Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.04.2015, Az. VII ZR 36/14

VII. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 12913

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZR 36/14

Verkündet am:

9. April 2015

Seelinger-Schardt,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.]/[X.] Art. 11 Abs. 1 Buchstabe a) in Verbindung mit [X.] Nr. 3.3., 4.3., 5.3., 5.4.; [X.] § 6 Abs. 2 Satz 1
Dem Gerichtshof der [X.] werden nach Art. 267 [X.] folgende Fra-gen zur Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchstabe a) in Verbindung mit [X.] Nr. 3.3., 4.3., 5.3., 5.4. der [X.]/[X.] des Rates vom 14.
Juni 1993 ü[X.] [X.] ([X.]. 1993, [X.], [X.] ff., zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/47/[X.] [X.] und des Rates vom 5. Septem[X.] 2007, [X.]. 2007, [X.], [X.]) vorgelegt:
Ist es Zweck und Intention der Richtlinie, dass die mit dem Audit des [X.], der Prüfung der Produktauslegung und der Ü[X.]wachung beauftragte benannte Stelle bei Medizinprodukten der [X.] zum Schutz aller potentiellen Patienten tätig wird und deshalb bei schuldhafter Pflichtverletzung den betroffenen Patienten unmittelbar und uneingeschränkt haften kann?
Ergibt sich aus den genannten Nummern des Anhangs
II der [X.]/[X.], dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Pro-duktauslegung und der Ü[X.]wachung beauftragten benannten Stelle bei [X.]n der [X.] eine generelle oder zumindest anlassbezogene Produktprü-fungspflicht obliegt?
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Ergibt sich aus den genannten Nummern des Anhangs
II der [X.]/[X.], dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Pro-duktauslegung und der Ü[X.]wachung beauftragten benannten Stelle bei [X.]n der [X.] eine generelle oder zumindest anlassbezogene Pflicht obliegt, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten und/oder unangemeldete [X.] durchzuführen?
[X.], Beschluss vom 9. April 2015 -
VII ZR 36/14 -
OLG Zweibrücken

LG [X.] (Pfalz)

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-

Der VII.
Zivilsenat des [X.] hat
auf die mündliche Verhandlung vom 9.
April
2015 durch [X.]
Eick, die Richter Dr.
Kartzke und Prof.
Dr.
Jurgeleit
und
die Richterinnen
Graßnack und Sacher
beschlossen:
Die Entscheidung ü[X.] die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 4.
Zivilsenats des Pfälzischen O[X.]landesgerichts Zweibrücken
vom 30. Januar 2014 wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der [X.] werden
nach Art.
267 [X.] folgende Fragen
zur Auslegung von Art.
11 Abs.
1 [X.] a) in Verbindung mit Anhang
II Nr. 3.3., 4.3., 5.3., 5.4.
der [X.]/[X.] des Rates vom 14. Juni 1993 ü[X.] Medizin-produkte ([X.]. 1993, L
169, S.
1
ff., zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/47/[X.] [X.] und des Ra-tes vom 5. Septem[X.] 2007, [X.]. 2007, [X.], [X.])
vorgelegt:
Ist es
Zweck und Intention der Richtlinie, dass die mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der [X.] und der Ü[X.]wachung beauftragte
benannte
Stelle bei [X.] der [X.] zum Schutz aller potentiellen Patienten tätig wird und deshalb
bei schuldhafter Pflichtverletzung den be-troffenen Patienten unmittelbar und uneingeschränkt haften kann?
Ergibt sich aus den genannten Nummern des Anhangs
II der [X.]/[X.], dass der mit dem Audit des [X.], der Prüfung der Produktauslegung und der Ü[X.]-wachung beauftragten
benannten
Stelle bei Medizinprodukten der -
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[X.] eine
generelle oder zumindest anlassbezogene Pro-duktprüfungspflicht
obliegt?
Ergibt sich
aus
den genannten Nummern des Anhangs II
der [X.]/[X.], dass der mit dem Audit des [X.], der Prüfung der Produktauslegung und der Ü[X.]-wachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der [X.] eine generelle oder zumindest anlassbezogene Pflicht
obliegt, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten und/oder
unangemeldete Inspektionen durchzuführen?

Gründe:
I.
Die Klägerin ließ sich am 1. Dezem[X.] 2008 in [X.] Silikon-brustimplantate einsetzen, die von einem in
[X.] ansässigen Unterneh-men, das zwischenzeitlich in Insolvenz gef[X.] ist,
hergestellt worden waren. 2010 stellte die zuständige [X.] Behörde fest, dass bei der Herstellung der Brustimplantate entgegen dem Qualitätsstandard minderwertiges Industrie-silikon verwendet wurde. Auf ärztlichen Ratschlag ließ sich die Klägerin darauf-hin 2012 ihre Implantate entfernen. Sie begehrt deshalb von der Beklagten ein
Schmerzensgeld von 40.000

und die Feststellung der
Ersatzpflicht für
künftig entstehende
materielle Schäden.
Die Silikonbrustimplantate sind Medizinprodukte, die nach Art. 1 der Richtlinie 2003/12/[X.] vom 3. Februar 2003 zur Neuklassifizie-1
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rung von Brustimplantaten
im Rahmen der [X.]/[X.] ([X.].
2003 L
28 S. 43 f.) als Medizinprodukte der [X.] eingestuft werden. [X.] der [X.] dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Medizinproduktegesetz nur in den Verkehr gebracht werden, wenn unter anderem
ein Konformitätsbewer-tungsverfahren nach
§ 37 Abs. 1 [X.], § 7 Abs. 1 Nr.
1 (vormals §
6 Abs.
1 Nr.
1) [X.] ([X.]) in Verbindung mit [X.] der [X.]/[X.]
durchgeführt worden ist. Bestandteil dieses Konformitäts-bewertungsverfahrens ist das Qualitätssicherungssystem, die Prüfung der Pro-duktauslegung und die Ü[X.]wachung (Nr.
3 bis 5 Anhang
II der [X.]/[X.]). Die förmliche Ü[X.]prüfung (Audit) des [X.], die Prüfung der Produktauslegung und die Ü[X.]wachung werden von einer benannten Stelle durchgeführt, die der Hersteller zu beauftragen hat.
Das in [X.] ansässige [X.] beauftragte die [X.] als benannte Stelle mit den genannten Aufgaben. Die Vertragsparteien vereinbarten die Geltung [X.] Rechts.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte ihren Pflichten als be-nannter Stelle nicht hinreichend nachgekommen sei. Insoweit ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Beklagte bei dem [X.] vor dem 1.
Dezem[X.]
2008 jeweils angekündigte Besichtigungen im Novem[X.] 1998, Januar 2000, Novem[X.] 2000, Februar 2001, Dezem[X.] 2001, Novem[X.] 2003, Novem[X.] 2004 und März 2006 durchführte. Die Beklagte nahm keine Einsicht in die Geschäftsunterlagen und ordnete keine Produktprüfung an.
Die Klägerin trägt vor, durch eine Einsicht in Lieferscheine und Rechnungen hätte die [X.] erkennen können, dass nicht das genehmigte Silikon verarbeitet worden sei.

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Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

II.
Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung von Art.
11 Abs.
1 Buchstabe a) in Verbindung mit [X.] Nr.
3.3., 4.3., 5.3., 5.4.
der [X.]/[X.] des Rates vom 14.
Juni 1993 ü[X.] Medizinprodukte ab. Vor der Entscheidung ü[X.] die Revision ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art.
267 Abs. 1 Buchstabe b),
Abs. 3 [X.] eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] einzuholen.
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte und das [X.] hätten einen rein privat-rechtlich zu beurteilenden Vertrag geschlossen. In diesen sei die Klägerin nicht eingebunden gewesen. Die Beklagte hafte nicht unter dem Gesichtspunkt der Pflichtverletzung eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Sinn und Zweck der Tätigkeit als benannter Stelle im Auftrag des Herstellers sei nicht der Schutz Dritter. Die [X.] diene nur dazu, die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten zu schaffen. Ein rechtsgeschäft-licher
Wille des Herstellers und der benannten Stelle,
Dritte in den Schutzbe-reich ihres Vertrages einzubeziehen, bestehe deshalb nicht. Eine solche Einbe-ziehung würde zudem zu einer uferlosen Ausweitung der Haftung der benann-ten Stelle führen. Schließlich sei nicht erkennbar, woraus sich ein [X.]echtigtes 5
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Interesse des [X.]s an der Einbeziehung der Klägerin in den Schutz[X.]eich des Vertrages ergebe.
Die Beklagte hafte zudem nicht nach [X.] Deliktsrecht. Der [X.]n könne nach Sachlage [X.]falls der Vorwurf gemacht werden, das [X.] nicht ausreichend
ü[X.]wacht zu haben. Für die Beklagte habe sich a[X.] keine Pflicht zum Handeln im Interesse der Patientinnen erge-ben, da die benannte Stelle nicht zum Schutz der Patienten tätig werde. Zudem sei kein Verschulden feststellbar. Der Vorwurf, die Beklagte habe Ü[X.]wa-chungspflichten verletzt,
sei un[X.]echtigt. Die Beklagte habe regelmäßig ange-kündigte Besichtigungen durchgeführt. Das reiche aus, soweit kein Verdacht für eine nicht ordnungsgemäße
Produktion gegeben sei.
2. Auf das Rechtsverhältnis der Parteien findet [X.] Recht Anwen-dung.
Das Schuldverhältnis der Parteien beurteilt sich, wie das Berufungsge-richt im Ergebnis zutreffend angenommen hat, insgesamt nach [X.] ma-teriellen Recht.
a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach [X.] Recht beurteilen. Dies folgt aus Art.
40 [X.]BGB.
Die Verordnung ([X.]) Nr.
864/2007 des [X.] und des Rates ü[X.] das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ([X.]; [X.]. [X.]) ist im Streitfall intertemporal noch nicht anwendbar, da das schadensbegründende Ereignis vor dem 11.
Januar 2009 eingetreten ist (vgl. Art. 31, 32 [X.]).

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Nach der Art. 40 Abs. 1 [X.]BGB vorgehenden Sonderanknüpfung des Art.
40 Abs. 2 [X.]BGB ist [X.] Recht als Recht des gemeinsamen [X.] Aufenthalts von Klägerin und Beklagter zur Zeit des [X.] anwendbar. Die Anwendbarkeit [X.] Rechts ergäbe sich im Übri-gen auch aus Art.
40 Abs.
1 Satz 2 [X.]BGB. Eine wesentlich engere Verbin-dung zu einem ausländischen Recht im Sinne des Art.
41 [X.]BGB, die dessen Anwendbarkeit zur Folge hätte, besteht im Streitfall nicht.
b) Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich vertragliche Ansprüche, die aus dem zwischen der Beklagten und dem Hersteller
geschlossenen Vertrag ü[X.] das Konformitätsbewertungsverfah-ren resultieren, kraft ausdrücklicher Rechtswahl nach [X.] Recht beurtei-len. Dies folgt aus Art. 27 Abs. 1 [X.]BGB.
Die Verordnung ([X.]) Nr. 593/2008 des [X.] und des Rates ü[X.] das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17.
Juni 2008 ([X.], [X.]. [X.] S.
6, [X.]. [X.].
2009 L
309 S.
87) ist im Streitfall intertemporal nicht anwendbar, da sie gemäß Art.
28 nur auf Verträge
angewandt wird, die ab dem 17.
Dezem[X.] 2009 geschlossen worden sind. Auf Verträge, die -
wie der hier einschlägige Vertrag
-
davor ge-schlossen wurden, sind weiterhin die Bestimmungen der Art. 27 bis 34 [X.]BGB anzuwenden.
c) Da [X.] Recht sowohl auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung als auch auf
vertragliche Ansprüche aus dem genannten Vertrag anwendbar ist, bedarf es im Streitfall keiner Entscheidung, ob die Einbeziehung von [X.] in den Schutz[X.]eich eines Vertrags sich internationalprivatrechtlich nach dem [X.] beurteilt (vgl. [X.]/Spellen[X.]g, 4.
Aufl., Art.
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[X.]BGB Rn.
24 m.w.N.) oder ob insoweit das [X.] (vgl. [X.], [X.] 2009, 293, 297) maßgebend ist.
3. Für die Entscheidung des Rechtsstreits nach [X.] Recht kommt es maßgeblich darauf an, zu welchem Zweck eine benannte Stelle in das Kon-formitätsbewertungsverfahren einbezogen wird
(a, b), und welche Pflichten der benannten Stelle im Rahmen dieses Verfahrens auferlegt sind
(c).
a)
Eine deliktsrechtliche Haftung der Beklagten
kann
sich wegen Verlet-zung eines Schutzgesetzes aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 2 Satz 1, § 37 Abs. 1 [X.], § 7 Abs. 1 Nr.
1 (früher § 6 Abs. 1 Nr. 1) [X.], [X.] der [X.]/[X.] ergeben. Das setzt voraus, dass § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] als Schutzgesetz angesehen werden kann.
[X.]) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] ist eine Norm als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzge[X.] bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in [X.] genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Per-sonenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. Andererseits soll der Anwendungs[X.]eich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Deshalb reicht es nicht aus, dass der [X.] durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgaben[X.]eich der Norm liegen. Zudem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzan-18
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spruchs sinnvoll und im Sinne des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszu-sammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden muss, ob es in der Tendenz des Gesetzge[X.]s liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktsrechtliche Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit [X.] damit zu Gunsten des Geschädigten gegebenen Beweiserleichterungen zu knüpfen
([X.], Urteile vom 13. Dezem[X.] 2011 -
XI ZR 51/10, [X.]Z 192, 90
Rn. 21; vom 22. Juni 2010 -
VI [X.], [X.]Z 186, 58 Rn. 26).
bb) Misst man § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] an diesen Maßstäben, ist festzu-stellen:
Das Medizinproduktegesetz dient der Umsetzung der [X.]/[X.] ([X.]/[X.], Medizinrecht, 2.
Aufl.,
Vorbemerkung [X.] Rn.
3; [X.] in [X.]/Wagner, [X.], 2. Aufl., Einführung Rn. 2).
§ 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] stellt in Verbindung mit § 37 Abs. 1 [X.], § 7 Abs.
1 Nr.
1 [X.] sicher, dass
Medizinprodukte der (höchsten Risiko-) [X.] nur in den Verkehr gelangen, wenn die Voraussetzungen des Konformitätsbe-wertungsverfahrens nach [X.] zur [X.]/[X.] gegeben sind. Für die Frage, ob § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] als Schutzgesetz anzusehen ist, kommt es deshalb nach dem Prinzip der richtlinienkonformen Auslegung ([X.],
[X.], 2465 Rn.
108 ff.; [X.], Urteile vom 7.
Mai 2014 -
IV
ZR 76/11, [X.]Z 201, 101 Rn. 20;
vom 21.
Dezem[X.] 2011 -
VIII ZR 70/08, [X.]Z 192, 148 Rn. 24) wesentlich auf Inhalt und Zweck der [X.]/[X.] im Allgemeinen und speziell unter Berücksichtigung von deren Anhang
II an. In Abs.
5 der
Erwägungen der Richtlinie
93/42/[X.]
wird ausgeführt, dass [X.] für Patienten, Anwender und Dritte einen hochgradigen Schutz bie-ten müssen. Die Verbesserung des in den Mitgliedsst[X.]ten erreichten Schutz-21
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niveaus "ist eines der wesentlichen Ziele dieser Richtlinie". Speziell für das Konformitätsbewertungsverfahren heißt es dazu in der Mitteilung der Kommis-sion an den Rat und das [X.] ü[X.] Medizinprodukte vom 2.
Juli 2003 (KOM[2003]
386, [X.]6):
"Die Konformitätsbewertung ist eine Grundvoraussetzung für das Vertrauen in die Fähigkeit des Regulierungssystems, Patienten und Bürger zu schützen. Es müssen alle nur erdenklichen [X.] zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus unter-nommen werden. Mängel bei der Konformitätsbewertung stellen die Glaubwürdigkeit des vorhandenen Regulierungssystems und die Fähigkeit der Behörden zum wirksamen Schutz der öffentli-chen Gesundheit in Frage, selbst wenn nur eine geringe Zahl spe-zifischer Produkte betroffen
ist."
Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass der Schutz der Patien-ten vor Gesundheitsbeeinträchtigungen und Körperverletzungen eines der [X.] Ziele der [X.]/[X.] darstellt. Es ist deshalb möglich, dass die Richtlinie einen Rechtsschutz, wie ihn die Klägerin gegen die Beklagte in Anspruch nimmt, beabsichtigt (bejahend: [X.], [X.] 2015, 192, 204; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/Tag, 2. Aufl., [X.], § 6 Rn. 9).
b) Das durch die Rechtsprechung entwickelte Institut des
Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter [X.]uht auf einer maßgeblich durch das Prinzip von Treu und Glauben (§ 242 BGB) geprägten ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB). Danach wird ein Dritter in die aus einem Vertrag folgenden Sorg-falts-
und Schutzpflichten einbezogen, wenn er mit der Hauptleistung nach dem Inhalt des Vertrags bestimmungsgemäß in Berührung kommen soll, ein schutz-würdiges Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung des [X.] besteht, 24
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den Interessen des Schuldners durch Erkennbarkeit und Zumutbarkeit der Haf-tungserweiterung Rechnung getragen wird und der Dritte schutzbedürftig ist ([X.],
Urteile vom 28. Januar 2015 -
XII ZR 201/13, [X.] 2015, 254 Rn. 14;
vom 9. Okto[X.] 2014 -
III ZR 68/14, NJW 2014, 3580 Rn. 24). Für die an § 242
BGB ausgerichtete Auslegung des Vertrages ist von wesentlicher Bedeutung, welche Zwecke die [X.]/[X.] allgemein mit dem Konformitätsbe-wertungsverfahren und insbesondere durch die Einbeziehung der benannten Stelle mittels eines privatrechtlichen
Vertrages mit dem Hersteller verfolgt.
[X.] Zwecke sind Grundlage der Bewertung des [X.] und deshalb Ausgangspunkt für eine ergänzende Vertragsauslegung.
c) Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB oder aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter setzt des
Weiteren einen Verstoß gegen das Schutzgesetz oder eine Vertragspflichtverletzung voraus.
[X.]) Der benannten Stelle sind nach [X.] der [X.]/[X.] folgende Pflichten zugewiesen:
Vor dem Inverkehrbringen des Medizinprodukts ist die benannte Stelle zunächst in die Bewertung des von dem Hersteller einzureichenden Qualitätssi-cherungssystems eingebunden (Nr. 3.3. [X.] der [X.]/[X.]). Sie hat eine förmliche Ü[X.]prüfung des Qualitätssicherungssystems (Audit) durchzuführen.
Zusätzlich hat der Hersteller eine Produktauslegungsdokumen-tation vorzulegen, die die benannte Stelle nach Nr.
4.3. der [X.]/[X.] zu prüfen hat.
Nach dem Inverkehrbringen des Medizinprodukts
hat
nach Nr.
5.1. [X.] der [X.]/[X.] eine Ü[X.]wachung des [X.] zu erfolgen. Die Pflichten der benannten Stelle im Rahmen der Ü[X.]-wachung sind in Nr. 5.3. und 5.4. [X.] der [X.]/[X.] geregelt. 26
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Danach führt die benannte Stelle regelmäßig die erforderlichen Inspektionen und Bewertungen durch, um sich davon zu ü[X.]zeugen, dass der Hersteller das genehmigte Qualitätssicherungssystem anwendet. Darü[X.] hinaus kann die benannte Stelle unangemeldete Besichtigungen beim Hersteller durchführen und erforderlichenfalls Prüfungen zur Kontrolle des ordnungsgemäßen Funktio-nierens des Qualitätssicherungssystems durchführen oder durchführen lassen.
bb) Der Senat kann nicht zweifelsfrei feststellen, welchen konkreten In-halt diese Pflichten bei Medizinprodukten der [X.] haben. Insbesondere stellt sich die Frage, ob sich aus den vorstehend genannten Bestimmungen des Anhangs
II der [X.]/[X.] eine generelle oder zumindest anlassbe-zogene Produktprüfungspflicht ergibt. Außerdem stellt sich die Frage, ob eine generelle oder zumindest anlassbezogene Pflicht besteht, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten und/oder unangemeldete Inspektionen durchzufüh-ren.
Dazu heißt es in der Mitteilung der [X.] an den Rat und das [X.] ü[X.] Medizinprodukte vom 2. Juli 2003 (KOM[2003]
386, 17):
"Will ein Hersteller die Konformitätserklärung für Produkte der Klassen [X.] und [X.] auf der Grundlage eines vollständigen [X.] abgeben, so müssen sich die benannten Stellen nicht nur vom Vorliegen einer vollständigen technischen Dokumentation ü[X.]zeugen, Anwendung des Qualitätssicherungssystems des Herstellers und der Richtigkeit und Angemessenheit der Angaben."
Nach diesen Ausführungen könnten im Konformitätsbewertungsverfah-ren bloße Besichtigungen, wie von
der Beklagten ausschließlich nach vorher-30
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14
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gehender Anmeldung durchgeführt,
nicht
ausreichen, um die Anforderungen von [X.] der [X.]/[X.] zu erfüllen.
Damit könnte einhergehen, dass sich die Beklagte in Nr. 6.1 ihrer Prüf-
und Zertifizierungsordnung, die Be-standteil des Vertrages mit dem [X.] war, die Befugnis zu Kontrollprüfungen des Produkts vorbehalten
hat.
4. Da der Gerichtshof der [X.] noch keine Gelegenheit hatte, zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen, sind ihm diese
zur Auslegung der [X.]/[X.] vorzulegen.

Eick
Kartzke
Jurgeleit

Graßnack

Sacher

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 14.03.2013 -
6 O 304/12 -

OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 30.01.2014 -
4 [X.] -

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Meta

VII ZR 36/14

09.04.2015

Bundesgerichtshof VII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.04.2015, Az. VII ZR 36/14 (REWIS RS 2015, 12913)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 12913

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