Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.06.2017, Az. VII ZR 36/14

7. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 9213

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

ZIVIL- UND ZIVILVERFAHRENSRECHT EINSTWEILIGER RECHTSSCHUTZ BUNDESGERICHTSHOF (BGH) EUROPÄISCHER GERICHTSHOF (EUGH) ÄRZTE HAFTUNG SCHMERZENSGELD MEDIZIN ZUSTELLUNG BRUSTIMPLANTATE PRODUKTHAFTUNG TÜV ABLEHNUNG WEGEN BEFANGENHEIT LADUNGSFÄHIGE ANSCHRIFT EINSTELLUNG DER ZWANGSVOLLSTRECKUNG INDIZIENBEWEIS

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Auslegung der Medizinprodukterichtlinie: Reichweite der Produktprüfungspflichten der benannten Stelle


Leitsatz

Die Bestimmungen des Anhangs II der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung in Verbindung mit ihrem Art. 11 Abs. 1 und 10 sowie Art. 16 Abs. 6 sind dahin auszulegen, dass der benannten Stelle keine generelle Pflicht obliegt, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten. Liegen jedoch Hinweise darauf vor, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie 93/42/EWG in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung möglicherweise nicht erfüllt, muss die benannte Stelle alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus Art. 16 Abs. 6 dieser Richtlinie und den Abschnitten 3.2., 3.3., 4.1. bis 4.3. und 5.1. des Anhangs II der Richtlinie nachzukommen (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017, C-219/15, NJW 2017, 1161).

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 30. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ließ sich am 1. Dezember 2008 in [X.] Silikonbrustimplantate einsetzen, die von einem in [X.] ansässigen Unternehmen, das zwischenzeitlich in Insolvenz gefallen ist, hergestellt worden waren. 2010 stellte die zuständige [X.] Behörde fest, dass bei der Herstellung der Brustimplantate entgegen dem Qualitätsstandard minderwertiges [X.] verwendet wurde. Auf ärztlichen Ratschlag ließ sich die Klägerin daraufhin 2012 ihre Implantate entfernen. Sie begehrt deshalb von der Beklagten ein Schmerzensgeld nicht unter 40.000 € und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftig entstehende materielle Schäden.

2

Die Silikonbrustimplantate sind Medizinprodukte, die nach Art. 1 der Richtlinie 2003/12/[X.] vom 3. Februar 2003 zur Neuklassifizierung von Brustimplantaten im Rahmen der [X.]/[X.] ([X.]. [X.] f.) als Medizinprodukte der [X.] eingestuft werden. Medizinprodukte der [X.] dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Medizinproduktegesetz nur in den Verkehr gebracht werden, wenn unter anderem ein Konformitätsbewertungsverfahren nach § 37 Abs. 1 [X.], § 7 Abs. 1 Nr. 1 (vormals § 6 Abs. 1 Nr. 1) [X.] ([X.]) in Verbindung mit [X.] der [X.]/[X.] durchgeführt worden ist. Bestandteil dieses Konformitätsbewertungsverfahrens ist das Qualitätssicherungssystem, die Prüfung der Produktauslegung und die Überwachung (Nr. 3 bis 5 [X.] der [X.]/[X.]). Die förmliche Überprüfung (Audit) des Qualitätssicherungssystems, die Prüfung der Produktauslegung und die Überwachung werden von einer sogenannten benannten Stelle durchgeführt, die der Hersteller zu beauftragen hat.

3

Der in [X.] ansässige Hersteller beauftragte die Beklagte als benannte Stelle mit den genannten Aufgaben. Die Vertragsparteien vereinbarten die Geltung [X.] Rechts.

4

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte ihren Pflichten als benannter Stelle nicht hinreichend nachgekommen sei. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte bei dem Hersteller vor dem 1. Dezember 2008 jeweils angekündigte Besichtigungen im November 1998, Januar 2000, November 2000, Februar 2001, Dezember 2001, November 2003, November 2004 und März 2006 durchführte. Die Beklagte nahm keine regelmäßige Einsicht in die Geschäftsunterlagen und ordnete keine Produktprüfung an. Die Klägerin trägt vor, durch eine Einsicht in Lieferscheine und Rechnungen hätte die Beklagte erkennen können, dass nicht das genehmigte Silikon verarbeitet worden sei.

5

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

6

Mit Beschluss vom 9. April 2015 hat der Senat dem [X.] nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchstabe a) in Verbindung mit [X.] Nummer 3.3., 4.3., 5.3., 5.4. der [X.]/[X.] des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte ([X.]. 1993, [X.], Seite 1 ff.) vorgelegt ([X.], 2737):

Ist es Zweck und Intention der Richtlinie, dass die mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragte benannte Stelle bei Medizinprodukten der [X.] zum Schutz aller potentiellen Patienten tätig wird und deshalb bei schuldhafter Pflichtverletzung den betroffenen Patienten unmittelbar und uneingeschränkt haften kann?

Ergibt sich aus den genannten Nummern des [X.] der [X.]/[X.], dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der [X.] eine generelle oder zumindest anlassbezogene Produktprüfungspflicht obliegt?

Ergibt sich aus den genannten Nummern des [X.] der [X.]/[X.], dass der mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragten benannten Stelle bei Medizinprodukten der [X.] eine generelle oder zumindest anlassbezogene Pflicht obliegt, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten und/oder unangemeldete Inspektionen durchzuführen?

7

Der [X.] hat mit Urteil vom 16. Februar 2017 ([X.]/15 S. 14 f.) die Fragen wie folgt beantwortet (NJW 2017, 1161):

1. Die Bestimmungen des [X.] der [X.]/[X.] des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte in der durch die Verordnung ([X.]) Nr. 1882/2003 des [X.] und des Rates vom 29. September 2003 geänderten Fassung in Verbindung mit ihrem Art. 11 Abs. 1 und 10 sowie Art. 16 Abs. 6 sind dahin auszulegen, dass der benannten Stelle keine generelle Pflicht obliegt, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten. Liegen jedoch Hinweise darauf vor, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der [X.] in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung möglicherweise nicht erfüllt, muss die benannte Stelle alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus Art. 16 Abs. 6 dieser Richtlinie und den Abschnitten 3.2., 3.3., 4.1. bis 4.3. und 5.1. des [X.] der Richtlinie nachzukommen.

2. Die [X.] in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die benannte Stelle im Rahmen des Verfahrens der [X.]-Konformitätserklärung zum Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte tätig wird. Die Voraussetzungen, unter denen eine von einer benannten Stelle begangene schuldhafte Verletzung der ihr im Rahmen dieses Verfahrens gemäß dieser Richtlinie obliegenden Pflichten ihre Haftung gegenüber den [X.] begründen kann, unterliegen vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.

I.

9

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beklagte und das [X.] hätten einen rein privatrechtlich zu beurteilenden Vertrag geschlossen. In diesen sei die Klägerin nicht eingebunden gewesen. Die Beklagte hafte nicht unter dem Gesichtspunkt der Pflichtverletzung eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Sinn und Zweck der Tätigkeit als benannter Stelle im Auftrag des Herstellers sei nicht der Schutz Dritter. Die [X.] diene nur dazu, die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Medizinprodukten zu schaffen. Ein rechtsgeschäftlicher Wille des Herstellers und der benannten Stelle, Dritte in den Schutzbereich ihres Vertrages einzubeziehen, bestehe deshalb nicht. Eine solche Einbeziehung würde zudem zu einer uferlosen Ausweitung der Haftung der benannten Stelle führen. Schließlich sei nicht erkennbar, woraus sich ein berechtigtes Interesse des [X.]s an der Einbeziehung der Klägerin in den Schutzbereich des Vertrages ergebe.

Die Beklagte hafte zudem nicht nach [X.] Deliktsrecht. Der Beklagten könne nach Sachlage allenfalls der Vorwurf gemacht werden, das [X.] nicht ausreichend überwacht zu haben. Für die Beklagte habe sich aber keine Pflicht zum Handeln im Interesse der Patientinnen ergeben, da die benannte Stelle nicht zum Schutz der Patienten tätig werde. Zudem sei kein Verschulden feststellbar. Der Vorwurf, die Beklagte habe Überwachungspflichten verletzt, sei unberechtigt. Die Beklagte habe regelmäßig angekündigte Besichtigungen durchgeführt. Das reiche aus, soweit kein Verdacht für eine nicht ordnungsgemäße Produktion gegeben sei. Vor Dezember 2011 hätten sich entsprechende Verdachtsmomente für die Beklagte nicht ergeben.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Zertifizierungs- und Prüfauftrag des Herstellers an die Beklagte zwischen den Vertragsparteien ein privatrechtliches Schuldverhältnis begründet (BPatGE 52, 136, 139, juris Rn. 12; [X.]/Wagner, [X.], 2. Aufl., Einführung Rn. 31 und § 15 Rn. 1; [X.]/Pauge/Steinmeyer/[X.], Gesamtes Medizinrecht, 2. Aufl., § 6 [X.] Rn. 2).

2. Das Schuldverhältnis der Parteien beurteilt sich insgesamt nach [X.] materiellem Recht.

a) Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche aus unerlaubter Handlung beurteilen sich nach [X.] Recht. Dies folgt aus Art. 40 [X.]BGB.

Die Verordnung ([X.]) Nr. 864/2007 des [X.] und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ([X.]; [X.]. [X.]) ist im Streitfall intertemporal noch nicht anwendbar, da das schadensbegründende Ereignis vor dem 11. Januar 2009 eingetreten ist (vgl. Art. 31, 32 [X.]).

Nach der Art. 40 Abs. 1 [X.]BGB vorgehenden Sonderanknüpfung des Art. 40 Abs. 2 [X.]BGB ist [X.] Recht als Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts von Klägerin und Beklagter zur Zeit des [X.] anwendbar. Die Anwendbarkeit [X.] Rechts ergäbe sich im Übrigen auch aus Art. 40 Abs. 1 Satz 2 [X.]BGB. Eine wesentlich engere Verbindung zu einem ausländischen Recht im Sinne des Art. 41 [X.]BGB, die dessen Anwendbarkeit zur Folge hätte, besteht im Streitfall nicht.

b) Vertragliche Ansprüche, die aus dem zwischen der Beklagten und dem Hersteller geschlossenen Vertrag über das Konformitätsbewertungsverfahren resultieren, beurteilen sich kraft ausdrücklicher Rechtswahl nach [X.] Recht. Dies folgt aus Art. 27 Abs. 1 [X.]BGB.

Die Verordnung ([X.]) Nr. 593/2008 des [X.] und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ([X.] I-VO, [X.]. [X.], berichtigt [X.]. [X.] 309 [X.]) ist im Streitfall intertemporal nicht anwendbar, da sie gemäß Art. 28 nur auf Verträge angewandt wird, die ab dem 17. Dezember 2009 geschlossen worden sind. Auf Verträge, die - wie der hier einschlägige Vertrag - davor geschlossen wurden, sind weiterhin die Bestimmungen der Art. 27 bis 34 [X.]BGB anzuwenden.

c) Da [X.] Recht sowohl auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung als auch auf vertragliche Ansprüche aus dem genannten Vertrag anwendbar ist, bedarf es im Streitfall keiner Entscheidung, ob die Einbeziehung von [X.] in den Schutzbereich eines Vertrags sich internationalprivatrechtlich nach dem [X.] beurteilt (vgl. [X.]/[X.], 4. Aufl., Art. 32 [X.]BGB Rn. 24 m.w.N.) oder ob insoweit das [X.] (vgl. [X.], [X.] 2009, 293, 297) maßgebend ist.

3. Der revisionsrechtlichen Nachprüfung hält die Annahme des Berufungsgerichts stand, dass die Beklagte keine Pflichten nach [X.] der [X.]/[X.] verletzt hat und deswegen eine Haftung der Beklagten aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter oder aus § 823 BGB ausscheidet.

a) Der benannten Stelle sind nach [X.] der [X.]/[X.] folgende Pflichten zugewiesen:

aa) Vor dem Inverkehrbringen des Medizinprodukts ist die benannte Stelle in die Bewertung des von dem Hersteller einzureichenden Qualitätssicherungssystems eingebunden (Nr. 3.3. [X.] der [X.]/[X.]). Sie hat eine förmliche Überprüfung des Qualitätssicherungssystems (Audit) durchzuführen. Zusätzlich hat der Hersteller eine Produktauslegungsdokumentation vorzulegen, die die benannte Stelle nach Nr. 4.3. der [X.]/[X.] zu prüfen hat.

bb) Nach dem Inverkehrbringen des Medizinprodukts hat nach Nr. 5.1. [X.] der [X.]/[X.] eine Überwachung des Qualitätssicherungssystems zu erfolgen. Die Pflichten der benannten Stelle im Rahmen der Überwachung sind in Nr. 5.3. und 5.4. [X.] der [X.]/[X.] geregelt. Danach führt die benannte Stelle regelmäßig die erforderlichen Inspektionen und Bewertungen durch, um sich davon zu überzeugen, dass der Hersteller das genehmigte Qualitätssicherungssystem anwendet.

Darüber hinaus kann die benannte Stelle unangemeldete Besichtigungen beim Hersteller durchführen und erforderlichenfalls Prüfungen zur Kontrolle des ordnungsgemäßen Funktionierens des Qualitätssicherungssystems durchführen oder durchführen lassen. Diese Pflicht, die eine Produktprüfung und die Sichtung der Geschäftsunterlagen des Herstellers umfassen kann, besteht aber nicht generell, sondern nur, wenn Hinweise vorliegen, dass das Medizinprodukt den Anforderungen der [X.]/[X.] in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung nicht genügt ([X.], [X.], 1161).

b) Die vor dem Inverkehrbringen der Silikonbrustimplantate bestehenden Pflichten hat die Beklagte nach dem Vortrag der Klägerin nicht verletzt.

c) Die Beklagte hat die nach dem Inverkehrbringen der Silikonbrustimplantate bestehenden Pflichten ebenfalls nicht verletzt.

aa) Die Beklagte hat das Qualitätssicherungssystem unstreitig durch regelmäßige - angekündigte - Inspektionen und Bewertungen überwacht und sich davon überzeugt, dass der Hersteller das Qualitätssicherungssystem anwendet. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der [X.] Hersteller ein System der Vertuschung geschaffen, um die [X.]n Behörden und die Beklagte darüber zu täuschen, dass sie [X.] zur Befüllung der Implantate verwendete. Vor den regelmäßigen Inspektionen stellte der [X.] Hersteller den Herstellungsprozess jeweils um und legte den Kontrolleuren der Beklagten nur eine Dokumentation über die Verwendung des genehmigten Silikons vor.

bb) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Beklagte vor Dezember 2008 keinen Anlass, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Brustimplantate zu prüfen oder die Geschäftsunterlagen des [X.]n Herstellers zu prüfen.

(1) Die in einem Artikel des "Handelsblatts" vom 12. Juli 2013 genannte Warnung der [X.] Aufsichtsbehörde aus dem [X.], die sich auf mit Kochsalzlösung gefüllte Brustimplantate und nicht auf Silikonbrustimplantate bezog, ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts - auf der Grundlage des unstreitigen Parteivortrags - der Beklagten erst im [X.] bekannt geworden. Soweit die Revision mit Schriftsatz vom 2. Juni 2017 unter Bezugnahme auf eine Zeugenaussage in dem in [X.] geführten Strafverfahren vorträgt, die [X.] Aufsichtsbehörde habe ihre Warnung auf ihrer Internetseite im [X.] veröffentlicht, wo sie für die Beklagte ohne weiteres einsehbar gewesen sei, ist das neuer Tatsachenvortrag, der in der Revisionsinstanz nicht zu berücksichtigen ist (§ 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

(2) Der in dem oben genannten Presseartikel weiter erwähnte Bericht [X.] Aufsichtsbehörden aus Dezember 2000 hatte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts - auf der Grundlage des unstreitigen Parteivorbringens - die wissenschaftliche Frage nach alternativen Füllmaterialien (hier: Sojaöl) zum Gegenstand. Die Zuverlässigkeit des [X.]n Herstellers war nicht Gegenstand des Berichts.

Die insoweit - außerhalb der [X.] - erhobene Verfahrensrüge der Revision hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 ZPO).

(3) Soweit die Revision mit Schriftsatz vom 2. Juni 2017 unter Bezugnahme auf einen Bericht der [X.]n Aufsichtsbehörde vom 1. Dezember 2012 ([X.], 36 ff., 83 ff.) vorträgt, es habe aufgrund der Einrichtung eines besonderen Meldeblatts für die Brustimplantate ab 2002 festgestanden, dass der [X.] Hersteller einer besonderen Überwachung bedurft hätte, handelt es sich ebenfalls um neuen Vortrag, der in der Revisionsinstanz nicht zu berücksichtigen ist. Zwar hat die Klägerin den genannten Bericht in der Tatsacheninstanz zur Akte gereicht, jedoch ohne diesen inhaltlich auszuwerten. Damit hat die Klägerin ihrer Darlegungslast nicht genügt.

(4) Soweit die Revision meint, dass bereits die potentielle hohe Gefährlichkeit von [X.] als Medizinprodukte der höchsten Risikoklasse, insbesondere die leichte Austauschbarkeit des Silikons und die Unauffälligkeit eines solchen Austauschs, objektiver Anhaltspunkt für mögliche Herstellerverfehlungen sei, teilt der Senat das nicht. Es handelt sich allein um ein abstraktes Gefährdungspotential, das nach dem Urteil des Gerichtshofs der [X.] selbst bei Medizinprodukten der höchsten Risikoklasse nicht ausreicht, um die benannte Stelle als verpflichtet anzusehen, besondere Überwachungsmaßnahmen einzuleiten.

(5) Soweit die Revision meint, der Klägerin müsse durch [X.] an das Berufungsgericht Gelegenheit gegeben werden, ergänzend vorzutragen, weil die Instanzgerichte die Frage einer umfassenderen Überwachungspflicht nicht für erheblich erachtet haben, ist das unzutreffend. Die Instanzgerichte haben sich nicht nur mit der Frage auseinandergesetzt, ob zugunsten der Klägerin eine Anspruchsgrundlage besteht, sondern eingehend erörtert, warum die Beklagte keinen Anlass hatte, vor Dezember 2008 eine unangemeldete Inspektion durchzuführen, in diesem Zusammenhang die Geschäftsunterlagen des [X.]n Herstellers zu sichten und eine Produktprüfung vorzunehmen.

4. Da eine Haftung der Beklagten mangels Pflichtverletzung ausscheidet, kann dahin gestellt bleiben, ob zugunsten der Klägerin grundsätzlich das [X.] mit Schutzwirkung zugunsten Dritter oder § 823 BGB Anwendung findet (zum Diskussionsstand siehe [X.], [X.] 2017, 96; [X.], [X.] 2017, 42; [X.], [X.], 462; [X.], [X.], 1146; [X.], [X.] 2017, 299; [X.], [X.] 2016, 43; [X.], [X.], 389314).

Der Senat weist darauf hin, dass nach dem Urteil des Gerichtshofs der [X.] vom 16. Februar 2017 aus der [X.]/[X.] selbst sich keine zivilrechtliche Haftung der benannten Stelle ergibt ([X.], 1161 Rn. 56). Das schließt allerdings die Anwendung anderer Regelungen der vertraglichen oder außervertraglichen Haftung nach [X.] Recht nicht aus, sofern diese auf anderen Grundlagen - etwa Verschulden - beruhen ([X.], 1161 Rn. 58 f.).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

[X.]     

       

Kartzke     

       

Jurgeleit

       

Graßnack     

       

Sacher     

       

Meta

VII ZR 36/14

22.06.2017

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend EuGH, 16. Februar 2017, Az: C-219/15, Urteil

Art 10 EWGRL 42/93, Art 11 Abs 1 Buchst a Anh 2 Nr 3.2 EWGRL 42/93, Art 11 Abs 1 Buchst a Anh 2 Nr 3.3 EWGRL 42/93, Art 11 Abs 1 Buchst a Anh 2 Nr 4.1 EWGRL 42/93, Art 11 Abs 1 Buchst a Anh 2 Nr 4.2 EWGRL 42/93, Art 11 Abs 1 Buchst a Anh 2 Nr 4.3 EWGRL 42/93, Art 11 Abs 1 Buchst a Anh 2 Nr 5.1 EWGRL 42/93, Art 16 Abs 6 EWGRL 42/93, § 6 Abs 2 S 1 MPG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.06.2017, Az. VII ZR 36/14 (REWIS RS 2017, 9213)

Papier­fundstellen: NJW 2016, 1022 NJW 2017, 2617 WM 2016, 1198 REWIS RS 2017, 9213


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. VII ZR 36/14

Bundesgerichtshof, VII ZR 36/14, 22.06.2017.

Bundesgerichtshof, VII ZR 36/14, 13.01.2016.

Bundesgerichtshof, VII ZR 36/14, 09.04.2015.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VII ZR 36/14 (Bundesgerichtshof)


VII ZR 36/14 (Bundesgerichtshof)

Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Medizinprodukterichtlinie: Unmittelbare Haftung eines deutschen TÜV wegen Zertifizierung der fehlerhaften Brust-Silikonimplantate …


VII ZR 36/14 (Bundesgerichtshof)


VII ZR 151/18 (Bundesgerichtshof)

Haftung der vom Hersteller fehlerhafter Silikonbrustimplantate beauftragten Benannten Stelle gegenüber Patientinnen: Haftung nach den Grundsätzen …


3 U 125/17 (Oberlandesgericht Hamm)


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.