Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.12.2020, Az. 1 StR 310/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2225

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Gegenstand

Betrugstatbestand: Anmeldung zu niedriger Bruttolöhne und Zahlung entsprechend zu niedriger Beiträge an die SOKA-Bau; Bedeutung der elektronischen Abgabe der Meldungen für Täuschung und irrtumsbedingte Vermögensverfügung


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 19. März 2020 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 62 Fällen, Betruges in 35 Fällen und Steuerhinterziehung in 37 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

Ergänzend bemerkt der Senat:

3

Die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges (§ 263 StGB) in 35 Fällen im Hinblick auf die Meldung zu niedriger Bruttolohnsummen und Abführung zu niedriger Beiträge für die Monate September 2016 bis Juli 2019 an die [X.] im Rahmen des [X.] im Baugewerbe (Fälle 63 bis 97 der Urteilsgründe) ist rechtsfehlerfrei.

4

Der Angeklagte war gemäß den §§ 6, 18 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ([X.]) verpflichtet, der [X.] für jeden Kalendermonat bis zum 15. des folgenden Monats den beitragspflichtigen Bruttolohn zu melden und die fälligen Beiträge für die von ihm geleitete [X.] bis zum 20. des dem Abrechnungszeitraum folgenden Monats abzuführen. Dieser Pflicht kam er nicht ordnungsgemäß nach, indem er für die Monate September 2016 bis Juli 2019 zu niedrige Bruttolöhne anmeldete und entsprechend zu niedrige Beiträge an die [X.] zahlte. Für die [X.] galt diese Bestimmung unabhängig davon, ob es sich bei ihr um ein unmittelbar [X.] Unternehmen handelte oder ob sie dem Tarifvertrag aufgrund der Allgemeinverbindlicherklärung des [X.] unterlag. Die Allgemeinverbindlicherklärungen für die verfahrensgegenständlichen Kalenderjahre waren - im Gegensatz zu vorangegangenen Zeiträumen (vgl. [X.], Beschluss vom 21. September 2016 - 10 ABR 48/15 Rn. 153 ff.; [X.], Beschluss vom 8. Juni 2017 - 1 [X.] Rn. 7) - auch wirksam (vgl. [X.], Beschlüsse vom 21. März 2018 - 10 ABR 62/16 und vom 20. November 2018 - 10 ABR 12/18 Rn. 14 ff.).

5

Der Umstand, dass die Meldungen an die [X.] gemäß § 4 [X.] elektronisch abzugeben waren, steht der Annahme einer Täuschung und irrtumsbedingten Vermögensverfügung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB bei den zuständigen Mitarbeitern der [X.] nicht entgegen. Nach den Urteilsfeststellungen unterließen sie in Unkenntnis der tatsächlichen monatlichen Bruttolohnsummen die Einforderung der ausstehenden Beiträge ([X.], 27). Entgegen der Auffassung der Revision ist nicht von Bedeutung, ob in die Geltendmachung von gemeldeten Beiträgen Mitarbeiter der [X.] eingebunden waren oder ob dies rein elektronisch erfolgte. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Mitarbeiter der [X.] in den Fällen, in denen monatliche Meldungen erfolgten, allgemein von einer Geltendmachung der geschuldeten Beiträge absahen und dabei das generelle sachgedankliche Mitbewusstsein hatten, dass es in diesen Fällen auch im Hinblick auf die Beitragshöhe eines Einschreitens nicht bedurfte. Einer detaillierten Darstellung der konkreten Aufgabengebiete der Mitarbeiter der [X.] bedurfte es dabei in den Urteilsgründen nicht.

6

Durch die irrtumsbedingte [X.] der nicht gemeldeten [X.] ist auch ein Schaden im Vermögen der [X.] entstanden. Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des [X.] bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des [X.] seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 2. Februar 2016 - 1 StR 437/15 Rn. 33). Der [X.] ist damit durch die [X.] unterlassene Geltendmachung der ausgehend vom [X.] geschuldeten und nicht abgeführten [X.] unabhängig davon ein Vermögensschaden entstanden, ob und ggf. in welcher Höhe die [X.] zu einem späteren Zeitpunkt [X.] hätte geltend machen können. Die sich aus dem Tarifvertrag ergebenden Ansprüche auf Beitragszahlung sind Bestandteile des Vermögens der [X.]. Dies wird durch den Umstand, dass die [X.] die von den Arbeitgebern zu zahlenden Beträge ansammelt und hiermit im Rahmen ihrer Zwecksetzung wirtschaftet (vgl. zum Zweck des [X.]: [X.], Urteil vom 25. Oktober 1984 - 6 [X.] Rn. 19 f.), nicht in Frage gestellt, zumal das Urlaubskassenverfahren die Bezahlung gleichmäßig auf alle Arbeitgeber der Branche verteilen soll ([X.] aaO Rn. 19 mwN).

Raum     

        

Jäger     

        

[X.]

        

Bär     

        

Pernice     

   

Meta

1 StR 310/20

23.12.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 23. Dezember 2020, Az: 1 StR 310/20, Beschluss

§ 263 Abs 1 StGB, § 1 VTV-Bau, §§ 1ff VTV-Bau

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.12.2020, Az. 1 StR 310/20 (REWIS RS 2020, 2225)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2225


Verfahrensgang

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Az. 1 StR 310/20

Bundesgerichtshof, 1 StR 310/20, 23.12.2020.

Bundesgerichtshof, 1 StR 310/20, 23.12.2020.


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