Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.08.2011, Az. 20 F 23/10

Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO | REWIS RS 2011, 4221

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Gegenstand

Anforderungen an die öffentliche Aufgabe für die Gewährung von Informantenschutz


Gründe

I.

1

Der Kläger, der eine Tanzschule mit Schankwirtschaft betreibt, begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrundeliegenden Verfahren Einsicht in den ungeschwärzten [X.] über eine durch eine Verbraucherbeschwerde veranlasste [X.] des [X.] im Rahmen der Lebensmittelüberwachung.

2

Bei der anlässlich einer telefonischen Verbraucherbeschwerde durchgeführten [X.] und Nachkontrolle wurden die vom Hinweisgeber angezeigten Mängel nicht festgestellt. Dafür wurden andere Verstöße gegen die Lebensmittelhygieneverordnung festgestellt, die der Kläger nach Beanstandung behob.

3

Nach Abschluss des Verfahrens beantragte der Kläger Einsicht in den [X.], die ihm mit Ausnahme der personenbezogenen Daten des [X.] gewährt wurde. Eine Akteneinsicht ohne Schwärzung der personenbezogenen Daten lehnte der Beklagte ab. Hiergegen richtet sich die Klage des [X.]. Mit gerichtlichem Schreiben des Berichterstatters forderte das Gericht der Hauptsache den [X.] zur Übersendung des ungeschwärzten [X.]s oder Herbeiführung einer Entscheidung nach § 99 VwGO auf. Daraufhin gab der Beigeladene mit Schreiben vom 14. Juni 2010 eine Sperrerklärung ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus: Die Behörden seien zur Wahrnehmung ihrer ordnungsrechtlichen Aufgaben zwingend auf die Informationen von Seiten Dritter angewiesen. Daher sei dem Hinweisgeber zugesichert worden, seine Identität geheim zu halten. Auf Antrag des [X.] legte das Gericht der Hauptsache die Sache dem [X.] des [X.] vor.

4

Der [X.] des [X.] hat den Hinweisgeber in nichtöffentlicher Sitzung als Zeugen vernommen. Mit Beschluss vom 28. September 2010 hat der [X.] des [X.] festgestellt, dass die Weigerung des Beigeladenen, die Verwaltungsvorgänge des [X.] vorzulegen, soweit aus diesen die Identität des [X.] hervorgehe, rechtmäßig sei. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des [X.].

II.

5

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der [X.] des [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Weigerung des Beigeladenen, den [X.] ohne Schwärzung der personenbezogenen Daten des [X.] vorzulegen, rechtmäßig ist.

6

Es ist nicht zu beanstanden, dass der [X.] des [X.] eine Entscheidung im Zwischenverfahren getroffen hat, obwohl das Gericht der Hauptsache keinen förmlichen Beschluss zur Entscheidungserheblichkeit der ungeschwärzten Vorlage gefasst, sondern sich auf die Anforderung der Akten durch den zuständigen Berichterstatter beschränkt hat. Eine förmliche Äußerung zur Entscheidungserheblichkeit war hier ausnahmsweise entbehrlich, weil die Entscheidung des Hauptsachegerichts allein von der Frage abhängt, ob die geschwärzten Angaben, wie von der Behörde geltend gemacht, geheimhaltungsbedürftig sind.

7

Zu Recht ist der [X.] des [X.] davon ausgegangen, dass ein Geheimhaltungsgrund i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gegeben ist, weil die geschwärzten Angaben personenbezogene Daten betreffen, die ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig sind.

8

Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig. Sind Behörden bei der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben (auch) auf Angaben Dritter angewiesen, dürfen sie zum Schutz des Informanten dessen Identität geheim halten (Urteil vom 27. Februar 2003 - BVerwG 2 [X.] 10.02 - BVerwGE 118, 10 <14> = [X.] 237.7 § 85 [X.] Nr. 9; Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - BVerwG 20 F 11.10 - NVwZ 2010, 1493 - juris Rn. 10 und vom 1. August 2011 - BVerwG 20 F 26.10 - Rn. 6). Ob Vertraulichkeit zugesichert worden ist, ist im Rahmen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO unerheblich (Beschluss vom 25. Juni 2010 - BVerwG 20 F 1.10 - NVwZ 2010, 1495 Rn. 15). Informantenschutz ist weder abhängig von der ausdrücklichen Bitte um vertrauliche Behandlung noch von der begründeten Befürchtung, sich im Fall einer Offenlegung möglichen Repressalien ausgesetzt zu sehen. Nicht jede öffentliche Aufgabe rechtfertigt indes die Annahme, Informationen von Seiten Dritter seien zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe unerlässlich. Die Aufgabe, auf die die behördlichen Ermittlungen ausgerichtet sind, muss vielmehr dem Schutz gewichtiger Rechtsgüter dienen (Urteil vom 30. April 1965 - BVerwG 7 [X.] 83.63 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 7, S. 11).

9

Die Lebensmittelüberwachung ist eine öffentliche Aufgabe aus dem Bereich der Gefahrenabwehr, die dem [X.] und damit dem Schutz eines gewichtigen Rechtsguts dient. Sowohl das nationale Recht als auch das Unionsrecht gehen von einem hohen Schutzniveau im Bereich des [X.]es aus. Entgegen der Auffassung des [X.] geht es bei der Lebensmittelüberwachung nicht um "abstrakten" Verbraucherschutz, sondern um konkrete Gefahrenabwehr. Die Einhaltung lebensmittel- und hygienerechtlicher Vorschriften ist eine wesentliche Voraussetzung für den Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren. Die Zugriffsmöglichkeiten der zuständigen Behörden sind jedoch schon aus personellen Gründen beschränkt; sie können sich meist nur punktuell die notwendigen Erkenntnisse über die Einhaltung lebensmittel- und hygienerechtlicher Vorschriften in einem Betrieb verschaffen. Gerade in diesem durchaus missbrauchsanfälligen Bereich sind die zuständigen Behörden auf Informationen Dritter angewiesen. Eine effektive Gefahrenabwehr setzt Hinweise auf mögliche Missstände voraus.

Informantenschutz greift grundsätzlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Angaben (Beschluss vom 22. Juli 2010 - BVerwG 20 F 11.10 - NVwZ 2010, 1493 - juris Rn. 13). Die zuständige Behörde ist aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr verpflichtet, allen vom Ansatz her sachlich begründeten Hinweisen nachzugehen, und muss daher die Vertraulichkeit von Angaben Dritter auch dann wahren dürfen, wenn sich die Hinweise nach Abschluss der Ermittlungen als unzutreffend erweisen sollten. Der Vertraulichkeitsschutz entfällt nur, wenn hinreichend aussagekräftige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Informant wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat (Urteile vom 4. September 2003 - BVerwG 5 [X.] 48.02 - BVerwGE 119, 11 <15>, vom 3. September 1991 - BVerwG 1 [X.] 48.88 - BVerwGE 89, 14 <19> und vom 23. Juni 1982 - BVerwG 1 [X.] 222.79 - [X.] 316 § 29 VwVfG Nr. 2, S. 6).

Wie der [X.] des [X.] unter Bezugnahme auf die im Zwischenverfahren erfolgte Vernehmung des [X.] dargelegt hat, liegen solche Anhaltspunkte hier nicht vor. Der Umstand, dass bei den durchgeführten behördlichen Kontrollen nicht die in der Verbraucherbeschwerde angegebenen Mängel, sondern Mängel anderer Art festgestellt worden sind, erlaubt nicht den Schluss, die Angaben seien wider besseres Wissen oder leichtfertig falsch gemacht worden. Zu Recht weist der [X.] des [X.] darauf hin, dass es sich nicht um Angaben "ins Blaue hinein" gehandelt hat. Es kann dahin gestellt bleiben, ob der [X.] des [X.] zur Vernehmung des [X.] verpflichtet war (vgl. dazu Urteil vom 27. Februar 2003 a.a.[X.]) oder - wie der Beklagte geltend macht - seine Einschätzung, dass der Hinweisgeber nicht leichtfertig falsche Angaben gemacht hat, auch darauf hätte stützen können, dass nach Aktenlage die festgestellten Mängel zumindest teilweise Ähnlichkeiten mit den angezeigten Mängeln aufweisen. Die Vernehmung bestätigt jedenfalls, dass sich der Hinweisgeber verantwortungsvoll mit der Frage einer Verbraucherbeschwerde und den Folgen für den Kläger auseinander gesetzt hat. Die in der Gerichtsakte befindliche Sitzungsniederschrift, die dem Senat vorliegt und die in analoger Anwendung des § 99 Abs. 2 Satz 9 VwGO von der Akteneinsicht gemäß § 100 Abs. 1 VwGO ausgenommen ist, belegt die Einschätzung des [X.] des [X.], dass der Hinweisgeber glaubwürdig und sein Vortrag glaubhaft ist. Von einer weiteren Begründung wird angesichts der gebotenen Geheimhaltung abgesehen (§ 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO).

Das Ergebnis der nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO geforderten Abwägung war im vorliegenden Fall rechtlich vorgezeichnet. Daher ist es nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene auf Erwägungen zur Ermessensausübung verzichtet hat. Besondere Umstände, aus denen sich ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse ergeben könnte, das ausnahmsweise eine Offenbarung geschützter personenbezogener Daten zu rechtfertigen vermag, sind nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO (vgl. dazu auch Beschlüsse vom 8. Mai 2009 - BVerwG 20 KSt 1.09 / BVerwG 20 [X.] - und vom 16. Dezember 2010 - BVerwG 20 F 15.10 - NVwZ-RR 2011, 261 Rn. 11). Einer Streitwertfestsetzung bedarf es mit Blick auf Nr. 5502 des [X.] nicht; danach fällt für eine sonstige Beschwerde eine Gebühr in Höhe von 50 € im Fall der Zurückweisung an.

Meta

20 F 23/10

03.08.2011

Bundesverwaltungsgericht Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO

Beschluss

Sachgebiet: F

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 28. September 2010, Az: 13a F 46/10, Beschluss

§ 99 Abs 1 S 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.08.2011, Az. 20 F 23/10 (REWIS RS 2011, 4221)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4221

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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8 F 222/14

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