Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.11.2020, Az. 4 StR 118/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 987

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Gegenstand

Unterbrechung der Hauptverhandlung im Strafverfahren: Mehrmalige Hemmung der Unterbrechungsfristen bei wiederholter Erkrankung von Verfahrensbeteiligten; Mindestanzahl von Fortsetzungsterminen zwischen den Unterbrechungen


Leitsatz

Die Hemmung der Unterbrechungsfristen nach § 229 Abs. 1 und Abs. 2 StPO kann bei wiederholter Erkrankung einer oder mehrerer der in § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO genannten Personen grundsätzlich mehrmals eintreten. Ausreichend ist, wenn zwischen zwei Unterbrechungen nach § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO mindestens an einem Tag verhandelt worden ist.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 26. Juli 2019 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in vierzehn Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit Sachbeschädigung und in einem weiteren Fall tateinheitlich mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, sowie wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in vierzehn Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Diebstahl, sowie wegen Bandendiebstahls, versuchten Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt und außerdem eine Einziehungsentscheidung getroffen.

2

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

I.

3

Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg:

4

1. [X.], eine beisitzende Richterin habe an mehreren Tagen an der Hauptverhandlung mitgewirkt, obwohl sie wegen einer Erkrankung „dienst- und arbeitsunfähig, mithin nicht verhandlungsfähig“ gewesen sei, ist nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Wird mit der Revision die Verhandlungsunfähigkeit eines Richters (vgl. [X.], Urteil vom 13. Mai 1971 – 3 StR 337/68) geltend gemacht, ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers als Revisionsgrund nicht § 338 Nr. 5 [X.], sondern § 338 Nr. 1 [X.] einschlägig. Vorzutragen sind Tatsachen, aus denen sich die Verhandlungsunfähigkeit in einem konkret bestimmten Zeitraum der Hauptverhandlung ergibt. Insoweit ist außerdem der Gegenstand der Verhandlung anzugeben, um die Prüfung zu ermöglichen, ob wesentliche Verfahrensvorgänge (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Juni 2018 – 5 [X.]) betroffen waren.

5

Der Beschwerdeführer teilt jedoch lediglich mit, die Richterin habe an neun [X.]n mitgewirkt, obwohl ihr in dieser Zeit ärztlich die Dienstunfähigkeit bescheinigt gewesen sei. Soweit sie nach eigenen Angaben „in Absprache mit dem behandelnden Arzt“ trotz Dienstunfähigkeit in der Lage gewesen sei, einen Sitzungstag wöchentlich wahrzunehmen, erstrecke sich die Verhandlungsunfähigkeit jedenfalls auf die [X.] vom 30. Oktober und 26. November 2018, denn bei diesen habe es sich jeweils um den zweiten Termin binnen einer Woche gehandelt.

6

Dieses pauschale Vorbringen genügt nicht den Anforderungen, da eine bloße Dienstunfähigkeit im beamten- und richterdienstrechtlichen Sinne, die auf einer Erkrankung beruht, nicht zwingend mit der prozessrechtlich zu bestimmenden Verhandlungsunfähigkeit einhergeht. Überdies sind weder der Zeitraum der angeblichen Verhandlungsunfähigkeit näher eingegrenzt noch der jeweilige Verhandlungsgegenstand bezeichnet. Offen bleibt schließlich, weshalb von denjenigen Terminen, die die Richterin jeweils binnen einer Woche wahrgenommen hat, gerade die vom Beschwerdeführer genannten von ihrer Verhandlungsunfähigkeit betroffen sein sollen. Der mit der Revisionsbegründung vorgelegten dienstlichen Äußerung der Richterin lässt sich hierzu schon deshalb nichts entnehmen, weil sie vom 10. Dezember 2018 datiert und in der Zeitform des Präsens formuliert ist, mithin die Wochen um den 30. Oktober und 26. November 2018 gar nicht ausdrücklich betrifft.

7

2. [X.], die [X.]en des § 229 Abs. 2 [X.] seien in zwei Fällen nicht gewahrt worden, da die wiederholte Hemmung der [X.] gemäß § 229 Abs. 3 [X.] gegen die Konzentrationsmaxime verstoßen habe und daher rechtsunwirksam sei, ist zulässig, aber nicht begründet.

8

a) Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

9

Die Hauptverhandlung, die am 13. Februar 2018 begonnen hatte, wurde am 18. September 2018 – dem 21. Hauptverhandlungstag – unterbrochen und am 29. Oktober 2018 fortgesetzt. Die [X.] war gemäß § 229 Abs. 3 Satz 1 [X.] wegen der Erkrankung einer beisitzenden Richterin gehemmt, was das [X.] durch Beschluss feststellte. Vom 29. Oktober 2018 bis zur Unterbrechung am 18. Dezember 2018 fand die Hauptverhandlung an insgesamt neun Tagen statt und wurde am 6. Februar 2019 fortgesetzt. Während dieser Unterbrechung war die Vorsitzende erkrankt; das [X.] stellte durch Beschluss die abermalige Hemmung der [X.] fest. Vom 6. Februar 2019 bis zum 12. März 2019 fand die Hauptverhandlung an insgesamt sechs Hauptverhandlungstagen statt. Am 12. März 2019 wurde sie bis zum 16. April 2019 unterbrochen. Während dieser Unterbrechung war erneut die beisitzende Richterin erkrankt. Das [X.] stellte abermals durch Beschluss die Hemmung der [X.] fest. [X.] der Verteidigung lehnte es ab.

Die Revision ist der Auffassung, eine wiederholte Hemmung der [X.] gemäß § 229 Abs. 3 [X.] komme hier nicht in Betracht, so dass die Unterbrechungen vom 18. Dezember 2018 bis zum 6. Februar 2019 sowie vom 12. März bis zum 16. April 2019 die Fristen des § 229 Abs. 1 und 2 [X.] überschritten hätten.

b) [X.] genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]. Entgegen der Auffassung des [X.] bedurfte es insbesondere nicht der Mitteilung des Beschlusses, mit dem das [X.] den Aussetzungsantrag eines Verteidigers vom 16. April 2019 abgelehnt hatte, da die Rechtsfolgen der Überschreitung einer gesetzlichen [X.] kraft Gesetzes und damit unabhängig davon eintreten, ob ein Verfahrensbeteiligter einen Aussetzungsantrag gestellt hat.

c) [X.] ist jedoch nicht begründet.

aa) Ob und unter welchen Voraussetzungen bei wiederholter Erkrankung einer der in § 229 Abs. 3 [X.] (hier und im Folgenden: in der Fassung vom 5. Juli 2017) genannten Personen der Lauf der in § 229 Abs. 1 und 2 [X.] bestimmten Fristen jeweils erneut gehemmt wird, ist höchstrichterlich bislang nicht entschieden worden. Auch Rechtsprechung der Oberlandesgerichte liegt hierzu – soweit ersichtlich – nicht vor. In der Literatur findet sich zwar keine Stimme, die eine wiederholte Hemmung des Laufs der [X.] gemäß § 229 Abs. 2 [X.] während einer Hauptverhandlung für ausgeschlossen erachtet. Es wird aber die Auffassung vertreten, eine wiederholte Hemmung setze jedenfalls voraus, dass die Hauptverhandlung nach einer ersten Hemmung an mindestens zehn weiteren Tagen fortgesetzt worden sei. Denn aufgrund der vergleichbaren Interessenlage und des [X.] würden die Beschränkungen des § 229 Abs. 2 [X.] analog auch für § 229 Abs. 3 [X.] gelten ([X.], [X.] 1996, 115 zu § 229 [X.] in der Fassung vom 7. April 1987). Nach der überwiegend vertretenen Auffassung soll es hingegen genügen, wenn zwischen den Unterbrechungen an einem Tag verhandelt worden ist ([X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 229 Rn. 5; Gmel in KK-[X.], 8. Aufl., § 229 Rn. 11; [X.] in LR-[X.], 27. Aufl., § 229 Rn. 24; [X.] in BeckOK-[X.], [X.]., § 229 Rn. 8; Grube in SSW-[X.], 4. Aufl., § 229 Rn. 14).

bb) Der [X.] schließt sich der letztgenannten Auffassung an, die sich auf den Wortlaut der Vorschrift sowie auf teleologische und systematische Erwägungen berufen kann.

(1) Bereits der Wortlaut des § 229 Abs. 3 [X.] enthält keinen Hinweis, dass eine wiederholte Hemmung von [X.]en ausgeschlossen ist oder der einschränkenden Voraussetzung einer bestimmten Mehrzahl von [X.]n zwischen den Unterbrechungen unterliegt. Ein solches Erfordernis lässt sich auch nicht unter Heranziehung der Voraussetzungen des § 229 Abs. 2 [X.] für die Unterbrechung der Hauptverhandlung für die Dauer eines Monats begründen. Vielmehr spricht der Vergleich des Wortlauts des § 229 Abs. 2 und Abs. 3 [X.] gerade gegen eine Übertragung der Voraussetzungen der Unterbrechung nach § 229 Abs. 2 [X.] auf die Fälle der Fristhemmung des § 229 Abs. 3 [X.]. Soll die Hauptverhandlung bis zu einem Monat unterbrochen werden, verlangt § 229 Abs. 2 [X.] ausdrücklich, dass sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden haben muss. Hingegen heißt es in § 229 Abs. 3 [X.], die Hemmung trete ein, sobald die Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden habe; das Wort „jeweils“ fehlt hier. Nach dem Wortverständnis der Norm reicht es danach aus, wenn vor Eintritt einer – auch wiederholten – Hemmung insgesamt an mindestens zehn Tagen verhandelt worden ist.

(2) Der Zweck des § 229 Abs. 3 [X.] spricht ebenfalls für dieses Verständnis. Die Norm soll es ermöglichen, eine Hauptverhandlung im Fall von Ereignissen fortzusetzen, die dem Einfluss des Gerichts entzogen sind (vgl. BT-Drucks. 10/1313, [X.] ff.).

Dem würde es zuwiderlaufen, wenn der Eintritt einer erneuten Hemmung davon abhinge, dass eine bestimmte Anzahl an [X.]n seit der letzten Hemmung stattgefunden hat. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass eine Hemmung gemäß § 229 Abs. 3 [X.] eine Mindestzahl von zehn Hauptverhandlungstagen voraussetzt. Denn dies soll lediglich bezwecken, dass eine Hemmung ausschließlich in solchen Verfahren eintritt, in denen die Hauptverhandlung „in der Regel mit nicht unerheblichem Aufwand zu gewissen Erkenntnissen geführt hat, die nicht verloren gehen sollen“ (BT-Drucks. 10/1313, S. 25).

(3) Mit Blick auf diesen Zweck der Norm greift auch das systematische Argument nicht durch, die uneingeschränkte wiederholte Anwendung von § 229 Abs. 3 [X.] widerspreche der [X.] des § 229 Abs. 2 [X.] (so aber [X.], [X.] 1996, [X.], 116).

Die einzelnen Regelungen des § 229 [X.] gestalten den strafprozessualen [X.] aus und beziehen sich dabei auf spezifische Verfahrenslagen, für die der Gesetzgeber bewusst differenzierte Rechtsfolgen vorgesehen hat. Sie stehen daher nebeneinander (vgl. bereits BT-Drucks. 10/1313, [X.] ff.). Absatz 1 hat den Normalfall der Hauptverhandlung im Blick, die zügig und ohne längere Unterbrechungen durchgeführt werden soll. Absatz 2 ermöglicht dem Gericht eine größere Dispositionsfreiheit bei der Planung umfangreicher Hauptverhandlungen. Der Eintritt der Hemmung nach Absatz 3 schließlich erlaubt es bei umfangreichen Hauptverhandlungen, unvorhersehbaren Ereignissen Rechnung zu tragen.

cc) Ob es der [X.] gebietet, in Ausnahmefällen häufiger und langer Unterbrechungen mit jeweils nur wenigen Zwischenterminen (Beispiele bei [X.], [X.] 1996, [X.], 117) die Hauptverhandlung auszusetzen, obwohl alle Fristen des § 229 [X.] eingehalten sind, braucht der [X.] nicht zu entscheiden. Eine solche Konstellation liegt im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.

II.

Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben.

Sost-Scheible     

      

Quentin     

      

Bartel

      

Rommel     

      

Maatsch     

      

Meta

4 StR 118/20

18.11.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Gera, 26. Juli 2019, Az: 820 Js 12958/17 - 3 KLs

§ 229 Abs 1 StPO, § 229 Abs 2 StPO, § 229 Abs 3 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 18.11.2020, Az. 4 StR 118/20 (REWIS RS 2020, 987)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 987

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Wird zitiert von

5 StR 414/20

5 StR 161/21

Zitiert

5 StR 643/17

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