Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.04.2020, Az. B 13 R 260/18 B

13. Senat | REWIS RS 2020, 2526

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - keine Anwendung des § 138 Abs 3 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren)


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 19. Juli 2018 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Durch Urteil vom [X.] hat das [X.] einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem [X.], hilfsweise ab dem 1.7.2010 - anstatt ab dem [X.], wie bewilligt - verneint. Ein früherer Rentenbeginn könne nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gestützt werden, denn das Vorliegen einer dem beklagten Rentenversicherungsträgers zuzurechnenden Pflichtverletzung konnte nicht nachgewiesen werden. Die damit bestehende objektive Beweislosigkeit gehe zu Lasten der Klägerin.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim [X.] eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensmängel ([X.] nach § 160 Abs 2 [X.] [X.]).

3

II. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 [X.] keinen [X.] hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

4

Die Klägerin macht ausschließlich geltend, die angegriffene Entscheidung des [X.] beruhe auf [X.] (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 [X.] [X.]).

5

1. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB [X.] Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - [X.], 81 - juris Rd[X.] 4; [X.] Urteil vom 24.10.1961 - 6 [X.] 19/60 - [X.], 169 = [X.] [X.] zu § 52 [X.], juris Rd[X.] 29; jüngst [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] R 340/18 B - juris Rd[X.] 12). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des [X.] ([X.] Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - [X.] zu § 162 [X.]; [X.] Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - [X.] 1500 § 160 [X.]3; [X.] Beschluss vom 16.11.2000 - [X.] RA 122/99 B - [X.] 3-1500 § 160 [X.]3 - juris Rd[X.] 23). Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.] kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.] und auf eine Verletzung des § 103 [X.] nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des [X.] möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB [X.] Beschluss vom 16.11.2000 - [X.] RA 122/99 B - [X.] 3-1500 § 160 [X.]3 - juris Rd[X.] 16 mwN; [X.] Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.]0 Rd[X.] 16 mwN).

6

2. Als Verfahrensmängel rügt die Klägerin mit ihrer Beschwerdebegründung vom 5.12.2018 die Verkennung ihres "[X.]" (a), die Nichtberücksichtigung von Vortrag bzw Verhalten der [X.]n (b), keine Berücksichtigung der Aufgabe des Bestreitens einer Falschberatung durch die [X.] (c) und einen Verstoß gegen Denkgesetze sowie Erfahrungssätze bei der Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme (Vernehmung der Zeugen [X.] und [X.]) (d) durch das [X.]. Damit hat sie jedoch keinen Verfahrensfehler hinreichend bezeichnet.

7

a) Zum ersten Verfahrensmangel bringt die Klägerin vor, dass sie sich nach einem am [X.] unter "Vier-Augen" stattgefundenen [X.], dessen Inhalt dem zuständigen Sachbearbeiter des beklagten Rentenversicherungsträgers nach Vernehmung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht mehr erinnerlich gewesen sei, in einem Beweisnotstand befinde. Dieser hätte vom [X.] im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung berücksichtigt werden müssen. Denn dass die Klägerin das benannte [X.] verlassen habe, ohne einen Rentenantrag gestellt zu haben, sei ein gewichtiges Indiz für die fehlerhafte Beratung durch den Mitarbeiter der [X.]n. Mit diesem Vorbringen genügt die Beschwerdebegründung jedoch nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels.

8

Dass die Klägerin mit der Nichtberücksichtigung des von ihr vorgebrachten [X.] durch das [X.] nicht einverstanden ist, ist für das [X.] unerheblich. Denn insoweit wendet sie sich - wie sie letztlich auch selbst ausführt - gegen die Beweiswürdigung des [X.]. Auf Angriffe gegen die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]) kann aber nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 [X.] [X.] eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.

9

Zwar erkennt die Klägerin dies selbst, wenn sie vorbringt, dass sie mit ihrem Vorbringen nicht lediglich eine fehlerhafte Beweiswürdigung rüge, sondern das Gericht verkannt habe, dass wegen des unverschuldeten [X.] weniger hohe Anforderungen an den Nachweis gestellt werden dürften, es also die Voraussetzungen für eine entsprechende Beweiswürdigung "überhaupt nicht gesehen" habe. Auch mit diesem Vorbringen macht sie jedoch einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.] nicht hinreichend geltend.

Selbst wenn man ihr folgen wollte, dass sie mit ihren Darlegungen nicht die Beweiswürdigung des [X.] angreifen wolle, so bezeichnet sie jedoch gleichwohl keinen Verfahrensfehler des Berufungsgerichts. Sie rügt der Sache nach nur einen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerheblichen [X.] im Einzelfall (s dazu [X.] Beschluss vom 12.12.2014 - [X.] ÜG 15/14 B - juris Rd[X.] 7 mwN; s auch [X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 18/19 B - juris Rd[X.] 13). Denn sie beruft sich darauf, dass das [X.] den für die Beweiswürdigung zugrunde zu legenden rechtlichen Maßstab verkannt habe. Das Vorbringen, die Entscheidung sei rechtlich unrichtig, führt aber ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision (stRspr; vgl zB [X.] Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 22 Rd[X.] 4; [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 96/10 - [X.] 4-1500 § 178a [X.] 11 Rd[X.] 28 mwN).

b) Zur "Nichtberücksichtigung von Vortrag bzw Verhalten der [X.]n" führt die Klägerin aus, die [X.] habe bei der Ermittlung der [X.] Anschriften der Zeugen nicht mitgewirkt, unzutreffende Angaben zur Regressakte und Falschangaben zum Nichtvorhandensein eines Beratungsprotokolls vom [X.] gemacht. Damit rügt sie nach ihren eigenen Ausführungen jedoch wiederum nur eine ihrer Ansicht nach unzutreffende Beweiswürdigung durch das [X.], die - wie schon erörtert - nicht rügefähig ist. Sie bringt selbst vor, der benannte Vortrag bzw das benannte Verhalten des beklagten Rentenversicherungsträgers hätte vom [X.] nach dem Amtsermittlungsgrundsatz als Sachverhalt beachtet und dann als Folge nach dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung dahingehend Berücksichtigung finden müssen, dass damit ein weiteres Indiz für die unterlassene Rentenantragstellung nach dem durchgeführten [X.] vorliege. Dies spreche dafür, dass das Vorbringen der Klägerin der Wahrheit entspreche, weil ein solches Verhalten eines Beteiligten nur plausibel sei, wenn er "etwas zu verbergen" habe.

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang auf die unterlassene Amtsermittlung des [X.] verweist, benennt sie schon keinen Beweisantrag, den das [X.] übergangen haben könnte. Bei dem von der Klägerin benannten Vortrag der [X.]n bzw deren Verhalten handelt es sich, wie die Klägerin selbst darlegt, auch nicht um "unbewiesene" Tatsachen. Vortrag und Verhalten waren im Berufungsverfahren bekannt, sind nur vom [X.] nicht im Sinne des Vortrags der Klägerin gewürdigt worden. Ob das Beweisergebnis des [X.] zutreffend ist, hat der Senat im Beschwerdeverfahren nicht nachzuprüfen, da eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 [X.] als Verfahrensfehler nicht gerügt werden kann (s § 160 Abs 2 [X.] [X.]; [X.] Beschluss vom 20.2.1989 - 2 BU 199/88 - juris Rd[X.] 5).

c) Ferner macht die Klägerin geltend, das [X.] habe die Aufgabe des Bestreitens einer Falschberatung durch die [X.] nicht berücksichtigt und damit [X.] gegen § 202 [X.] iVm § 138 Abs 3 ZPO verstoßen. Insoweit lässt die Klägerin allerdings außer [X.], dass auch das von ihr in der Aufgabe des Bestreitens erkannte Zugeständnis der [X.]n nur im Rahmen der nicht rügefähigen Beweiswürdigung zu beachten gewesen wäre. Das Gericht kann Schlüsse daraus ziehen, ist an ein solches "Zugeständnis" jedoch nicht gebunden.

Denn nach § 202 Satz 1 Halbsatz 1 [X.] sind - soweit das [X.] keine Bestimmungen über das Verfahren enthält - das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozessordnung einschließlich § 278 Abs 5 und § 278a ZPO entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Letzteres gilt für die Anwendung des § 138 Abs 3 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren. Das zivilgerichtliche Verfahren nach der ZPO ist überwiegend vom [X.] geprägt (Ausnahmen - Amtsermittlung nach dem [X.] und [X.], [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 78. Aufl 2020, [X.] § 128 Rd[X.]1) und das nach dem [X.] folgt dem Untersuchungsgrundsatz. Dies ist ein grundsätzlicher Unterschied iS des § 202 Satz 1 Halbsatz 1 [X.] (vgl [X.]/Sautter-Wolff, Kommentar zum [X.], Stand 11/2018, § 202 [X.] 6), der die Anwendung des von der Klägerin herangezogenen § 138 Abs 3 ZPO auch über die Öffnungsklausel des § 202 [X.] im sozialgerichtlichen Verfahren ausschließt (s hierzu [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 12. Aufl 2017, § 202 Rd[X.] und derselbe § 103 Rd[X.] 9). Im Übrigen ist auch im zivilgerichtlichen Verfahren der von der Klägerin zitierte § 138 Abs 3 ZPO nur im Rahmen von Verfahren, die dem Beibringungs-, nicht jedoch dem Untersuchungsgrundsatz folgen, anzuwenden (von [X.] in [X.] ZPO, Vorwerk/Wolf, Stand 1.1.2020 § 138, Rd[X.] 6; [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 16. Aufl 2019, § 138 Rd[X.] 12; so wohl auch [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 78. Aufl 2020, § 138 Rd[X.]7; vgl zur Situation beim Geständnis iS der Vorschrift des § 288 ZPO, die nicht über § 202 [X.] im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 12. Aufl 2017, § 202 Rd[X.] iVm Greger in [X.], ZPO, 33. Aufl 2020, § 138 Rd[X.] 9 und [X.]/Sautter-Wolff, Kommentar zum [X.], Stand 11/2018, § 202 [X.] 7c).

d) Der von der Klägerin behauptete Verstoß gegen Denkgesetze bzw die Grenzen freier Beweiswürdigung kann ihrer Beschwerde ebenfalls von vornherein nicht zum Erfolg verhelfen. Auch insoweit wird bereits nach den eigenen Ausführungen der Klägerin in der Beschwerdebegründung wiederum die "Richtigkeit" der Beweiswürdigung des [X.] in Frage gestellt. Nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.] kann ein Verfahrensmangel jedoch, wie bereits dargelegt, nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 [X.] gestützt werden ([X.] Beschluss vom 26.8.2019 - [X.] V 6/19 B - juris Rd[X.] 10).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]).

4. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.] durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

5. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.].

Meta

B 13 R 260/18 B

08.04.2020

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Hannover, 6. Februar 2014, Az: S 1 R 108/13, Urteil

§ 128 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 S 1 SGG, § 138 Abs 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 08.04.2020, Az. B 13 R 260/18 B (REWIS RS 2020, 2526)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2526

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1 BvR 96/10

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