Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2017, Az. 4 StR 539/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 1221

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Gegenstand

Versuchte Körperverletzung: Freiwilliger Rücktritt von weiteren Verletzungshandlungen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Juli 2017

a) in der Urteilsformel dahin gefasst, dass der Angeklagte der Bedrohung in vier Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, und der Körperverletzung schuldig ist,

b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

aa) soweit der Angeklagte im Fall II.6 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, und

bb) im Gesamtstrafenausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zur Herbeiführung eines „Verkehrsunfalls“ in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen, Körperverletzung, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und einem Verstoß gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, wegen Bedrohung in vier „tateinheitlichen“ Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, und wegen Körperverletzung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Entgegen der Fassung der Urteilsformel hat das [X.] ausweislich seiner Ausführungen zur rechtlichen Würdigung das unter II.2 bis 5 der Urteilsgründe abgeurteilte Verhalten des Angeklagten als vier materiell-rechtliche selbständige Taten der Bedrohung, in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, gewertet und hierfür vier [X.] verhängt. Entsprechend dem Antrag des [X.] berichtigt der Senat die insoweit ersichtlich irrtümlich falsch gefasste Urteilsformel entsprechend.

3

2. Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener versuchter Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen im Fall II.6 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil das [X.] einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch nach § 24 Abs. 1 StGB nicht geprüft hat. Dies hat die Aufhebung der gesamten Verurteilung des Angeklagten in diesem Fall zur Folge.

4

a) Nach den Feststellungen kam es nach der Trennung des Angeklagten von seiner Lebensgefährtin, der Nebenklägerin     [X.], und den beiden gemeinsamen Töchtern - wie schon zuvor - zu Drohungen und körperlichen Übergriffen des Angeklagten gegen die Nebenklägerin. Aufgrund einiger dieser Vorfälle erwirkte die Nebenklägerin am 2. September 2016 einen Beschluss des [X.] nach dem Gewaltschutzgesetz, durch welchen dem Angeklagten unter anderem aufgegeben wurde, sich bei einem zufälligen Zusammentreffen mit der Nebenklägerin unverzüglich zu entfernen und einen Abstand von 150 Metern herzustellen. Der Beschluss wurde dem Angeklagten am 5. September 2016 ordnungsgemäß zugestellt.

5

Am 23. Oktober 2016 kam der Angeklagte, der lediglich eine im [X.] nicht mehr gültige [X.] Fahrerlaubnis besitzt, am Steuer seines Pkws [X.] im Bereich der Autobahnausfahrt Richtung [X.] zufällig dem Geschädigten    [X.]entgegen, der als Fahrzeugführer seines [X.] gemeinsam mit der Nebenklägerin und den beiden Töchtern auf dem Weg nach [X.] war. Der Angeklagte, der die Nebenklägerin im Pkw des Geschädigten erkannte, wendete sein Fahrzeug und folgte dem Geschädigten auf der Autobahn. Ungeachtet des Umstands, dass der Geschädigte dem durch Handzeichen zum Ausdruck gebrachten Ansinnen des Angeklagten, auf den nächsten Parkplatz zu fahren, nicht nachkam, und der wiederholten telefonischen Aufforderung der Nebenklägerin, sie in Ruhe zu lassen, fuhr der Angeklagte dem Fahrzeug des Geschädigten bis über die [X.] hinterher. Da der Geschädigte keine Anstalten machte anzuhalten, setzte der Angeklagte schließlich sein Fahrzeug neben den vom Geschädigten geführten [X.] und rammte diesen bei einer von beiden Fahrzeugen gefahrenen Geschwindigkeit von 70 bis 90 km/h im Bereich des vorderen linken Kotflügels und der Fahrertür. Hierbei hatte er die Absicht, den Pkw des Geschädigten von der Straße abzudrängen, um die Nebenklägerin und den Geschädigten zur Rede zu stellen. Der Angeklagte nahm zumindest billigend in Kauf, dass ein schwerer Unfall mit erheblichen Verletzungen der vier Fahrzeuginsassen verursacht werden könnte. Während es dem Geschädigten durch Gegenhalten des Lenkrades unter größter Kraftentfaltung gelang, ein Abdrängen seines Fahrzeugs von der Fahrbahn zu vermeiden, und er nur leicht auf den Standstreifen geriet, kam der Pkw des Angeklagten ins Schleudern, überschlug sich und blieb auf dem Dach im Bereich der Fahrbahnböschung liegen. Nachdem der Geschädigte auf dem Standstreifen angehalten hatte, um die Polizei und den Rettungsdienst zu alarmieren, verließen die Nebenklägerin und die beiden Kinder schreiend das Fahrzeug. Der Angeklagte, der leicht verletzt ebenfalls aus seinem Pkw ausgestiegen war, begab sich unmittelbar zu dem nach wie vor in seinem Fahrzeug sitzenden Geschädigten und schlug zwei- bis dreimal mit den Fäusten durch die geöffnete Fahrertür auf den Geschädigten ein. Anschließend versetzte er dem Geschädigten zwei Fußtritte gegen den Kopf, ehe es weiteren Verkehrsteilnehmern gelang, den Angeklagten vom Geschädigten zu trennen und ihn gemeinsam mit der Nebenklägerin bis zum Eintreffen der Polizei von weiteren Übergriffen abzuhalten. Die Nebenklägerin und eine der Töchter trugen einen Schock davon, die andere Tochter erlitt ein Schleudertrauma.

6

b) Bei dieser Sachlage hätte sich die [X.] zur Prüfung der jedenfalls nicht fernliegenden Möglichkeit veranlasst sehen müssen, dass der Angeklagte durch die Abstandnahme von weiteren Verletzungshandlungen vom unbeendeten Versuch der Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin und seiner Töchter nach § 24 Abs. 1 StGB strafbefreiend zurückgetreten ist. Weder der Umstand, dass der Angeklagte mit dem Anhalten des Fahrzeugs des Geschädigten sein außertatbestandliches Handlungsziel erreicht hatte (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Mai 1993 - [X.], [X.]St 39, 221; [X.], StGB, 64. Aufl., § 24 Rn. 9 mwN), noch ein unter Umständen allein durch den vorrangig gewollten Angriff auf den Geschädigten motiviertes Absehen von weiteren Verletzungshandlungen gegen die Nebenklägerin und die beiden Kinder (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Januar 1988 - 2 [X.], [X.]St 35, 184; [X.], aaO Rn. 19c mwN) stehen der Annahme eines freiwilligen Rücktritts vom unbeendeten Versuch entgegen. Das angefochtene Urteil enthält keine Ausführungen zur Frage eines Rücktritts. Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung, auf das es nach der Rechtsprechung des [X.] sowohl für die Abgrenzung von unbeendetem und beendetem Versuch als auch für die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs maßgeblich ankommt (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Mai 1993 - [X.], aaO), hat die [X.] nicht getroffen.

7

c) Die Verurteilung wegen versuchter Körperverletzung in drei tateinheitlichen Fällen kann daher nicht bestehen bleiben. Wegen des tateinheitlichen Zusammentreffens führt dies zur Aufhebung der gesamten Verurteilung im Fall II.6 der Urteilsgründe.

8

Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird die Frage einer Vollendung der Körperverletzungen näher zu prüfen haben. Dies liegt auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen bei einer der Töchter angesichts des davongetragenen [X.] nahe und erscheint auch bei der Nebenklägerin und der zweiten Tochter mit Blick auf den erlittenen Schock nicht ausgeschlossen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 18. Juli 2013 - 4 StR 168/13, [X.]R StGB § 223 Abs. 1 [X.] 4; vom 5. November 1996 - 4 StR 490/96, [X.], 123; [X.], [X.], 29, 31).

Sost-Scheible     

      

Roggenbuck     

      

Cierniak

      

[X.]     

      

Bender     

      

Meta

4 StR 539/17

06.12.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Trier, 18. Juli 2017, Az: 8032 Js 39135/16 - 1 Ks

§ 24 StGB, § 223 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2017, Az. 4 StR 539/17 (REWIS RS 2017, 1221)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 1221

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 539/17

2 StR 284/19

Zitiert

4 StR 168/13

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