Bundessozialgericht, Urteil vom 09.06.2011, Az. B 8 AY 1/10 R

8. Senat | REWIS RS 2011, 5897

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Gegenstand

(Asylbewerberleistung - Zugunstenverfahren - Nachzahlung von Analogleistungen gem § 2 AsylbLG für die Vergangenheit - fortbestehender Bedarf - Einmalleistungen und ersparte Aufwendungen bei Leistungen bei Krankheit - keine Anwendung des § 330 SGB 3 - fehlende einheitliche Verwaltungspraxis der Leistungsträger des AsylbLG - keine Anwendung des § 116a SGB 12 aus Vertrauensschutzgründen)


Leitsatz

1. Sind im Rahmen einer Überprüfung bestandskräftiger Bescheide nach dem AsylbLG nachträglich statt niedrigerer Grundleistungen höhere Analogleistungen in entsprechender Anwendung des SGB 12 für die Vergangenheit zu erbringen, muss die zurücknehmende Behörde bei deren Höhe ohne weiteren Nachweis von einem fortbestehenden Bedarf ausgehen, soweit die pauschalierte Regelleistung betroffen ist.

2. Zur Berücksichtigung von Einmalleistungen und ersparten Aufwendungen bei Leistungen bei Krankheit nach dem AsylbLG im Rahmen eines Zugunstenverfahrens.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 17. Mai 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] sind höhere Leistungen nach dem [X.] ([X.]) im Rahmen eines [X.], vorrangig statt der erbrachten Grundleistungen nach § 3 [X.] nachträglich zu erbringende höhere sog [X.] nach § 2 [X.] iVm dem [X.] - ([X.]) für die [X.] von März bis Juni 2007.

2

Der Kläger ist 1992 im [X.] geboren. Er reiste am 17.2.2004 in die [X.] ein und bezog seitdem (nach den Feststellungen des [X.] ) neben mehreren Einzelbeihilfen ununterbrochen Grundleistungen nach § 3 [X.], im streitbefangenen [X.]raum monatlich 199,40 [X.]. Im Februar 2009 beantragte er rückwirkend ab 1.1.2005 höhere Leistungen nach § 2 [X.] (sog [X.]). Die Beklagte bewilligte dem Kläger für den [X.]raum vom 17.2.2007 bis 31.8.2009 weitere Leistungen unter Anwendung des § 2 [X.] in Höhe von insgesamt 748,45 [X.] (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom [X.]); insoweit könnten höhere als früher bewilligte Leistungen erst ab 17.2.2007 erbracht werden, weil er erst ab diesem [X.]raum die 36-Monatsfrist des § 2 [X.] für den Bezug von [X.] erfülle. Bei der Höhe der Leistungen sei zudem der [X.] zu beachten; nicht mehr bestehende Bedarfe seien nicht zu decken. In diesem Zusammenhang prüfte die Beklagte für jede Abteilung der Regelsatzverordnung des [X.], welcher Bedarfsanteil einem aktuellen Bedarf zuzuordnen ist, der nicht mehr gedeckt werden könne, und welche Bedarfsanteile auf Ansparbeträge und einmalige Bedarfe entfallen, die einen Nachholbedarf rechtfertigten.

3

Das Sozialgericht ([X.]) [X.] hat "den Bescheid der Beklagten vom [X.] und den Widerspruchsbescheid vom [X.] abgeändert" und die Beklagte verurteilt, "die dem Kläger bewilligte Nachzahlung entsprechend dem für ihn geltenden Regelsatzbetrag ungekürzt zu zahlen abzüglich der bereits erhaltenen Leistungen nach [X.]" (Urteil vom 18.1.2010). Nach Beschränkung des streitigen [X.]raums durch Teilvergleich vom [X.] auf die Monate März bis Juni 2007 hat das [X.] ([X.]) die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] zurückgewiesen (Urteil vom [X.]) und zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass bei pauschal gedeckten Bedarfen im Falle rechtswidrig zu niedrig gewährter Leistungen regelmäßig ohne nähere Prüfung von noch fortdauernden ungedeckten Bedarfen auszugehen sei.

4

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 44 [X.] - ([X.]B X). Nachzahlungen aufgrund dieser Vorschrift könnten nur insoweit erbracht werden, als noch aktuell ein tatsächlicher Bedarf bestehe. Einen solchen Bedarf bis zur Höhe der begehrten vollen Differenz zum Regelsatz des [X.] habe der Kläger nicht dargelegt. Die Rechtsauffassung des L[X.] hätte zur Folge, dass der Differenzbetrag zwischen den Grundleistungen und den [X.] in voller Höhe als [X.] zuerkannt würde, was auf eine nach dem Gesetzeszweck gerade nicht beabsichtigte Entschädigung hinauslaufe; zudem sei der Differenzbetrag höher als der im Rahmen der Pauschalierung kalkulierte [X.]. Im Ergebnis führe die Entscheidung des L[X.] zu einer Ungleichbehandlung der Leistungsberechtigten, die eine Nachzahlung für die Vergangenheit erhielten gegenüber denen, die durchgängig Leistungen nach § 2 [X.] bezogen hätten, weil letztere ihre Regelleistung für ihren laufenden und einmaligen Bedarf aufgebraucht hätten und Leistungsberechtigte nach §§ 3 ff [X.] aufgrund der vom [X.] abweichenden Systematik Leistungen erhielten, die Leistungsberechtigten nach § 2 [X.] unter Verweis auf die Regelsatzleistungen verweigert werden müssten. Im Übrigen biete sich eine entsprechende Anwendung des § 330 Abs 1 2. Alt Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - ([X.]B III) mit dessen Leistungsbeschränkungen an. Schließlich sei der ab 1.4.2011 geltende § 116a [X.] zu beachten, der rückwirkende Leistungen nur für den [X.]raum von einem Jahr vorsehe; dies müsse auch für Leistungen nach dem [X.] gelten.

5

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des L[X.] aufzuheben, das Urteil des [X.] abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die [X.] vom März bis Juni 2007 betroffen ist.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidung des L[X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der [X.]n ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>). Ob der Kläger für den streitbefangenen [X.]raum Anspruch auf höhere Leistungen im Rahmen eines Verfahrens nach § 44 [X.] hat, kann der [X.] mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen durch das [X.] nicht entscheiden. Abgesehen davon, dass das [X.] die (Leistungs-)Bescheide, deren Bestandskraft nach § 44 [X.] durchbrochen werden soll, überhaupt nicht aufgeführt hat, trifft es insbesondere keine Feststellungen, die eine Entscheidung darüber ermöglichen, ob bei deren Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] (§ 95 [X.]G), soweit die [X.] im Rahmen eines [X.] nach § 44 [X.] rückwirkend (noch) höhere Leistungen abgelehnt hat. Richtige Klageart ist damit die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ([X.]-4200 § 122 [X.] Rd[X.] 9; [X.] in [X.] Kommentar, § 44 [X.] Rd[X.]9 mwN; Eicher in [X.], [X.], § 330 Rd[X.]2a, Stand August 2007). Mit welchen bestandskräftigen, von der [X.]n aufzuhebenden Bescheiden - deren Abänderung der Kläger mit der Verpflichtungsklage verfolgt - Leistungen für den hier noch streitbefangenen [X.]raum bewilligt wurden, lässt sich den Feststellungen des [X.] allerdings nicht entnehmen. Diese wird das [X.] nachzuholen haben und den insoweit falschen Tenor des [X.] (fehlende Verurteilung der [X.]n zur Abänderung der bestandskräftigen Bescheide) ggf entsprechend korrigieren müssen. Einer Korrektur bedarf der Tenor der Entscheidung des [X.] auch ggf deshalb, weil es sich in der Sache um einen Höhenstreit handelt und die [X.] bei einer erfolgreichen Klage zur Zahlung "höherer Leistungen" zu verurteilen ist (§ 130 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Der Tenor des [X.] enthält diesen Passus nicht.

Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 [X.], der nach § 9 Abs 3 [X.] im Asylbewerberleistungsrecht Anwendung findet ([X.]-3520 § 9 [X.]), ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb ua Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Über die Rücknahme entscheidet (nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts) die zuständige Behörde (§ 44 Abs 3 [X.]); es gelten dabei die allgemeinen Regelungen (vgl nur Schütze in von [X.], [X.], 7. Aufl 2010, § 44 Rd[X.] 37). Sachlich zuständig für die Durchführung des [X.] und damit auch für die Entscheidung nach § 44 Abs 1 [X.] sind nach § 10 [X.] iVm § 1 Abs 1 Satz 1 des [X.] zur Ausführung des [X.] (vom 29.11.1994 - Gesetz- und Verordnungsblatt für das [X.] 1087 -, zuletzt geändert durch Art 20 des Gesetzes vom 8.12.2009 - GVBl 765) die Gemeinden. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach § 10a [X.]. Zuständig ist danach die Gemeinde, in deren Bereich der Leistungsberechtigte aufgrund der Entscheidung der vom [X.] bestimmten zentralen Verteilungsstelle verteilt oder von der im Land zuständigen Behörde zugewiesen worden ist (§ 10a Abs 1 Satz 1). Im Übrigen, also wenn weder eine Verteilung noch eine Zuweisung erfolgt ist (vgl dazu [X.] in juris PraxisKommentar [X.]II , § 10a [X.] Rd[X.]1 f), ist die Behörde zuständig, in deren Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Ob die [X.] danach zuständig ist, kann mangels Feststellungen des [X.] zu den Voraussetzungen des § 10a Abs 1 [X.] nicht beurteilt werden. Auch diese wird das [X.] ggf nachzuholen haben.

Ob die bestandskräftigen [X.] nach § 3 [X.] rechtswidrig waren und deshalb einer rückwirkenden Korrektur unterliegen, vermag der [X.] mangels ausreichender Feststellungen des [X.] ebenfalls nicht zu entscheiden. Den Feststellungen des [X.] lässt sich schon nicht entnehmen, ob der Kläger überhaupt einen Anspruch auf Leistungen nach dem [X.] hatte, also zu den Leistungsberechtigten iS des § 1 [X.] gehörte und - unterstellt, er unterfällt dem Personenkreis des § 1 [X.] - ob ab 17.2.2007 in seiner Person die Voraussetzungen für Leistungen nach § 2 [X.] erfüllt sind.

Nach § 2 Abs 1 [X.] (in der Fassung, die die Norm durch das [X.] vom 30.7.2004 - BGBl I 1950 - erhalten hat) ist das [X.]II abweichend von den §§ 3 bis 7 [X.] auf diejenigen Leistungsberechtigten anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 [X.] erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben (dazu eingehend B[X.]E 101, 49 ff = [X.] 4-3520 § 2 [X.]). Den nach § 163 [X.]G bindenden (aber möglicherweise falschen) Feststellungen des [X.] lässt sich lediglich entnehmen, dass der Kläger ab 17.2.2004 durchgehend Leistungen nach § 3 [X.] bezogen haben soll, sodass ab 17.2.2007 die sog [X.] von 36 Monaten mit Leistungen nach § 3 [X.] iS von § 2 Abs 1 [X.] erfüllt gewesen wäre; Feststellungen des [X.] zu einer möglichen rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer fehlen hingegen. Zwar gibt das [X.] an, dass der Kläger "mangels rechtsmissbräuchlicher Selbstbeeinflussung der Dauer seines Aufenthalts in [X.]" sämtliche Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 [X.] in der bis zum 27.8.2007 geltenden Fassung erfülle; die Wiederholung des Gesetzeswortlauts ersetzt aber nicht die hierfür erforderlichen Feststellungen. Nach Aktenlage war der Kläger in der [X.] vom 1.6.2005 bis 15.12.2005 untergetaucht und erhielt (erst) ab dem 15.12.2006 wieder Leistungen nach dem [X.]. Ob er unter diesen Voraussetzungen tatsächlich die [X.] erfüllt hat (vgl B[X.]E 101, 49 ff Rd[X.]8 = [X.] 4-3520 § 2 [X.]) oder ob ein Anspruch auf [X.] unabhängig von der [X.] wegen rechtsmissbräuchlicher Beeinflussung der Aufenthaltsdauer sogar ganz ausscheidet (dazu B[X.], aaO, Rd[X.] 32 ff), wird das [X.] zu prüfen haben. Da der Kläger im streitbefangenen [X.]raum minderjährig war, stellt sich zudem die Frage, ob die Voraussetzungen des § 2 Abs 3 [X.] vorliegen (vgl dazu B[X.]E 101, 49 ff Rd[X.]5 f = [X.] 4-3520 § 2 [X.]). Sollte das [X.] nach der Zurückverweisung zu dem Ergebnis gelangen, dass ein Anspruch auf [X.] nicht bestand, wird es weiter zu prüfen haben, ob der Kläger (unter Anwendung unten aufgeführter Grundsätze) einen Anspruch auf höhere, nachträglich zu erbringende Grundleistungen hat.

Zu Recht ist das [X.] allerdings davon ausgegangen, dass - unterstellt, der Kläger hatte im streitbefangenen [X.]raum einen Anspruch auf [X.] - ihm nach § 44 Abs 4 [X.] grundsätzlich die Differenz zwischen den erbrachten Grundleistungen und dem Regelsatz nachzuzahlen ist. Die Voraussetzungen des § 44 Abs 4 [X.] sind jedenfalls erfüllt; danach werden Sozialleistungen längstens für einen [X.]raum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme bzw der Antragstellung erbracht.

Der [X.] hat in seiner Entscheidung vom [X.] (B[X.]E 104, 213 ff = [X.] 4-1300 § 44 [X.]0) unter Fortführung seiner Rechtsprechung vom 16.10.2007 (B[X.]E 99, 137 ff = [X.] 4-1300 § 44 [X.]1) und vom 26.8.2008 ([X.] 4-1300 § 44 [X.]5) zwar die Möglichkeit einer rückwirkenden Korrektur bestandskräftiger rechtswidriger Leistungsablehnungen für das Recht der Sozialhilfe und das Asylbewerberleistungsrecht (dazu bereits [X.]-3520 § 9 [X.]; vgl hierzu auch ausführlich [X.], [X.]/[X.]B 2011, 260 ff) bejaht, für einen Anspruch auf rückwirkende Erbringung von Sozialhilfeleistungen es aber nicht genügen lassen, dass bei Erlass der bestandskräftigen Verwaltungsakte Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten worden sind. Vielmehr hat er unter Berücksichtigung des Wortlauts des § 44 Abs 4 [X.] ("nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches") ausgeführt, den Besonderheiten des jeweiligen Leistungsrechts sei Rechnung zu tragen und im Bereich der Sozialhilfe müsse insbesondere berücksichtigt werden, dass die Sozialhilfe nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage diene. Sozialhilfeleistungen seien deshalb für einen zurückliegenden [X.]raum nur dann zu erbringen, wenn die Leistung ihren Zweck noch erfüllen könne. Seien Leistungen rechtswidrig abgelehnt worden und habe der Hilfebedürftige den (nicht entfallenen) Bedarf in der Folgezeit im Wege der Selbsthilfe (etwa unter Rückgriff auf Schonvermögen oder durch Aufnahme von Schulden) oder Hilfe Dritter gedeckt, die die fehlende Unterstützung durch den Sozialhilfeträger substituiert habe, könne, soweit Hilfebedürftigkeit noch aktuell bestehe (s dazu unten), die Leistung ihren Zweck noch erfüllen, weil an die Stelle des ursprünglichen Bedarfs eine vergleichbare Belastung als Surrogat getreten sei (B[X.]E 104, 213 ff Rd[X.]9 = [X.] 4-1300 § 44 [X.]0).

Nichts anderes kann für Leistungen nach dem [X.] gelten, weil sie wie die Sozialhilfe der Existenzsicherung dienen und deshalb für ihre nachträgliche Erbringung dieselben Grundsätze gelten. Soweit es [X.] betrifft, kommt hinzu, dass § 2 [X.] sogar eine entsprechende Anwendung des [X.]II vorsieht, wobei dahinstehen kann, ob bzw inwieweit darin eine Rechtsfolgenverweisung oder eine Rechtsgrundverweisung zu sehen ist (vgl dazu B[X.]E 101, 49 ff Rd[X.]4 = [X.] 4-3520 § 2 [X.]) oder ob überhaupt eine solche Systematisierung möglich und erforderlich ist.

Für pauschalierte Leistungen, die - wie hier der Regelsatz des [X.]II, der nach § 23 [X.]II auch Ausländern zu zahlen ist - typisierend von einem Bedarf ausgehen und nicht nur die Höhe des nachzuweisenden Bedarfs typisierend pauschalieren, hat der [X.] ausdrücklich ausgeführt, dass auf den Nachweis anderweitiger Bedarfsdeckung verzichtet werden müsse, weil die Pauschale nicht an der von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung angenommenen "Existenzschwäche" des Sozialhilfeanspruchs teilnehme (B[X.]E 104, 213 ff Rd[X.]0 = [X.] 4-1300 § 44 [X.]0). Dies bedeutet: Auch der nach dem [X.] Leistungsberechtigte muss nicht nachweisen, dass er konkrete Bedarfsanteile der jeweiligen Abteilung der Regelsatzverordnung tatsächlich hatte und durch Selbsthilfe oder Hilfe Dritter gedeckt hat; es ist vielmehr von einem fortbestehenden Bedarf auszugehen. Dies rechtfertigt es, die Differenz zwischen der nach dem [X.] und der nach dem [X.]II pauschalierten Leistung in voller Höhe nachzuzahlen und nicht auf eine konkrete Bedarfsdeckung im Einzelfall abzustellen und im Übrigen nur einen Spitzbetrag für im Regelsatz enthaltene Ansparbeträge nachzuzahlen. Eine andere Auffassung liefe, wovon das [X.] zu Recht ausgeht, der gesetzlichen Pauschalierung zuwider. Da die Bedarfslagen gesetzlich normativ über Regelsätze bestimmt werden, ist auch der Rechtsprechung des Sächsischen [X.] nicht zu folgen, wonach bei der nachträglichen Leistungsgewährung zu berücksichtigen sein soll, dass der Aufenthalt im [X.], den diese Leistungen ermöglichen sollen, jederzeit enden kann und deshalb keine Ansparbeträge nachträglich zu gewähren sein sollen (Urteil vom 14.1.2011 - L 7 AY 8/09). Diese Rechtsprechung verkennt zudem, dass [X.] gerade wegen einer gewissen Verfestigung des Aufenthalts erbracht werden.

Die von der [X.]n behauptete Ungleichbehandlung gegenüber den [X.], die die Leistung regelgerecht erhalten haben, liegt nicht vor. Derjenige, dem höhere Leistungen vorenthalten wurden und der einen Antrag nach § 44 [X.] stellt, soll in der Gesamtschau keine höheren Leistungen als derjenige erhalten, der nach Ablauf der [X.] [X.] sofort, also nicht nach Korrektur bestandskräftiger Bescheide, bezogen hat. Die in Anwendung des § 44 [X.] damit verbundenen Schwierigkeiten sind Ausfluss der Zugunstenregelung und in Kauf zu nehmen; [X.] rechtfertigen es - entgegen der Auffassung der [X.]n - jedenfalls nicht, von der Anwendung des § 44 [X.] gänzlich abzusehen. Kann etwa ein konkreter Betrag für erbrachte Einmal- oder Sachleistungen nicht (mehr) ermittelt werden, ist der geldwerte Betrag für die erbrachte Leistung deshalb ggf entsprechend § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) zu schätzen.

Der [X.] hat bereits in seiner Entscheidung vom [X.] ([X.] 4-3520 § 9 [X.]) klargestellt, dass höhere Leistungen nur dann gerechtfertigt sind, wenn die nach §§ 3 ff [X.] gewährten Leistungen in der Summe niedriger sind als die Leistungen, die ihm in entsprechender Anwendung des [X.]II zugestanden hätten. Etwaige [X.], die nach §§ 3 ff [X.] erbracht wurden, nach dem [X.]II jedoch von der Regelsatzleistung erfasst werden, bleiben deshalb nicht unberücksichtigt, sondern sind naturgemäß bei dem Gesamtvergleich in Ansatz zu bringen. Dabei auftretende Schwierigkeiten wegen der unterschiedlichen Systematik der beiden Leistungssysteme sind hinzunehmen und im Einzelfall durch eine realitätsnahe und praktikable Lösung zu bewältigen. Dementsprechend hat das [X.] zu Recht unter Ziff 3 Satz 2 des [X.] die in dem gesamten ursprünglich streitigen [X.]raum geleisteten Beihilfen für einmalige Bedarfe aufgeführt und bestimmt, dass diese in Abzug zu bringen sind. Werden also nur für Teilzeiträume höhere Leistungen geltend gemacht, ist mit Rücksicht auf den Zukunfts- und Vergangenheitsbezugs des Regelsatzes bei der Hilfe zum Lebensunterhalt aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung der Geldwert der im Gesamtzeitraum (mit rechtswidrig zu geringer Leistung, begrenzt auf den [X.]raum des § 44 Abs 4 [X.]) erbrachten einmaligen Leistungen durch die Anzahl seiner Monate zu dividieren und der auf den Monat entfallende Teil für jeden Monat, für den eine Nachzahlung geltend gemacht wird, von der Differenz der nach § 3 [X.] erbrachten Leistung und der nach § 2 [X.] iVm dem [X.]II zu erbringenden pauschalierten Regelleistung in Abzug zu bringen. Es ist also kein Gebrauchszeitraum im Einzelfall zu bestimmen.

Für die Krankenbehandlung nach § 4 Abs 1 [X.] gelten allerdings andere Kriterien. Im Falle eines Anspruchs auf [X.] nach § 2 [X.] iVm den Regelungen des [X.]II wäre dem Kläger Krankenbehandlung nach § 264 Abs [X.] - ([X.]B V) durch die zuständige Krankenkasse zu gewähren gewesen, die keine Leistung nach dem [X.]II ist ([X.] 4-3520 § 9 [X.] Rd[X.]6). Die Leistungen nach dem [X.]B V können mithin nicht per se in die Vergleichsberechnung einbezogen werden. Leistungen nach § 4 [X.] werden allerdings anders als die nach § 264 Abs 2 [X.]B V, weil dort Zuzahlungen aus dem Regelsatz zu erbringen sind (B[X.], Urteil vom 16.12.2010 - [X.] [X.] 7/09 R - Rd[X.]3), ohne finanzielle Eigenbeteiligung erbracht (vgl nur [X.] in juris PK-[X.]II, § 4 [X.] Rd[X.] 38). Deshalb sind etwaige Zuzahlungen, die der Kläger als Bezieher von [X.] zu erbringen gehabt hätte, im Wege der Gesamtschau als ersparte Aufwendungen und damit im Ergebnis als Leistungen nach dem [X.] bei der Vergleichsberechnung zu berücksichtigen.

Die nachträgliche Erbringung von Leistungen setzt allerdings voraus, dass beim Kläger Bedürftigkeit iS des [X.] oder des [X.]II bzw des [X.]B II ununterbrochen fortbesteht; ist die Bedürftigkeit nur temporär oder auf Dauer entfallen, scheidet eine Nachzahlung in der Regel aus (B[X.]E 104, 213 ff = [X.] 4-1300 § 44 [X.]0 Rd[X.]1). Wie im Sozialhilferecht allgemein ist im Hinblick auf § 44 Abs 4 [X.] also nicht nur darauf abzustellen, ob die Ablehnung einer Leistung zum [X.]punkt der Entscheidung nach früherer Sach- und Rechtslage rechtswidrig war, sondern auch darauf, ob zwischenzeitlich der ursprüngliche Bedarf, der zu Unrecht nicht durch Hilfeleistungen gedeckt wurde, oder die Bedürftigkeit entfallen sind. [X.] [X.]punkt für die zu treffende Entscheidung ist dabei die letzte Tatsacheninstanz (B[X.] aaO). Dies wird das [X.] nach der Zurückverweisung prüfen müssen. Sollten danach Leistungen ggf überhaupt nicht mehr zu erbringen sein, steht dies auch einem Anspruch auf die Rücknahme rechtswidrig zu geringer bestandskräftiger [X.] nach § 44 Abs 1 [X.] entgegen (B[X.], aaO, Rd[X.]2).

Ein Rückgriff auf § 330 Abs 1 2. Alt [X.] (Rücknahme eines unanfechtbaren Verwaltungsakts lediglich ab Bestehen einer stRspr) ist entgegen der Ansicht der [X.]n nicht zulässig. Anders als § 40 Abs 1 Satz 2 [X.] Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - ([X.]B II), der eine entsprechende Anwendung des § 330 Abs 1 [X.] vorsieht, enthält weder das [X.]II noch das [X.] eine vergleichbare Regelung. Im Gegenteil, die entsprechende Anwendung von § 44 [X.] resultiert allein aus dem [X.] in § 9 Abs 3 [X.]. Das [X.] gilt nämlich nicht als besonderer Teil des [X.]B (vgl § 68 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - [X.]B I), mit der Folge, dass ohne § 9 Abs 3 [X.] nicht einmal die verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen des [X.] (vgl § 1 Abs 1 Satz 1 [X.]) - geschweige denn die des [X.] -, sondern die [X.] der Länder auf das Verwaltungsverfahren nach dem [X.] Anwendung finden würden ([X.] in jurisPK-[X.]II, § 9 [X.] Rd[X.] 32). Im Übrigen dürfte eine Anwendung von § 330 Abs 1 [X.] ohnehin an der dafür erforderlichen "einheitlichen Praxis" scheitern. Diese setzt nämlich eine bundeseinheitliche Handhabung der Leistungsträger des [X.] voraus, an der erhebliche Zweifel bestehen, die zu Lasten des Leistungsträgers gehen würden (vgl: B[X.], Urteil vom 15.12.2010 - [X.] [X.]/09 R - Rd[X.]4 ff mwN; Eicher in Eicher/Spellbrink, [X.]B II, 2. Aufl 2008, § 40 Rd[X.] 57; kritisch zur Rspr des B[X.] im Rahmen des [X.]B II [X.], juris [X.] Sozialrecht 15/2011 [X.] 2; vgl auch B[X.], Urteil vom [X.] [X.]/10 R).

Für eine analoge Anwendung des § 330 Abs 1 2. Alt [X.] besteht ebenfalls kein Raum, nachdem der Gesetzgeber seine Anwendung nicht einmal im [X.]II vorgesehen hat. Die Vorschrift des § 330 Abs 1 [X.] trägt ausschließlich dem Umstand Rechnung, dass wegen der Fehlerträchtigkeit des [X.] im von der Norm erfassten Rechtsbereich massenhafte Wiederaufnahmen bestandskräftig abgeschlossener Verwaltungsverfahren vermieden werden sollen (vgl B[X.], aaO, mwN; B[X.] [X.] 3-4100 § 152 [X.]0 S 36; Eicher in [X.], [X.], § 330 Rd[X.], Stand August 2007 und Rd[X.]9, Stand Mai 2007). Außer im Arbeitsförderungsrecht ([X.]) und dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende ([X.]B II) sowie in dem 2007 eingefügten § 100 Abs 4 [X.] - ([X.]B VI) mit dessen § 330 Abs 1 Alt 1 [X.] (Rücknahme für die [X.] nach Entscheidung des [X.]; vgl dazu BT-Drucks 16/3794, [X.] zu Art 1 [X.] 30) vergleichbaren Regelung hat der Gesetzgeber offenbar keine Notwendigkeit einer § 330 Abs 1 [X.] entsprechenden Beschränkung gesehen. Von einer ungewollten Gesetzeslücke und einer vergleichbaren Interessenlage als Voraussetzung für eine Analogie kann damit nicht ausgegangen werden.

Ob andererseits eine analoge Anwendung des ab 1.4.2011 geltenden § 116a [X.]II für Bezieher von Leistungen nach dem [X.] möglich ist, wonach für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts § 44 Abs 4 Satz 1 [X.] mit der Maßgabe gilt, dass anstelle des [X.]raums von vier Jahren ein [X.]raum von einem Jahr tritt, bedarf keiner Entscheidung. Zwar besteht im öffentlichen Recht kein allgemeines Analogieverbot zum Nachteil von Bürgern (B[X.] [X.] 3-4100 § 59e [X.] S 6), sodass eine entsprechende Anwendung von § 116a [X.]II nicht von vorneherein ausscheidet, wenn aufgrund eines Versehens oder Übersehens eines Tatbestands das Gesetz lückenhaft ist (vgl dazu aber [X.], aaO, Rd[X.] 34.1, der eine Regelungslücke verneint), und die Lücke im Wege der Rechtsfortbildung geschlossen werden kann. Jedoch findet § 116a [X.]II aus Gründen des Vertrauensschutzes nach der Übergangsregelung des § 136 [X.]II ohnehin nicht auf Anträge Anwendung, die - wie hier - vor dem 1.4.2011 gestellt worden sind. Würde man eine analoge Anwendung bejahen, müsste auch diese Regelung analog gelten.

Der [X.] musste nicht entscheiden, ob die Vorschriften über Grundleistungen nach dem [X.] gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verstoßen (vgl dazu [X.] des [X.] NRW vom [X.] AY 13/09 - und vom [X.]). Angesichts der Zurückverweisung erübrigen sich gegenwärtig entsprechende Ausführungen; erhält der Kläger rückwirkend die von ihm begehrten [X.], stellt sich die Frage der Verfassungswidrigkeit der angesprochenen Regelung nicht.

Das [X.] wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 AY 1/10 R

09.06.2011

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: AY

vorgehend SG Gelsenkirchen, 18. Januar 2010, Az: S 12 AY 41/09, Urteil

§ 1 AsylbLG vom 14.03.2005, § 2 Abs 1 AsylbLG vom 30.07.2004, § 2 Abs 3 AsylbLG vom 30.07.2004, § 3 AsylbLG vom 31.10.2006, § 4 Abs 1 AsylbLG vom 05.08.1997, § 9 Abs 3 AsylbLG vom 27.12.2003, § 10 AsylbLG vom 05.08.1997, § 10a Abs 1 S 1 AsylbLG vom 05.08.1997, § 23 SGB 12 vom 02.12.2006, § 116a SGB 12 vom 24.03.2011, § 136 SGB 12 vom 24.03.2011, § 44 Abs 1 S 1 SGB 10, § 44 Abs 3 SGB 10, § 44 Abs 4 SGB 10, § 330 Abs 1 Alt 2 SGB 3, § 264 Abs 2 SGB 5, § 1 Abs 1 S 1 AsylbLG NW

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 09.06.2011, Az. B 8 AY 1/10 R (REWIS RS 2011, 5897)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5897

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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