Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.12.2012, Az. 2 B 105/11

2. Senat | REWIS RS 2012, 8

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Gegenstand

Fernbleiben vom Dienst; Feststellung des Gesundheitszustandes durch Amtsarzt


Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und des Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die 1953 geborene Klägerin steht als Lehrerin im Dienst des beklagten [X.]. Sie war im Jahr 2005 wegen häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten verpflichtet worden, künftig zum Nachweis einer Dienstunfähigkeit jeweils ein amtsärztliches Attest ab dem ersten Werktag eines weiteren Fernbleibens vom Dienst unverzüglich dem [X.] vorzulegen.

3

Eine amtsärztliche Untersuchung (Dr. W.) am 27. November 2006 bejahte unter [X.]erücksichtigung einer am selben Tag durchgeführten Zusatzbegutachtung auf psychiatrischem Gebiet die Dienstfähigkeit der Klägerin. Am selben Tag wurde die Klägerin von ihrer Frauenärztin mit privatärztlichem Attest für die [X.] vom 27. November bis einschließlich 8. Dezember 2006 dienstunfähig krankgeschrieben. Wiederum am selben Tag bescheinigte ihr der Hausarzt [X.]ettlägerigkeit bis einschließlich 29. November 2006. Am 30. November suchte die Klägerin einen Immunologen auf, der bei ihr Fieber, einen grippalen Infekt, Husten, Halsschmerzen und eine Schilddrüsenfunktionsstörung feststellte. Ein weiterer Amtsarzt (Dr. S.) stellte ebenfalls am 30. November 2006 keinen wesentlichen [X.]efund von Krankheitswert fest und bejahte die Dienstfähigkeit der Klägerin; der [X.]efund des Immunologen hatte ihm nicht vorgelegen, er wusste aber, dass die Klägerin von diesem untersucht worden war. Ferner kannte er die Diagnose der Frauenärztin und das Attest des Hausarztes.

4

Die Klägerin erschien vom 27. November bis zum 8. Dezember 2006 nicht zum Dienst, woraufhin der [X.]eklagte den Verlust der Dienstbezüge wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst für den [X.]raum vom 28. November bis zum 8. Dezember 2006 feststellte. Die dagegen erhobene Klage hatte in der [X.]erufungsinstanz für den [X.]raum 28. bis zum 30. November 2006 Erfolg. Die Abweisung im Übrigen begründete der Verwaltungsgerichtshof damit, dass aufgrund des amtsärztlichen Gutachtens vom 30. November 2006 von der Dienstfähigkeit der Klägerin im fraglichen [X.]raum auszugehen sei. Der Amtsarzt habe zwar von der Untersuchung der Klägerin durch den Immunologen vom selben Tag gewusst; es habe aber keine konkreten Werte oder Feststellungen dieses Arztes gegeben, mit denen er sich gegebenenfalls hätte auseinandersetzen müssen. Daher komme der amtsärztlichen [X.]egutachtung der Vorrang gegenüber der privatärztlichen [X.]egutachtung zu. Daneben wirke zu Lasten der Klägerin, dass sie ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei; wäre nach dem [X.] vom 30. November 2006 bei der Klägerin eine die Dienstunfähigkeit begründende Verschlechterung eingetreten, hätte sie sich am 1. Dezember erneut zum Zweck entsprechender Feststellungen vorstellen müssen. Der von der Klägerin unterlassenen Mitwirkung an der amtsärztlichen Feststellung ihres gesundheitlichen Zustands komme Indizwirkung für eine nicht vorhandene Dienstunfähigkeit im Rahmen der [X.]eweiswürdigung zu.

5

2. Eine Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.

6

Die Klägerin macht geltend, das [X.]erufungsgericht habe in Abweichung von der Rechtsprechung des [X.] ([X.]eschluss vom 15. Februar 2010 - [X.]VerwG 2 [X.] - [X.] 232.0 § 96 [X.] 2009 Nr. 1 S. 2.) nicht berücksichtigt, dass amtsärztlichen Feststellungen nur dann der Vorrang gegenüber privatärztlichen Feststellungen gebühre, wenn diese Feststellungen von einem unabhängigen und auch den zu begutachtenden [X.]eamten neutral gegenüber stehenden Amtsarzt stammten. Sofern man zugunsten der Klägerin annimmt, dass damit nicht lediglich eine unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall gerügt wird, sondern dem Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 VwGO genügt ist, greift die [X.] in der Sache nicht durch.

7

Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des [X.]erufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der in Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das [X.] in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den beiden Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den [X.]edeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines bestimmten Rechtsgrundsatzes bestehen. Eine Divergenz liegt nicht vor, wenn das [X.]erufungsgericht den Rechtssatz des [X.], ohne ihm inhaltlich zu widersprechen, in dem zu entscheidenden Fall rechtsfehlerhaft angewandt oder daraus nicht die Folgerungen gezogen hat, die für die Sachverhalts- und [X.]eweiswürdigung geboten sind (stRspr; vgl. nur [X.]eschlüsse vom 19. August 1997 - [X.]VerwG 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 und vom 25. Mai 2012 - [X.]VerwG 2 [X.] 133.11 - NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 5). So liegt der Fall hier.

8

In dem auch von der Klägerin in [X.]ezug genommenen [X.]eschluss vom 15. Februar 2010 ([X.]VerwG 2 [X.] - [X.] 232.0 § 96 [X.] 2009 Nr. 1) hat das [X.] entschieden, dass der medizinischen [X.]eurteilung des [X.] wegen des Grundsatzes der freien [X.]eweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kein unbedingter, sondern nur ein eingeschränkter Vorrang vor der [X.]eurteilung des behandelnden Privatarztes zukommt, wenn beide [X.]eurteilungen zum selben Krankheitsbild des [X.]eamten voneinander abweichen. Die Tatsachengerichte können sich im Konfliktfall nur dann auf die [X.]eurteilung des [X.] stützen, wenn keine Zweifel an der Sachkunde des [X.] bzw. eines von ihm hinzugezogenen Facharztes bestehen, seine [X.]eurteilung auf zutreffenden Tatsachengrundlagen beruht und in sich stimmig und nachvollziehbar ist. Hat der Privatarzt seinen medizinischen [X.]efund näher erläutert, so muss der Amtsarzt auf diese Erwägungen eingehen und nachvollziehbar darlegen, warum er ihnen nicht folgt. Dieser eingeschränkte Vorrang im Konfliktfall findet seine Rechtfertigung in der Neutralität und Unabhängigkeit des [X.]. Im Gegensatz zu einem Privatarzt, der womöglich bestrebt ist, das Vertrauen des Patienten zu ihm zu erhalten, nimmt der Amtsarzt seine [X.]eurteilung von seiner Aufgabenstellung her unbefangen und unabhängig vor. Er steht [X.]eamten und Dienststelle gleichermaßen fern.

9

Der Verwaltungsgerichtshof hat auf diese maßgeblich auch mit der Unparteilichkeit des [X.] begründete Rechtsprechung verwiesen. Er hat sodann darauf abgestellt, dass dem Amtsarzt am 30. November 2006 keine konkreten Werte oder Feststellungen des Immunologen vorgelegen hätten, mit denen er sich gegebenenfalls hätte auseinandersetzen müssen. Der Verwaltungsgerichtshof, der der Klage im Übrigen teilweise stattgegeben hat, ist daher nicht von einem absoluten Vorrang amtsärztlicher Feststellungen ausgegangen.

3. Die Revision ist auch nicht wegen eines von der Klägerin geltend gemachten [X.] im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Der behauptete Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO) liegt nicht vor.

Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verpflichtet das Gericht, das Vorbringen jedes Verfahrensbeteiligten bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Der [X.] verlangt jedoch nicht, dass das Gericht das gesamte Vorbringen der [X.]eteiligten in den Urteilsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen hat. Vielmehr sind in dem Urteil nur diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht einen Aspekt des Vorbringens eines [X.]eteiligten in den Urteilsgründen nicht abgehandelt hat, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht in Erwägung gezogen, wenn er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler [X.]edeutung betrifft ([X.]VerfG, [X.]eschluss vom 19. Mai 1992 - 1 [X.]vR 986/91 - [X.]VerfGE 86, 133 <145 f.>; [X.]VerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - [X.]VerwG 9 [X.] - [X.]VerwGE 96, 200 <209 f.> = [X.] 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174 S. 27 f., [X.]eschluss vom 21. Juni 2007 - [X.]VerwG 2 [X.] 28.07 - [X.] 235.1 § 58 [X.]DG Nr. 3 Rn. 6; stRspr).

Danach begründet die Rüge, das [X.]erufungsgericht habe sich mit dem Vorbringen zur Voreingenommenheit des [X.] nicht auseinandergesetzt, keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. In der mündlichen Verhandlung ist neben dem als Zeugen geladenen Immunologen auch der Amtsarzt befragt worden, der die Klägerin am 30. November 2006 untersucht hatte. Weder aus der Niederschrift noch aus der [X.]eschwerdebegründung ergibt sich, dass die Klägerin in diesem Zusammenhang dessen Voreingenommenheit erneut geltend gemacht hätte. Hätte die Klägerin insoweit an ihren in der [X.]erufungsbegründung geäußerten Vorwürfen festgehalten, wäre zu erwarten gewesen, dass sie diese in der mündlichen Verhandlung erneut vorgebracht und Einwände dagegen erhoben hätte, dass ein von ihr als voreingenommen angesehener Amtsarzt - wohl als amtliche Auskunftsperson - medizinische [X.]efunde und Zusammenhänge erläutert, ohne dass der Verwaltungsgerichtshof dabei auch der Frage der Voreingenommenheit nachgeht. Da in der [X.]erufungsschrift die Unparteilichkeit und Objektivität des [X.] mit der [X.]ehauptung massiver Spannungen zwischen ihm und der Klägerin sowie der [X.]ehauptung der Voreingenommenheit gegenüber bestimmten Ärzten, u.a. dem von der Klägerin am 30. November 2006 aufgesuchten Immunologen begründet wird, hätte es von Seiten der Klägerin nahe gelegen, dem durch entsprechenden Vorhalt gegenüber dem in der mündlichen Verhandlung anwesenden Amtsarzt nachzugehen oder zumindest eine entsprechende [X.]efragung durch das Gericht anzuregen. Im Hinblick auf das Unterbleiben solcher Aktivitäten durfte der Verwaltungsgerichtshof den schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin als überholt ansehen; eine Stellungnahme dazu in den Entscheidungsgründen war entbehrlich.

Die Verfahrensrüge stellt kein Mittel dar, um [X.] eines [X.]eteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren (stRspr; vgl. Urteil vom 23. Mai 1986 - [X.]VerwG 8 C 10.84 - [X.]VerwGE 74, 222 <223> = [X.] 448.0 § 17 [X.] Nr. 7).

Meta

2 B 105/11

28.12.2012

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 27. Mai 2011, Az: 3 B 10.1799, Urteil

§ 108 Abs 1 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.12.2012, Az. 2 B 105/11 (REWIS RS 2012, 8)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8

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Referenzen
Wird zitiert von

19 CE 17.1541

M 5 E 19.3624

M 5 ES 17.5079

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