Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.05.2014, Az. 2 BvE 3/12

2. Senat | REWIS RS 2014, 5867

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

(Mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässiges Organstreitverfahren, durch das eine Verletzung des Gebots der Neutralität im Wahlkampf und des Grundsatzes der Chancengleichheit der politischen Parteien im Wahlkampf feststellt werden sollte)


Gründe

1

Der Antrag richtet sich gegen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit der [X.] im 17. [X.] Bundestag.

2

Der Antragsgegner zu 2. versandte im Frühjahr sowie im November 2012 an zahlreiche Haushalte im gesamten [X.] Schreiben, in denen es um den Abbau der Staatsverschuldung und weitere wirtschaftspolitische Positionen ging. Die Antragsgegnerin zu 1. ließ in diesen Zeiträumen bundesweit in einer Reihe von Kinos zwei Kurzfilme mit Aussagen zu verschiedenen politischen Themen zeigen. Die Antragstellerin hält die Briefe und die Kinospots für unzulässige Wahlwerbung zugunsten der [X.] ([X.]), sieht sich hierdurch in ihrem Recht auf Neutralität des Staates im Wahlkampf sowie in ihrem Recht auf Chancengleichheit der politischen Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) verletzt und beantragt im Wege der Organklage die im Rubrum wiedergegebenen Feststellungen. Die Antragsgegner halten den Antrag für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.

3

Bei der [X.] erreichte die [X.] nicht die erforderliche Mindeststimmenzahl und ist daher im 18. [X.] Bundestag nicht vertreten. Die Antragstellerin verfolgt dessen ungeachtet ihren Antrag weiter. Die Antragsgegner haben sich nicht weiter geäußert.

4

Der Antrag ist unzulässig. Der Antragstellerin fehlt nach dem Ausscheiden der [X.] aus dem [X.] Bundestag mit Ende der 17. Wahlperiode und der damit verbundenen Liquidation der Antragsgegnerin zu 1. (vgl. § 54 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 7 [X.]) jedenfalls das im [X.]verfahren erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. [X.] 62, 1 <33>; 67, 100 <127>; 68, 1 <77>), so dass es auf Fragen eines Verlusts der Parteifähigkeit auf [X.] nicht ankommt.

5

Der [X.] ist eine kontradiktorische Parteistreitigkeit mit Antragsteller und Antragsgegner und kein objektives Verfahren. Das [X.]verfahren dient maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht der davon losgelösten Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten Organhandelns (vgl. [X.] 126, 55 <67 f.> m.w.N.). Mit der kontradiktorischen Ausgestaltung des [X.]verfahrens ist eine diskursive Auseinandersetzung der Verfassungsorgane um ihre Kompetenzen intendiert (vgl. [X.], in: [X.]/Kirchhof, [X.], 3. Aufl. 2005, § 70 Rn. 12). In der vorliegenden Konstellation kann das [X.]verfahren die ihm zugedachten Funktionen nicht mehr erfüllen.

6

Die Antragsgegner sind nicht mehr im [X.] Bundestag vertreten. Das [X.]verfahren hat sich daher, da es die konkrete Öffentlichkeitsarbeit der [X.]-Bundestagsfraktion während der früheren Wahlperiode betrifft, erledigt. Eine - ausschließlich retrospektive - Feststellung der Verletzung organschaftlicher Rechte, wie sie die Antragstellerin in Anlehnung an die Rechtsprechung zum Feststellungsinteresse bei schwerwiegenden Grundrechtsverletzungen (vgl. [X.] 104, 220 <233 ff.> m.w.N.) für geboten hält, entspräche nicht der den [X.] prägenden Zielsetzung, die Kompetenzen von Organen und ihren Teilen abzugrenzen. Vielmehr bedarf es eines über ein bloßes "[X.]" hinausgehenden Interesses an der Klärung der aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Auslegungsfrage.

7

Die Antragstellerin kann ihr Rechtsschutzinteresse nicht aus einer absehbaren Wiederholungsgefahr herleiten (vgl. [X.] 87, 207 <208 f.>; 99, 332 <336 f.>). Insbesondere gibt es keinen Anhalt dafür, dass die im [X.] Bundestag vertretenen Fraktionen durch ihre Öffentlichkeitsarbeit unter Verstoß gegen die maßgeblichen Rechtsvorschriften (vgl. § 47 Abs. 3, § 50 Abs. 4 Satz 2 [X.]) das Recht der Antragstellerin auf Chancengleichheit verletzen könnten.

8

Soweit die Antragstellerin die Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der [X.] abstrakt für klärungsbedürftig erachtet, mag dies zutreffen, weil sich dazu bislang lediglich ein Vorprüfungsausschuss des [X.] geäußert hat (vgl. Beschluss vom 19. Mai 1982 - 2 BvR 630/81 -, NVwZ 1982, S. 613). Indes lassen sich diese Grenzen im vorliegenden [X.]verfahren nicht ohne eine kontradiktorische, anders als bei anderen Rechtsfragen notwendig tatsächliche Umstände einbeziehende Erörterung bestimmen, die gemäß § 25 Abs. 1 BVerfGG grundsätzlich der mündlichen Verhandlung vorbehalten ist. Eine sachgerechte abschließende Erörterung in mündlicher Verhandlung ist hier jedoch nicht mehr gewährleistet. Die mit dem Ende der Wahlperiode erloschene Fraktion (§ 54 Abs. 1 Nr. 3 [X.]) gilt gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 [X.] als fortbestehend, soweit der Zweck der Liquidation dies erfordert. Zweck der Liquidation ist die Abwicklung des Fraktionsvermögens (vgl. § 54 Abs. 2 bis 6 [X.]; BTDrucks 12/4756, [X.]). Die weitere Rechtsverteidigung im vorliegenden Verfahren ist für die Antragsgegner praktisch ohne Belang. Bei objektiver Würdigung kann von einer auf gegenseitige Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen gerichteten Auseinandersetzung nicht mehr ausgegangen werden.

Meta

2 BvE 3/12

06.05.2014

Bundesverfassungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BvE

vorgehend BVerfG, 16. Januar 2013, Az: 2 BvE 3/12, Einstweilige Anordnung

Art 21 Abs 1 GG, Art 93 Abs 1 Nr 1 GG, § 13 Nr 5 BVerfGG, § 63 BVerfGG, § 64 BVerfGG, § 54 Abs 1 Nr 3 AbgG, § 54 Abs 2 S 2 AbgG, § 54 Abs 7 AbgG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.05.2014, Az. 2 BvE 3/12 (REWIS RS 2014, 5867)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5867 BVerfGE 136, 190-194 REWIS RS 2014, 5867 BVerfGE 133, 34-37 REWIS RS 2014, 5867


Verfahrensgang

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Az. 2 BvE 3/12

Bundesverfassungsgericht, 2 BvE 3/12, 06.05.2014.

Bundesverfassungsgericht, 2 BvE 3/12, 16.01.2013.


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Referenzen
Wird zitiert von

2 BvE 1/11

6/17

5/17

2 BvE 5/11

2 BvE 3/12

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2 BvE 3/12

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