Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.12.2006, Az. IV ZR 252/05

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2006, 295

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]IM NAMEN DES [X.]OLKES URTEIL [X.]/05 [X.]erkündet am:

13. Dezember 2006

Heinekamp

Justizhauptsekretär

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]Z: nein [X.]R: ja [X.] § 6 Abs. 3; [X.] §§ 7 (I) Abs. 2 Satz 3, ([X.]) Abs. 4 Die Kenntnis der nach Eintritt des [X.]ersicherungsfalles mitzuteilenden Umstände ge-hört zum objektiven Tatbestand der [X.]erletzung der Aufklärungsobliegenheit, den der [X.]ersicherer zu beweisen hat. Steht fest, dass der [X.]ersicherungsnehmer zunächst Kenntnis von dem [X.]ersicherer mitzuteilenden Umständen hatte, wird vorsätzliches Handeln vermutet, wenn er diese dem [X.]ersicherer nicht vollständig mitteilt. Für seine Behauptung, die Kenntnis der betreffenden Umstände nachträglich durch eine tief greifende Bewusstseinsstörung verloren zu haben (hier: retrograde Amnesie), trägt der [X.]ersicherungsnehmer die Beweislast.
[X.], Urteil vom 13. Dezember 2006 - [X.]/05 - [X.]

[X.] - 2 -

[X.] hat durch den [X.], [X.], [X.], die Richterin Dr. [X.] und [X.] [X.] auf die mündliche [X.]erhand-lung vom 13. Dezember 2006 für Recht erkannt: Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des [X.]s vom 4. Oktober 2005 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen. [X.]on Rechts wegen
Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der [X.] die Zahlung von [X.] aus einer Kaskoversicherung für einen von ihm geleas-ten Pkw. Dem [X.]ersicherungsvertrag liegen Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung ([X.]) zu Grunde. 1 Das Fahrzeug kam in der Nacht zum 21. Oktober 2001 ohne Fremdeinwirkung von der Fahrbahn ab, überschlug sich und blieb stark beschädigt auf dem Dach liegen. Ein Zeuge traf kurze [X.] nach dem [X.] lediglich den Kläger im Fahrzeug an und half diesem beim Ausstei-gen. Der Kläger hatte neben multiplen Prellungen sowie Schürf- und Schnittwunden im Gesicht auch ein Schädelhirntrauma geringeren [X.] erlitten. Eine noch in der Nacht bei ihm entnommene Blutprobe er-2 - 3 -

gab eine Blutalkoholkonzentration von 1,7 Promille. Nach der von der [X.] bestrittenen Behauptung des [X.] war das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt von [X.] gefahren worden, den er kurz zuvor in einer Diskothek kennen gelernt hatte. Er selbst sei unangeschnallt auf dem Beifahrersitz mitgefahren. An das Unfallgeschehen habe er wegen der Kopfverletzung keine Erinnerung. Zur Identität des Fahrers könne er deshalb ebenfalls keine Angaben machen. Entsprechende Eintragungen nahm der Kläger in seiner Schadensmeldung vom 13. Dezember 2001 vor. Ein von der [X.] beauftragter Sachverständiger für Straßen-verkehrsunfälle stellte bei einer Untersuchung des [X.] fest, dass bei dem Unfall der pyrotechnische Gurtstrammer und die Airbags auf der Fahrerseite ausgelöst worden waren, auf der Beifahrerseite [X.] nicht. Das Fahrzeug war mit einer Sitzbelegungserkennung für den Beifahrersitz ausgestattet, bei der die Auslösung der Airbags auf der [X.] nur bei einer Sitzbelegung erfolgt. Die Beklagte verweigerte daraufhin die Regulierung des Schadens und berief sich auf Leistungs-freiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des [X.]ersicherungsfalles sowie wegen [X.]erletzung der Aufklärungsobliegenheit des § 7 (I) Abs. 2 Satz 3 [X.]. 3 Das [X.] hat die Klage auf Ersatz des [X.] abzüglich Restwert (wirtschaftlicher Totalschaden) und Selbstbeteiligung in Höhe von insgesamt 28.964,68 • abgewiesen. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision ver-folgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel weiter. 4 - 4 -

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg. 5 [X.] 1. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die [X.] der [X.] wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des [X.]ersi-cherungsfalles im Sinne von § 61 [X.] entfallen sei. Ohne Einholung ei-nes Sachverständigengutachtens zu den Unfallspuren am Fahrzeug und zu den vorhandenen Airbag- und Sitzplatzerkennungssystemen könne nicht verlässlich beurteilt werden, ob die von der [X.] zu bewei-senden [X.]oraussetzungen dieser Norm gegeben seien, ob also der Kläger entgegen seiner Behauptung das Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt - unter Alkoholeinfluss - geführt habe. 6 2. a) Jedenfalls sei die Beklagte leistungsfrei, weil der [X.] Angaben zum Unfallhergang und zum Fahrer verweigert habe und damit entgegen § 7 (I) Abs. 2 Satz 3 [X.] seiner [X.]erpflichtung zur [X.] Aufklärung aller Tatumstände nach Eintritt des [X.]ersicherungs-falles nicht nachgekommen sei. Die [X.]ermutung vorsätzlichen Handelns nach §§ 7 ([X.]) Abs. 4 [X.], 6 Abs. 3 [X.] habe er nicht widerlegen [X.], da seine Behauptung, er habe als Folge der Kopfverletzung die [X.] an das Unfallgeschehen verloren, durch das Gutachten des medizinischen Sachverständigen nicht bestätigt worden sei. 7 8 b) Der Ansicht des [X.], die Beweislast müsse davon abwei-chend verteilt werden, da er sich auf die Unkenntnis der aufklärungsbe-- 5 -

dürftigen Tatumstände berufen habe, ist das Berufungsgericht nicht ge-folgt. Die Klausel des § 7 (I) Abs. 2 Satz 3 [X.] sei so gefasst, dass die Kenntnis aufklärungspflichtiger Umstände nicht zu den objektiven Tatbe-standsvoraussetzungen zähle. [X.]ielmehr verlange die Klausel über eine Mitteilung bekannter Umstände hinaus auch, sich die Kenntnis von un-bekannten Umständen zu verschaffen, die für den [X.]ersicherer von [X.] sein können. Dieses [X.]erständnis des Inhalts der Aufklärungsob-liegenheit schließe eine generelle Beschränkung der Aufklärungspflicht auf bekannte Tatumstände von vornherein aus. Auch der [X.] vertrete in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Kenntnis aufklärungsbedürftiger Umstände bei Obliegenheiten, die nach dem [X.]ersicherungsfall zu erfüllen seien, zum subjektiven Tatbestand derjenigen Klausel gehöre, aus der die Leistungsfreiheit des [X.] folge.

I[X.] Das hält nur im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand. 9 1. Der Senat folgt dem Berufungsgericht nicht, soweit es die Kenntnis der Umstände, die der [X.]ersicherungsnehmer nach Eintritt des [X.]ersicherungsfalles mitzuteilen hat, nicht zum objektiven Tatbestand der Aufklärungsobliegenheit (§ 7 (I) Abs. 2 Satz 3 [X.]) rechnet. Für diese Kenntnis trifft - wie für den objektiven Tatbestand insgesamt - die Be-weislast den [X.]ersicherer. 10 11 a) Ob bei [X.] Kenntnis des [X.]ersicherungsnehmers von den mitzuteilenden Umständen der [X.]ersicherer diese Kenntnis als Bestand-teil des objektiven Tatbestandes der Obliegenheitsverletzung zu bewei-- 6 -

sen hat oder der [X.]ersicherungsnehmer insoweit den vermuteten [X.]orsatz widerlegen muss, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Zur Begründung der Auffassung, die Kenntnis des [X.]ersicherungsnehmers gehöre als subjektives Element zur [X.], für die generell die Be-weislastverteilung des § 7 ([X.]) [X.] i.[X.]. mit § 6 Abs. 3 [X.] gelte, wird darauf hingewiesen, dass nur so entsprechende Obliegenheitsverletzun-gen wirkungsvoll unterbunden werden könnten (OLG Oldenburg [X.]ersR 1995, 952, 953; ähnlich [X.] NJW-RR 1996, 1496, 1497; of-fen gelassen von [X.] [X.]ersR 2001, 1019 f.; im Ergebnis [X.] in [X.]/[X.], [X.] 27. Aufl. § 6 Rdn. 125). Dem wird entgegengehalten, ein [X.]ersicherungsnehmer könne nur das anzeigen, was ihm auch bekannt sei, so dass zum Nachweis eines - objektiven - [X.]erstoßes gegen die [X.] auch der Nachweis gehöre, dass der [X.]ersicherungsnehmer die Tatsachen kennt, die von der [X.] erfasst werden ([X.] NJW-RR 1990, 1310; [X.] RuS 1994, 42, 43 m. Anm. [X.]; ebenso [X.] in [X.]/[X.], [X.] 2. Aufl. § 6 Rdn. 113).
b) Auch in der Rechtsprechung des [X.] ist die Frage, wer die Beweislast für die Kenntnis der dem [X.]ersicherer mitzutei-lenden Umstände nach Eintritt des [X.]ersicherungsfalles zu tragen hat, bisher nicht eindeutig geklärt. In dem auch vom Berufungsgericht heran-gezogenen Senatsurteil vom 30. April 1969 ([X.]Z 52, 86, 89) ist die Kenntnis des [X.]ersicherungsnehmers vom [X.]ersicherungsfall als subjekti-ves Element der [X.] zugeordnet worden (ebenso Senatsurteil vom 21. April 1993 - I[X.] ZR 34/92 - [X.]ersR 1993, 828 unter 2 c, insoweit in [X.]Z 122, 250 nicht abgedruckt). Einer anderen Entscheidung ([X.], Urteil vom 21. April 1966 - II ZR 239/63 - [X.]ersR 1966, 577 unter I[X.] 2) 12 - 7 -

lässt sich eine Zuordnung der Kenntnis mitteilungspflichtiger Umstände zu den objektiven [X.]oraussetzungen einer Obliegenheitsverletzung ent-nehmen mit der Folge, dass die Kenntnis dieser Umstände der [X.]ersiche-rer darzulegen und im Streitfall zu beweisen hat. c) Die Kenntnis der nach Eintritt des [X.]ersicherungsfalles mitzutei-lenden Umstände gehört zum objektiven Tatbestand der [X.]erletzung der Aufklärungsobliegenheit, den der [X.]ersicherer zu beweisen hat. 13 § 7 (I) Abs. 2 Satz 3 [X.] verpflichtet den [X.]ersicherungsnehmer, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. Geht es - wie hier - um den Eintritt des [X.]ersicherungsfalles, obliegt es dem [X.]ersicherungsnehmer demgemäß, seinem [X.]ersicherer alle Umstände mitzuteilen, die mit dem Ereignis in Zusammenhang stehen, das den Schaden verursacht hat, um ihm so ei-ne sachgemäße Prüfung der [X.]oraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen. Dazu gehören selbst solche mit dem Schadensereignis in Zusammenhang stehende Tatsachen, aus denen sich die Leistungsfrei-heit des [X.]ersicherers ergeben kann (Senatsurteil vom 1. Dezember 1999 - I[X.] ZR 71/99 - [X.]ersR 2000, 222 unter II 2 m.w.N.). Das setzt aber stets voraus, dass der [X.]ersicherungsnehmer Kenntnis von den Umständen oder Tatsachen hat, die er seinem [X.]ersicherer in Erfüllung der Obliegen-heit mitzuteilen hat. Fehlt ihm diese Kenntnis, läuft die [X.] ins Leere. Schon objektiv kann er sie nicht verletzen, denn es gibt nichts, worüber er nach seinem Kenntnisstand seinen [X.]ersicherer aufklären könnte. Auf eine etwaige Erkundigungspflicht des [X.]ersiche-rungsnehmers, die allerdings die Kenntnis von Anhaltspunkten für Um-stände voraussetzt, die dem [X.]ersicherer nach § 7 (I) Abs. 2 Satz 3 [X.] 14 - 8 -

mitzuteilen sind, kommt es hier nicht an (vgl. dazu Senatsurteil vom 21. April 1993 aaO).
[X.] man dagegen die Kenntnis von dem [X.]ersicherer mitzutei-lenden Umständen als ein subjektives Element der [X.] zu, müss-te sich der [X.]ersicherungsnehmer vom [X.]orwurf der objektiven [X.]erletzung einer Obliegenheit entlasten, obgleich nicht feststeht, dass er überhaupt in der Lage war, sie zu erfüllen. Eine solche Einordnung ist auch [X.] des § 6 Abs. 3 [X.] nicht zu entnehmen, auf den § 7 ([X.]) Abs. 4 [X.] verweist. Diese gesetzliche Beweisregel, wonach sich der [X.]ersicherungsnehmer vom vermuteten [X.]orsatz entlasten muss, macht vielmehr erst und gerade vor dem Hintergrund Sinn, dass die Kenntnis des [X.]ersicherungsnehmers von einem dem [X.]ersicherer mitzu-teilenden Umstand bereits feststeht, dieser die Mitteilung aber dennoch unterlässt. 15 2. Dass der Kläger zunächst Kenntnis vom Unfallgeschehen hatte, stellt das Berufungsgericht in tatrichterlicher und von der Revision nicht angegriffener Würdigung unter Berücksichtigung des Klägervortrags fest. Danach hat der Kläger die [X.]orgänge bis zum Unfall persönlich als [X.] bei ungetrübtem Bewusstsein miterlebt. Damit liegen die objekti-ven [X.]oraussetzungen einer [X.]erletzung von § 7 (I) Abs. 2 Satz 3 [X.] vor. 16 3. Die Beklagte wäre deshalb nur dann leistungsfrei, wenn der Klä-ger die [X.]orsatzvermutung des § 6 Abs. 3 [X.] widerlegt hätte. Das [X.] hat zu Recht angenommen, dass dem Kläger dies nicht ge-lungen ist. 17 - 9 -

a) Der Kläger hat behauptet, die Kenntnis der anzuzeigenden Um-stände durch eine retrograde Amnesie als Folge des Unfalls nachträglich wieder verloren zu haben. Diese Behauptung ist zwar, wie das [X.] zutreffend ausführt, grundsätzlich geeignet, den [X.]orwurf vorsätzlichen Handelns in Frage zu stellen (vgl. [X.], Urteil vom 27. Ja-nuar 1966 - II ZR 5/64 - [X.]ersR 1966, 458 unter [X.]). Da der Kläger als Ur-sache für den nachträglichen Erinnerungsverlust eine tief greifende Be-wusstseinsstörung im Sinne von § 827 BGB geltend macht, trifft ihn die volle Beweislast insoweit nicht nur nach § 6 Abs. 3 [X.], sondern auch nach dem Rechtsgedanken des § 827 Satz 1 BGB, wonach derjenige die [X.]oraussetzungen dieser [X.]orschrift darzulegen und zu beweisen hat, der sich auf sie beruft ([X.]Z 39, 103, 108). 18 - 10 -

b) Der im [X.] gehörte Sachverständige konnte weder bestätigen noch ausschließen, dass es entsprechend der Behaup-tung des [X.] bei ihm durch das erlittene Schädelhirntrauma zu einer Beeinträchtigung der Bewusstseinslage bzw. des Gedächtnisses ge-kommen war. Die danach verbleibenden Zweifel gehen zu seinen Lasten. 19 [X.][X.] [X.] Dr. [X.] Dr. [X.] [X.]orinstanzen: [X.], Entscheidung vom [X.] - 17 O 167/02 - [X.], Entscheidung vom [X.] - 6 U 233/03 -

Meta

IV ZR 252/05

13.12.2006

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.12.2006, Az. IV ZR 252/05 (REWIS RS 2006, 295)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 295

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.