2. Senat | REWIS RS 2010, 2655
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Rückgängigmachung eines Grundstückskaufvertrages bei Stellung eines Ersatzkäufers zur Abwendung von Schadensersatzforderungen
NV: Stellt der Ersterwerber eines Grundstücks einen Ersatzkäufer und erschöpft sich dabei sein Interesse in der Abwendung möglicher Schadensersatzforderungen der Verkäuferseite, so kann unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen eine Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG vorliegen .
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) waren zu je 1/2 Miteigentümer eines mit einem Mehrfamilienhaus bebauten Grundstücks in [X.] Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 23. September 2006 veräußerten sie dieses zum Preis von 199.000 € jeweils zur ideellen Hälfte an [X.] und [X.].
Mit [X.]escheiden vom 3. November 2006 setzte der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --F[X.]--) gegen [X.] und [X.] jeweils Grunderwerbsteuer in Höhe von 3.482 € fest.
Nachdem der Kaufpreis nicht entrichtet worden war, hoben die Vertragsparteien mit notariell beurkundetem Vertrag vom 25. November 2006 den Kaufvertrag vom 23. September 2006 auf. Die Käufer verpflichteten sich, an die Kläger einen pauschalen Schadensersatz in Höhe von 1.000 € zu zahlen, womit alle gegenseitigen [X.]nsprüche aus der [X.]uflösung des Kaufvertrages erledigt sein sollten. Die Kaufvertragsparteien beantragten ferner, die Grunderwerbsteuerfestsetzungen aufzuheben.
Mit ebenfalls am 25. November 2006 geschlossenem und unmittelbar im [X.]nschluss an den [X.]ufhebungsvertrag notariell beurkundetem Kaufvertrag veräußerten die Kläger nunmehr das Grundstück an [X.] zu [X.]lleineigentum. Der Kaufpreis blieb mit 199.000 € unverändert.
Da [X.] die Grunderwerbsteuer aus dem [X.]escheid vom 3. November 2006 nicht entrichtete, setzte das F[X.] mit [X.]escheiden vom 29. Mai 2007 gegen die Kläger als Veräußerer jeweils Grunderwerbsteuer in Höhe von 1.741 € fest.
Die dagegen von den Klägern unter Verweis auf die beantragte [X.]ufhebung der Grunderwerbsteuerfestsetzung eingelegten Einsprüche blieben ebenso erfolglos wie die Klage vor dem [X.] ([X.]). In seinem in Entscheidungen der [X.]e 2009, 1137 veröffentlichten Urteil führte das [X.] aus, die Kläger seien als Verkäufer des Miteigentumsanteils zu Recht je zur Hälfte als Gesamtschuldner in [X.]nspruch genommen worden. Der Kaufvertrag vom 23. September 2006 sei nicht nach § 16 [X.]bs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes ([X.]) rückgängig gemacht worden. [X.] habe ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Grundstückserwerb der [X.] gehabt und [X.]nsprüche der Kläger als Verkäufer wegen Nichterfüllung auf den vereinbarten pauschalen Schadensersatz reduzieren können. [X.]uch fehle es an einer vollständigen Rückabwicklung des Vertrages, weil der [X.]esitz sowie die Nutzungen nicht zurückübertragen worden seien.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des § 16 [X.]bs. 1 Nr. 1 [X.].
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil und die Grunderwerbsteuerbescheide vom 29. Mai 2007 in Gestalt der [X.] vom 30. Januar 2008 aufzuheben.
Das F[X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur [X.]ufhebung der Vorentscheidung und zur [X.]ufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte (§ 126 [X.]bs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).
1. Der [X.]uffassung des [X.], einer wirksamen Rückgängigmachung des Ersterwerbs nach § 16 [X.]bs. 1 Nr. 1 [X.] stehe das wirtschaftliche Interesse des [X.], mögliche Schadensersatzansprüche der Verkäuferseite wegen Nichterfüllung des Vertrages auszuschließen oder zu reduzieren, sowie der dem [X.] verbliebene [X.]esitz und die Nutzungen entgegen, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen.
a) Nach § 16 [X.]bs. 1 Nr. 1 [X.] wird eine Steuerfestsetzung auf [X.]ntrag aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang vor dem Übergang des Eigentums am Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird. "Rückgängig gemacht" ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche [X.]ufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen [X.]indungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt (vgl. z.[X.]. Urteile des [X.]undesfinanzhofs --[X.]FH-- vom 19. März 2003 [X.], [X.]FHE 202, 383, [X.]St[X.]l II 2003, 770; vom 21. Februar 2006 II R 60/04, [X.]FH/NV 2006, 1700; vom 25. [X.]pril 2007 [X.], [X.]FHE 217, 276, [X.]St[X.]l II 2007, 726; vom 14. November 2007 II R 1/06, [X.]FH/NV 2008, 403).
Der Wegfall der Verfügungsmöglichkeit des Erwerbers über das Grundstück einerseits und die Wiedererlangung der ursprünglichen Rechtsstellung des Veräußerers andererseits stehen --dem systematischen Verhältnis der [X.] des § 1 [X.] zu der gegenläufigen Korrekturvorschrift des § 16 [X.] entsprechend-- in einem sachlichen Zusammenhang ([X.]FH-Urteile vom 9. März 1994 II R 86/90, [X.]FHE 173, 568, [X.]St[X.]l II 1994, 413; in [X.]FHE 217, 276, [X.]St[X.]l II 2007, 726).
aa) Dem Ersterwerber verbleibt die Möglichkeit der Verwertung einer Rechtsposition aus dem ursprünglichen Kaufvertrag in jedem Fall dann, wenn der [X.]ufhebungs- und der [X.] in einer einzigen Urkunde zusammengefasst sind. In diesem Fall hat der Ersterwerber die rechtliche Möglichkeit, die [X.]ufhebung des ursprünglichen Kaufvertrages zum anschließenden Erwerb des Grundstücks durch eine von ihm ausgewählte dritte Person zu nutzen. Der Veräußerer wird aus seiner Übereignungsverpflichtung gegenüber dem früheren Erwerber erst mit der Unterzeichnung des Vertrages durch alle [X.] und damit erst in dem [X.]ugenblick entlassen, in dem er bereits wieder hinsichtlich der Übereignung des Grundstücks an den [X.] gebunden ist ([X.]FH-Urteil vom 23. [X.]ugust 2006 II R 8/05, [X.]FH/NV 2007, 273). Da sich diese Schlussfolgerung trotz gleicher [X.]eweggründe der Parteien mühelos umgehen lässt, indem die [X.]ufhebung des ursprünglichen und der [X.]bschluss des neuen Kaufvertrages --wie auch im [X.] nacheinander beurkundet werden, kann der [X.]bschluss beider Verträge in aufeinanderfolgenden Urkunden nicht anders beurteilt werden als ihre Zusammenfassung in einer Urkunde ([X.]FH-Urteile in [X.]FHE 217, 276, [X.]St[X.]l II 2007, 726, und in [X.]FH/NV 2008, 403).
bb) Im Streitfall hatte danach [X.] die rechtliche Möglichkeit, bei [X.]bschluss der Verträge vom 25. November 2006 Einfluss auf die Weiterveräußerung der Eigentumswohnung an [X.] zu nehmen. Denn beide Verträge wurden am selben Tage mit fortlaufender Nummer der [X.] des amtierenden Notars abgeschlossen.
Da [X.] schon aus den vorgenannten Gründen Einfluss auf die Weiterveräußerung hatte, kommt es auf die Frage, ob auch ein dem [X.] bis zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch verbliebener [X.]esitz an der Eigentumswohnung eine vergleichbare rechtliche oder faktische Position vermitteln konnte, nicht mehr an.
cc) [X.]llein die tatsächliche Möglichkeit des Ersterwerbers, Einfluss auf die Weiterveräußerung zu nehmen, steht einer Rückgängigmachung [X.] des § 16 [X.]bs. 1 Nr. 1 [X.] aber nicht entgegen. Vielmehr muss er von dieser Möglichkeit auch tatsächlich Gebrauch gemacht und die ihm aus dem vorangegangenen Erwerbsvorgang verbliebene Rechtsposition im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet haben ([X.]FH-Urteil in [X.]FHE 202, 383, [X.]St[X.]l II 2003, 770). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, wenn der Ersterwerber ausschließlich im Interesse eines [X.] handelt ([X.]FH-Urteil vom 7. Oktober 1987 [X.], [X.]FHE 152, 193, [X.]St[X.]l II 1988, 296) oder wenn sich sein Interesse ausschließlich darauf beschränkt, vom Vertrag loszukommen, und er lediglich dem Verlangen des Verkäufers nach Stellung eines Ersatzkäufers nachkommt ([X.]FH-Urteil vom 4. Dezember 1985 II R 171/84, [X.]FHE 145, 448, [X.]St[X.]l II 1986, 271).
dd) Danach steht --entgegen der [X.]uffassung des [X.]-- das bloße Interesse des [X.], gegen ihn gerichtete mögliche Schadensersatzansprüche der Kläger als Verkäufer wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages abzuwenden oder zu reduzieren, einer Rückgängigmachung nicht entgegen. Denn dieses Interesse reicht nicht über das bloße Interesse, sich vom Kaufvertrag zu lösen, hinaus. Stellt der Ersterwerber einen Ersatzkäufer und erschöpft sich dabei sein Interesse in der [X.]bwendung möglicher Schadensersatzforderungen der Verkäuferseite, kann, was das [X.] verkannt hat, unter den weiteren Voraussetzungen des § 16 [X.]bs. 1 Nr. 1 [X.] eine Rückgängigmachung vorliegen.
b) [X.]uch soweit in der Vorentscheidung wegen der fehlenden Rückübertragung des [X.]esitzes durch [X.] auf die Kläger die Voraussetzungen des § 16 [X.] verneint wurden, kann dem [X.] nicht gefolgt werden.
Zum einen spricht im Streitfall alles dagegen, dass [X.] jemals [X.]esitz an der Eigentumswohnung erlangt hat. Denn nach § 4 des Kaufvertrages vom 23. September 2006 sollte der [X.]esitz am Kaufgegenstand nicht vor Eingang des gesamten Kaufpreises auf die Käufer übergehen. Da [X.] nach den Feststellungen des [X.] den Kaufpreis nicht bezahlt hat, fehlt es erkennbar an den Voraussetzungen für einen [X.]esitzübergang nach § 854 [X.]bs. 2 des [X.]ürgerlichen Gesetzbuches. Selbst wenn er gegenüber den Klägern [X.]esitzrechte an der Eigentumswohnung erlangt haben sollte, muss zum anderen davon ausgegangen werden, dass er diese spätestens durch die "vollinhaltliche [X.]ufhebung" des [X.] vom 23. September 2006 wieder verloren hat.
c) Da das [X.] von einer anderen [X.]nsicht ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
2. Die Sache ist spruchreif.
Die mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakte sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten; sie sind nach § 100 [X.]bs. 1 Satz 1 [X.]O aufzuheben. Der Erwerbsvorgang des [X.] vom 23. September 2006 wurde [X.] von § 16 [X.]bs. 1 Nr. 1 [X.] rückgängig gemacht.
Der Kaufvertrag vom 23. September 2006 wurde durch den [X.] "vollinhaltlich" aufgehoben. Dadurch wurden alle Rechtswirkungen, insbesondere der steuerbegründende Eigentumsverschaffungsanspruch des [X.] wieder beseitigt. Die Kläger haben als Verkäufer auch ihre ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt. Zwar hatte [X.] nach den Umständen des Streitfalls (gleichzeitige [X.]ufhebung des ursprünglichen Kaufvertrages und Weiterveräußerung) die rechtliche Möglichkeit, bei [X.]bschluss der Verträge vom 25. November 2006 Einfluss auf die Weiterveräußerung der Eigentumswohnung an [X.] zu nehmen. Dass [X.] von dieser Möglichkeit im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse Gebrauch gemacht habe, ergibt sich aber weder aus den Feststellungen des [X.] noch sonst aus den Umständen des Streitfalls. [X.]llein das Interesse, sich vom Kaufvertrag wieder zu lösen und einen Ersatzkäufer zu stellen, reicht nicht aus. Dieses für § 16 [X.] unschädliche Interesse umfasst auch das [X.]estreben des Erstkäufers, Schadensersatzansprüche der Verkäuferseite zu vermeiden oder möglichst gering zu halten. Für die Wahrnehmung anderer (wirtschaftlicher) Interessen des [X.], wie z.[X.]. die Möglichkeit des [X.], in der Wohnung zukünftig mietverbilligt zu wohnen, fehlt es an Feststellungen oder [X.]nhaltspunkten, zumal das [X.] selbst ausführt, dass die persönliche [X.]eziehung zwischen [X.] und [X.] bei [X.]bschluss des [X.]ufhebungsvertrages am 25. November 2006 "offenbar schon beendet war".
Meta
06.10.2010
Urteil
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 19. März 2009, Az: 3 K 40/08, Urteil
§ 1 GrEStG 1997, § 16 Abs 1 Nr 1 GrEStG 1997
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 06.10.2010, Az. II R 31/09 (REWIS RS 2010, 2655)
Papierfundstellen: REWIS RS 2010, 2655
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