Bundessozialgericht, Urteil vom 01.07.2010, Az. B 13 R 58/09 R

13. Senat | REWIS RS 2010, 5273

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - keine entsprechende Anwendung der Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs 2 SGG iS der Fiktion einer Berufungsrücknahme - Ausnahmecharakter - Wegfall des Rechtsschutzinteresses - Betreibensaufforderung - Unterschriftserfordernis)


Leitsatz

Für die Fiktion einer Berufungsrücknahme, wenn der Kläger das Verfahren nicht betreibt, gibt es im sozialgerichtlichen Verfahren keine Rechtsgrundlage.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 18. März 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Vormerkung rentenrechtlicher Zeiten. Mit der Revision wendet er sich gegen die Feststellung der Erledigung des Verfahrens durch eine fiktive Berufungsrücknahme.

2

Mit Bescheid vom 4.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.6.2004 stellte die Beklagte gemäß § 149 Abs 5 [X.]B VI die im Versicherungsverlauf des Klägers enthaltenen Daten für den Zeitraum bis zum 31.12.1996 verbindlich fest.

3

Das [X.] hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15.6.2007 mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger weder seinen Widerspruch noch die Klage begründet habe. Mangels Begründung sei nicht ersichtlich, inwieweit die Feststellung der Daten im [X.] rechtswidrig sein solle.

4

Im Berufungsverfahren hat das L[X.] den Kläger mehrmals vergeblich an die Vorlage der Berufungsbegründung erinnert. Die Geschäftsstelle des L[X.]-Senats hat mit Schreiben vom 19.8.2008, das auf einer durch den Berichterstatter unterschriebenen Verfügung vom selben Tage beruhte und mit dem Zusatz "auf richterliche Anordnung" durch eine(n) Justizangestellte(n) unterzeichnet war, den Kläger aufgefordert, (unter Hinweis auf § 153 Abs 1, § 106a [X.]G: bis zum 19.9.2008) die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühle. Des Weiteren hat sie ihn darauf hingewiesen, dass die Berufung nach § 102 Abs 2 Satz 1, § 153 Abs 1 [X.]G als zurückgenommen gelte, wenn er das Verfahren trotz Aufforderung länger als drei Monate (gerechnet ab Zugang dieser Verfügung) nicht betreibe, dh die Berufung nicht begründe. Auf das ihm am [X.] zugestellte Schreiben hat sich der Kläger nicht zur Sache geäußert.

5

Am 16.12.2008 hat das L[X.] den Beteiligten mitgeteilt, dass die Berufung als zurückgenommen gelte. Hiergegen hat sich der Kläger mit [X.] vom [X.] gewandt; er habe seine Berufung keinesfalls zurückgenommen, sondern warte auf einen Gerichtstermin. In der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2009 hat er erklärt, der Versicherungsverlauf sei fehlerhaft, da dort (im Einzelnen bezeichnete) Zeiten der Arbeitslosigkeit und eines Rentenbezugs nicht angegeben seien.

6

Mit Urteil vom selben Tage hat das L[X.] festgestellt, dass das Verfahren durch Fiktion der Berufungsrücknahme erledigt sei. Die Vorschrift des § 102 Abs 2 [X.]G gelte gemäß § 153 Abs 1 [X.]G für das Berufungsverfahren entsprechend. Aus den Vorschriften über das Berufungsverfahren ergebe sich insoweit "nichts anderes" iS von § 153 Abs 1 [X.]G. Nicht zu folgen sei der in der Literatur vertretenen Auffassung, wonach die Rücknahmefiktion nach § 102 Abs 2 [X.]G ausschließlich für das Klageverfahren gelte, weil das [X.]G keine dem § 126 Abs 2 VwGO entsprechende Fiktion der Berufungsrücknahme enthalte. Offenbar habe der Gesetzgeber übersehen, dass es an einer gesetzlichen Regelung für fehlendes Betreiben im Berufungsverfahren mangele, denn auch in den Gesetzesmaterialien finde das Problem keine Erwähnung. Es liege eine unplanmäßige Lücke vor, die mangels erkennbar entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers durch entsprechende Anwendung des § 102 Abs 2 [X.]G auf das Berufungsverfahren zu schließen sei.

7

Die Voraussetzungen für eine Fiktion der Berufungsrücknahme seien erfüllt. Der Kläger habe innerhalb der ihm gesetzten Frist keine das Verfahren fördernde Äußerung gemacht. Nur mit entsprechender Mitwirkung des Versicherten durch Angaben zu den streitigen Zeiten seien weitere Ermittlungen des [X.] ohne Beschränkung auf zugängliche Daten möglich. Entsprechendes gelte für eine sinnvolle gerichtliche Überprüfung des Vormerkungsbescheids. Trotz entsprechender Aufforderung habe der Kläger innerhalb der gesetzten Frist das Verfahren nicht durch Begründung der Berufung betrieben.

8

Mit der vom L[X.] zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 156, § 153 Abs 1 und § 102 Abs 2 [X.]G. Die Rücknahmefiktion des § 102 Abs 2 [X.]G sei nicht gemäß § 153 Abs 1 [X.]G auf das Berufungsverfahren entsprechend anwendbar. In das [X.]G sei keine dem § 126 Abs 2 VwGO entsprechende Regelung der Fiktion einer Berufungsrücknahme aufgenommen worden. Die Berufungsrücknahme sei im sozialgerichtlichem Verfahren in § 156 [X.]G speziell und abschließend geregelt, was die Anwendung des § 102 Abs 2 [X.]G ausschließe. Sachlich begründete Anhaltspunkte für den nach § 102 Abs 2 [X.]G vorausgesetzten Wegfall des [X.] im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung habe das L[X.] nicht festgestellt.

9

           

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des L[X.] Hamburg vom 18.3.2009 und den Gerichtsbescheid des [X.] Hamburg vom 15.6.2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 4.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.6.2004 zu verpflichten, für die Zeiten vom 12.2.1993 bis 21.6.1994 eine Anrechnungszeit wegen Rentenbezugs nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 5 [X.]B VI vorzumerken;
hilfsweise, das Urteil des L[X.] vom 18.3.2009 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

           

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 [X.]G).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.] hat iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung Erfolg (§ 170 [X.] 2 Satz 2 [X.]).

Das [X.] hat zu Unrecht festgestellt, dass das Berufungsverfahren durch Fiktion der Rücknahme der Berufung erledigt sei. Denn dafür fehlt es im [X.] an einer gesetzlichen Grundlage (1.). Auch eine gemäß § 153 [X.] 1 [X.] entsprechende Anwendung des § 102 [X.] 2 [X.] (Klagerücknahmefiktion) kommt iS einer Fiktion der Rücknahme der Berufung bei [X.] nicht in Betracht (2.). Überdies wären die Voraussetzungen für den Eintritt einer - unterstelltermaßen entsprechend § 102 [X.] 2 Satz 1 [X.] möglichen - Rücknahmefiktion nicht gegeben (3.).

           

1. Mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes ([X.]ArbGGÄndG) vom [X.] ([X.]) wurde mit Wirkung vom [X.] in [X.] 2 des § 102 [X.] eine Fiktion der Klagerücknahme bei [X.] eingefügt. Die Norm lautet:
"Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. [X.]atz 1 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a [X.] 1 Satz 1 ([X.]) in Verbindung mit § 155 [X.] 2 VwGO ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen."
Bei der fingierten Klagerücknahme handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall des Wegfalls des [X.] (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum [X.]ArbGGÄndG, BT-Drucks 16/7716 [X.] zu Nummer 17 <§ 102>; [X.] in [X.]/ [X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, Vor § 51 Rd[X.]6); sie erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 [X.] 2 Satz 2 iVm [X.] 1 Satz 2 [X.]). Eine Regelung zur Fiktion der Berufungsrücknahme hat der Gesetzgeber im [X.] hingegen nicht getroffen.

2. Die Klagerücknahmefiktion des § 102 [X.] 2 [X.] ist nicht iS der Fiktion einer Berufungsrücknahme entsprechend anzuwenden.

Nach § 153 [X.] 1 [X.] gelten für das Verfahren vor den [X.] die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 [X.] entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt (= Erster Unterabschnitt des [X.] [X.] des [X.], der die Bestimmungen über die Berufung in den §§ 143 bis 159 [X.] umfasst) nichts anderes ergibt. Bei den in Bezug genommenen "Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug" handelt es sich um die im Vierten Unterabschnitt des [X.] [X.]chnitts des [X.] des [X.] aufgeführten Vorschriften der §§ 87 bis 122 [X.] (BSG Urteil vom 5.7.1979 - 9 RV 72/77 - [X.] 1750 § 543 [X.]). Danach ist zwar auch § 102 [X.] grundsätzlich nicht von der Anordnung der entsprechenden Geltung im Berufungsverfahren ausgenommen. Die Vorschrift über die Fiktion der Klagerücknahme in § 102 [X.] 2 [X.] ist jedoch nicht gemäß § 153 [X.] 1 [X.] im [X.]-Verfahren iS einer Fiktion der Berufungsrücknahme entsprechend anwendbar.

Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes (a), der Entstehungsgeschichte der Norm (b), dem Vergleich mit der Rechtslage nach der VwGO (c), einem fehlenden Bedürfnis für ein derartiges Rechtsinstitut (d) und dem Ausnahmecharakter der Klagerücknahmefiktion (e).

a) Schon der Wortlaut des § 102 [X.] 2 Satz 1 [X.], wonach die "Klage" und nicht die "Berufung" als zurückgenommen gilt, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt, steht einer gemäß § 153 [X.] 1 [X.] entsprechenden Anwendung dieser Regelung auf die Berufung entgegen.

Über § 153 [X.] 1 [X.] kann nicht das Wort "Berufung" in § 102 [X.] 2 [X.] hineingelesen werden (vgl [X.], [X.] 2009, 458, 463). Denn auch andere Vorschriften über "das Verfahren im ersten Rechtszug", deren entsprechende Geltung § 153 [X.] 1 [X.] bestimmt und die Regelungen über die "Klage" enthalten, sind im Berufungsverfahren nicht derart erweiternd anzuwenden. Die entsprechende Geltung dieser Vorschriften (zB Klageänderung nach § 99 [X.] oder Widerklage nach § 100 [X.]) gemäß § 153 [X.] 1 [X.] umfasst keine Ersetzung des Begriffs "Klage" durch "Berufung". Ein Grund für eine unterschiedliche Auslegung je nachdem, welche Norm in Bezug genommen wird, ist nicht ersichtlich.

Überdies findet sich im [X.] Unterabschnitt des [X.] [X.] des [X.], der die Vorschriften für das Verfahren der Berufung umfasst, für die Berufung in § 156 [X.] eine spezielle Regelung über ihre "Zurücknahme". Eine § 102 [X.] 2 [X.] entsprechende Bestimmung für die Berufung iS einer Fiktion ihrer Rücknahme bei [X.] enthält die Norm aber nicht. Schon von daher trifft die Ansicht des [X.] nicht zu, aus den entsprechenden Vorschriften über das Berufungsverfahren ergebe sich "nichts anderes" iS des § 153 [X.] 1 [X.] (aA auch [X.] Berlin-Brandenburg Urteil vom 15.10.2009 - L 33 R 290/09 WA - Juris RdNr 32, ohne eigenständige Begründung unter Hinweis auf das hier angefochtene [X.]-Urteil).

b) Aus den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren ergeben sich keinerlei Hinweise dafür, dass der Gesetzgeber die Regelung in § 102 [X.] 2 [X.] in entsprechender Anwendung gemäß § 153 [X.] 1 [X.] auf die Berufungsrücknahme ausdehnen wollte.

Ziel des [X.]ArbGGÄndG war es, eine Vereinfachung und Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens herbeizuführen, um dadurch die Sozialgerichtsbarkeit nachhaltig zu entlasten (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/7716 S 1 f, 12 ff). Dies sollte durch eine Vielzahl von Maßnahmen geschehen. Die Einführung einer Berufungsrücknahmefiktion zur Entlastung der Landessozialgerichte war aber im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum [X.]ArbGGÄndG nicht vorgesehen (vgl BT-Drucks 16/7716 [X.] f); insoweit sah dieser zur Entlastung der Sozialgerichte und Straffung des dortigen Verfahrens lediglich die Fiktion einer Klagerücknahme vor (BT-Drucks 16/7716 [X.]). Eine fiktive Berufungsrücknahme wurde auch - soweit ersichtlich - im gesamten Gesetzgebungsverfahren weder im Bundesrat noch in den Ausschüssen oder im Plenum des [X.] erörtert.

           

In der Einleitung der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum [X.]ArbGGÄndG heißt es zum Entwurf des § 102 [X.] 2 [X.], der in seinem Satz 1 mit der späteren Gesetzesfassung übereinstimmt, wie folgt (BT-Drucks 16/7716 [X.] zu Nummer 17 <§ 102>):

 "Die Fiktion einer Klagerücknahme wird für die Fälle eingeführt, in denen der Kläger oder die Klägerin ungeachtet einer Aufforderung des Gerichts nicht fristgemäß die vom Gericht als geboten angesehene Mitwirkungshandlung erbringt oder hinreichend substantiiert darlegt, warum er oder sie die geforderte Handlung nicht vornehmen kann. Die Klagerücknahmefiktion des [X.]atzes 2 ist an § 92 [X.]. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angelehnt, der mit dem 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996 ([X.] 1626) eingefügt wurde und § 81 des [X.] (AsylVfG) nachgebildet ist. Die Verkürzung auf die Zweimonatsfrist durch das [X.] vom 24. August 2004 ([X.] 2198) wurde wegen der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens auf drei Monate erstreckt. Damit soll insbesondere dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die vor den Sozialgerichten vorwiegend klagenden bedürftigen oder kranken Menschen zur Entscheidungsfindung über die Klagerücknahme mehr [X.] brauchen …"

           

Die Begründung schließt mit dem Hinweis (aaO, [X.]):

 "… Die Regelungen über die fiktive Klagerücknahme gelten auch im einstweiligen Rechtsschutz."

Demnach sollen zwar die Regelungen über die fiktive Klagerücknahme im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Anwendung finden. Dabei braucht der [X.] nicht zu entscheiden, ob im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Rücknahmefiktion - unabhängig davon, ob eine solche dort überhaupt praktische Relevanz haben kann (vgl hierzu [X.], NZ[X.]09, 554, 559; [X.], [X.] 2009, 458, 462, ua mit dem Hinweis, dass das gerichtliche Abwarten der in § 102 [X.] 2 Satz 1 [X.] genannten Dreimonatsfrist nicht zum Eilcharakter des Verfahrens "passt") - ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung in entsprechender Anwendung des § 102 [X.] 2 [X.] zulässig ist (bejahend [X.], aaO; [X.] in [X.]/Fichte, [X.], 2009, § 102 RdNr 8; verneinend [X.], aaO). Jedenfalls findet sich kein Hinweis dafür, dass § 102 [X.] 2 [X.] iS einer Fiktion der Berufungsrücknahme über § 153 [X.] 1 [X.] entsprechend anwendbar sein soll. Vielmehr wird dort nur verlautbart, dass in § 102 [X.] 2 [X.] die "Fiktion einer Klagerücknahme … eingeführt" wird und diese "angelehnt" ist an § 92 [X.] 2 VwGO; ersichtlich sollte somit der Regelungsgehalt der [X.] des § 92 [X.] 2 VwGO in das [X.] "übernommen" werden. Die "Fiktion einer Berufungsrücknahme" wird nicht erwähnt; ebenso wird an keiner Stelle ein Bezug zur Regelung der Berufungsrücknahmefiktion in § 126 [X.] 2 VwGO hergestellt. Nichts anderes ergibt sich aus den sonstigen Materialien zum [X.]ArbGGÄndG (Stellungnahme des Bundesrats BT-Drucks 16/7716 S 29 f>; Gegenäußerung der Bundesregierung <BT-Drucks 16/7716 S 37 f>; zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Gesetzentwurfs im [X.] vom 17.1.2008, Plenarprotokoll 16/136 S 14417 - 14422 (Anlage 6); Beschlussempfehlung und Bericht des [X.] vom 20.2.2008 <BT-Drucks 16/8217 S 2, 4, 6 ff>). Auch sie enthalten keinen Hinweis darauf, dass nach dem "Willen" des Gesetzgebers eine "fiktive Berufungsrücknahme" in entsprechender Anwendung des § 102 [X.] 2 [X.] ermöglicht werden sollte.

c) Der Vergleich mit den in der VwGO normierten [X.] spricht ebenfalls gegen die Annahme einer Fiktion der Berufungsrücknahme im [X.] ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung.

Die Klagerücknahmefiktion in § 92 [X.] 2 VwGO wurde durch das Sechste Gesetz zur Änderung der VwGO und anderer Gesetze (6. [X.]) vom 1.11.1996 ([X.] 1626) mit Wirkung vom [X.] in Anlehnung an den bereits seit 1.7.1992 geltenden § 81 AsylVfG in die VwGO eingefügt (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 6. [X.], BT-Drucks 13/3993 [X.] zu Nummer 10 <§ 92 VwGO>). Nach § 92 [X.] 2 Satz 1 VwGO gilt eine Klage als zurückgenommen, wenn ein Kläger das Verfahren länger als zwei Monate (in Verfahren nach dem AsylVfG gemäß § 81 Satz 1 AsylVfG länger als einen Monat) nicht betreibt.

Gleichzeitig wurde durch das 6. [X.] für die Berufung eine "gesetzliche Rücknahmefiktion" in § 126 [X.] 2 VwGO aufgenommen und die Regelung in § 92 [X.] 2 VwGO insoweit "ergänzt" (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 6. [X.], BT-Drucks 13/3993 [X.] zu Nummer 17 <§ 126 VwGO>). Nach Satz 1 dieser Bestimmung gilt die Berufung als zurückgenommen, wenn der Berufungskläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt.

Die eigenständige gesetzliche Regelung der Fiktion einer Berufungsrücknahme in § 126 [X.] 2 VwGO macht deutlich, dass der Gesetzgeber die allgemeine Verweisung in § 125 [X.] 1 VwGO auf die Vorschriften des Verfahrens im ersten Rechtszug der VwGO, zu denen auch § 92 [X.] 2 VwGO gehört, als nicht ausreichend angesehen hat (vgl in diesem Sinne auch [X.] in [X.], [X.], 3. Aufl 2009, § 156 Rd[X.]6; [X.], [X.] 2009, 458, 463). Vielmehr hat er für die Einführung einer Berufungsrücknahmefiktion einen ausdrücklichen gesetzlichen Regelungsbedarf angenommen.

Der Verzicht des [X.]ArbGGÄndG auf eine Ergänzung des § 156 [X.] um eine Rücknahmefiktion für die Berufung in Kenntnis des Umstands, dass eine solche in der [X.] der VwGO zu § 156 [X.], nämlich in § 126 VwGO, ausdrücklich geregelt worden ist, bestätigt die Annahme, dass diese "Unvollständigkeit" beabsichtigt war und der Gesetzgeber im [X.] lediglich die Möglichkeit einer Fiktion der Klagerücknahme eröffnen wollte, entgegen der Ansicht des [X.] also gerade keine "planwidrige Regelungslücke" vorliegt. Hätte er die Berufungsrücknahmefiktion "gewollt", wäre gerade wegen der weitgehenden Parallelität zur VwGO eine dem § 126 [X.] 2 VwGO entsprechende ausdrückliche Regelung zu erwarten gewesen (vgl in diesem Sinne auch [X.] in [X.], aaO, § 156 Rd[X.]6).

Sollte der Gesetzgeber gleichwohl - anders als in der VwGO - eine ausdrückliche Regelung im [X.] für entbehrlich gehalten haben, hätte es zumindest eines deutlichen Hinweises bedurft. Dieser fehlt jedoch. Keinesfalls kann daraus jedoch, wie das [X.] offenbar meint, ein "Wille" des Gesetzgebers für eine gemäß § 153 [X.] 1 [X.] entsprechende Anwendung des § 102 [X.] 2 [X.] für die Berufung iS einer Fiktion ihrer Rücknahme bei [X.] hergeleitet werden. Vielmehr dürfte das "Schweigen" sowohl in § 156 [X.] als auch in den Materialien zum [X.]ArbGGÄndG schon eher als "beredtes Schweigen" zu werten sein (vgl [X.], [X.] 2009, 458, 463).

Dem Gesetzgeber war im Übrigen der [X.] zwischen erst- und zweitinstanzlichem Verfahren durchaus bewusst; dies belegt die mit dem [X.]ArbGGÄndG erfolgte Einfügung des § 157a [X.] für das Berufungsverfahren gleichzeitig mit der ebenfalls durch dieses Gesetz für das erstinstanzliche Verfahren eingeführten Bestimmung des § 106a [X.] zur Zurückweisung verspäteten Vorbringens (vgl auch [X.], [X.] 2009, 458, 463). Ausdrücklich heißt es hierzu in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks 16/7716 [X.] zu Nummer 27 <§ 157a>): "Folgeänderung wegen der Einführung der Präklusionsvorschrift in § 106a im erstinstanzlichen Verfahren. Dies zieht die Notwendigkeit einer entsprechenden Vorschrift im Rechtsmittelverfahren nach sich …".

d) Dass der Gesetzgeber auf die Regelung einer Fiktion der Berufungsrücknahme verzichtet hat, mag möglicherweise auch darauf zurückzuführen sein, dass nach dem [X.] eine Klagerücknahme ohne Zustimmung der/des Beklagten bis zum rechtskräftigen [X.]chluss des Verfahrens erfolgen kann (so Roller in [X.], aaO, § 102 Rd[X.]6). Auf dieser Grundlage hält die wohl überwiegende Auffassung im Schrifttum auch eine Klagerücknahmefiktion im Berufungsverfahren für zulässig (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 102 RdNr 8b und § 156 Rd[X.]b; Roller, aaO; [X.] in [X.], [X.], 3. Aufl 2008, § 102 RdNr 4; [X.], [X.], Stand 2009, § 102 Rd[X.]2; [X.], NZ[X.]09, 554, 558; kritisch [X.], [X.] 2009, 458, 463; [X.], [X.] 2010, 112, 118).

Der [X.] kann offen lassen, ob er sich dieser Rechtsansicht anschließt; denn das [X.] hat nicht festgestellt, dass das Verfahren durch Fiktion der Klagerücknahme erledigt ist. Er neigt jedoch dazu, ihr jedenfalls grundsätzlich zuzustimmen. Denn § 102 [X.] 2 Satz 1 [X.] wird nicht über seinen Anwendungsbereich hinaus angewendet, sofern die Rücknahmefiktion in der zweiten Instanz die Klage betrifft. Der Übernahme einer § 126 [X.] 2 Satz 1 VwGO entsprechenden Regelung bedurfte es insoweit nicht ([X.], aaO, § 102 Rd[X.]2).

Gemäß § 102 [X.] 1 Satz 1 [X.] kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Dies hat der Gesetzgeber mit der Änderung des § 102 [X.] 1 Satz 1 [X.] durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. [X.]ÄndG) vom [X.] ([X.] 2144) klargestellt (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 6. [X.]ÄndG, [X.] [X.] zu Nummer 38 <§ 102>), entsprach aber auch schon der Rechtsprechung des BSG zur früheren Fassung des § 102 [X.] 1 Satz 1 [X.], wonach der Kläger die Klage "bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung" zurücknehmen konnte (s hierzu BSG Beschluss vom 27.9.1983 - 8 BK 16/82 - [X.] 1500 § 102 [X.]). Der Kläger kann daher auch noch im Berufungsverfahren die Klage ganz oder - wenn der Streitgegenstand teilbar ist - teilweise ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 102 RdNr 4; Roller in [X.], aaO, § 102 RdNr 4) zurücknehmen mit der Folge, dass die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung gemäß § 202 [X.] iVm § 269 [X.] 3 Satz 1 ZPO ganz oder - bei teilweiser Klagerücknahme - teilweise wirkungslos wird.

Ist aber eine Klagerücknahme nach § 102 [X.] 1 Satz 1 [X.] im Berufungsverfahren möglich und bestimmt § 102 [X.] 2 Satz 2 [X.] für die Klagerücknahmefiktion, dass [X.] 1 entsprechend gilt, ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb die Fiktion der Rücknahme der Klage bei ganz oder teilweisem Wegfall des [X.] nicht (grundsätzlich) auch im Berufungsverfahren in Betracht kommen kann. Denn auch im Rechtsmittelverfahren muss das Rechtsschutzinteresse des [X.] an der von ihm in erster Instanz erhobenen Klage stets fortbestehen.

Allerdings dürfte nach Einlegung einer Berufung gegen ein klageabweisendes erstinstanzliches Urteil ein Wegfall des [X.] des [X.], also ein Desinteresse an der weiteren Verfolgung seines Begehrens, nur in seltenen Ausnahmefällen zu unterstellen sein (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 102 RdNr 8b; [X.], [X.] 2009, 458, 463; [X.], aaO, § 102 Rd[X.]2, mit dem Hinweis, dass im Rechtsmittelverfahren "eher noch höhere Anforderungen an die Demonstration mangelnden [X.] zu stellen" seien; [X.], [X.] 2010, 112, 118). Dies gilt vor allem dann, wenn der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren teilweise Erfolg hatte, entzöge die Klagerücknahmefiktion im Berufungsverfahren doch dem zusprechenden Teil des erstinstanzlichen Urteils die Rechtswirkung. Die Annahme, dass ein Kläger, der ein Berufungsverfahren trotz Aufforderung nicht betreibt, durch das [X.] auch die für ihn positiven Folgen der erstinstanzlichen Entscheidung zum Wegfall bringen und damit so gestellt werden möchte, als ob er die Klage nie erhoben hätte, dürfte nur schwerlich zu begründen sein (vgl [X.], aaO; [X.], aaO). In Betracht käme in diesen Fällen freilich eine Fiktion der teilweisen Klagerücknahme bezogen auf den klageabweisenden Teil der SG-Entscheidung.

e) Schließlich berücksichtigt nur die Rechtsauffassung, dass § 102 [X.] 2 [X.] nicht iS einer Fiktion der Berufungsrücknahme über § 153 [X.] 1 [X.] entsprechend anwendbar ist, die verfassungsrechtlichen Vorgaben des [X.] für die Auslegung und Anwendung von gesetzlichen Regelungen über die Beendigung eines Gerichtsverfahrens wegen unterstellten Wegfalls des [X.]. Vorschriften dieser Art haben nämlich strengen Ausnahmecharakter. Da sie einschneidende Rechtsfolgen für die betroffenen Beteiligten nach sich ziehen, bedürfen sie in besonderem Maße der Rechtsklarheit.

Das [X.] (Kammer) hat in seinem Beschluss vom 27.10.1998 (2 BvR 2662/95 - DVBl 1999, 166, 167) darauf hingewiesen, dass in Einklang mit Art 19 [X.] 4 GG jede an einen Antrag gebundene Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt und ein Gericht im Einzelfall von einem Wegfall des [X.] ausgehen kann, wenn das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist. Ausdrücklich hat es festgestellt, dass eine hierauf gestützte Abweisung eines [X.] mangels Sachbescheidungsinteresses verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich ist.

Einen gesetzlichen Niederschlag hat dieser Rechtsgedanke in § 81 AsylVfG, § 92 [X.] 2 VwGO, § 126 [X.] 2 VwGO und in § 102 [X.] 2 [X.] gefunden. Denn diese Bestimmungen, die eine Beendigung des Verfahrens ohne Entscheidung über das [X.] zur Folge haben, unterstellen, dass das Rechtsschutzinteresse entfallen ist, wenn ein Kläger in dem von ihm angestrengten Verfahren über einen bestimmten [X.]raum nicht oder nicht in hinreichendem Maße tätig geworden ist.

Das [X.] hat bereits mehrfach entschieden, dass hiervon ausgehende Vorschriften mit der Rechtsfolge einer Verfahrensbeendigung mit Art 19 [X.] 4 GG vereinbar sind; es hat aber zugleich betont, dass Regelungen dieser Art Ausnahmecharakter haben, der bei ihrer Auslegung und Anwendung besonders zu beachten ist ([X.] Beschluss vom 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95 - DVBl 1999, 166, 167 zu § 81 AsylVfG und § 92 [X.] 2 VwGO; vgl bereits [X.] Beschluss vom [X.] - NVwZ 1985, 33; [X.] Beschluss vom 15.8.1984 - 2 BvR 357/84 - DVBl 1984, 1005; [X.] Beschluss vom 19.5.1993 - 2 BvR 1972/92 - NVwZ 1994, 62 f, alle zu § 33 AsylVfG 1982). Auch in der Literatur besteht über den Ausnahmecharakter und ein von Verfassungs wegen gebotenes enges Verständnis gesetzlich fixierter Rechtsmittelrücknahmefiktionen Einigkeit (vgl zu § 102 [X.] 2 [X.]: Roller in [X.], aaO, § 102 Rd[X.]7; [X.] in [X.], aaO, § 156 Rd[X.]6; [X.] in [X.]/[X.], Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 5 RdNr 586; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 102 RdNr 8a; [X.], NJW 2008, 1258, 1260; [X.] in [X.], [X.], Stand: 2010, § 102 RdNr 29; [X.], aaO, § 102 RdNr 8b; [X.]/[X.], Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, [X.] Rd[X.]70a; [X.], [X.] 2010, 112, 115; [X.], [X.] 2009, 458, 459; [X.], NZ[X.]09, 554, 555; [X.], [X.] 2009, 267, 269; Tabbara, NZ[X.]08, 8, 10; [X.], [X.] 2008, 127, 128; vgl zu § 92 [X.] 2 VwGO: Kopp/[X.], VwGO, 16. Aufl 2009, § 92 Rd[X.]8; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], VwGO, Stand Juli 2009, § 92 RdNr 39).

Dass sich auch der Gesetzgeber des [X.]ArbGGÄndG bei der Einfügung der Klagerücknahmefiktion in § 102 [X.] 2 [X.] der vom [X.] aufgezeigten engen verfassungsrechtlichen Grenzen unter Beachtung ihres Ausnahmecharakters bewusst war, kommt in den Materialien deutlich zum Ausdruck. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum [X.]ArbGGÄndG heißt es zum dortigen Entwurf des § 102 [X.] 2 [X.] unter Bezugnahme auf die vorgenannte Rechtsprechung des [X.] und des [X.] (Beschluss vom 12.4.2001 - 8 [X.]/01 - NVwZ 2001, 918) ausdrücklich, dass "die Auslegung und Anwendung der Norm nur vor dem Hintergrund ihres strengen Ausnahmecharakters erfolgen" darf (BT-Drucks 16/7716 [X.] zu Nummer 17 <§ 102>).

Ist dies aber der Fall, verbietet es sich, § 102 [X.] 2 [X.] als Sonder- und Ausnahmeregelung über seinen ausdrücklich geregelten Anwendungsbereich hinaus erweiternd auszulegen und anzuwenden. Vielmehr ist es aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 19 [X.] 4 GG, Art 103 [X.] 1 GG) geradezu geboten, wollte man auch im [X.] eine Fiktion der Rücknahme der Berufung wegen [X.]s ermöglichen, hierfür - wie in der VwGO durch Einfügung des § 126 [X.] 2 VwGO geschehen - eine eigenständige gesetzliche Grundlage zu schaffen.

3. Nach dem Vorstehenden braucht der [X.] nicht mehr zu prüfen, ob - wie vom [X.] entschieden - die Voraussetzungen einer Fiktion einer Berufungsrücknahme bei unterstellter entsprechender Anwendbarkeit des § 102 [X.] vorliegen. Gleichwohl weist der [X.] darauf hin, dass, selbst wenn man der generellen Rechtsansicht des [X.] folgen würde, die Feststellung der Erledigung des Verfahrens durch das [X.] im Falle des [X.] zu Unrecht erfolgt wäre.

a) Zwar ist im [X.]punkt der Betreibensaufforderung das vom [X.] für eine Rechtsmittelrücknahmefiktion geforderte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal erfüllt gewesen, dass nach dem prozessualen Verhalten des [X.] hinreichender Anlass bestand, von einem Wegfall des [X.] auszugehen (vgl [X.] Beschluss vom 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95 - DVBl 1999, 166, 167; vgl ebenso [X.]surteil vom heutigen Tage - B 13 R 74/09 R).

Denn bei Erlass der Betreibensaufforderung am 19.8.2008 waren die Gründe, warum der Kläger eine gerichtliche Überprüfung des angefochtenen [X.]s vom 4.11.2003 begehrte, mangels dessen Mitwirkung für das [X.] nicht ersichtlich. Trotz mehrfacher Aufforderung war nämlich die Berufung auch ein Jahr nach ihrer Einlegung nicht begründet worden, ebenso wenig wie der Widerspruch gegen den [X.] vom 4.11.2003 oder die Klage. Das [X.] enthält zwar für die Begründung der Klage und der Berufung, insbesondere für die Angabe von Beweismitteln und von Tatsachen, durch deren Nichtberücksichtigung der Kläger sich beschwert fühlt, keine zwingenden Vorschriften (§ 92 [X.] 1 Satz 4, § 151 [X.] 3 [X.]: "sollen" bzw "soll"). Das Gericht hat die Beteiligten aber insoweit heranzuziehen, wie sich aus § 103 Satz 1 Halbs 2 [X.] ergibt. Bei fehlender Mitwirkung ist das Gericht nicht verpflichtet, von sich aus in jede nur mögliche Richtung ("ins Blaue hinein") zu ermitteln und Beweis zu erheben (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 103 Rd[X.]6).

b) Allerdings setzt eine Rücknahmefiktion den Ablauf einer zuvor vom Gericht gesetzten Frist zum Betreiben des Verfahrens voraus (vgl § 102 [X.] 2 Satz 1 [X.]). Eine in diesem Sinne wirksame Fristsetzung ist vorliegend aber nicht erfolgt. Denn jedenfalls vermag ein - wie hier - lediglich mit dem Zusatz "auf richterliche Anordnung" durch eine(n) Justizangestellte(n) unterzeichnetes gerichtliches Schreiben der Geschäftsstelle eine Frist zum Betreiben des Verfahrens nicht in Lauf zu setzen (vgl [X.]/[X.], aaO, [X.] Rd[X.]70a; [X.] [X.] 2009, 458, 460; [X.] in [X.]/Fichte, aaO, § 102 Rd[X.]1, mit dem Hinweis, die Betreibensaufforderung müsse "wenigstens die Form eines [X.]briefs" haben; s auch [X.] Urteil vom [X.] - [X.]Z 76, 236, 241 - zur Frist gemäß § 273 [X.] 2 [X.], § 275 [X.] 1, § 296 ZPO).

Zur Form der Betreibensaufforderung gilt im Übrigen Folgendes: Wenn sie Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll, muss sie vom zuständigen [X.] verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden. Ein den Namen [X.] (Paraphe) genügt als Unterschrift nicht (vgl [X.]/[X.], aaO, [X.] Rd[X.]70a; [X.], [X.] 2009, 458, 460; [X.], NZ[X.]09, 554, 556, jeweils mwN). Dies folgt schon aus den einschneidenden Rechtsfolgen einer (erfolglosen) Betreibensaufforderung. Erst die Beifügung der vollen Unterschrift des [X.]s macht deutlich, dass es sich bei dem unterzeichneten Text nicht lediglich um einen Entwurf handelt und dass der Unterzeichnende nicht von einer Routine-Verfügung ausgeht; hierüber muss aber bei einer Betreibensaufforderung auch für die Betroffenen Gewissheit bestehen. Deshalb muss sie nicht nur vom zuständigen [X.] verfügt und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß § 63 [X.] 1 Satz 1 [X.] zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte [X.]chrift (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum [X.]ArbGGÄndG, BT-Drucks 16/7716 [X.] zu Nummer 17 <§ 102>; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], aaO, § 63 RdNr 3) diesen Umstand erkennen lassen, dh durch Wiedergabe des vollen Namens des [X.]s ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt.

4. Da der [X.] über die vom Kläger geltend gemachten rentenrechtlichen [X.]en mangels entsprechender Feststellungen (§ 163 [X.]) des [X.] nicht entscheiden konnte, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 170 [X.] 2 Satz 2 [X.]). Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Meta

B 13 R 58/09 R

01.07.2010

Bundessozialgericht 13. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Hamburg, 15. Juni 2007, Az: S 26 RJ 982/04, Gerichtsbescheid

§ 63 Abs 1 S 1 SGG, § 102 Abs 2 S 1 SGG, § 153 Abs 1 SGG, § 156 SGG, § 92 Abs 2 S 1 VwGO, § 125 Abs 1 VwGO, § 126 Abs 2 S 1 VwGO, § 81 S 1 AsylVfG 1992, Art 19 Abs 4 GG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 01.07.2010, Az. B 13 R 58/09 R (REWIS RS 2010, 5273)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5273

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 13 R 74/09 R (Bundessozialgericht)


B 4 AS 2/16 R (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Klagerücknahmefiktion - Untätigkeit des Klägers - Betreibensaufforderung - Vorliegen objektiver Anhaltspunkte für …


B 14 AS 105/16 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Voraussetzungen für eine Berufungsrücknahmefiktion - Rechtsschutzgarantie - Wegfall des Rechtsschutzinteresses …


B 4 AS 280/20 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Rücknahmestreit über Beendigung eines Berufungsverfahrens (hier: durch Berufungsrücknahmefiktion) …


B 14 AS 66/18 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Klagerücknahmefiktion - Unterzeichnung der Betreibensaufforderung - Verfahrensrüge


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.