Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.05.2022, Az. 1 B 14/22

1. Senat | REWIS RS 2022, 3138

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Gegenstand

Zustellung bei mehreren Bevollmächtigten


Leitsatz

1. Bei mehreren Prozessbevollmächtigten genügt die Zustellung an einen von ihnen. Bei Zustellungen an mehrere Prozessbevollmächtigte ist für den Beginn der Rechtsmittelfrist die zeitlich erste Zustellung maßgeblich.

2. Die Mandatskündigung eines Prozessbevollmächtigten erlangt erst mit Anzeige gegenüber dem Gericht rechtliche Wirksamkeit.

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs [X.] vom 18. August 2021 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die [X.]eschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht wegen des allein geltend gemachten [X.] (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Das angefochtene [X.]erufungsurteil beruht nicht auf einer - geltend gemachten - Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör.

3

Im gerichtlichen Verfahren gewährleisten Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO den [X.]eteiligten das Recht, sich vor der Entscheidung zu allen dafür erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen zu äußern. Rechtlich erhebliches Vorbringen der [X.]eteiligten muss das Gericht zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen (stRspr, vgl. [X.], Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 [X.]vR 1621/94 - [X.]E 96, 205 <216>). Auf einen rechtlichen Gesichtspunkt, mit dessen Erheblichkeit ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste, darf es seine Entscheidung nicht ohne vorherigen Hinweis stützen (stRspr, vgl. [X.], [X.]eschluss vom 29. Mai 1991 - 1 [X.]vR 1383/90 - [X.]E 84, 188 <190>; [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 15. Dezember 2015 - 8 [X.] 9.15 - [X.]eckRS 2016, 41833 Rn. 2).

4

Gemessen daran liegt eine entscheidungserhebliche Verletzung des Rechts der Kläger auf rechtliches Gehör nicht vor.

5

Die Rüge der [X.]eschwerde, zur Wahrung rechtlichen Gehörs hätte das [X.]erufungsgericht nicht allein die Rechtsanwälte [X.], sondern allein oder jedenfalls auch die Rechtsanwälte S. zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht laden müssen, greift nicht durch.

6

Gemäß § 67 Abs. 6 Satz 5 VwGO sind Zustellungen an den bestellten Prozessbevollmächtigten zu richten. [X.]edient sich jemand mehrerer [X.]evollmächtigter, sind diese nach § 173 VwGO i.V.m. § 84 ZPO berechtigt, den [X.]etreffenden sowohl gemeinschaftlich als auch einzeln zu vertreten, sodass die Zustellung an jeden von ihnen gemäß § 67 Abs. 6 Satz 5 VwGO wirksam bewirkt werden kann. Demzufolge genügt bei mehreren [X.]evollmächtigten die Zustellung an einen von ihnen ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 21. Dezember 1983 - 1 [X.] 152.83 - NJW 1984, 2115 und vom 29. April 1997 - 4 [X.] 76.97 - [X.]eckRS 1997, 23086 Rn. 2; [X.], in [X.], VwGO, 15. Aufl. 2019, § 67 Rn. 29).

7

Für den [X.]eginn des [X.]es prozessualer Fristen ist die zeitlich erste Zustellung ausschlaggebend ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 31. Juli 1998 - 9 [X.] 776.98 - NJW 1998, 3582; [X.]GH, [X.]eschluss vom 26. September 2007 - IV Z[X.] 39/06 - [X.]eckRS 2007, 17402 Rn. 5). Eine spätere Zustellung an einen weiteren [X.]evollmächtigten setzt keine neue Rechtsmittelfrist in [X.]. Das Gesetz sieht keine [X.]efugnis des Gerichts vor, durch erneute Zustellung einer Entscheidung die durch eine vorhergehende Zustellung bereits wirksam in [X.] gesetzte Rechtsmittelfrist zu verlängern oder neu in [X.] zu setzen ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 29. Januar 1980 - 2 [X.] 76.79 - NJW 1980, 2269 und vom 21. Dezember 1983 - 1 [X.] 152.83 - NJW 1984, 2115; [X.], in [X.]/[X.], VwGO, 26. Aufl. 2020, § 67 Rn. 55).

8

Die Prozessvollmachten der Kläger für die Rechtsanwälte [X.] vom 12. Juni 2017 sind nicht dahingehend beschränkt gewesen, dass Zustellungen an diese nicht hätten vorgenommen werden dürfen. Gemäß § 81 ZPO i.V.m. § 173 VwGO berechtigt die Vollmacht zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen. Soweit eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, kann eine Vollmacht nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 83 Abs. 2 ZPO beschränkt werden. Sie kann nur für einzelne Prozesshandlungen erteilt oder einzelne Prozesshandlungen können aus dem Umfang der Vollmacht herausgenommen werden. Die [X.]eschränkung der Prozessvollmacht muss unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden, denn im gerichtlichen Verfahren sollen über die Reichweite der Vertretungsbefugnis keine Zweifel bestehen ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 29. April 1997 - 4 [X.] 76.97 - [X.]eckRS 1997, 23086 Rn. 3; [X.]SG, Urteil vom 2. September 2009 - [X.] 12 P 2/08 R - [X.] 4 - 3300 § 110 Nr. 2 = [X.]eckRS 2010, 65994 Rn. 13).

9

Auch der Umstand, dass sich die Kläger durch die Rechtsanwälte [X.] nicht mehr vertreten gesehen oder diesen gegenüber möglicherweise das Mandat gekündigt haben, ändert nichts daran, dass sie die Zustellung gegen sich gelten lassen müssen. Denn im Zeitpunkt der Zustellung des [X.]erufungsurteils (8. November 2021) ist die [X.]evollmächtigung der Rechtsanwälte [X.] nicht wirksam erloschen gewesen. Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 87 ZPO erlangt die Kündigung eines Prozessvertretungsvertrags erst mit der Anzeige gegenüber dem Gericht rechtliche Wirksamkeit. Solange dem Gericht das Ende des bisherigen [X.] nicht vorgetragen wird, ist demnach der bisherige anwaltliche Prozessbevollmächtigte für das Gericht bevollmächtigt, für die Kläger Prozesshandlungen vorzunehmen (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 29. April 1997 - 4 [X.] 76.97 - [X.]eckRS 1997, 23086 Rn. 2; OVG [X.]remen, [X.]eschluss vom 9. August 2016 - 2 [X.] - NVwZ-RR 2017, 167 Rn. 9; [X.]/[X.], in: [X.]eckOK VwGO, [X.]/[X.], Stand Januar 2022, § 67 Rn. 75). Eine Anzeige der [X.]eendigung des Mandatsverhältnisses gegenüber dem Gericht ist weder seitens der Rechtsanwälte [X.] noch durch Rechtsanwalt S. oder die Kläger selbst bis zur Zustellung des [X.]erufungsurteils am 8. November 2021 erfolgt. Die Rechtsanwälte [X.] haben das Empfangsbekenntnis auch nicht etwa unausgefüllt zurückgeschickt und darauf hingewiesen, dass sie nicht mehr bevollmächtigt seien, sondern haben vielmehr das Empfangsbekenntnis ausgefüllt, unterzeichnet und am 8. November 2021 zurückgesandt.

2. Der Senat sieht von einer weiteren [X.]egründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § [X.] [X.] nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 [X.]. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 [X.] liegen nicht vor.

Meta

1 B 14/22

12.05.2022

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 18. August 2021, Az: A 3 S 277/19, Urteil

§ 67 Abs 6 S 5 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, § 173 VwGO, § 81 ZPO, § 83 ZPO, § 84 ZPO, § 87 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 12.05.2022, Az. 1 B 14/22 (REWIS RS 2022, 3138)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3138 NJW 2022, 2778 REWIS RS 2022, 3138

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvR 1621/94

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