Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.12.2021, Az. 6 StR 312/21

6. Strafsenat | REWIS RS 2021, 297

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Heimtückemordes, Nötigung, Raub und Erpressung: Ausnutzungsbewusstsein als Voraussetzung des Vorliegens von Heimtücke; Verwerflichkeit des Drohens mit einer Schusswaffe; Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2020 dahin geändert, dass der Angeklagte des Totschlags in Tateinheit mit Besitz einer verbotenen Vorderschaftrepetierflinte und versuchter Nötigung schuldig ist.

Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger werden verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit Besitz einer verbotenen Vorderschaftrepetierflinte zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit der vom [X.] teilweise vertretenen, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Die Nebenkläger beanstanden mit ihrer Sachrüge jeweils die fehlende Verurteilung wegen Mordes und wegen besonders schweren Raubes mit Todesfolge bzw. versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge.

I.

2

1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

3

Der Angeklagte und das spätere Tatopfer standen in einer geschäftlichen und nahezu freundschaftlichen Beziehung, wenngleich der Geschädigte den sich unterlegen fühlenden Angeklagten bei diversen Fahrzeuggeschäften übervorteilt, in einem Fall auch gedemütigt hatte. Der Geschädigte hatte aus einem durch Eigentumsumschreibung im Grundbuch bereits vollzogenen Grundstückskauf den nicht notariell beurkundeten [X.] von 30.000 Euro noch nicht an den Angeklagten gezahlt und diesen deswegen immer wieder vertröstet. Der Angeklagte plante deshalb, den Kaufpreis von 22.500 Euro für ein weiteres Fahrzeug anlässlich der Übergabe nicht an den Geschädigten zu bezahlen, sondern insoweit mit der ihm aus dem Grundstücksverkauf noch zustehenden Restkaufpreisforderung aufzurechnen. Da der Angeklagte damit rechnete, dass der ihm als profitorientiert, unnachgiebig, aggressiv und aufbrausend bekannte Geschädigte das nicht akzeptieren werde, legte er eine mit sechs Schrotpatronen geladene Vorderschaftrepetierflinte in einem auf seinem Grundstück befindlichen Überseecontainer bereit, um den Geschädigten nach der Überführung des Fahrzeugs - gegebenenfalls unter Abgabe eines Warnschusses - einzuschüchtern und dazu zu veranlassen, ihm den Fahrzeugschlüssel und -papiere herauszugeben. Unter dem Vorwand, den Kaufpreis dort entrichten zu wollen, lockte der Angeklagte den Geschädigten in den Container und schloss die Tür. Möglicherweise nach einer verbalen Auseinandersetzung ergriff er die geladene Waffe, richtete sie auf den Geschädigten und erklärte, gegen den [X.] mit seiner Restforderung aus dem Grundstücksgeschäft aufzurechnen. Er verlangte von dem Geschädigten mit vorgehaltener Waffe die Herausgabe des Fahrzeugschlüssels und der Fahrzeugpapiere. Da dieser sich weigerte, gab der Angeklagte, auch um seiner Ernsthaftigkeit Nachdruck zu verleihen, einen Warnschuss in Richtung [X.] ab, richtete die Waffe wieder auf den Geschädigten und lud durch Zurückziehen des [X.] nach. Der Geschädigte war jedoch weiterhin nicht bereit, dem Angeklagten ohne Kaufpreiszahlung Fahrzeugschlüssel und -papiere zu übergeben. Er trat wütend, mit lauter Stimme protestierend auf den Angeklagten zu und wollte nach der Waffe greifen. Der Angeklagte erkannte, dass sein Einschüchterungsversuch gescheitert war, und fürchtete eine gewaltsame Auseinandersetzung. Ohne dies geplant oder zuvor auch nur in Erwägung gezogen zu haben, schoss er mit bedingtem Tötungsvorsatz aus einer Entfernung von etwa 50 Zentimetern auf den Geschädigten. Die abgefeuerte Schrotladung traf diesen tödlich.

4

2. [X.] hat das Geschehen als Totschlag gewertet und einen minder schweren Fall gemäß § 213 Alternative 2 StGB angenommen. Das Vorliegen von [X.] hat sie verneint.

[X.]

5

Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen hat sie keine Rechtsfehler zu Gunsten oder Ungunsten (vgl. § 301 StPO) des Angeklagten ergeben.

6

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist insofern begründet, als sie sich gegen die unterbliebene Verurteilung wegen tateinheitlich begangener versuchter Nötigung (§ 240 Abs. 1 bis 3, §§ 22, 23 StGB) wendet.

7

a) Demgegenüber stößt es auf keine rechtlichen Bedenken, dass das [X.] den Angeklagten nicht wegen heimtückisch begangenen Mordes verurteilt hat.

8

Es kann offenbleiben, ob der Geschädigte im Augenblick der mit Tötungsvorsatz erfolgten Abgabe des zweiten Schusses entsprechend der Auffassung des [X.]s noch arg- und wehrlos war. Jedenfalls ist das [X.] aufgrund tragfähiger Feststellungen rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte hierbei ohne [X.] handelte.

9

aa) Für das [X.] genügt es, wenn der Täter die die Heimtücke begründenden Umstände nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, [X.], 232, und vom 10. Februar 2010 - 2 StR 391/09, [X.], 175, 176). Dabei kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des [X.] ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das [X.] fehlte (vgl. [X.], Beschluss vom 9. September 2020 − 2 [X.], [X.], 162 Rn. 8; Urteil vom 17. September 2008 - 5 [X.], [X.], 30, 31, mwN). Allerdings hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (vgl. [X.], Urteile vom      16. Februar 2012 - 3 [X.] Rn. 20, und vom 10. Februar 2010              - 2 StR 391/09 aaO; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, [X.], 634, 635).

bb) Daran gemessen ist die Annahme des [X.]s, dass der Angeklagte eine etwaige Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten jedenfalls nicht bewusst ausgenutzt habe, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hatte sich nur deshalb bewaffnet, um den vom ihm als überlegen angesehenen und erfahrungsgemäß in Geldangelegenheiten aggressiv Reagierenden bei der Durchsetzung seiner Forderung einzuschüchtern und dessen Überlegenheit etwas entgegensetzen zu können. Er schoss nach Abgabe eines Warnschusses spontan und impulsiv, weil er aufgrund der offensiven Reaktion des Geschädigten sein Vorhaben als gescheitert ansah und fürchtete, erneut zu unterliegen.

b) Jedoch hat das [X.] die in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage bezeichnete Tat entgegen § 264 Abs. 1 StPO nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft.

Denn der Angeklagte hat sich der versuchten Nötigung schuldig gemacht. Das Drohen mit der geladenen Schusswaffe, um von dem Geschädigten im Wege der Selbsthilfe ohne Zahlung des Kaufpreises den Fahrzeugschlüssel und die Fahrzeugpapiere zu erlangen, erweist sich auch vor dem Hintergrund eines entsprechenden Anspruchs des Angeklagten - dazu unter 2. Buchstabe a - als verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB (vgl. [X.], Urteil vom 20. März 1953   - 2 StR 60/53, [X.]St 4, 105, 107; Beschluss vom 14. Juni 1982 - 4 StR 255/82, NJW 1982, 2265, 2266). Da der Sachverhalt abschließend festgestellt ist, kann der [X.] den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte auf die Möglichkeit einer Verurteilung nach § 240 Abs. 1 und 3, § 23 Abs. 1 StGB hingewiesen worden ist.

c) Der Strafausspruch hält dennoch sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Der [X.] kann ausschließen, dass sich ein rechtsfehlerfreier Schuldspruch auf die Strafhöhe ausgewirkt hätte. Hieran ändert auch das Nachtatverhalten des Angeklagten nichts, da es sich jedenfalls angesichts dessen Bedrohung durch die Angehörigen des Opfers nicht um einen bestimmenden Strafzumessungsgrund handelte.

2. Die nach § 400 Abs. 1, § 401 Abs. 1 und 2 StPO zulässigen Revisionen der Nebenkläger haben keinen Erfolg.

a) Eine Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schweren Raubes mit Todesfolge (§ 249 Abs. 1, § 250 Abs. 2, § 251 StGB) oder wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge (§ 253  Abs. 1, § 250 Abs. 2, § 251 StGB) kam nicht in Betracht.

Bei der Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der zumindest bedingte Vorsatz des [X.] erstrecken muss (vgl. [X.], Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 [X.], [X.], 519 mwN). Der Täter will sich dann zu Unrecht bereichern, wenn er einen Vermögensvorteil erstrebt, auf den er keinen rechtlich begründeten Anspruch hat; allein der Umstand, dass ein fälliger Anspruch mit Nötigungsmitteln durchgesetzt werden soll, macht den begehrten Vorteil nicht rechtswidrig (vgl. [X.], Urteil vom 28. Oktober 2010, aaO; Beschluss vom 21. Dezember 1998 - 3 [X.]). Entsprechendes gilt für das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit der Zueignung beim Tatbestand des Raubes im Sinne des § 249 StGB (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Mai 2001 - 3 StR 153/01).

Der [X.] weist in seiner Antragsschrift zutreffend darauf hin, dass der Angeklagte aus dem nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB infolge Eigentumsumschreibung im Grundbuch wirksamen Grundstückskaufvertrag einen Anspruch auf Zahlung des [X.] den Geschädigten hatte, mit dem er gegen den [X.] für das Fahrzeug die Aufrechnung erklärt hat (§§ 387, 388 BGB). Die Forderung war einredefrei und fällig. Denn der Angeklagte hatte dem Geschädigten den [X.] von 30.000 Euro nicht im Sinne eines befristeten Einforderungsverzichts gestundet, sondern bei verständiger Würdigung (§§ 133, 157 BGB) aus Nachsicht mit Blick auf die noch ausstehende Baugenehmigung lediglich einen Zahlungsaufschub gewährt    (vgl. [X.]/Skamel, Stand 1. Oktober 2021, § 387 Rn. 121; [X.]/[X.], 8. Aufl., § 387 Rn. 37; jeweils mwN). Es liegt fern, dass der Angeklagte dauerhaft das Risiko der Versagung der Bau- oder Nutzungsgenehmigung oder auch nur einer erheblich verzögerten Erteilung vertraglich übernehmen wollte. Da der Anspruch des Geschädigten auf Zahlung des Kaufpreises für das Fahrzeug infolge der Aufrechnung nach § 389 BGB erloschen ist, war er nach § 433 Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet, dem Angeklagten das Fahrzeug nebst Schlüssel zu übereignen (§ 433 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 311c, 97 Abs. 1 Satz 1 BGB) und die Fahrzeugpapiere zu übergeben (§ 985 i.V.m. § 952 Abs. 2 BGB entsprechend, vgl. [X.], Urteil vom 18. September 2020 - [X.], NJW 2020, 3711 Rn. 32).

b) Das [X.] hat den Angeklagten schließlich rechtsfehlerfrei nicht wegen Mordes aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen schuldig gesprochen.

aa) Der Angeklagte hat den Geschädigten nicht aus einem Streben nach materiellen Gütern oder Vorteilen getötet, das in seiner Hemmungs- und Rücksichtslosigkeit das erträgliche Maß weit übersteigt und in der Regel durch eine ungehemmte triebhafte Eigensucht bestimmt ist (vgl. [X.], Beschluss vom    19. Mai 2020 − 4 [X.], [X.], 733). Ursprünglich wollte der Angeklagte seine berechtigte Forderung durchsetzen und strebte nicht in der erforderlichen gesteigerten Weise nach Gewinn oder Vorteilen; vielmehr zielte sein Vorgehen auf die Herstellung eines rechtskonformen Zustands ab (vgl. MüKo-StGB/[X.], 4. Aufl., § 211 Rn. 65; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 211   Rn. 16, 18, jeweils mwN). Im Zeitpunkt der Abgabe des tödlichen Schusses ging es ihm ohnehin allenfalls noch am Rande um die Durchsetzung seines Anspruchs, weil ihm der Tod des Angeklagten hierzu nicht nützlich sein konnte.

bb) Das Vorliegen niedriger Beweggründe hat das [X.] unter Hinweis auf die durch den Geschädigten im Vorfeld erlittene Demütigung und die diesem vom Angeklagten bislang entgegengebrachte Wertschätzung tragfähig verneint ([X.]). Denn mit Blick hierauf und auf die Gefälligkeiten zu Gunsten des Geschädigten, demgegenüber der Angeklagte zuvor stets nachgegeben und dem er sich gefügt hatte, beruhten die Antriebsregungen ihrerseits nicht auf einer niedrigen Gesinnung (vgl. [X.], Beschluss vom 12. September 2019 − 5 StR 399/19, [X.], 724 Rn. 8).

c) Die unterbliebene Verurteilung wegen heimtückisch begangenen Mordes ist aus den Gründen unter [X.] Nr. 1 Buchstabe a rechtlich nicht zu beanstanden.

3. [X.] folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und 3 StPO.

Sander     

        

[X.]     

        

Tiemann

        

Fritsche     

        

von [X.]     

        

Meta

6 StR 312/21

15.12.2021

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Potsdam, 18. Dezember 2020, Az: 21 Ks 7/20

§ 211 Abs 2 StGB, § 240 Abs 2 StGB, § 249 StGB, § 250 StGB, § 251 StGB, § 253 StGB, § 255 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.12.2021, Az. 6 StR 312/21 (REWIS RS 2021, 297)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 297

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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