Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.02.2023, Az. III ZR 117/20

3. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 1016

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Gegenstand

Prospekthaftung: Bewertung von Forderungen in Handelsbilanz; Wirkung eines Bestätigungsvermerks durch Wirtschaftsprüfer - Fehlgeschlagene Kapitalanlage, Prospektfehler


Leitsatz

Fehlgeschlagene Kapitalanlage, Prospektfehler

1. Zur Bewertung von Geldforderungen in der Handelsbilanz und zur Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens für die Beurteilung der richtigen bilanziellen Bewertung einer (möglicherweise) risikobehafteten Forderung (Fortführung von Senat, Urteil vom 20. Januar 2022 - III ZR 194/19, WM 2022, 372).

2. Zur Annahme eines vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtums bei Erteilung eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks durch einen Wirtschaftsprüfer gemäß § 322 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 und 4 HGB (Fortführung von Senat, Urteil vom 5. Mai 2022 - III ZR 131/20, WM 2022, 1267, BGHZ 233, 279).

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des [X.] vom 4. Mai 2020 aufgehoben, soweit die Klage nicht auf Erstattung entgangener Zinseinnahmen gerichtet ist; insoweit bleibt die Klage abgewiesen.

Das weitergehende Rechtsmittel der Klägerin wird zurückgewiesen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des dritten Rechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb von [X.] der inzwischen insolventen [X.]und [X.] (im Folgenden: [X.]).

2

Die [X.] verfolgte das Geschäftsmodell, Immobilien günstig zu erwerben, durch Entwicklungsmaßnahmen aufzuwerten und gewinnbringend zu veräußern. Ihre Geschäftstätigkeit finanzierte sie vornehmlich durch acht [X.], welche öffentlich emittiert wurden. Zwei Anleihen über 20 Mio. € und 30 Mio. € wurden planmäßig 2009 und 2011 zurückgezahlt. Sechs Anleihen - [X.], Emissionsvolumen 50 Mio. €; [X.], Emissionsvolumen 50 Mio. €; [X.], Emissionsvolumen 100 Mio. €; [X.], Emissionsvolumen 100 Mio. €; [X.], Emissionsvolumen 100 Mio. €; [X.], Emissionsvolumen 50 Mio. € - wurden nicht zurückgezahlt. Die Beklagten bildeten zum Zeitpunkt der Emissionen der Anleihen den Vorstand der [X.].

3

Die [X.] wies in ihrem testierten Jahresabschluss zum 31. Dezember 2007 ein Eigenkapital von 4,5 Mio. € aus. Im Jahresverlauf erwarb sie sechs Immobilien zum Preis von insgesamt 43,597 Mio. €. Mit notariellen [X.]n vom 28. Oktober 2008 verkaufte sie diese für insgesamt 57,85 Mio. € an drei Fondsgesellschaften (im Folgenden auch: [X.]; Fonds), die von ihrer Tochtergesellschaft [X.] (im Folgenden: [X.]) gehalten wurden. Dabei wurden in den [X.]n der Übergang von Besitz, Nutzungen und Lasten auf die [X.] jeweils zum 31. Oktober 2008 vereinbart und die Kaufpreise gestaffelt bis zum 31. Oktober 2009 gestundet. Die Stundungen wurden wiederholt verlängert.

4

In dem am 28. April 2009 testierten Jahresabschluss der [X.] für das Geschäftsjahr 2008 vom 6. März 2009 wurden die zu Anschaffungskosten in Höhe von 43,597 Mio. € aktivierten Grundstücke ausgebucht und die [X.] gegen die [X.] in Höhe von 57,85 Mio. € aktiviert, wodurch der Jahresabschluss ein positives Eigenkapital in Höhe von 4,7 Mio. € auswies. Auch in dem am 10. Juni 2010 testierten Jahresabschluss der [X.] für das Geschäftsjahr 2009 vom 2. Juni 2010, der ein positives Eigenkapital in Höhe von 7,1 Mio. € auswies, waren die [X.] in Höhe von 57,85 Mio. € aktiviert. Ebenso verhielt es sich in der ungeprüften Zwischenbilanz der [X.] zum Stichtag 31. Oktober 2008; die Aktivierung der [X.] in Höhe von 57,85 Mio. € führte dort zu einem Jahresüberschuss von 3,84 Mio. €.

5

Am 3. April 2008 hatte die [X.] den Wertpapierprospekt zur [X.] veröffentlicht. Nach Abschluss der notariellen [X.] vom 28. Oktober 2008 veröffentlichte die [X.] Wertpapierprospekte unter anderem zu folgenden Anleihen:

        
        

Veröffentlichung   
des Prospektes

Beginn der
Zeichnungsfrist   

Ende der (verlängerten)
Zeichnungsfrist

[X.]

  15.12.2008

12.01.2009

30.06.2009

[X.]

  30.09.2009

01.10.2009

31.12.2010

[X.]

  03.05.2010

03.05.2010

29.04.2011

                                   

6

Den Wertpapierprospekten zu den Anleihen [X.] und [X.] war jeweils der am 28. April 2009 testierte Jahresabschluss der [X.] vom 6. März 2009 für das Geschäftsjahr 2008 beigefügt. Der Wertpapierprospekt zur Anleihe [X.] enthielt zusätzlich den ungeprüften Abschluss für das Geschäftsjahr 2009. Demgegenüber enthielt der Wertpapierprospekt zur Anleihe [X.] nur die testierten Jahresabschlüsse der [X.] für die Geschäftsjahre 2006 und 2007 und die ungeprüfte Zwischenbilanz der [X.] zum 31. Oktober 2008.

7

Nachdem die drei [X.] die mehrfach gestundeten Kaufpreise nicht hatten bezahlen können, trat die [X.] am 28. Oktober 2010 von den [X.]n zurück und nahm dies im Folgejahr zum Anlass, die Jahresabschlüsse für die [X.] und 2009 in Höhe eines Betrages von 14,253 Mio. € (57,85 Mio. € - 43,597 Mio. €: Differenzbetrag zwischen [X.] und Anschaffungskosten) wertzuberichtigen. Infolgedessen wiesen die berichtigten und am 13. Mai 2011 testierten Jahresabschlüsse 2008 und 2009 nunmehr eine Überschuldung der [X.] aus, und zwar der Jahresabschluss für 2008 einen durch Eigenkapital nicht gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 6,6 Mio. € und der Jahresabschluss für 2009 einen solchen in Höhe von 6,8 Mio. €. Gleichzeitig testierten die Wirtschaftsprüfer den Jahresabschluss der [X.] für 2010, in dem selbst unter Berücksichtigung der vorgenannten Wertberichtigung ein positives Eigenkapital in Höhe von 11 Mio. € festgestellt wurde.

8

Im Zusammenhang mit der Präsentation des Jahresabschlusses für 2010 veröffentlichte die [X.] am 6. Juli 2011 eine Pressemitteilung, in der darauf hingewiesen wurde, dass sie für das Geschäftsjahr 2008 eine Wertberichtigung im Zusammenhang mit dem Ausfall von Forderungen an drei Immobilienfonds vorgenommen habe, die bedingt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht platziert worden seien. Die Verkäufe an die Fonds seien rückabgewickelt und die dazugehörigen Immobilien erfolgreich einer neuen Verwertung zugeführt worden. Der Pressemitteilung war ein Link auf den vollständig abruf- und herunterladbaren Geschäftsbericht beigefügt. Im Januar 2012 wurden die berichtigten Jahresabschlüsse der [X.] für 2008 und 2009 im Bundesanzeiger veröffentlicht.

9

Der Jahresabschluss der [X.] für das Geschäftsjahr 2011 wies zum 31. Dezember 2011 eine Überschuldung aus. Am 11. Dezember 2012 stellte der Vorstand der [X.] einen Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Mit Beschluss des [X.] vom 1. März 2013 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und die Eigenverwaltung angeordnet. Mit Hilfe einer Unternehmensberatung und eines Sachwalters wurde ein Insolvenzplan ausgearbeitet, der Forderungsverzichte und Stundungen seitens der Gläubiger der [X.] vorsah. Nach Zustimmung der Gläubiger zum Insolvenzplan bestätigte das [X.] denselben und hob das Insolvenzverfahren am 17. September 2013 wieder auf. Nachdem die Restrukturierung misslungen war, wurde auf Antrag des Vorstandes der [X.] vom 11. Februar 2016 am 29. März 2016 erneut das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] angeordnet.

Die Klägerin und ihre inzwischen verstorbene Schwiegermutter erwarben im Zeitraum vom 25. Juni 2009 bis 16. März 2012 im Wesentlichen über die Börse insgesamt 170 Anleihen [X.], 164 Anleihen [X.], 120 Anleihen [X.] und 100 Anleihen [X.] im Nennwert von 277.000 €, für die sie insgesamt 274.045 € aufwandten. Die Schwiegermutter wurde von ihrem [X.], dem Ehemann der Klägerin, beerbt, der seine Anleihen auf das Depot der Klägerin übertrug.

Die Klägerin hat diverse Prospektfehler gerügt und vorgetragen, es habe nie die Absicht zur Erfüllung der [X.] vom 28. Oktober 2008 bestanden; diese hätten lediglich der Bilanzmanipulation und Verschleierung der schon damals bestehenden Überschuldung der [X.] gedient. Jedenfalls ab Februar 2009 habe keine begründete Aussicht auf Umsetzung der [X.] vom 28. Oktober 2008 mehr bestanden, was hätte offenbart werden müssen. Die Beklagten hafteten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB und wegen [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Das [X.] hat der Schadensersatzklage wegen des Kaufs der Anleihen [X.] und der Anleihekäufe nach dem 28. Oktober 2010 stattgegeben; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das [X.] - vor dem die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, als die Klägerin zwischenzeitlich Ausschüttungen im Insolvenzverfahren in Höhe von 53.288,54 € erhalten hatte - hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragt die Klägerin, entsprechend ihren auf Erstattung der Kaufpreise - abzüglich erhaltener Ausschüttungen - nebst [X.] um Zug gegen Übertragung aller Rechte an den Anleihen, Feststellung des Annahmeverzugs sowie Erstattung entgangener Zinseinnahmen und außergerichtlich entstandener Kosten der Rechtsverfolgung gerichteten Schlussanträgen im [X.] zu erkennen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache weitgehend Erfolg.

Unbegründet ist die Revision insoweit, als sie den Klageantrag auf Erstattung entgangener Zinseinnahmen weiterverfolgt. Das [X.] hat die hierauf gerichtete Klage abgewiesen und sich zur Begründung nicht nur darauf bezogen, dass die Hauptforderung unbegründet sei. Es hat vielmehr - selbständig tragend - außerdem ausgeführt, der von den Beklagten bestrittenen Behauptung der Klägerin, alternativ wäre in Festgeldanlagen mit Laufzeiten von über zwei Jahren investiert worden, könne schon deswegen nicht gefolgt werden, weil damit eine Investition in eine andere Anlageform für die Schadensberechnung herangezogen werde, die in keinerlei Hinsicht mit der streitgegenständlichen vergleichbar sei. Diese selbständig tragende Begründung des [X.]s hat die Klägerin innerhalb der Berufungsbegründungsfrist mit keiner Silbe angegriffen. Infolgedessen ist ihre Berufung insoweit unzulässig und muss die Revision insoweit bereits deswegen erfolglos bleiben.

Im Übrigen führt die Revision zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat, soweit in der Revisionsinstanz von Relevanz, zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

1. Die Klägerin habe gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB.

Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klägerin und ihrer Schwiegermutter durch die Beklagten könne nicht festgestellt werden.

Die Beklagten hätten die Klägerin und deren Schwiegermutter nicht vorsätzlich über die Lage der [X.] im [X.] 2008 getäuscht. Für ihre Behauptung, die Kaufverträge vom 28. Oktober 2008 seien nur zum Schein geschlossen worden, um eine damals schon bestehende Überschuldung der [X.] zu verschleiern, eine ernsthafte Erfüllungsabsicht habe nie bestanden, sei die Klägerin jeden Nachweis schuldig geblieben. Die [X.] seien auch in den [X.] nicht vorsätzlich über die mit den Kaufverträgen vom 28. Oktober 2008 verbundenen Risiken getäuscht worden. Die dortigen deutlichen Risikohinweise seien durch die jeweiligen Prospektangaben zur voraussichtlichen Abwicklung dieser Kaufverträge nicht entwertet worden. Selbst wenn man in der Darstellung der Geschäftsaussichten eine unangemessene Relativierung dieser Risiken und damit einen Prospektfehler sähe, wäre den Beklagten allenfalls Fahrlässigkeit vorzuwerfen.

Auch soweit die Beklagten es unterlassen hätten, zeitnah über den Rücktritt der [X.] von den Kaufverträgen am 28. Oktober 2010 zu informieren, sei der Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht gerechtfertigt.

2. Ein Anspruch der Klägerin ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Dass die Beklagten in den [X.] vorsätzlich unrichtige vorteilhafte Angaben gemacht oder vorsätzlich nachteilige Tatsachen verschwiegen hätten, sei nicht festzustellen.

Es fehle bereits am objektiven Tatbestandsmerkmal einer Unrichtigkeit der Angabe. Eine einen Bilanzposten betreffende Angabe dürfe nur dann als objektiv unrichtig im Sinne des § 264a StGB gewertet werden, wenn die Unrichtigkeit nach fachmännischem Urteil eindeutig sei, eine gegenteilige Auffassung also schlechterdings nicht mehr vertretbar erscheine. Schon dies sei vorliegend nicht festzustellen. Die gewinnbringende Vermarktung von Immobilien im Rahmen der Platzierung von Immobilienfonds sei über lange Zeit ein gut laufendes Konzept gewesen, wie der für [X.] spezialzuständige Senat aus eigener Anschauung wisse. Die Folgen der Finanzkrise von 2008 für dieses Geschäftsmodell seien von vielen Marktakteuren unterschätzt worden. Die rechtlich gebotenen Risikohinweise in den [X.] gestatteten dabei nicht den Rückschluss, dass diese Risiken von fachkundiger Seite tatsächlich als so gewichtig betrachtet worden seien, dass eine Teilwertberichtigung zwingend erforderlich gewesen wäre. Dass ein Absehen von einer solchen Wertberichtigung bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung schlechterdings nicht mehr vertretbar gewesen sei, stehe nicht fest.

Es fehle aber auch am subjektiven Tatbestand des [X.]. Ein auf unrichtige vorteilhafte Angaben bezogener Vorsatz der Beklagten sei nicht festzustellen. Insbesondere könne das Vertrauen auf das Testat eines Wirtschaftsprüfers der Annahme vorsätzlichen Handelns entgegenstehen. Vorliegend seien die Jahresabschlüsse 2008 und 2009 ohne Vornahme einer Teilwertabschreibung auf die dort eingestellten [X.] testiert worden. Vor diesem Hintergrund hätten die Beklagten, die selbst keine Bilanzbuchhalter seien, das Absehen von einer Teilwertabschreibung jedenfalls für vertretbar halten können. Für ein kollusives Zusammenwirken der Wirtschaftsprüfer mit den Beklagten zur bewussten Erstellung fehlerhafter Jahresabschlüsse sei demgegenüber nichts ersichtlich.

II.

Diese Erwägungen halten der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB und/oder nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht verneint werden.

1. In [X.] kann der Tatbestand des § 826 BGB dadurch verwirklicht werden, dass ein [X.] Anlageinteressenten mittels eines fehlerhaften oder unvollständigen Prospekts zum Abschluss eines Vertrages veranlasst, den sie sonst nicht geschlossen hätten (stRspr, zB [X.], Urteil vom 28. Juni 2016 - [X.], [X.], 250 Rn. 12 mwN). Erforderlich ist allerdings, dass das Verhalten des Prospektverantwortlichen als sittenwidrig zu werten ist und er mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Beides ist getrennt festzustellen ([X.] aaO).

a) Für die Annahme der Sittenwidrigkeit genügt die Verwendung eines objektiv unrichtigen Prospekts regelmäßig noch nicht ([X.] aaO Rn. 21). Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit hinzutreten; besondere Umstände müssen das schädigende Verhalten nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als "anständig" Geltenden verwerflich machen ([X.] aaO Rn. 16 mwN). Das Vorstandsmitglied einer Kapitalgesellschaft kann eine darauf angelegte bewusste Täuschung etwa durch Aufstellung und Veröffentlichung eines (grob) fehlerhaften Jahresabschlusses oder Zwischenabschlusses begehen, und zwar unabhängig davon, ob der Abschluss später Bestandteil eines Wertpapierprospekts geworden ist oder noch werden soll.

b) Der gemäß § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt beziehungsweise vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen; in einer solchen Situation ist lediglich ein [X.] gerechtfertigt ([X.] aaO Rn. 25 mwN).

2. Nach diesen Maßstäben ist vorliegend zunächst entscheidend, ob und gegebenenfalls in welchen Punkten die ungeprüfte Zwischenbilanz der [X.] zum Stichtag 31. Oktober 2008, der Jahresabschluss der [X.] für das Geschäftsjahr 2008 vom 6. März 2009 und der ungeprüfte Abschluss für das Geschäftsjahr 2009 objektive Fehler enthalten, das heißt in welchem Umfang die Ansprüche gegen die Erwerberkommanditgesellschaften werthaltig waren, wobei das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Forderungen zu aktivieren waren, weil die Gefahr auf die Käufer übergegangen und der Gewinn damit realisiert war (vgl. Senat, Urteil vom 20. Januar 2022 - [X.], [X.], 372 Rn. 19 mwN).

a) Nach welchen Grundsätzen die Bewertung von Geldforderungen in der Handelsbilanz vorzunehmen ist, hat der Senat im vorbezeichneten Urteil dargelegt (aaO Rn. 20 ff). Ist eine Forderung risikobehaftet, ist dem durch eine Abschreibung nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1, § 253 Abs. 4 HGB Rechnung zu tragen (Senat aaO Rn. 23 mwN). Diese sogenannten zweifelhaften Forderungen sind mit ihrem wahrscheinlichen Wert anzusetzen (Senat aaO mwN). Dies ist der Wert, mit dem sie wahrscheinlich realisiert werden können, wobei grundsätzlich eine Einzelbewertung vorzunehmen ist. Ein (wegen Ausfallrisikos) unter ihrem Nennbetrag liegender Wert von Geldforderungen kann im Allgemeinen nur im Wege der Schätzung ermittelt werden. Dabei kommt dem Ermessen des Kaufmanns besondere Bedeutung zu. Maßgebend ist, ob [X.] nach der allgemeinen Lebenserfahrung aus den jeweiligen Umständen des Einzelfalls die Annahme eines (teilweisen) [X.] herleiten darf und muss. Die Zahlungsfähigkeit und die Zahlungswilligkeit eines Schuldners sind dabei individuell nach dessen Verhältnissen zu ermitteln. Allerdings muss die Schätzung eine objektive Grundlage in den am Abschlussstichtag gegebenen Verhältnissen finden. Schätzungen, die auf bloßen pessimistischen Prognosen zur zukünftigen Entwicklung beruhen, sind unbeachtlich (Senat aaO mwN).

In zeitlicher Hinsicht sind bei der Bewertung gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 HGB alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Abschlusses bekanntgeworden sind (sogenannte wertaufhellende Tatsachen). Der zu berücksichtigende Umstand selbst muss jedoch bereits zum Abschlussstichtag vorgelegen haben; wertbegründende oder wertbeeinflussende Tatsachen, die erst nach dem Abschlussstichtag entstanden sind, müssen dagegen unberücksichtigt bleiben (Senat aaO Rn. 24 mwN).

b) Die Beurteilung, ob zu den maßgeblichen Zeitpunkten Umstände vorlagen, die die Abschreibung einer Forderung vonnöten machten, und in welchem Umfang diese gegebenenfalls vorzunehmen war, erfordert demgemäß eine umfassende Würdigung der Einzelfallumstände, die zumeist besonderen kaufmännischen und bilanztechnischen Sachverstand voraussetzt. Deshalb ist im Zivilprozess in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der richtigen bilanziellen Bewertung einer (möglicherweise) risikobehafteten Forderung geboten, es sei denn, das Gericht verfügt ausnahmsweise selbst über die notwendige besondere Sachkunde und weist die Parteien zuvor hierauf hin (Senat aaO Rn. 25 mwN).

Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass die (Einzel-)Bewertung der hier in Rede stehenden [X.] zu den maßgeblichen Stichtagen keine besondere Sachkunde erforderte. Das Berufungsgericht hat aber weder ein Gutachten über die Werthaltigkeit der [X.] gegen die Erwerberkommanditgesellschaften eingeholt, noch hinreichend dargetan, über die erforderliche Sachkunde zu verfügen; der im Zusammenhang mit der Prüfung eines Anspruchs der Klägerin gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB gegebene Hinweis des [X.], aufgrund seiner Spezialzuständigkeit für [X.] und der jahrelangen Befassung mit einschlägigen Fällen zu wissen, dass die Auswirkungen der Finanzkrise, in welche hier die Platzierungsbemühungen gefallen waren, auf Immobilienfonds auch in Fachkreisen unterschätzt worden waren, genügt insoweit nicht. Denn jedenfalls hat die Vorinstanz nicht die erforderlichen Feststellungen zu den individuellen Verhältnissen der Erwerberkommanditgesellschaften (siehe oben Buchst. a) getroffen und überdies nicht dargetan, über die notwendige Sachkunde zu verfügen. Dementsprechend rügt es die Klägerin mit Recht als verfahrensfehlerhaft, dass die Vorinstanz ihrem Vortrag, die Forderungen gegen die - mittellosen - Fonds seien erkennbar nicht werthaltig gewesen (Schriftsatz vom 5. Juni 2015, Seite 4 [[X.] 265]), die [X.] habe die Immobilien an die geschlossenen Fonds zu "[X.]" verkauft (Schriftsatz vom 5. August 2016, Seite 15 [[X.] 325]), nicht nachgegangen ist und das von ihr (jeweils aaO) dazu beantragte Sachverständigengutachten nicht eingeholt hat. Sollte sich der Vortrag der Klägerin als richtig erweisen, ist der Auffassung des Berufungsgerichts, die Risikohinweise in den [X.] seien ausreichend gewesen, die Grundlage entzogen.

c) Da hiernach bislang prozessordnungsgemäß getroffene Feststellungen dazu fehlen, wie die Forderungen zu bewerten waren, kann derzeit nicht beurteilt werden, ob den Beklagten ein [X.] bei der Darstellung der Lage der [X.] und der mit den Kaufverträgen vom 28. Oktober 2008 verbundenen Risiken zur Last fällt und ob der für eine Haftung nach § 826 BGB außerdem erforderliche Vorsatz bei ihnen vorhanden war oder nicht.

3. Ein Anspruch der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nach derzeitigem Sach- und Streitstand ebenfalls nicht verneint werden. Bezüglich des vom Berufungsgericht bereits als nicht erfüllt angesehenen objektiven Tatbestandes des § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB fehlt es aus den vorstehenden Gründen gleichfalls an den erforderlichen Feststellungen zur Frage der Werthaltigkeit der [X.] gegen die Erwerberkommanditgesellschaften.

4. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aufgrund seiner zur Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB angestellten, jedoch potentiell auch für einen Anspruch gemäß § 826 BGB erheblichen ([X.] (§ 561 ZPO), der erforderliche Vorsatz der Beklagten sei nicht feststellbar, weil die Wirtschaftsprüfer die Jahresabschlüsse 2008 und 2009 ohne Vornahme von Teilwertabschreibungen auf die [X.] testiert hätten.

Stehen, wie hier, Unrichtigkeiten und Rechtsverstöße in Rede, die sich auf die Darstellung des Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage einer Kapitalgesellschaft wesentlich auswirken, kann die Erteilung eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks (§ 322 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 HGB) durch einen Abschlussprüfer (§ 319 Abs. 1 Satz 1 und 2 HGB) - von Ausnahmefällen, etwa wenn dem Jahresabschluss die Unrichtigkeit "auf der Stirn geschrieben steht", abgesehen - zwar dazu führen, bei einem Vorstandsmitglied der Kapitalgesellschaft einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum anzunehmen. Das gilt aber nur für das - redliche - Vorstandsmitglied, das "alle Aufklärungen und Nachweise …, die für eine sorgfältige Prüfung notwendig sind" (§ 320 Abs. 2 Satz 1 HGB), erteilt respektive durch nachgeordnete Mitarbeiter oder von ihm beauftragte Dritte erteilen lässt (Senat, Urteil vom 5. Mai 2022 - [X.], zur Veröffentlichung in [X.]Z 233, 279 bestimmt, [X.], 1267 Rn. 30). Die für einen solchen Irrtum - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - darlegungspflichtigen (vgl. Senat aaO Rn. 31) Beklagten haben indes bislang nicht hinreichend dargetan, dass sie den Abschlussprüfern - und beratend herangezogenen Rechtsanwälten, bezüglich derer keine geringeren Anforderungen gelten - alle erforderlichen Informationen gegeben hatten, die für eine sorgfältige Prüfung der Werthaltigkeit der [X.] gegen die Erwerberkommanditgesellschaften erforderlich waren (vgl. Senat aaO). Die gegenteilige Annahme des Berufungsgerichts lässt insoweit hinreichend tragfähige Feststellungen vermissen. Da die Vorinstanz den Vortrag der Beklagten zur Information der Abschlussprüfer und beratend [X.] Rechtsanwälte - anders als der Senat - als ausreichend angesehen hat, muss den Beklagten, sollte es darauf ankommen, noch Gelegenheit gegeben werden, hierzu ergänzend vorzutragen (vgl. Senat, Urteil vom 5. Mai 2022 - [X.]/20, [X.], 1273 Rn. 40; [X.], Urteile vom 8. März 2021 - [X.], NJW 2021, 1669 Rn. 38 und vom 21. Dezember 2021 - [X.] 875/20, GmbHR 2022, 354 Rn. 18).

III.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache, abgesehen vom Begehren auf Erstattung entgangener Zinseinnahmen, nicht zur Endentscheidung reif ist, muss sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden (§ 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht wird im neuen Verfahren auch Gelegenheit haben, sollte es noch darauf ankommen, sich mit den übrigen [X.] der Revision und den Gegenrügen der Revisionserwiderung zu befassen, auf die einzugehen der Senat derzeit keine Veranlassung hat. Dies betrifft insbesondere die Rüge betreffend die von der Klägerin geltend gemachte Pflicht der Beklagten, das Publikum über den Rücktritt der [X.] von den Kaufverträgen mit den Erwerberkommanditgesellschaften am 28. Oktober 2010 zu informieren.

[X.]     

      

Reiter     

      

Kessen

      

Herr     

      

Liepin     

      

Meta

III ZR 117/20

09.02.2023

Bundesgerichtshof 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 4. Mai 2020, Az: I-9 U 27/19

§ 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 264a Abs 1 Nr 1 StGB, § 252 Abs 1 Nr 4 HGB, § 253 Abs 4 HGB, § 322 Abs 2 HGB, § 322 Abs 3 HGB, § 322 Abs 4 HGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.02.2023, Az. III ZR 117/20 (REWIS RS 2023, 1016)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1016

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