Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.02.2011, Az. I ZR 91/10

1. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 9068

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Gegenstand

Multimodaler Transport eines Paketes von Deutschland in die USA: Obhutshaftung des Luftfrachtführers bei einem Transportgutverlust in einem Zwischenlager außerhalb des Flughafens; widerlegliche Vermutung für einen Schadenseintritt durch ein Ereignis während der Luftbeförderung


Leitsatz

1. Die Obhutshaftung des Luftfrachtführers nach Art. 18 Abs. 1 und 3 MÜ kommt auch dann noch in Betracht, wenn das Gut nach der eigentlichen Luftbeförderung vom Flughafengelände mit einem Landfahrzeug zu einem außerhalb des Flughafens gelegenen Lager des Luftfrachtführers gebracht wird, in dem es anschließend abhandenkommt .

2. Auf die Vermutungsregel des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 MÜ kann sich nicht nur der Geschädigte, sondern auch der wegen Beschädigung oder Verlusts von Transportgut in Anspruch genommene Luftfrachtführer berufen .

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des [X.] vom 21. April 2010 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin ist Transportversicherer der T.   te.   GmbH & Co. KG in H.    bei [X.]    (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem und übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin wegen Verlusts von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte im Februar 2009 mit der Beförderung einer aus 24 Paketen bestehenden Sendung zu einer in [X.]/[X.] ansässigen Empfängerin. Die Beklagte übernahm [X.] am 9. Februar 2009 bei der Versicherungsnehmerin und brachte es zunächst im Wege eines Straßentransports zu ihrem Center Köln Airport. Von dort wurde die Sendung per Luftfracht nach [X.]/[X.] befördert. Ein Paket, das nach der Behauptung der Klägerin Waren im Wert von 9.486 € enthielt und ein Gewicht von 23 Kilogramm hatte, kam bei der Empfängerin nicht an. Die Beklagte leistete für den Verlust vorprozessual Ersatz in Höhe von 510 €.

3

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Haftung der Beklagten für den streitgegenständlichen Verlust richte sich nach [X.] [X.], da das Paket nicht während der Luftbeförderung, sondern im Verlauf des sich daran anschließenden [X.] verlorengegangen sei. Die Beklagte hafte für den eingetretenen Schaden unbeschränkt, weil der Verlust auf ihre mangelhafte Betriebsorganisation zurückzuführen sei. Dies folge aus dem Umstand, dass die Beklagte nicht in der Lage sei, den Verbleib des abhandengekommenen Pakets aufzuklären.

4

Die Klägerin hat die Beklagte deshalb auf Zahlung von 8.976 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.

5

Die Beklagte hat demgegenüber insbesondere geltend gemacht, ihre Haftung richte sich nach den Bestimmungen des [X.], da der Verlust während der Luftbeförderung eingetreten sei. Das Paket sei in ihr Center [X.] gebracht worden, das noch Teil des [X.]s [X.] sei, weil es nur 800 Meter vom [X.] entfernt liege. Lediglich aus organisatorischen und logistischen Gründen würden alle für den Großraum [X.] bestimmten Sendungen in dieses Center gebracht. Dort sei das Paket außer Kontrolle geraten.

6

Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Auf die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an die Klägerin einen Betrag nebst Zinsen zu zahlen, der 391 Sonderziehungsrechten gemäß Art. 23 (richtig: Art. 22) [X.] am 21. April 2010 entspricht, abzüglich auf die Hauptforderung vorgerichtlich bereits gezahlter 510 € ([X.], [X.] 2010, 456).

7

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Haftung der Beklagten für den Verlust des [X.] ergebe sich aus Art. 18 Abs. 1 [X.]. Der Umfang des zu leistenden Ersatzes werde daher durch Art. 22 Abs. 3 Satz 1 [X.] begrenzt. Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt:

9

Der Luftfrachtführer hafte gemäß Art. 18 Abs. 1 [X.] für den während einer Luftbeförderung eingetretenen Verlust des [X.]. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt, auch wenn sich das Center, in dem das Paket nach der Behauptung der Beklagten außer Kontrolle geraten sei, nicht auf dem Gelände des [X.] befinde. Das [X.] Übereinkommen stelle hinsichtlich der Haftung für Verlust auf den Zeitraum ab, „während dessen sich die Güter in der Obhut des Luftfrachtführers befinden“. Es werde auch derjenige Zeitraum haftungsrechtlich miterfasst, in dem eine Zwischenlagerung der Güter in einem außerhalb des [X.]geländes liegenden Lager des Luftfrachtführers stattfinde. Bei wertender Betrachtung müsse davon ausgegangen werden, dass die Zwischenlagerung in einem flughafennahen Lager dem Haftungszeitraum der Luftbeförderung unterfalle, wenn dieser Lagerung eine Luftbeförderung vorausgegangen sei oder ihr nachfolge. Danach habe das abhandengekommene Paket, wenn es im Center [X.] verlorengegangen sei, noch unter der Obhut der Beklagten als Luftfrachtführerin gestanden. Die Klägerin habe zwar bestritten, dass das Paket im Center [X.] der Beklagten außer Kontrolle geraten sei. Dies sei aber nicht entscheidungserheblich, weil sich die Beklagte jedenfalls auf die Beweisvermutung gemäß Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] berufen könne. Bei der Beförderung vom Center [X.] zur Empfängerin handele es sich um einen Oberflächentransport im Sinne eines Zubringerdienstes, der bei Ausführung des [X.] erfolgt sei.

Die Haftung des Luftfrachtführers für Verlust von Gütern sei gemäß Art. 22 Abs. 3 Satz 1 [X.] (aF) auf 17 Sonderziehungsrechte für jedes Kilogramm begrenzt. Das abhandengekommene Paket habe ein Gewicht von 23 Kilogramm gehabt. Danach schulde die Beklagte für den Verlust des [X.] einen Betrag, der 391 Sonderziehungsrechten entspreche, abzüglich des vorgerichtlich bereits auf die Hauptforderung gezahlten Betrags von 510 €.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Beklagte für den Verlust des [X.] dem Grunde nach gemäß Art. 18 Abs. 1 [X.] schadensersatzpflichtig ist, weil der Schaden während der Luftbeförderung im Sinne von Art. 18 Abs. 3 [X.] eingetreten ist.

1. Auf den zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten geschlossenen Beförderungsvertrag kommt nach Art. 28 Abs. 4 Satz 1 EGBGB aF [X.] Sachrecht zur Anwendung, weil die Beklagte ihren Sitz in [X.] hat und sich hier auch der Verladeort befunden hat. Aus der Gesamtheit der Umstände ergibt sich nicht, dass der Vertrag mit einem anderen Staat als [X.] engere Verbindungen aufweist (Art. 28 Abs. 5 EGBGB aF).

Da es sich bei der streitgegenständlichen Beförderung um einen Multimodaltransport handelte - der Transport des [X.] von der Versicherungsnehmerin zur Empfängerin sollte mit verschiedenartigen Beförderungsmitteln (Lkw und Flugzeug) erfolgen -, kommt grundsätzlich § 452 HGB zur Anwendung. Nach Satz 1 dieser Vorschrift unterliegt ein derartiger Vertrag den §§ 407 ff. HGB, sofern anzuwendende internationale Übereinkommen nichts anderes vorschreiben. Für eine gemischte Beförderung, die zum Teil durch Luftfahrzeuge und teilweise durch andere Verkehrsmittel ausgeführt wird, bestimmt Art. 38 Abs. 1 [X.], dass das Übereinkommen vorbehaltlich der Regelungen in Art. 18 Abs. 4 [X.] für die Luftbeförderung gilt. Demgemäß richtet sich die Haftung des Luftfrachtführers für Verlust von Transportgut nach den Vorschriften des [X.] Übereinkommens, wenn der Schaden - wie hier - während der Obhutszeit des Luftfrachtführers eingetreten ist (Art. 18 Abs. 1 und 3 [X.]).

2. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass [X.] während der Luftbeförderung abhandengekommen ist, so dass die Beklagte für den Verlust nach Art. 18 Abs. 1 [X.] Schadensersatz schuldet.

a) Gemäß Art. 18 Abs. 3 [X.] umfasst die Luftbeförderung im Sinne des Absatzes 1 der Vorschrift den Zeitraum, während dessen die Güter sich in der Obhut des Luftfrachtführers befinden.

b) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Sendung, zu der das abhandengekommene Paket gehörte, direkt per Luftfracht von [X.] nach [X.] befördert wurde.

aa) Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe bei seiner Annahme nicht berücksichtigt, dass die Klägerin einen derartigen Sendungsverlauf bestritten habe. Sie habe in beiden Vorinstanzen geltend gemacht, die Beklagte habe nicht substantiiert dargelegt, dass der Verlust des [X.] eingetreten sei, als sie dieses noch als Luftfrachtführerin in ihrer Obhut gehabt habe. Es sei auch möglich, dass die Sendung von [X.] nach [X.]/[X.] und von dort per Lkw nach [X.] transportiert worden sei. Bei einem solchen Sendungsverlauf sei die Luftbeförderung bereits in [X.] beendet gewesen.

[X.]) Dieses Vorbringen verhilft der Revision nicht zum Erfolg. Das Berufungsurteil enthält im unstreitigen Teil seines Tatbestands die Feststellung, dass [X.] zunächst im Straßengüterverkehr von der Versicherungsnehmerin zum Center [X.] Airport transportiert und von dort aus im Luftverkehr nach [X.] befördert wurde. Dieses „aus dem Berufungsurteil ersichtliche [X.]vorbringen“ (§ 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO) erbringt nach § 314 Abs. 1 ZPO Beweis für das mündliche [X.]vorbringen in der Berufungsinstanz (vgl. [X.], Urteil vom 8. Januar 2007 - II ZR 334/04, NJW-RR 2007, 1434 Rn. 11; Musielak/Ball, ZPO, 8. Aufl., § 559 Rn. 15). Dieser Beweis kann nur durch das Sitzungsprotokoll und nicht durch den Inhalt der Schriftsätze entkräftet werden. Bei einem Wi[X.]pruch zwischen dem Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und der Wiedergabe des [X.] im Tatbestand des angefochtenen Urteils sind die Ausführungen im Tatbestand maßgeblich ([X.], Urteil vom 2. Februar 1999  VI ZR 25/98, [X.]Z 140, 335, 339). Etwaige Unrichtigkeiten im Tatbestand des angefochtenen Urteils können von der davon betroffenen [X.] nur im Wege eines [X.] gemäß § 320 Abs. 1 ZPO behoben werden ([X.], NJW-RR 2007, 1434 Rn. 11; [X.], Urteil vom 16. Dezember 2010 - I ZR 161/08, [X.], 1513 Rn. 12 - [X.] der Rache), der im Streitfall nicht gestellt worden ist. Die Beweiskraft des Tatbestands könnte nur dann entfallen, wenn dieser in sich wi[X.]prüchlich wäre ([X.]Z 140, 335, 339; [X.], Urteil vom 9. März 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 962, 963). Dafür ist hier nichts ersichtlich.

c) Das Berufungsgericht hat weiterhin angenommen, [X.] sei entweder im Center [X.] der Beklagten (dazu unter aa) oder während der [X.] von dort zu der in [X.] ansässigen Empfängerin (dazu unter [X.]) abhandengekommen. Der genaue [X.] brauche indes nicht geklärt zu werden, da der Verlust in beiden Fällen während der Luftbeförderung im Sinne von Art. 18 Abs. 1 und 3 [X.] eingetreten sei. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg.

aa) Für den Fall, dass [X.] im Center [X.] der Beklagten abhandengekommen ist, hat das Berufungsgericht angenommen, die Obhutshaftung der Beklagten als Luftfrachtführerin werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Sendung, zu der das verlorengegangene Paket gehört habe, mit einem Lkw vom [X.] zum Außenlager befördert worden sei. Ebenso wenig stehe der Haftung der Beklagten als Luftfrachtführerin entgegen, dass das Center in [X.] auch als Umschlagslager für Landtransporte genutzt werde. Gemäß Art. 18 Abs. 3 [X.] werde auch derjenige Zeitraum haftungsrechtlich miterfasst, während dessen die Güter in einem außerhalb des [X.]geländes befindlichen Lager des Luftfrachtführers zwischengelagert würden. Bei wertender Betrachtung komme es auch nicht darauf an, dass ein Zwischenlager sowohl den Zwecken der Luftbeförderung als auch solchen der Landbeförderung diene. Eine räumliche Abgrenzung der Bereiche in einem Lager sei nicht erforderlich.

Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass sich das abhandengekommene Paket im Center [X.] noch in der Obhut der Beklagten als Luftfrachtführerin befunden habe. Der Güterumschlag könne in der Regel nicht als eigenständige Teilstrecke qualifiziert werden. Er sei entweder der vorangegangenen Luftbeförderung oder der nachfolgenden Teilstrecke der Oberflächenbeförderung zuzuordnen. Im Streitfall sei Letzteres anzunehmen. Der Zeitraum der Luftbeförderung umfasse nach Art. 18 Abs. 4 Satz 1 [X.] nicht die Beförderung zu Land, zur See oder auf Binnengewässern außerhalb des [X.]s. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien hier erfüllt, weil das Paket zunächst - unstreitig - per Lkw vom [X.] in [X.] zum außerhalb des [X.]s gelegenen Lager der Beklagten befördert worden sei.

Auch mit diesem Vorbringen vermag die Revision nicht durchzudringen. Gemäß Art. 18 Abs. 1 Satz 1 [X.] haftet der Luftfrachtführer für Güterschäden, die während der Luftbeförderung eingetreten sind. Den für die Haftung des Luftfrachtführers maßgeblichen Zeitraum umschreibt Art. 18 Abs. 3 [X.] - an[X.] als Art. 18 Abs. 2 WA 1955, der darauf abstellte, dass die Güter sich zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses auf einem [X.] oder an Bord eines Luftfahrzeugs befanden - als den Zeitraum, während dessen der Luftfrachtführer die Güter in seiner Obhut hat. Der Haftungszeitraum wird mithin nicht mehr mit der Örtlichkeit der Güter, sondern lediglich mit der [X.] verbunden ([X.] in [X.], [X.] Kommentar zum Luftverkehrsrecht, Bd. 3 [X.] Übereinkommen, Stand Dezember 2009, Art. 18 Rn. 32; [X.].HGB/[X.], 2. Aufl., Art. 18 [X.] Rn. 15; [X.], [X.] Übereinkommen, Art. 18 Rn. 3).

Der Begriff der Obhut wird - trotz seiner zentralen Bedeutung für die Haftung des Luftfrachtführers - im Übereinkommen allerdings nicht näher definiert. Zu dem in Art. 18 Abs. 2 WA 1955 verwendeten Obhutsbegriff hat der [X.] entschieden, dass er nach Sinn und Zweck der genannten Vorschrift bestimmt werden muss. Danach soll die Haftung des Luftfrachtführers auch auf Schadensfälle ausgedehnt werden, die nicht während der eigentlichen Luftbeförderung, wohl aber in einem Zeitraum eintreten, in dem sich das Frachtgut derart im Einwirkungsbereich des Luftfrachtführers befindet, dass dieser in der Lage ist, [X.] gegen Verlust und Beschädigung zu schützen (vgl. [X.], Urteil vom 27. Oktober 1978 - [X.], [X.], 83, 84 f.; Urteil vom 21. September 2000 - [X.], [X.]Z 145, 170, 177). Es genügt, dass der Luftfrachtführer auf die Behandlung des [X.] Einfluss nehmen kann. [X.] er das Frachtgut freiwillig an einen [X.], so wird seine Obhut zumindest im Kernbereich der Luftbeförderung im Regelfall schon deshalb fortbestehen, weil der Dritte seinerseits in Erfüllung seiner dem Luftfrachtführer gegenüber bestehenden Vertragspflichten zum sorgsamen Umgang mit [X.] verpflichtet ist. Die Obhut endet erst dann, wenn der Luftfrachtführer den Gewahrsam ohne eigene Mitwirkung verliert - beispielsweise durch hoheitliche Maßnahmen einer Zollbehörde - und deshalb keine tatsächlichen oder rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf das Frachtgut mehr hat ([X.]Z 145, 170, 177 f.; [X.], [X.] 1989, 121, 124).

Diese Grundsätze sind auch bei der Bestimmung des Obhutsbegriffs in Art. 18 Abs. 3 [X.] heranzuziehen ([X.] in [X.] aaO Art. 18 Rn. 34 ff.; [X.].HGB/[X.] aaO Art. 18 [X.] Rn. 48; [X.], Transportrecht, 7. Aufl., Art. 18 [X.] Rn. 3; [X.] aaO Art. 18 Rn. 22 ff.). Dementsprechend wird die Obhut des Luftfrachtführers im Regelfall nicht schon mit dem Ausladen der Güter aus dem Luftfahrzeug beendet. Sie dauert vielmehr auch dann noch an, wenn der Luftfrachtführer die Güter nach Beendigung der eigentlichen Luftbeförderung bis zur Ablieferung an den Empfänger einlagert. Unerheblich ist dabei, ob die Güter in einem eigenen Lagerhaus des Luftfrachtführers eingelagert werden oder ob dies bei einer vom Luftfrachtführer beauftragten [X.] geschieht, weil das [X.] in Erfüllung seiner dem Luftfrachtführer gegenüber bestehenden Vertragspflichten handelt. Die obhutsbegründende Einwirkungsmöglichkeit des Luftfrachtführers wird in einem solchen Fall nicht beendet, da die [X.] dem Luftfrachtführer gegenüber zum Schutz der Güter und auf dessen Verlangen zu deren Herausgabe verpflichtet ist (vgl. [X.]Z 145, 170, 177 f.; [X.] in [X.] aaO Art. 18 Rn. 45).

Die Obhutshaftung des Luftfrachtführers nach Art. 18 Abs. 1 und 3 [X.] kann entgegen der Ansicht der Revision auch dann noch in Betracht kommen, wenn [X.] nach der eigentlichen Luftbeförderung vom [X.]gelände mit einem Landfahrzeug zu einem außerhalb des [X.]s gelegenen Lager des Luftfrachtführers gebracht wird, in dem es anschließend abhandenkommt. In Art. 18 Abs. 4 Satz 1 [X.] ist zwar bestimmt, dass Transporte mit [X.] zu Land, zur See oder auf Binnengewässern außerhalb eines [X.]s grundsätzlich nicht in den Zeitraum der Luftbeförderung fallen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Haftung des Luftfrachtführers nach den Vorschriften des [X.] Übereinkommens stets mit dem Überschreiten der [X.]grenzen endet. Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass das [X.] Übereinkommen den Haftungszeitraum des Luftfrachtführers im Vergleich zu Art. 18 Abs. 2 WA 1955, bei dem der Haftungszeitraum durch die Örtlichkeit des [X.] (an Bord des Luftfahrzeugs oder auf einem [X.]) begrenzt war, wesentlich erweitert hat. Für die Haftung nach Art. 18 Abs. 1 und 3 [X.] kommt es maßgeblich darauf an, ob sich [X.] zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses in der Obhut des Luftfrachtführers befunden hat. Dadurch wird gerade auch die Einlagerung des [X.] in einem Warenlager des Luftfrachtführers außerhalb des [X.]s von der Haftung gemäß Art. 18 Abs. 1 und 3 [X.] - an[X.] als unter der Geltung des Art. 18 WA 1955 - erfasst. Dies kommt - wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat - dem Bedürfnis der Praxis entgegen, angesichts der räumlichen Beschränkungen auf vielen Flughäfen die Haftungsregelungen des Übereinkommens auch für sonstige Obhutsfälle zur Anwendung gelangen zu lassen (so ausdrücklich die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zum [X.] Übereinkommen, BT-Drucks. 15/2285, [X.]; ebenso [X.].HGB/[X.] aaO Art. 18 [X.] Rn. 38; [X.] in [X.] aaO Art. 18 Rn. 86; [X.], [X.], 908, 912; [X.], NJW 2000, 169, 173; differenzierend [X.] aaO Art. 18 [X.] Rn. 3).

Unterliegt die Einlagerung des [X.] in einem außerhalb des [X.]geländes gelegenen Warenlager des Luftfrachtführers haftungsrechtlich den Bestimmungen des [X.] Übereinkommens, erscheint es nicht sinnvoll, Beförderungen zu dieser Einlagerungsstätte und damit verbundene Umschlagsleistungen einer anderen Haftungsordnung zu unterstellen. Denn auch diese Beförderungs- und Umschlagsleistungen erfolgen - wenn die Einlagerung vom Luftfrachtführer vorgenommen wird - unter der Obhut des Luftfrachtführers oder seiner Leute, die erst mit der Ablieferung der Güter an den Empfänger beendet wird (vgl. [X.]/Valder, Speditions-, Fracht- und Lagerrecht, § 466 Rn. 21; aA [X.] in [X.] aaO Art. 18 Rn. 86, der maßgeblich auf den Wortlaut des Art. 18 Abs. 4 Satz 1 [X.] abstellt; differenzierend [X.] aaO Art. 18 [X.] Rn. 3). Jedenfalls stand das streitgegenständliche Paket, wenn es im Center [X.] verlorengegangen ist, unter der Obhut der Beklagten als Luftfrachtführerin mit der Folge, dass die Beklagte für den Verlust des [X.] gemäß Art. 18 Abs. 1 [X.] schadensersatzpflichtig ist.

[X.]) Für den Fall, dass [X.] nicht im Center [X.] der Beklagten, sondern auf dem Weg von dort zu der in [X.] ansässigen Empfängerin verlorengegangen sein sollte, hat das Berufungsgericht ebenfalls die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten nach Art. 18 Abs. 1 [X.] bejaht. Es hat angenommen, die Beklagte könne sich auf die Beweisvermutung des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] berufen, weil es sich bei dem Landtransport zwischen dem Center [X.] und der Empfängerin um einen Zubringerdienst im Sinne der genannten Vorschrift gehandelt habe, der bei Ausführung des [X.] erfolgt sei. Auch gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision ohne Erfolg.

(1) Die Revision rügt, das Berufungsgericht sei zu Unrecht von der Anwendbarkeit des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] ausgegangen. Der Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift sei bei einer multimodalen Beförderung nicht eröffnet. Hilfsbeförderungen im Sinne von Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] kämen nur bei einem reinen Luftbeförderungsvertrag in Betracht.

Dieses Vorbringen verhilft der Revision nicht zum Erfolg, weil es nicht genügend berücksichtigt, dass gemäß Art. 38 Abs. 1 [X.] gemischte Beförderungen grundsätzlich auch den Bestimmungen des [X.] Übereinkommens unterfallen. Dies wird durch den Hinweis in Art. 38 Abs. 1 auf Art. 18 Abs. 4 [X.] klargestellt. Die Regelung in Art. 38 Abs. 1 [X.], der zufolge das Übereinkommen nur für die Luftbeförderung gilt, wird durch Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] eingeschränkt, wenn eine Teilstrecke vertragsgemäß mit einem Luftfahrzeug ausgeführt wird und der Zubringerdienst im Sinne des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] rein tatsächlich dieser Luftbeförderung zugeordnet werden kann (vgl. [X.] aaO Art. 18 WA 1955 Rn. 13 [X.]. 55; [X.].HGB/[X.] aaO Art. 38 [X.] Rn. 2; [X.] aaO Art. 38 Rn. 7).

(2) Die Revision macht des Weiteren geltend, selbst wenn Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] auch bei Vorliegen eines Multimodaltransports zur Anwendung käme, führte dies im Streitfall nicht zur Schadensersatzpflicht der Beklagten nach Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 3 Satz 1 [X.]. Auch hiermit hat die Revision keinen Erfolg.

Die Vorschrift des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] kommt im Streitfall zur Anwendung. Auf die dort vorgesehene widerlegbare Vermutung kann sich auch der Luftfrachtführer berufen. Die Regelung gilt nicht nur für den Geschädigten. Der Wortlaut der Vorschrift bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass die widerlegbare Vermutung nur zugunsten des Geschädigten zur Anwendung kommen soll. Ebenso wenig kann der Gesetzessystematik und dem Zweck des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] entnommen werden, dass sich der Frachtführer nicht auf die Vermutung berufen kann, wenn für ihn die Anwendung der Vorschriften des Übereinkommens günstiger sein sollte als eine Haftung nach dem sonst anzuwendenden Transportrecht. Die Vorschrift hat nicht eine einseitige Begünstigung des Geschädigten zum Ziel, sondern schafft für beide [X.]en des [X.] eine Beweiserleichterung ([X.] in [X.] aaO Art. 18 Rn. 92; Pokrant in [X.]/Boujong/[X.]/Strohn, HGB, 2. Aufl., Art. 18 [X.] Rn. 21; [X.].HGB/[X.], 1. Aufl., Art. 18 WA 1955 Rn. 44 zu Art. 18 Abs. 3 Satz 2 WA 1955; [X.] aaO Art. 18 Rn. 43; aA [X.] aaO Art. 18 WA 1955 Rn. 14; [X.]., [X.] 2005, 177, 180; Kirchhof, [X.] 2007, 133, 137).

Die Revision macht geltend, die Vermutung greife im vorliegenden Fall nicht ein; denn es stehe sicher fest, dass der Schaden nicht während der Luftbeförderung, sondern entweder im Außenlager der Beklagten oder nach der Umladung des Pakets in das Zustellfahrzeug auf dem Weg zur Empfängerin eingetreten sei. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten beweise der Destinationsscan, dass [X.] im Center der Beklagten für die Zustellung bereitgestellt worden sei. Wenn der Schadensort bei einem Multimodaltransport - wie hier - bekannt sei, greife die Vermutungswirkung des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] nicht ein. Sofern der Schaden allein bei der Beförderung durch ein „anderes“ Verkehrsmittel eingetreten sei, gelte gemäß Art. 38 Abs. 1 [X.] ausschließlich das für dieses Beförderungsmittel maßgebliche Haftungsregime und nicht mehr das Haftungsrecht des [X.] Übereinkommens.

Auch mit diesem Vorbringen vermag die Revision nicht durchzudringen. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Beklagte für den Verlust des [X.] auch dann nach Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 3 [X.] haftet, wenn [X.] während der Beförderung vom Center [X.] zur Empfängerin verlorengegangen ist, weil dieser Oberflächentransport außerhalb des [X.]geländes von [X.] gemäß Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] noch dem Zeitraum der Luftbeförderung im Sinne von Art. 18 Abs. 3 [X.] zuzuordnen ist.

Die Revision geht bei ihrer gegenteiligen Ansicht davon aus, dass sich das abhandengekommene Paket nach seinem Eintreffen im Center [X.] nicht mehr in der Obhut der Beklagten als Luftfrachtführerin befunden habe. Dies trifft jedoch - wie vorstehend unter [X.] (Rn. 24 ff.) dargelegt - gerade nicht zu. Stünde fest, dass [X.] im Center [X.] abhandengekommen ist, müsste die Beklagte für den Verlust gemäß Art. 18 Abs. 1 und 3 [X.] haften. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts kann das Paket aber auch erst während des Transports zur Empfängerin verlorengegangen sein. Der genaue [X.] steht daher entgegen der Annahme der Revision gerade nicht fest. Für diesen Fall bestimmt Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.], dass bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der Schaden durch ein während der Luftbeförderung [X.] Ereignis verursacht worden ist. Der Anwendungsbereich des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] ist mithin grundsätzlich eröffnet. Der Revision ist insofern zuzustimmen, als die Beklagte im Hinblick darauf, dass der Ort des Verlustes nicht feststeht, eine sekundäre Darlegungslast trifft. Dieser ist die Beklagte indessen - entgegen der Ansicht der Revision - nachgekommen. Sie hat vorgetragen, dass das Paket im Center [X.] einen Eingangsscan und einen Destinationsscan erhalten habe, demnach zur Auslieferung bereitgestellt worden sei; ein Scan „Out for Delivery“ sei dagegen nicht erstellt worden, so dass das Paket im Center [X.] außer Kontrolle geraten sein müsse. Es wäre unter diesen Umständen Sache der Klägerin gewesen, darzulegen und zu beweisen, dass dieser Vortrag nicht zutrifft und der Verlust des [X.] entgegen dem Vorbringen der Beklagten auf dem Weg vom Center [X.] zur Empfängerin eingetreten ist.

Das Berufungsgericht ist auch zutreffend vom Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] ausgegangen. Es hat - von der Revision unbeanstandet - festgestellt, dass die Versicherungsnehmerin und die Beklagte einen einheitlichen Vertrag geschlossen haben, der sowohl die Luft- als auch die Landbeförderung umfasst und alle Elemente eines internationalen [X.] im Sinne des Art. 1 Abs. 1 und 2 [X.] enthält. Einer ausdrücklichen Aufnahme der Abrede über den Oberflächentransport in [X.] in den [X.] bedurfte es nicht, weil der [X.] gemäß Art. 11 Abs. 1 [X.] lediglich eine widerlegbare Vermutung für den Inhalt des Vertrags liefert ([X.] aaO Art. 18 [X.] Rn. 4; [X.] in [X.] aaO Art. 18 Rn. 90 [X.]; [X.] aaO Art. 18 Rn. 40).

Das Berufungsgericht hat auch mit Recht angenommen, dass es sich bei dem Transport des [X.] vom Center [X.] zur Empfängerin um eine Oberflächenbeförderung im Sinne von Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] gehandelt hat. Die Ablieferung des [X.] an die Empfängerin sollte unstreitig nicht auf dem Bestimmungsflughafen in [X.], sondern an der innerstädtischen Adresse der Empfängerin erfolgen. Das Zurollen des [X.] vom Bestimmungsflughafen zum bestimmungsgemäßen Empfänger unterfällt als Zubringerdienst dem Anwendungsbereich des Art. 18 Abs. 4 Satz 2 [X.] ([X.] in [X.] aaO Art. 18 Rn. 89; [X.] aaO Art. 18 WA 1955 Rn. 13; [X.] aaO Art. 18 Rn. 41).

III. Danach ist die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Bornkamm     

        

Pokrant     

        

     Büscher

                          

[X.] am [X.] Dr. Koch ist in
Urlaub und kann daher nicht
unterschreiben.

        
        

Kirchhoff     

        

Bornkamm

        

Meta

I ZR 91/10

24.02.2011

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 21. April 2010, Az: I-18 U 232/09, Urteil

Art 18 Abs 1 MontrÜbk, Art 18 Abs 3 MontrÜbk, Art 18 Abs 4 S 2 MontrÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.02.2011, Az. I ZR 91/10 (REWIS RS 2011, 9068)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9068


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. I ZR 91/10

Bundesgerichtshof, I ZR 91/10, 19.10.2011.

Bundesgerichtshof, I ZR 91/10, 24.02.2011.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Haftung des Luftfrachtführers: Einheitlicher Luftbeförderungsvertrag trotz teilweiser Lkw-Beförderung des Transportgutes auf dem Landweg; Beweislastverteilung bei …


18 U 37/17 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


I ZR 109/11 (Bundesgerichtshof)


18 U 149/17 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


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