Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.07.2012, Az. V ZR 255/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 4469

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]
vom

19. Juli 2012

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 62 Abs. 2
§ 62 Abs. 2 [X.] gilt nicht, wenn das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

[X.], Beschluss vom 19. Juli 2012 -
V [X.] -
LG [X.]

[X.]

-

2

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Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 19. Juli 2012 durch den [X.] Richter Prof.
Dr.
Krüger, die Richterin [X.], [X.]
[X.] und die Richterinnen Dr. [X.] und Weinland
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil der 2. Zivilkammer des [X.] vom 10. No-vember 2011 wird auf Kosten der Kläger zu 1 und 2 zurückgewie-sen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt

Gründe:

I.
Die [X.]en sind die Mitglieder einer [X.]. Das Amtsgericht hat die Klage der Kläger zu 1 und 2, die sich gegen mehrere, in einer Eigentümerversammlung gefasste Beschlüsse richtete, im Wesentlichen abgewiesen. Das Urteil ist ihnen am 18. Mai 2011 zugestellt
wor-den. Am 17. Juni 2011 ist ihre Berufung bei dem [X.]. Am 22. Juni 2011 hat der Vorsitzende telefonisch eine Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Kläger darauf hingewiesen, dass zuständiges Be-rufungsgericht das [X.] sei. Daraufhin haben die Kläger zu 1 und 2

nach Berufungsrücknahme

am 29. Juni 2011 dort die Berufung einge-legt
und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
beantragt.
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Zur Begründung haben sie vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter ha-be nach Unterzeichnung der Berufungsschrift am 17. Juni 2011 festgestellt, dass diese fehlerhaft an das [X.] adressiert
gewesen sei. Er habe seine Mitarbeiterin angewiesen, dies zu ändern und den schon unter-zeichneten Schriftsatz zu vernichten. Nachdem er den korrekt adressierten Schriftsatz unterschrieben habe, habe er ihr die Anweisung erteilt, diesen un-verzüglich per Fax zu übersenden. Die Mitarbeiterin habe jedoch versehentlich den ursprünglichen Schriftsatz an das unzuständige [X.] gefaxt. Anschließend habe sie dem Prozessbevollmächtigten Kopien des an das unzu-ständige Gericht adressierten Schriftsatzes zur Fertigung beglaubigter Abschrif-ten vorgelegt. Bei deren Unterzeichnung habe er dies aufgrund der Faltung der Schriftsätze nicht bemerkt. Seine Frage, ob es sich um den richtigen Beru-fungsschriftsatz handle, habe seine Mitarbeiterin bejaht. Ebenso habe sie [X.], dass "das Fax raus"
sei.

Das [X.] hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung durch Urteil als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger
zu 1 und
2.

II.

Das Berufungsgericht meint, die Kläger seien nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen. Bei Erkundigung nach dem Versand des Faxes hätte ihr Anwalt nachfragen müssen, ob dieses an das richtige Gericht gefaxt worden sei. Zudem hätte ihm bei ordnungsgemäßem Handeln im Rahmen der Beglaubigung der Abschriften der Fehler seiner Ange-2
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stellten auffallen müssen. Er habe sich nicht darauf verlassen dürfen, dass er er
gewusst habe, dass ein fehlerhafter Schriftsatz in der Welt sei.

III.

1. Die Beschwerde der Kläger zu 1 und 2 gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht gemäß § 544 Abs. 1 und 2 ZPO ist zuläs-sig.

a) Der Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die [X.] steht § 62 Abs. 2 [X.], wonach für eine Übergangszeit die Nichtzulassungsbeschwerde in [X.] nach § 43 Nr. 1 bis
4 [X.] ausgeschlossen ist, nicht entgegen.

Die mit der Zielsetzung
getroffene Regelung, einer Überlastung des [X.] vorzubeugen, lehnt sich an § 26 Nr. 9 EGZPO a.F.

einer mit Wirkung zum 1. September 2009 aufgehobenen Übergangsregelung zur ZPO-Reform

an (BT-Drucks. 16/887, [X.]). Danach war für eine fünfjährige Übergangsfrist die Nichtzulassungsbeschwerde gegen Urteile in [X.] ausgeschlossen. Durch Art. 2 Nr. 1 des ersten Justizmodernisierungsge-setzes vom 24. August 2004 ([X.], S. 2198) sind sowohl § 26 Nr. 9 EGZPO a.F. als auch §
26 Nr.
8 EGZPO, wonach die Zulässigkeit der Nichtzulassungs-beschwerde von einer bestimmten Wertgrenze abhängig
ist, durch Satz 2 er-gänzt worden; darin wird das die Berufung verwerfende Urteil vom Anwen-dungsbereich der die Nichtzulassungsbeschwerde beschränkenden Über-gangsregelungen ausdrücklich ausgenommen. Hintergrund hierfür war die Ver-einheitlichung der [X.] bei verwerfenden Entscheidungen 5
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des Berufungsgerichts, gegen die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO die Rechts-beschwerde stattfindet, wenn sie nach § 522 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO als Be-schluss ergangen sind. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Relevanz des gleichmäßigen und [X.] Zugangs zur Rechtsmittelinstanz ein weiter Rechtsschutz gegen Verwerfungs-entscheidungen des Berufungsgerichts unabhängig davon gewährleistet sein, ob sie als Urteil oder als Beschluss ergehen (BT-Drucks. 15/1508, S. 22).

Das Fehlen einer vergleichbaren Vorschrift in § 62 Abs. 2 [X.] lässt nicht den Schluss zu, dass nach dem Willen des Gesetzgebers in Wohnungs-eigentumssachen gegen ein die Berufung [X.] Berufungsurteil eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Gesetz insoweit eine planwidrige Regelungslücke enthält, die durch entsprechende Anwendung von § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO, der der Regelung in § 26 Nr. 9 Satz 2 EGZPO a.F. entspricht, zu schließen ist. Denn der diesen Vorschriften zugrunde liegende Gedanke der Gewährleistung einer einheitli-chen Anfechtbarkeit der verwerfenden Entscheidungen des Berufungsgerichts gilt in gleicher Weise für [X.]. Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum dort gegen eine Berufungsverwerfung eine Be-schwerde nur statthaft ist, wenn die Entscheidung im Wege eines Beschlusses ergangen ist, während gegen die gleiche Entscheidung, wenn sie in einem Ur-teil getroffen wird, die Beschwerdemöglichkeit nicht gegeben sein soll. Insoweit ist der Sachverhalt mit dem in § 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO geregelten Tatbestand vergleichbar, so dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen [X.] gelangt (vgl. Senat, Beschluss vom 15. März 2007

[X.], [X.]Z 171, 350, 353 m.w.N.).
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b) Der Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde steht auch nicht übersteigt. Die Wertgrenze des
§ 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO gilt nach dessen Satz 2 nicht, wenn das Berufungsgericht die Berufung verworfen hat.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Der Rechts-streit der [X.]en hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert er eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Siche-rung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Denn die Berufungsverwerfung wird jedenfalls von der [X.] Erwägung des Berufungsgerichts getragen, dass dem Prozessbevollmächtigten der Kläger bei ordnungsgemäßem Handeln im Rahmen der Beglaubigung der Abschriften der Fehler seiner Kanzleiangestellten hätte auffallen müssen.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] trifft [X.] den Rechtsanwalt im Falle einer Fristversäumung kein der [X.] zure-chenbares Verschulden, wenn er einer bislang zuverlässigen Kanzleiangestell-ten eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwah-rung gewährleistet hätte. Ein
Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist deshalb im Allgemeinen auch nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu verge-wissern (vgl. nur [X.],
Beschluss vom 20. September 2011

[X.], NJW-RR 2012, 428 mwN).

b) Hier lagen aber besondere Umstände vor, die ein Vertrauen des [X.], die korrigierte Berufungsschrift an 9
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das zuständige Gericht zu faxen, ausnahmsweise nicht erlaubten. Denn noch am selben Tag hat ihm seine Kanzleiangestellte Abschriften des [X.] zur Beglaubigung vorgelegt, die wiederum die fehlerhafte [X.] aufwiesen. Der Umstand, dass der Anwalt dies aufgrund der Faltung der Abschriften nicht bemerkte, vermag ihn nicht zu entlasten. Seine Unkennt-nis beruhte darauf, dass er die Abschriften unterzeichnete, ohne sich zu verge-wissern, dass sie

wie er unterschriftlich bestätigte

mit der Urschrift überein-stimmten. Hier wäre der Anwalt aber zu einer besonderen Kontrolle verpflichtet gewesen, weil ihm bekannt war, dass er kurz zuvor einen an das falsche [X.] adressierten [X.] unterzeichnet hatte, er also wusste, dass ein fehlerhafter Schriftsatz in der Welt war. Daher reichte es nicht aus, dass er bei Unterzeichnung der Abschriften seine Kanzleiangestellte fragte, ob es sich um den "richtigen"
[X.] handle. Gerade aufgrund der Vorgeschichte bestand Anlass, einen Blick auf das Adressfeld zu werfen. In-dem der Anwalt diese naheliegende Prüfung unterlassen hat, hat er schuldhaft zur Fristversäumung beigetragen. Bei entsprechender Kontrolle wäre
der Feh-ler sofort aufgefallen,
und es hätte sich aufgedrängt, der Frage nachzugehen, ob die Kanzleiangestellte tatsächlich die zuvor erteilte Weisung befolgt und den "richtigen"
Schriftsatz an das zuständige Gericht gefaxt hatte.

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3. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2
ZPO abgesehen.

[X.] [X.]

[X.] Weinland
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 12.05.2011 -
4 C 362/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 10.11.2011 -
2 S 375/11 -

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Meta

V ZR 255/11

19.07.2012

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.07.2012, Az. V ZR 255/11 (REWIS RS 2012, 4469)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4469

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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V ZR 255/11

VI ZB 23/11

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