre Richtigkeit spricht insbesondere, dass er den Angeklagten bei der [X.]eindeutig als die an seiner Bewa-chung beteiligte Person mit dem Namen "

A.

" wiedererkannt hat, mithin unter demjenigen Kampfnamen, unter dem der Angeklagte auch schon bei der islamwissenschaftlichen Auswertung seines "Facebook"-Profils aufgefallen war. Der Beweiswert des Wiedererkennens wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem Zeugen C.

nach seiner Schilderung schon anlässlich seiner früheren Befragung durch den [X.]Nachrichtendienst ein Foto von "

A.

" gezeigt worden war. Denn dabei hatte es sich den Angaben von C.

zufolge nicht um die in die [X.]eingestellte Aufnah-me oder eine vergleichbare "Polizeiaufnahme" gehandelt, sondern um ein Foto, 19
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auf dem der Angeklagte "in natürlicher Umgebung" zu sehen war. Zudem stimmen das von C.

beschriebene äußere Erscheinungsbild von "

A.

" sowie dessen von ihm angegebenes ungefähres Alter mit den Eigen-schaften des Angeklagten überein: Der Angeklagte war zur Tatzeit 21 bis 22 Jahre alt und ist -
wie sich aus der Ausländerakte ergibt -
1,65 m groß.
Der gegen den Angeklagten bestehende Tatverdacht wird dadurch ver-stärkt, dass auf dem oben genannten Lichtbild in dem "Facebook"-Profil von

N.

neben dem Angeklagten auch der Inhaber des "Facebook"-Profils "

Q.

" zu sehen ist, den C.

als einem ande-ren seiner Entführer "sehr ähnlich" bezeichnet hat und auf dessen "Facebook"-Profil nicht nur Anhaltspunkte für seine Mitgliedschaft in der Vereinigung Jabhat al-Nusra, sondern auch ein Lichtbild festgestellt werden konnte, auf dem das C.

entwendete Fahrzeug und die Villa zu erkennen sind, in der C.

zunächst festgehalten wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht be-gründenden Umstände wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl und die dort in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.
c) Danach hat der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kriegs-verbrechen gegen humanitäre Operationen begangen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStGB).
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]schützt Personen, Einrichtungen, Mate-rial, Einheiten und Fahrzeuge die an einer friedenserhaltenden Mission in Übereinstimmung mit der UN-Charta beteiligt sind. Charakteristisch für solche Missionen ist, dass sie mit Zustimmung der Konfliktparteien stattfinden, der Unparteilichkeit verpflichtet sind und Gewalt nur für Zwecke der Selbstverteidi-21
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gung einsetzen dürfen. Häufig dienen sie der Absicherung eines Friedensver-trages oder Waffenstillstandsabkommens (vgl. Werle, Völkerstrafrecht, 3.
Aufl., Rn.
1401; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, 2. Aufl., § 10 [X.]Rn. 6 ff.). Die Mission [X.]weist diese Merkmale auf. Sie wurde nach dem Abschluss ei-nes den [X.]beendenden "Agreement on Disengagement" zwi-schen [X.]und [X.]am 31. Mai 1974 aufgrund der [X.](1974) des UN-Sicherheitsrates errichtet. Ihre Aufgabe ist die Aufrechterhaltung des Waffenstillstands und die Überwachung der Umsetzung des zwischen [X.]und [X.]geschlossenen Abkommens. Zwangsmaßnahmen sind nicht Teil des Mandats der UNDO[X.]
Der Zeuge C.

war auch im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]an der friedenserhaltenden Mission [X.]beteiligt. Der geschützte Personenkreis umfasst sowohl Angehörige von [X.]der an den frie-denserhaltenden Missionen teilnehmenden [X.]als auch ziviles Hilfsperso-nal (MüKoStGB/Zimmermann/[X.]aaO, Rn. 10; BT-Drucks. 14/8524, S. 32). Der hauptamtlich als Rechtsberater für die Mission tätige C.

gehörte dem zivilen Hilfspersonal der [X.]an. Er war zum Zeitpunkt seiner [X.]sowie in der Folgezeit weder an Feindseligkeiten beteiligt noch handelte er außerhalb des Mandats der UNDOF, sodass er Anspruch auf den Schutz hatte, der Zivilpersonen nach dem humanitären Völkerrecht gewährt wird (vgl. dazu [X.]aaO, Rn. 1405; BT-Drucks. 14/8524 aaO; Art. 13 Abs. 3 des [X.]zu den [X.]vom 12.
August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte). Gleichermaßen war auch das von C.

genutzte, im Eigentum der [X.]stehende Fahrzeug von dem Schutzbereich des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]umfasst.
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Der Angeklagte hat sich an einem gegen C.

gerichteten Angriff beteiligt. Der Begriff des Angriffs ist, angelehnt an Art. 9 des Übereinkommens über die Sicherheit von Personal der [X.]und beigeordnetem Personal, weit auszulegen und erfasst jede Art der Gewaltanwendung unab-hängig von der Art der dabei verwendeten Waffen; zu den typischen [X.]gehören Nötigungen, Einschüchterungen, bewaffneter Raub, Entfüh-rungen, Geiselnahmen, Drangsalierungen, widerrechtliche Festnahmen und Inhaftierungen sowie Akte der Zerstörung und Plünderung des Eigentums hu-manitärer Missionen (vgl. [X.]aaO, Rn. 1404; MüKoStGB/Zimmermann/[X.]aaO, Rn. 17 f.; BT-Drucks. 14/8524, S. 32). Hier ist C.

unter Vorhalt von Schusswaffen zum Aussteigen aus dem Fahrzeug gezwungen, verschleppt und mehrere Monate lang in Gebäuden gefangen gehalten worden, die von bewaff-neten Personen bewacht wurden. Dabei handelte es sich um ein gewaltsames Vorgehen, an dem sich der Angeklagte durch gelegentliche Bewachung von C.

beteiligt hat. Der Angeklagte hat dadurch maßgeblich an der Fort-dauer der Freiheitsentziehung von C.

mitgewirkt.
Schließlich stand die Entführung von C.

auch in einem funktiona-len Zusammenhang mit dem zur Tatzeit auf dem Staatsgebiet der Arabischen Republik [X.]stattfindenden nichtinternationalen bewaffneten Konflikt. Ein derartiger Zusammenhang ist gegeben, wenn das Vorliegen eines bewaffneten Konfliktes für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Entscheidung zur Tatbegehung, für die Art und Weise der Begehung oder
für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung war; die Tat darf nicht
lediglich "bei Gelegenheit" des bewaffneten Konflikts begangen werden (MüKoStGB/Zimmermann/[X.]aaO, § 10 [X.]Rn. 19 i.V.m. § 8 [X.]Rn.
119). Eine Tatausführung während laufender Kampfhandlungen oder eine besondere räumliche Nähe dazu sind hingegen nicht erforderlich (BT-Drucks. 26
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14/8524, S. 25). Hier ist nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen davon auszugehen, dass der Angeklagte ebenso wie die anderen Entführer der Orga-nisation [X.]und damit einer der in den bewaffneten Konflikt ver-strickten Konfliktparteien angehörte. Gerade der Umstand, dass sich C.

in seiner Funktion als Rechtsberater der [X.]bei der Mission [X.]in der Gegend um

Al.

aufhielt, ermöglichte es der Gruppie-rung, sich seiner zu bemächtigen. Der Angeklagte verfügte zudem als Angehö-riger der Gruppierung über die zur Bewachung von C.

erforderlichen Waffen, und die Entführung sollte nach Lage der Dinge dazu dienen, Lösegeld zu erpressen, um damit den bewaffneten Kampf finanzieren und fortsetzen zu können.
2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Angeklagte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheits-strafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden [X.]stehen keine hinrei-chenden fluchthindernden Umstände entgegen. Insbesondere verfügt der An-geklagte in [X.]über keine persönlichen und familiären Bindungen, die geeignet sind, den [X.]zu relativieren. Nach den vorliegenden Er-kenntnissen halten sich zwar sein Vater sowie zwei seiner Schwestern in [X.]auf. Es ist aber nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte dadurch von einer Flucht abhalten ließe. Der Angeklagte geht keiner geregelten Arbeit nach, sondern ist den Ermittlungsergebnissen zufolge allenfalls stundenweise im Betrieb von

N.

tätig. Der Angeklagte verfügt zudem über Verbindungen ins Ausland, insbesondere nach [X.]sowie in die Türkei, wo sich
den Ermittlungsergebnissen zufolge nach wie vor seine Mutter und eine seiner Schwestern aufhalten. Aus seinen Kontakten zu "

Q.

" und "

F.

" ergibt sich überdies, dass er Verbindungen zu der terro-ristischen Vereinigung [X.]hat, bei der es sich jedenfalls zur Tatzeit 28
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um einen Ableger des [X.]handelte. Schließlich steht der Angeklagte in Kontakt zu Schleppern, also Personen, die darauf spezialisiert sind, andere unter Umgehung von
Kontrollmechanismen illegal über [X.]zu verbringen. So nutzte er seinen Angaben gegenüber dem Bundes-amt für Migration und Flüchtlinge zufolge bereits für seine eigene Reise von [X.]nach [X.]die Dienste von Schleppern, und die Auswertung ver-schiedener Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen hat ergeben, dass er sich der Hilfe von Schleppern auch bediente, um seinem Vater und zwei [X.]die Einreise in das [X.]zu ermöglichen.
In Anbetracht dessen ist zu erwarten,
dass sich der Angeklagte, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht entziehen wird.
Der [X.]kann nur durch den Vollzug der Untersuchungshaft er-reicht werden; weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO reichen nicht aus.
3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersu-chungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die be-sondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.
Im Zusammenhang mit der Festnahme des Angeklagten am 21. Januar 2016 wurden mehrere Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt und zahlreiche Beweismittel, zumeist Datenträger verschiedener Art, sichergestellt, deren Auswertung mehrere Monate in Anspruch nahm und erst im Mai 2015 abge-schlossen werden konnte. Zudem wurden nach der Festnahme des [X.]weitere Zeugen vernommen. Die bereits unter dem 21. Juni 2016 fertig-gestellte Anklageschrift ist am 27. Juni 2016 beim [X.]29
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eingegangen. Am 28. Juni 2017 hat der Vorsitzende des zuständigen 5. Straf-senats des Oberlandesgerichts die Zustellung der Anklageschrift an den Ange-klagten sowie dessen Verteidiger angeordnet und zugleich eine Erklärungsfrist gemäß § 201 Abs. 1 StPO bis zum 15. Juli 2016 verfügt. Das [X.]hat sodann bereits mit Beschluss vom 18. Juli 2016 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Schon im [X.]der Eröffnungsentscheidung wurden mit dem Verteidiger des Angeklagten vorsorglich [X.]ab dem 20. Oktober 2016 vereinbart; ein noch früherer Hauptverhandlungsbeginn im Oktober 2016 kam wegen einer Verhinderung des Verteidigers nicht in Betracht.
In Anbetracht dessen ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht schließlich auch nicht
außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker Gericke Tiemann

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Meta

AK 43/16

11.08.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.08.2016, Az. AK 43/16 (REWIS RS 2016, 6827)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6827

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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