Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2017, Az. 1 StR 554/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 2660

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Gegenstand

Steuerhinterziehung: Unzureichender Zeitraum für die Durchführung des Selbstleseverfahrens


Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. Mai 2016 werden als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 [X.]).

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend bemerkt der [X.] zu einer Rüge des Angeklagten [X.], mit der dieser die Art und Weise der Durchführung des [X.] beanstandet:

1. Mit der auf die Verletzung von § 249 Abs. 2 [X.] gerichteten Verfahrensrüge macht dieser Angeklagte geltend, den an der Entscheidungsfindung beteiligten Schöffinnen sei wegen der Anzahl der vom Selbstleseverfahren erfassten Urkunden und dem für die Lektüre zur Verfügung stehenden [X.]raum ein „letztlich unmögliches Selbststudium“ auferlegt worden. Der Beanstandung liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Am 20. Januar 2016, dem ersten [X.], verfügte die Vorsitzende die Durchführung des [X.] hinsichtlich einer Vielzahl von der Revision durch Einrücken der [X.] näher bezeichneter Urkunden. Erklärungen zu dieser Verfügung wurden nicht abgegeben. Am zweiten [X.], dem 29. Januar 2016, erging eine weitere Selbstleseverfügung der Vorsitzenden. Die davon betroffenen Urkunden hat die Revision ebenfalls durch Einrücken der diesbezüglichen [X.] bezeichnet.

Im [X.] an die zweite Selbstleseverfügung widersprach dieser der Verteidiger des Angeklagten und beantragte gemäß § 238 Abs. 2 [X.] eine gerichtliche Entscheidung. Dem lag das Vorbringen zugrunde, „nach dem derzeitigen Stand“ müssten etwa 12.000 Blatt selbst gelesen werden. Unter Berücksichtigung des insbesondere für die Schöffinnen für das Lesen zur Verfügung stehenden [X.]raums sei ein solches Selbstleseverfahren letztlich unmöglich. Am 26. Februar 2016, dem vierten [X.], beschloss die [X.] den Umfang der ersten Selbstleseverfügung vom 20. Januar 2016 um näher bezeichnete Teile zu reduzieren. Im Übrigen wurden mit ausführlicher Begründung die Selbstleseverfügungen der Vorsitzenden bestätigt. Am 6. April 2016, dem zehnten [X.], wurde festgestellt, dass „das Gericht und die Schöffen“ vom Wortlaut der von den Selbstleseverfügungen - bezüglich derjenigen vom 20. Januar 2016 im nachträglich durch den genannten Gerichtsbeschluss reduzierten Umfang - erfassten Urkunden und Schriftstücken Kenntnis genommen haben.

2. Die Rüge dringt im Ergebnis nicht durch.

a) Der [X.] versteht ihre Angriffsrichtung dahin, dass im Hinblick auf die Anzahl vom Selbstleseverfahren erfasster Urkunden und Schriftstücke jedenfalls für die beteiligten Laienrichterinnen kein ausreichender [X.]raum zur Verfügung stand, um vom Inhalt Kenntnis zu nehmen. Damit wird die Art und Weise der Durchführung des [X.] beanstandet (vgl. [X.]/[X.], 26. Aufl., [X.], § 249 Rn. 105; SK-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 249 Rn. 117b). Die für die Zulässigkeit einer darauf gerichteten Rüge erforderliche gerichtliche Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 [X.] ([X.], Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 [X.], [X.], 300, 301) ist herbeigeführt worden.

Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob eine derartige Rüge überhaupt zulässig erhoben werden kann, weil sie notwendig die Behauptung impliziert, dass die protokollierte Feststellung, [X.] und Schöffen haben vom Inhalt der betroffenen Urkunden Kenntnis genommen, inhaltlich unrichtig ist (vgl. zu diesem Aspekt [X.], Beschluss vom 23. Mai 2012 – 1 [X.], [X.], 584, 585). Zwar wird durch den entsprechenden Passus in der Niederschrift lediglich die Protokollierung der Feststellung als solche, nicht aber bewiesen, dass tatsächlich gelesen worden ist ([X.], Beschluss vom 14. September 2010 – 3 [X.], NStZ-RR 2011, 20 f.; SK-[X.]/[X.] aaO § 249 Rn. 117b mwN). Ungeachtet dessen geht mit dem Vorwurf eines [X.] unangemessen kurzen [X.]raums für das Selbstleseverfahren (dazu näher [X.]/[X.] aaO § 249 Rn. 79 f.) die Behauptung einher, wegen der nicht ausreichenden [X.] sei auch tatsächlich nicht alles gelesen worden, was Gegenstand des [X.] war. Deshalb bedarf es bei einer den unzureichenden [X.]raum des [X.] beanstandenden Rüge Vortrags zu den konkreten tatsächlichen Umständen, aus denen sich das Unterbleiben der Selbstlesung oder die nicht ausreichende [X.] dafür ergeben kann ([X.]/[X.] aaO § 249 Rn. 111; SK-[X.]/[X.] aaO § 249 Rn. 117b und Rn. 118 jeweils mwN; vgl. auch [X.], Beschluss vom 14. September 2010 – 3 [X.], NStZ-RR 2011, 20, 21). Ob die Revision vor diesem Hintergrund den aus § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] resultierenden Anforderungen genügt, kann dahinstehen. Die pauschalen Angaben über den regelmäßigen Umfang des Inhalts von Leitzordnern und der sich daraus ergebenden [X.] reichen dafür jedenfalls nicht. Immerhin ermöglicht das Einrücken der [X.]n, die Angaben zu den [X.]en der erfassten Schriftstücke enthalten, dem [X.], die Gesamtblattzahl grob selbst zu berechnen.

b) Die Beanstandung erzielt jedenfalls in der Sache keinen Erfolg. Der für das Selbstlesen den Schöffinnen zur Verfügung stehende [X.]raum selbst zwischen der zweiten Selbstleseverfügung am 29. Januar 2016 und dem Abschluss des Verfahrens am 6. April 2016 bei sieben dazwischen liegenden Verhandlungstagen eröffnet erst recht unter Berücksichtigung der Reduktion des Umfangs des ersten [X.] am 26. Februar 2016 einen ausreichend langen [X.]raum, um die betroffenen Schriftstücke und Urkunden zu lesen. Ausweislich der von der Revision vorgelegten [X.]n handelt es sich bei zahlreichen der Schriftstücke um listenmäßige Aufstellungen, auf die sich die von der Revision geltend gemachten durchschnittlichen [X.]en für das Erfassen einer Seite nicht ohne Weiteres übertragen lassen. In der Person der beiden Schöffinnen liegende konkrete tatsächliche Umstände, die dem Lesen der beiden Selbstlesekonvolute in dem genannten Gesamtzeitraum entgegengestanden haben könnten, teilt die Revision nicht mit.

Daher fehlt es an Anknüpfungstatsachen, die die Angemessenheit der Dauer des [X.] in Frage stellen. Angesichts dessen war der [X.] nicht veranlasst, freibeweislich zu klären, ob die protokollierte Feststellung über das erfolgte Lesen durch die Schöffinnen materiell zu Unrecht erfolgt ist.

Raum     

      

Jäger     

      

Radtke

      

Bär     

      

Hohoff     

      

Meta

1 StR 554/16

09.11.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 24. Mai 2016, Az: 6 KLs 309 Js 130041/16

§ 249 Abs 2 S 3 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2017, Az. 1 StR 554/16 (REWIS RS 2017, 2660)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2660

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Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 535/17

1 StR 535/17

4 StR 88/17

1 StR 480/21

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